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4. Februar 2013 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||
Alle Terminangaben sind sorgfältig abgetippt, aber ohne Gewähr. Die Filme werden immer unter dem Titel aufgeführt, unter dem man sie im offiziellen Berlinale-Katalog findet. |
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Vorführungen:
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USA 2013, 90 Min., Buch: Joseph Gordon-Levitt, Kamera: Thomas Kloss, Schnitt: Lauren Zuckerman, Musik: Nathan Johnson, mit Joseph Gordon-Levitt (»Don« Jon Martello), Scarlett Johansson (Barbara), Julianne Moore (Esther), Tony Danza (Mr. Martello), Brie Larson (Jons Schwester[?]), Rob Brown (Bobby), Lindsey Broad (Lauren), Italia Ricci (Gina), Jeremy Luc (Danny), Loanne Bishop (Barbaras Mutter), Anne Hathaway, Channing Tatum (Stars of Something Special), Emily Blunt, John Krasinski (Stars of Live Fast, Die Fast 3D), Kinostart: 10. Oktober 2013
Jon Martello (Joseph Gordon-Levitt) ist pornosüchtig. Das Startgeräusch seines PCs ist für ihn wie eine pawlovsche Glocke, er sieht zwar gut genug aus, um aus fast jedem Disco-Besuch einen One-Night-Stand abzuschleppen, aber kaum, dass seine jeweilige Sexpartnerin entschlafen ist, stiehlt er sich wieder ins Internet und holt sich jene Art von Sex, die er bevorzugt (und warum dies so ist, erklärt er ausführlich: »unlike porn, real pussy can kill you«, »there's no cumshot in real life« usw.). Überhaupt ist sein Leben von vielen seriellen Routinen bestimmt. Disco-Besuche laufen meist so ab: Er checkt mit seinen beiden Kumpels die Damenwelt ab, irgendwann bleibt sein Blick dann an einer möglichst perfekten Person hängen, er tanzt mit ihr, knutscht mit ihr, besteigt mit ihr ein Taxi, dann besteigt er sie und - zack - sitzt er schon wieder vorm Computer. Wham! Bam! Thank you, M'am! Am nächsten Tag wird dann das Laken gewechselt, einmal die Woche geht es in die Kirche zum Beichten, und die ihm verordneten Ave Marias arbeitet er bevorzugt beim Gewichtestemmen in der Muckibude ab. Regisseur und Drehbuchautor Joseph Gordon-Levitt begleitet diese Etappen im Leben der von ihm selbst unerschrocken narzisstisch dargestellten Hauptfigur (wenn Jon auch sympathischer bleibt als etwa Michael Fassbinder in Shame) immer wieder mit den selben Musikeinblendungen und Einstellungen (Lakenwechsel von oben, Kirchenkreuz von unten, Gewichtheben wieder von oben), und der großartige running gag um Jons Schwester funktioniert noch beim zwanzigsten Mal wie am Schnürchen. Die Serialität des Films findet einen Höhepunkt, wenn Jon mit seiner Familie am Frühstückstisch sitzt, und sein Vater, dargestellt vom ehemaligen Sitcom-Schönling Tony Danza (Who's the boss?) nicht nur dasselbe Feinripp-Unterhemd trägt, sondern die selben Macho-Allüren und auf Oberflächenimpulse begrenzten Ausblicke aufs andere Geschlecht offenbart. Das vermittelte Männlichkeitsbild ist auch nur ein »Rerun« der vorhergehenden Generation.
Die erste größere Veränderung in Jons Alltagstrott vollzieht sich, als er Barbara (Scarlett Johansson) kennenlernt und sich - ja, man kann es kaum anders nennen - »verliebt«. Erstmals. Für diese Frau will er sich ändern. Nicht unbedingt, weil er ein besserer Mensch sein will, sondern weil sie einen besseren Menschen als Partner will. Einen Mann, der ihren Idealen entspricht, jemanden, der sich wie Leonardo DiCaprio in Titanic selbstlos für sie opfern würde, der mit einem gutbezahlten Job an ihrer Seite steht und dafür sorgen würde, dass sie niemals wieder selbst ihre Wohnung säubern müsste, denn natürlich sieht ihr Zukunftsentwurf eine Haushälterin vor.
