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6. Februar 2013 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||||
Alle Terminangaben sind sorgfältig abgetippt, aber ohne Gewähr. Die Filme werden immer unter dem Titel aufgeführt, unter dem man sie im offiziellen Berlinale-Katalog findet. |
90:
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Vorführungen:
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USA 1943, Buch: Peretz Hirschbein, Melvin Levy, Doris Malloy, Lit. Vorlage: Bart Lytton, Kamera: Jack Greenhalgh, Schnitt: Dan Milner, Musik: Karl Hajos, Production Design, Second Unit Director: Edgar G. Ulmer, Technical Supervisor: Eugen Schüfftan, mit Alan Curtis (Karel Vavra), Patricia Morison (Jarmilla Hanka), Ralph Morgan (Jan Hanka), Edgar Kennedy (Nepomuk), John Carradine (Reinhard Heydrich), Ludwig Stössel (Bürgermeister Bauer), Johanna Hofer (Magda Bauer), Al Shean (Father Cemlanek), Elizabeth Russell (Maria Bartonek), Tully Marshall (Teacher), Laurie Lane (Minna), Howard Freeman (Heinrich Himmler), Blanche Yurka (Anna Hanka), Hans Heinrich von Twardowski (Lt. Bülow), Ava Gardner (Franciska Pritric, Studentin), 84 Min.
Schon in dieser frühen Billigproduktion erkennt man, wie Douglas Sirk selbst bei ungünstigsten Bedingungen seine Weltsicht, seinen Hang zur Melodramatik und seinen persönlichen Stil in einen Stoff einbringt. Die Nacherzählung der Umstände des Attentats am stellvertretenden »Reichsprotektor« Reinhard Heydrich folgte recht schnell auf das eigentliche Ereignis, die vermeintliche »Roman-Vorlage« fiktionalisierte einige der der Weltöffentlichkeit noch nicht offenbarten Umstände und machte daraus eine Geschichte um Liebe und Zivilcourage, bei der selbst der wachsende Widerstand des deutschen Volkes gegen die Reichsführung geschickt eingeflochten wird.
Der tschechische Widerstandskämpfer Karel Vavra (Alan Curtis) kehrt aus London zurück in seine Heimat, um das Volk gegen die Deutschen zu mobilisieren. Doch die Angst vor Repressalien ist groß, als er sich nach seiner großen Liebe Jarmilla (Patricia Morison) erkundigt, entgegnet ihm ihr Vater »Willst Du, dass sie auch ins KZ kommt?« Die Atmosphäre im Städtchen Lidice wird geschildert, unterschiedliche Fraktionen vorgestellt. Der Bürgermeister ist längst ein Deutscher, der sich im schönsten Haus des Dorfes eingenistet hat, falsche Versprechungen macht und stattdessen zur Beruhigung seiner Vorgesetzten »Verhaftungslotterie« spielt, um sein striktes Regime gegen Widerständler zu beweisen. So wird ein völlig unschuldiger Familienvater von den Schergen verschleppt, und seine Witwe wird erst dadurch wachgerüttelt. Die Deutschen »unterstützen« den Widerstand sozusagen durch wenig durchdachte Demonstrationen ihrer Terrorherrschaft. So kommt Heydrich (John Carradine) auf die Idee, dass der Widerstand unter den intelligentesten Tschechen zu suchen ist, besucht eine Universität und lässt die jungen Studentinnen untersuchen und als »Freiwillige« an die russische Front verschicken (der Film macht es für damalige Zeiten erstaunlich klar, was ihre »Aufgabe« dort sein soll - »to entertain our German soldiers«). Oder er erschießt einfach mal eigenhändig einen Geistlichen vor unzähligen Zeugen.
Was in der Dramaturgie des Films aber das Attentat überhaupt erst möglich macht, ist die Reaktion der Frau des Bürgermeisters (Johanna Hofer) auf die Nachricht, dass (»is it Fritz or is it Hans?«) gleich beide Söhne »für den Führer« starben. Ohne dass der Film aus ihr eine große Heldin macht, gibt sie den Widerständigen den entscheidenden Tip, wo man Heydrich auflauern kann.
Das eigentliche Attentat verläuft in typischer Hollywood-Weise, mit Verfolgungsjagd und melodramatischer Todesszene, aber aus heutige (und deutscher) Sicht noch interessanter ist ein letztes Gespräch zwischen Himmler und Heydrich, bei dem der Film sich nicht einmal mehr der Illusion hingibt, es gäbe irgendeinen Grund, warum man so genau über den Gesprächsverlauf Bescheid weiß. Auch, wenn man auf der Seite der »Guten« steht, funktioniert Propaganda natürlich nach den selben Spielregeln.