Ungeachtet eines Einblicks in Barbaras plüschrosa Jugendzimmer braucht Jon eine Zeitlang, bis er die unüberbrückbare Kluft zwischen den Geschlechtern (zumindest, was Jon und Barbara angeht) als solchen erkennt, und als Romantic Comedy thematisiert der Film dieses Problem, das schon Rock Hudson und Doris Day (allerdings in verharmloster Art) in den Bann schlug.
Hierbei ist der Film gleichzeitig sehr satirisch, behält aber einen durchaus realistischen Grundton, bei dem große Teile des Publikums sich wiedererkennen werden. So wie Jon und Barbara das Ideal einer Partnerschaft in Romantic Comedys oder Porno-Clips sehen, differieren sie auch bei verschiedenen Teilaspekten ihrer Freizeit oder Lebensplanung, und das Drehbuch zeigt das unter anderem in zwei genial-simplistischen Dialogzeilen: Wenn Jon Barbara erstmals sieht, sagt er zu ihr: »You're the most beautiful thing I've ever seen in my life« (natürlich ist sie für ihn ein »Ding«, ein Subjekt); und wenn Barbara Jon erstmals beim Masturbieren vor dem Computer erwischt, sagt sie: »That's the most disgusting thing I ever saw.« Ob diese Beziehung eine Zukunft hat, will ich hier nicht verraten, auf jeden Fall gibt es aber noch eine Komplikation in Form von Julianne Moore als Esther, einer etwas reiferen Frau, die mit der Dynamik von Paarbeziehungen mehr Erfahrung hat und dem Film sozusagen eine Therapiemöglichkeit bietet.
Dass dieser Film innerhalb des Berlinale-Programms nicht am Valentinstag gezeigt wird, ist ein großes Manko (aber ich weiß, dass sich die Berlinale um diesen Feiertag regelmäßig nicht kümmert), denn im Grunde ist Gordon-Levitts Film auch eine Möglichkeit, der problematischen Wahl nach dem richtigen Date-Movie eine Alternative zu bieten, die beiden Parteien auch einen Spiegel hinstellt. Einen immens amüsanten Spiegel.
Vorführungen:
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Intern. Titel: The Daughter, Griechenland / Italien 2012, Buch: Thanos Anastopoulos, Vasilis Yiatsis, Kamera: Elias Adamis, Schnitt: Napoleon Stratogiannakis, mit Savina Alimani (Myrto), Aggelos Papadimas, Giorgos Simeonidis, Ieronymos Kaletsanos, Theodora Tzimou, Bujar Alimani, 87 Min.
Eine der frühesten Einstellungen dieses Films zeigt eine Axt, die auf der Ladefläche eines Lasters liegt, und es wird sich irgendwann herausstellen, dass das Fällen und Bearbeiten von Bäumen die alles überschattende Allegorie dieses Films ist.
Die Hauptfigur des Films ist Myrto, ein junges Mädchen, vielleicht 13 oder 14 Jahre alt, zunächst ein unschuldiges Opfer der Umstände. Myrtos Eltern leben getrennt, der Vater war im Holzgeschäft tätig, doch plötzlich ist er verschwunden. Die Mutter interessiert dies (oder Myrtos Leben) wenig, sie hat gerade einen neuen Stecher zu Besuch, und so macht sich Myrto auf den Weg, ihren Vater zu finden - oder zumindest zu verstehen, was da vorgefallen ist. Diese Zusammenfassung entspricht nicht wirklich dem eigentlichen Geschehen, weil Myrto zu Beginn des Films weitaus mehr weiß als der Zuschauer, der sich über diverse Hinweise und Ellipsen erst die Geschichte zusammenreimen muss - was ich an dieser Stelle auch nicht komplett zerstören möchte.
Myrto ist fast die komplette Filmhandlung über in einem weißen T-Shirt unterwegs, auf dem ein hellblauer Blitz prangt - vom Design her wie mit einer Spraydose aufgetragen. Das mag meine ganz persönliche Interpretation sein, aber sie wirkt damit fast wie ein Superheld, wie ein »Captain Griechenland«, der sich den Problemen seiner Heimat annimmt - allerdings auf superheldenuntypische Weise. Denn sie entführt den kleinen Sohn (schon der Name »Angelos« zeugt davon, dass dieser noch unschuldiger als Myrto ist) des Geschäftspartners ihres Vaters - weil dieser ihren Vater (offenbar? womöglich?) hintergangen hat.
Zunächst geht sie mit Angelos in ein unbenutztes Holzlager mit Werkstatt, und eine frühe Ellipse des Films deutet an, dass sie den Jungen womöglich einfach getötet hat. Doch I kóri widmet sich vor allem dem psychologischen Dilemma seiner Hauptfigur, und auch wenn Myrto ihren Frust gerne an dem kleinen Jungen austoben würde, so weiß sie doch, dass er an der Situation (ihres Vaters und des Landes) genauso wenig Schuld trägt wie sie selbst. Das griechische Dilemma: die Täter feiern und die Opfer leiden - auch in einem anderen Forumsbeitrag, Sto lyko, wird dies thematisiert.
Holzbearbeitungswerkzeuge, insbesondere eine Kreissäge, wirken in diesem Film wie ein Damokles-Schwert, das über dem kleinen Angelos schwebt, doch vor allem beschreibt der Film, wie Myrto versucht, ihren Frust in gefühllose Gewalt zu verwandeln. Für das Feuilleton gibt es in diesem Film Szenen, in denen Myrto durch die von aktuellen Demonstrationen verstopften Straßen irrt (ähnlich wie letztes Jahr in Pacha), wo Molotov-Cocktails nahe der »Bank of Greece« in Flammen aufgehen.
Für mich war eine der Kernszenen des Films jedoch die, wo Angelos, der mittlerweile um seine Situation weiß, seine Zeit mit dem Zeichnen von Monstern verbringt, wobei Myrto seine Zeichenblätter mit Hobelspänen oder ähnlichem Dreck bewirft. Sie droht ihm auch, die Zeichnungen, die ihr so sinnlos erscheinen, zu zerreißen, doch weder schafft sie dies, noch ist es notwendig, denn Angelos fängt auch so schon wegen ihrer Hobelspäne zu weinen an. Dann rät sie ihm (laut Untertiteln) »You should fight back«, was natürlich vor allem demonstriert, dass sie zwar taff scheinen will, aber im Grunde aus der selbstverschuldeten misslichen Lage befreit werden will.
I kóri hat viel ganz großartige Momente, doch es gab auch Szenen, die etwas zu fett aufgetragen waren, etwa die Auftritte des Vaters (zunächst irgendwo zwischen Halluzinationen und Flashbacks), der natürlich auch einer der »Unschuldigen« ist, doch der dann (meines Erachtens) nicht auch noch seinem Beruf als Zimmermann entsprechend Holzbalken durch die Gegend schleppen musste, dass quasi jedermann an den christlichen Märtyrer mit dem Kreuz denken muss. Auch hätte der Film durchaus noch etwas stringenter ausfallen können. Gegen Schluss gibt es wieder eine Szene im Wald, mit der der Film auf großartige Weise hätte enden können - doch dann folgt noch eine Szene, die zwar ganz in Ordnung ist, aber eben nicht so genial wie die mögliche Kreisstruktur und Rückkehr zur Allegorie, die die Waldszene in die Dramaturgie eingebracht hätte. Aber I kóri ist offensichtlich auch ein Film, der sich in seiner Kontroversität und seinen unterschiedlichen Interpretationsansätzen gefällt, aber dennoch nicht das große Publikum darüber verlieren möchte. Wie die frühen Godard-Filme: man sieht bereits das Potential, aber der Künstler ist noch nicht gefestigt.