Wer sich in der Geschichte auskennt, weiß, wie der Film ausgehen muss, ich möchte das Ende nicht ausplaudern, kann aber sagen, dass es wirklich beeindruckend und nahezu poetisch umgesetzt wurde. Da es diesen Film hierzulande nicht so häufig zu sehen gibt, sollte man ihn nicht verpassen.
Als besonderes Schmankerl gibt es übrigens auch einige bekannte Gesichter in diesem Film. Wer gut aufpasst, kann unter den Studentinnen die junge Ava Gardner entdecken, die damals noch ohne Credit auftrat. Den Landstreicher Nepomuk spielt Edgar Kennedy, der oft als Polizist in Filmen mit Laurel & Hardy auftrat. Und Hans Heinrich von Twardowski, der sein Filmdebüt als ermordeter Alan in Das Cabinet des Dr. Caligari hatte, spielt hier den »Lt. Bülow«. In Hangmen also die!, Fritz Langs Version der Heydrich-Geschichte (ebenfalls von 1943 und im Programm der Retrospektive), taucht von Twardowski erneut auf, diesmal in der Rolle Heydrichs. Ein Vergleich bietet sich an.
Vorführungen:
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USA 2013, Buch, Schnitt: Andrew Bujalski, Kamera: Matthias Gruntzky, Production Design: Michael Bricker, Art Direction: Madison Fisk, Caroline Karlen, mit Wiley Wiggins (Peter Beuscher), Myles Paige (Michael Papageorge), Gerald Peary (Pat Henderson), Robin Schwartz (Shelly), James Curry (Carbrey), Patrick Riester (Bishton), Jim Lewis (John), Freddy Martinez (Freddy), Chris Doubek (Dave), Cyndi Williams (Pauline), Gordon Kindlmann (Schoesser), Bert Herigstad (Luke), Collie Ryan (Singer), 92 Min.
Andrew Bujalski (Beeswax), eine der Galleonsfiguren der »Mumble-Core«-Bewegung, bewegt sich wie seine Weggefährten, die Brüder Duplass (die als letztes Cyrus und Jeff who lives at Home drehten), in Richtung der (wirtschaftlich lukrativeren) Komödie, nur in weitaus kleineren Schritten, ohne Starbesetzung mit Comedy-Stars wie John C. Reilly oder Jason Segel, und auch mit einer offenbar widerwilligeren Angleichung an das Genre (und mir ist durchaus klar, dass auch die Duplass-Brüder sich noch etwas sträuben, eine Komödie im herkömmlichen Format abzuliefern).
Bujalskis neuer Film Computer Chess spielt zwar mit Elementen der Mockumentary, er biegt aber auch dieses Subgenre ganz im Dienste seiner persönlichen Anforderungen. Um die durchaus amüsanten Ereignisse auf einer Convention von Schachcomputer-Programmierern Anfang der 1980er zu schildern, nutzt er beispielsweise die ästhetisch herausfordernde Prämisse, fast den gesamten Film mit einer seinerzeit im Bereich der erschwinglichen Unterhaltungselektronik führenden Sony-Kamera zu drehen. Das ergibt seltsam matte Schwarzweiß-Bilder, die von direkten Lichtquellen komplett überfordert sind, und bei denen der Autofocus oft reichlich unentschieden zwischen den Bildelementen hin und her springt. Womit eigentlich die komplette Herangehensweise, sich über die Komödie einem größeren Publikum zu öffnen, bereits wieder sabotiert wird, denn weder mit dieser Ästhetik noch mit dem nostalgisch gefärbten Setting wird sich ein Mainstream-Publikum unter 40 Jahren anfreunden. Umso besser für die etwas älteren Zuschauer, die sich an die bescheidenen Anfänge von Camcordern und Schachcomputern noch erinnern können.
Bei dieser Convention, die vom Schach-Großmeister Pat Henderson (Gerald Peary) eröffnet wird, geht es darum, dass die state-of-the-art Computerprogramme gegeneinander antreten, um schließlich den »besten« Computerspieler zu ermitteln, der wiederum gegen Henderson antreten darf. Henderson selbst offenbart bereits zu Beginn der Veranstaltung seine Prognose, wie lange es noch dauern wird, bis die an Speicher- und Rechenkapazität langsam gewinnenden Maschinen seinem überlegenen Geist gefährlich werden können.