Vorführungen:
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USA 2013, Buch: Andy Bellin, Kamera: Eric Alan Edwards, Schnitt: Robert Dalva, Matthew Landon, Musik: Stephen Trask, Kostüme: Karyn Wagner, Production Design: William Arnold, Art Direction: Gary Myers, mit Amanda Seyfried (Linda Lovelace), Peter Sarsgaard (Chuck Traynor), Juno Temple (Patsy), Sharon Stone (Dorothy Boreman), Robert Patrick (John J. Boreman), Hank Azaria (Jerry Damiano), Chris Noth (Anthony Romano), Adam Brody (Harry Reems), Wes Bentley (Larry Marchiano), James Franco (Hugh Hefner), Eric Roberts (Nat Laurendi), Bobby Cannavale (Butchie Peraino), Chloë Sevigny (Rebecca), Ron Pritchard (Sammy Davis Jr.), 92 Min.
Rob Epstein & Jeffrey Friedman waren Jahrzehnte lang die Lieblingsdokumentaristen der Panorama-Sektion. Epstein sogar schon, als die Sektion noch »Info-Schau« hieß, mit seinem Regiedebüt (zusammen mit Richard Schmiechen) The Times of Harvey Milk (1985). Gemeinsam lieferten Epstein und Friedman dann etwa Common Threads (1990), The Celluloid Closet (Teddy 1996) oder Paragraph 175 (Teddy 2000) - Meilensteine der cinematischen Schwulenbewegung. Dann versuchten sie sich mit der filmgewordenen Ginsberg-Gedichtinterpretation The Howl (Wettbewerb 2010) und nicht jeder war begeistert. Nun folgt mit Lovelace nicht nur ein (richtiger!) Spielfilm, sondern auch ihr wahrscheinlich erster Film auf der Berlinale, der nicht schon quasi automatisch für den Teddy nominiert ist.
Pornofilme gibt es fast so lange, wie es das Medium Film gibt, aber Deep Throat war 1972 ein kulturelles Phänomen, ein Kassenschlager und ein Gesprächsthema. Dies betont Lovelace gleich zu Beginn, wenn Talkshow-Ikone Johnny Carson in einem zeitgenössischen Clip gezeigt wird, wo er sagt: »Judges can watch Deep Throat, but they can't listen to those tapes«, eine Bezugnahme auf die Watergate-Affäre, die auch dadurch in immerwährender Verbindung zum Film steht, dass der anonyme Informant der investigativen Journalisten Bernstein und Woodward sich ebenfalls »Deep Throat« nannte, was man dann beim ähnlich mysteriösen Kettenraucher in The X-Files abermals übernahm. Im eigentlichen Film bezieht sich der Titel auf eine medizinische Besonderheit, eine in der Kehle befindliche Klitoris, eine ziemlich clevere Drehbuchidee, die aus der patriarchalen Machtfantasie Blowjob die sexuelle Erfüllung für die »Hauptdarstellerin« Linda Lovelace (laut Vorspann spielt sie »sich selbst«) macht.
Das Biopic Lovelace beginnt mit einer eher prüden Linda (Amanda Seyfried) im Jahre 1970, die sich im Gegensatz zu ihrer Freundin Patsy nicht einmal auf ihren geöffneten Bikini legen will, um einen nahtlos gebräunten Rücken zu bekommen. Man erfährt zwar nebenbei, dass Linda (ihr eigentlicher Name ist »Boreman«) schon einen Kaiserschnitt hatte, von ihrer Mutter (Sharon Stone) aber zu einer Adoption gezwungen wurde, doch die gesamte Inszenierung des Films stützt sich auf die Rolle ihres baldigen Ehemanns Chuck Traynor (Peter Sarsgaard), der Linda zwar aus der katholischen Vorstadthölle befreit, sie aber dafür ins Rotlichtmilieu entführt. Für mich wirkte der Film zu Beginn sehr wie eine Variation von An Education (mit Sarsgaard in einer sehr ähnlichen Rolle), angereichert mit einigen Elementen aus Stephen Kings Carrie sowohl die anfängliche Gartenszene als auch die anfängliche Ausprägung der Mutter könnten direkt daraus entnommen sein.
Ähnlich wie Paul Thomas Andersons Boogie Nights schildert Lovelace das Leben in der Pornobranche zunächst wie eine unbeschwerte Erfolgsgeschichte. Es gibt Gogo-Girls auf Rollschuhen, Pornodarsteller, die wie eine versteckte Liebeserklärung einen filmtechnisch nicht auszubeutenden Erguss haben - und auch einige Gags, die selbst im prüden Amerika ein größeres Publikum anlocken könnten. Das Angebot an sexuellen Darstellungen bleibt hierbei bei einigen Brüsten und Hintern, Lindas offenbar phänomenales orales Talent bleibt Mauerschau und Promotion für den Originalfilm. Doch so langsam zeichnet sich ab, dass Lindas Gatte Chuck sehr schnell eine Rolle einnehmen könnte, die weniger an den erfolgsverwöhnten Hochstapler aus An Education als an die traurige Figur des von William H. Macy in Boogie Nights gespielten Herren erinnert. Dunkle Wolken am Horizont.
Die eigentliche Kehrtwende des Films vollzieht sich aber erst in der letzten halben Stunde, als das gesamte Geschehen erneut, und diesmal aus der Sicht Lindas, wie sie es in ihrer Autobiographie Ordeal beschrieben hat, gezeigt wird. Und ganz wie in Boogie Nights ist das dann keine heitere Erfolgsgeschichte mehr, sondern eine Tragödie - nur ohne Leichen, aber dafür mit so manchem menschlichen Abgrund. Einige Details aus dem Leben von Linda Lovelace werden weggelassen oder eher unscharf umschrieben, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Regisseure einfach auch mal ein größeres Publikum erreichen wollen (ohne sich dabei komplett selbst zu verraten). Aber Biopics sind immer Ausschnitte aus einem Leben, und wahrscheinlich könnte man zu jeder Person, die es verdient hat, Mittelpunkt eines Biopics zu sein, etwa drei komplett unterschiedliche Filme drehen. Lovelace liefert hiervon immerhin sozusagen anderthalb, und auch wenn einige Puristen enttäuscht aus dem Film gingen, gab es auch selbst unter dem hartgesottenen Kritikerpublikum Leute, die gegen Ende Taschentücher brauchten und offensichtlich tief berührt von der Geschichte waren. Ganz unabhängig davon, wie viel sie gezeigt oder verschleiert hat.
Vorführungen:
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Südafrika 2012, Buch: Ntshaveni Wa Luruli, Kamera: Lance Gewer, Schnitt: Aryan Kaganof, mit Florence Masebe (Elelwani), Ashifashabba Muleya, Vusi Kunene, 103 Min. (laut imdb 98 min)
Der Film beginnt damit, dass Elelwani (Florence Masebe) auf ein großes, mit wertvollen Tierfellen bedecktes Bett schaut. Ihr scheint mulmig zumute zu sein, und sie beginnt, uns ihre Geschichte zu erzählen. Mithilfe eines Sponsors war es der jungen Südafrikanerin möglich gewesen, zu studieren. Danach kehrt sie mit Geschenken zu ihrer Familie zurück. Ihr Vater beäugt argwöhnisch ihren »Fahrer«, mit dem zusammen Elelwani bald nach Chicago ziehen will, um dort Kunst zu studieren. Doch sowohl ihre Familie als auch das ganze Dorf haben andere Pläne für sie. Es gibt zwar eine große Wiedersehensfeier, doch der Dorfrat (dem auch der Vater angehört) hat längst entschieden, dass Elelwani jenen »Sponsor«, einen »König« aus einer Nachbarortschaft, heiraten soll. Darauf hinarbeitend hat sich Elelwanis Familie verschuldet, sollte sie tatsächlich einfach nach Chicago verschwinden, müsste ihre jüngere Schwester Rendani ihr Eheversprechen einlösen, um die Familie nicht komplett in Schande zu stürzen.