Nun lernt man wie nebenbei (Bujalski umgeht wissentlich eine herkömmliche Drehbuch-Dramaturgie), die einzelnen Programmierer kennen, die vom ihren Eigenschaften her manchmal wie Prototypen einer früheren Generation der Sitcom The Big Bang Theory wirken: Da gibt es statt des Inders Rajesh einen amerikanischen Ureinwohner, einer hat einen ähnlich auffallenden Sprachfehler wie Barry Kripke, eine (belächelte) Frau unter den Programmierern (Leslie Winkle), die Rolle der Identifikationsfigur (à la Leonard) geht an den jungen Peter (Wiley Wiggins), und wer auf die nicht zum Nerd-Kosmos gehörende Blondine bestehen will, findet natürlich vorm Eingang des Convention Centers auch eine Prostituierte, die aber im Verlauf des Films eher eine mysteriöse Rolle spielt - auch, weil die Programmierer größtenteils mit solch offensiver Sexualität wenig anfangen können.
Eine Mockumentary steht und fällt zumeist mit der Entscheidung der Filmemacher, wie viel »Mock« (also Spott, bzw. wie viele Scherze) und wie viele »Doku« sie zulassen bzw. betonen. In diesem Fall ist zwar das Setting der Mockumentary gegeben, doch der Film löst sich schon sehr bald von der anfänglichen Struktur, die unbekannte Gäste des Eröffnungspanel diesen aufzeichnen lassen, und zeigt beispielsweise eher »intime« Zusammenkünfte, oft sogar mit vielen, schnell wechselnden Kamerastandpunkten, so dass sich dies nicht mehr mit einem dokumentarischem Kamerateam vereinen lässt (außer natürlich, man geht vom dumm-verlogenen Prozedere des heutigen »Reality-TV« aus, bei dem das Kamerateam auch schon immer in der Wohnung ist, wenn der Bewohner noch komplett überrascht auf die Klingel reagiert). Doch da Bujalski das Mockumentary-Setting abgesehen von seiner ästhetischen Entscheidung für den prähistorischen Camcorder nie thematisiert, lässt man ihm das gerne durchgehen.
Und so wird das Ganze zunehmend komödiantischer, was man als Zuschauer begrüßt (denn wer will schon ernsthafte Diskussionen zwischen obsoleten Computernerds verfolgen?), und auf schleichende Weise spielt Bujalski auch mit experimentellen Bildern. So gibt es zunächst nächtliche Wanderungen von Mr. Papageorge, die mich ein wenig an Musikvideos erinnerten, aber später dreht Bujalski die Experimente richtig auf, plötzlich geht es gar um Zeitschlaufen, die auch hier das Diskussionspotential des Films über die nostalgischen Anekdoten (auch ich hatte mal einen Schachcomputer, der bei der höchsten Schwierigkeitsstufe manchmal 20 Minuten lang rechnete - nur um mit leicht unkonventionellen Spielweisen komplett überfordert zu sein) hinauswachsen lassen. Ein Kritikerkollege meinte nach dem Film »Genial! Das Forum ist gerettet!« Das finde ich etwas überzogen, aber einen Filmabend kann man hiermit durchaus retten.
Vorführungen:
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Ungarn / Österreich 1934, Buch: Felix Joachimson, Johann von Vásáry, Lit. Vorlage: Sàndor Nádas, Kamera: István Eiben, Schnitt: Viktor Gertler, Musik: Nicholas Brodszky, mit Franciska Gaál (Eva / Peter), Felix Bressart (Großvater), Hans Jaray (Dr. Robert Bandler), Otto Wallburg (Herr Zöllner), Grete Natzler (Mary), Anton Pointner (Steffani), Imre Ráday (Dieb), Hans Richter (Lehrling), Sigurd Lohde (Polizist), Ludwig Roth, Etha von Sturm, Richard Eybner (Partygast), 85 Min.
Diese von Universal Pictures (Zweigstelle Wien-Budapest) produzierte Depressions-Komödie entstand in deutscher Sprache in Ungarn und wirkt wie ein »missing link« zwischen deutschen musikalischen Komödien (bekanntestes Beispiel: Die Drei von der Tankstelle von 1930) und frühen Screwball Comedys wie Frank Capras It Happened One Night (1934) oder Gregory LaCavas My Man Godfrey (von dem Peter-Regisseur Hermann Kosterlitz zwei Jahrzehnte später unter seinem US-Namen Henry Koster ein Remake drehte). Und dazu braucht man nicht einmal wissen, dass der Film mitunter auch als »Peter, das Mädchen von der Tankstelle« angepriesen wurde.
Wie in den meisten Filmen der diesjährigen Retrospektive findet man auch hier einige Exildeutsche, die später in den USA landeten: Neben dem Regisseur, der später etwa das Bibel-Spektakel The Robe und den Donnie-Darko-Vorläufer Harvey inszenierte, haben wir den Drehbuchautor Felix Joachimson, der Universal treu blieb und als Felix Jackson u.a. auch das Buch zu Destry Rides Again (dt.: Der große Bluff) schrieb, James Stewarts erstem Western, mit Marlene Dietrich als Barsängerin.