Die Geschichte um Eheschließungen als größtes Glück einer Frau und die problematische Selbstverwirklichung bzw. Emanzipation erinnert ein wenig an Jane Austen, nur dass die patriarchale Unterdrückung hier viel offensichtlicher ist. Um sich überhaupt mit ihrem Vater oder dem Dorfrat zu unterhalten, muss Elelwani fast auf dem Boden herumkriechen, den Blick immer respektvoll nach unten gerichtet, gleichzeitig gibt es satirische Untertöne, die Frau Austen keineswegs subtil genug gewesen wären, wenn Elelwani etwa von ihren Amerika-Plänen und einem Stipendium spricht, ihre ach so weisen männlichen Gesprächspartner aber mit diesen »Fremdwörtern« nichts anfangen können, und diesem »Mr. Maliga« vertraut man auch nicht. Wer sich an dieser Stelle wundert, warum ich den mysteriösen »Mr. Maliga« vorher überhaupt nicht erwähnt habe: es handelt sich dabei nicht um eine Person, sondern um ein (durchaus erwähntes) Land. Soweit zur Subtilität dieser Romanverfilmung, die gerade zu Beginn erschreckend dialoglastig und theaterhaft daherkommt (sämtliche Innenaufnahmen wurden offenbar im gleichen »Lehmstudio« aufgenommen, dessen Ausleuchtung im unübersehbaren Widerspruch zu den Außenaufnahmen steht). Doch immer, wenn mal nicht gequatscht wird, findet der Film auch zu filmischen Ausdrucksformen, was mit der Zeit auch für den verwöhnten westlichen Betrachter immer besser funktioniert.
Über das Problem der (mitunter fehlenden) Subtilität erschließt sich auch, wie sehr man sich auf den Film einlässt. Elelwanis »Fahrer«, der mit sich ringt, ihr einen Antrag zu machen, nennt sie »Schmetterling« (bzw. »vele«), ein Kosewort, dass auch sie für ihn benutzt. Bei einem durchaus sinnlichen gemeinsamen Bad unter einem Wasserfall zieht sich die Kamera diskret zurück, und in der nächsten Einstellung sieht man zwei kopulierende Schmetterlinge. Wenn man in den USA der 1950er so gearbeitet hätte, wäre sicherlich einiges von der Zensur herausgeschnitten worden.
Nur geringfügig zurückhaltender: die »Botschafter« aus dem Königsdorf, die während der unentschlossenen Phase auf die zu überführende Braut warten. Es handelt sich um ehrenwerte Personen, daran ändern auch die zehengroßen Löcher in den Socken nichts. Und um die beiden bei Laune zu halten, muss Elelwanis Familie nach und nach den kompletten Hühnerstall opfern, mit leichter Untersicht, Weitwinkelobjektiv und Schmatzgeräuschen beobachtet man ihr »Warten«, was gnädigerweise bald durch Zeitraffer-Szenen und Stakkato-Schnittsequenzen von vollen bzw. leeren Tellern beschleunigt wird.
Wie man lesen konnte, überzeugt mich der Film nicht auf ganzer Linie, ich muss aber zugeben, dass es einer der interessanteren Filme war, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Von der verschämter Jane-Austen-Herangehensweise entfernt sich der Film im letzten Drittel durchaus, wenn es um Mythen, Intrigen und Zweitfrauen geht, König Thovhele endlich selbst seinen - durchaus überraschenden - Auftritt hat, und es sich entscheidet, inwiefern Elelwani sich emanzipieren kann - oder doch nur Opfer bleibt.
Vorführungen:
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Intern. Titel: The Zigzag Kid, Niederlande / UK / Spanien / Frankreich / Belgien 2012, Buch: Vincent Bal, John Gilbert, Lit. Vorlage: David Grossman, Kamera: Walther Vanden Ende, Schnitt: Peter Alderliesten, Musik: Thomas de Prins, mit Thomas Simon (Nono), Burghart Klaußner (Felix Glick), Fedja Van Huêt (Jacob), Isabella Rosselini (Lola), Jessica Zeylmaker (Gaby), Camille De Pazzis (Zohara), Eric de Kuyper (Onkel Shmuel), 95 Min.
Der Eröffnungsfilm der Generation (Abteilung Kplus) kommt zwar aus den Niederlanden, kann aber mit zwar Stars für das Berlinale-Publikum aufwarten. Zum einen Burghard Klaußner, der einen Gentleman-Dieb alter Schule spielt, zum anderen Isabella Rosselini, die eine alternde Diva gibt - und wegen ihrer Mammas im Forum Expanded ohnehin mal wieder in Berlin zu Gast ist.
Der Held des Films ist Nono (fast 13), der Sohn eines erfolgreichen Polizei-Inspektors, der gerne in die Fußstapfen seines Vaters schlüpfen würde, an dem es aber nagt, dass seine Mutter verstarb, als er ein Jahr alt war. Und dass sein Vater über diese doch für Nono wichtige Person am liebsten so gar nicht sprechen würde. Nicht einmal mit seiner Sekretärin Gaby (Jessica Zeylmaker), einer liebenswerten Person, die inoffiziell eigentlich längst Nonos Ersatzmutter ist - nur wartet auch sie auf den Herrn Kommissar, der ja endlich mal einen Antrag machen könnte.
In dieser schon recht komplexen Situation trifft Nono auf einen mysteriösen Mann, den er schon schnell als den untergetauchten Meisterverbrecher Felix Glick (Klaußner) identifiziert, der zu seiner aktiven Zeit nur ein einziges Mal - von Nonos Vater - dingfest gemacht werden konnte. Dieser »entführt« ihn quasi (nicht, dass der abenteuerlustige Junge etwas dagegen hätte), als Nono für zwei Wochen bei einem langweiligen Onkel »abgestellt« werden soll, weil das Kind zu viele Flausen im Kopf hat (man spricht vom »Fluch der Zohara«) und mit seiner überbordenden Fantasie aus einem seriösen Familienfest eine kleine Katastrophe machte.
Da Nono selbst entscheiden darf, wohin das Abenteuer führen soll, will er das Geheimnis hinter seiner Mutter erkunden, von der er nur den Namen (Zohara) kennt und ein Foto besitzt, auf dem man nicht einmal ihr Gesicht erkennen kann. Doch Felix Glick kann anhand des Fotos erkennen, dass Nonos Mutter wohl auf einem Pferd gesessen haben muss, und ganz wie der Vater macht man sich auf die Suche nach Hinweisen und Fährten, während Nonos Vater sich schnell um den Fall der Entführung seines Sohnes, in den Fängen eines gefährlichen Kriminellen, kümmern muss.
An der französischen Riviera treffen Nono und Felix dann auf die berühmte Sängerin Lola (Rossellini), die offenbar auch etwas mit dem Geheimnis von Zohara zu tun hat, und aus dem durchaus rasanten Abenteuer wird eine Familienzusammenführung, die größtenteils in der Vergangenheit stattfindet. Denn Nono findet sowohl das Haus, in dem seine Eltern einst wohnten, als auch die Hintergründe ihres Todes. Und wie es sich für einen Film gehört, »erlebt« er diese Einblicke in die Jugend seines Vaters quasi mit, als Flashbacks.
Der Film bietet viel für einen Kinderfilm, von Verkleidungen und Verfolgungsjagden bis hin zu Pferden, die des Nachts einfach mal so aus dem Kleiderschrank kommen. Für meinen Geschmack war der Humor manchmal eine Spur zu platt (als der Kommissar endlich seinen Heiratsantrag macht und dann feststellt, dass er die Ringe vergessen hat, schien die Lösung das vermeintliche Kritikerpublikum so dermaßen zu überraschen und zu erheitern, dass ich das Gefühl hatte, dass viele der Anwesenden wohl nur zweimal im Jahr ins Kino gehen), und was mich an der Euro-Pudding-Machweise des Films ein wenig störte, war, dass man in Frankreich offenbar bevorzugt niederländische und englischsprachige Tageszeitungen liest. Beim Ergattern der Plazierung als Eröffnungsfilm scheint es ja geklappt zu haben, für mich schielte der Film dann aber doch zu sehr auf ein internationales Publikum, wo etwas mehr Plausibilität beim Casting etc. vielleicht von Vorteil gewesen wäre. Aber um in den Niederlanden so eine Produktion zu stemmen, benötigt man wahrscheinlich Fördergelder aus anderen Ländern.
Für ein kindliches Publikum - mit erwachsener Begleitung - ist der Film aber sicher geeignet. Und da man sich nicht auf den deutschen Kinostart verlassen kann, ist Nono, het zigzag kind nicht die schlechteste Wahl, um sein Kind mal etwas Festivalluft schnuppern zu lassen.
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