Peter ist Teil einer ganzen Reihe von Filmen, die ein leicht variertes Team an Cast und Crew mit Franciska Gaál in der Hauptrolle realisierte. Hier spielt sie die 17jährige Eva, die gemeinsam mit ihrem Großvater (Felix Bressart) gleich zu Beginn des Films aus der Wohnung geworfen wird, dann mit einem seltsam positiv dargestellten Dieb die Kleider tauschen muss und als Zeitungsjunge, der zur Ankurbelung des Verkaufs immer übertriebenere Schlagzeilen erfindet, in einen Verkehrsunfall verwickelt wird. Beim Gerichtstermin, zu dem Eva sich von einem anderen jungen Deliquenten noch passend unpassendes Straßenjungen-Benehmen aneignet, kann sie aber sowohl den Richter als auch den Kläger, einen jungen Arzt (Hans Jaray) auf ihre Seite ziehen (»Was möchtest Du gern werden?« --- »Bäcker. Da hat man immer Brot und eine warme Stube.«) und über die Verbindungen des Arztes einen Job bei einer Autowerkstatt mit Tankstelle ergattern. Die Wirtschaftskrise betrifft den überschuldeten Arzt, der keine Patienten findet, übrigens genauso wie Peter (wie Eva jetzt heißt), und die unbekümmerte Moral des Films zeigt sich auch dadurch, dass Peter zum Schanghaien von Patienten ähnlich suspekte Praktiken anwendet wie zuvor beim Zeitungsverkauf. Doch wo der Arzt seinerzeit entrüstet protestiert hat, zeigt er sich hier schnell kompromissbereit.
Man muss nicht lange drum herum reden, dass die beiden natürlich ein Paar werden, zuvor muss Peter aber noch einige Mal mit seiner plötzlich aufgetauchten »Schwester« Eva die Kleider tauschen, und der Film ist sogar unverschämt mutig genug, eine Kussszene zwischen den zwei vermeintlichen Männern zu zeigen, die ein Zimmermädchen erschrocken in die Flucht jagt.
Der burschikose Humor des Films (Gummistiefel unterm Ballkleid) überzeugt auch heute noch, kurz und knapp springt man durch diverse komische Situationen, lässt sich dabei aber die Lebensfreude nicht vermiesen. Sogar die wenigen, aber prägnant eingesetzten Songs überdauern den Zahn der Zeit mit Leichtigkeit. Wahrscheinlich gibt es auf der Berlinale nur wenige Filme, die in Sachen »Feelgood« hier mithalten können. Mich würde auch interessieren, wie die Jugendlichen auf diesen Film reagieren (immerhin in Schwarzweiß!!), denn in der »Cross-Section« dürfen auch Teenies (und nicht, wie sonst, nur Volljährige) diesen Film sehen. Mit »filmpädagogischen Beiprogramm«. Ich bin fast bewegt, mir das anzuschauen ...
Und bei den Teddy-Nominierungen findet man sich ebenfalls.
Vorführungen:
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USA 2013, Buch, Kamera, Musik: Shane Carruth, Schnitt: Shane Carruth, David Lowery, mit Amy Seimetz (Kris), Shane Carruth (Jeff), Andrew Sensenig (Sampler), Meredith Burke (Orchid Daughter), Kathy Carruth (Orchid Mother), Thiago Martins (Thief), Frank Mosley (Husband), Carolyn King (Wife), Juli Erickson, Ted Ferguson, Ben LeClair, Karen Jagger, Steve Jimenez, Jack Watkins, Cody Pottkoffer, Leticia Magaña, Lindsey Roberts, Julie Santosuosso, Gerald Dewey, Rebecca Waldon (Samples), 96 Min.
Von allen Berlinale-Filmen könnte dies der außergewöhnlichste sein. Ich erlaube mir es mal, die Ankündigung aus der Presseeinladung hier wiederzugeben:
Hier droht Übles auf den ersten Blick: Ein Mann züchtet Maden in Blumenerde. Mit Gewalt zwingt er eine junge Frau, die Tiere zu schlucken. Die Frau, Kris, verfällt darauf in einen willenlosen, wie drogenbenebelten Zustand. Der Peiniger verschwindet, es tritt ein Schweinezüchter auf den Plan. Der Mann, der zugleich Komponist ist, nimmt einen bizarren operativen Transfer zwischen Kris und einem Schwein vor. Die sich selbst völlig fremd gewordene Kris gerät in eine Krise, die sich zuspitzt. Durch einen Zufall begegnet sie Jeff, der das gleiche erlitten hat. Das Leben des Paares gerät völlig außer Kontrolle - bis sie dem Urheber ihres Unglücks auf die Spur kommen und Kris ihn erschießt. Es zeigt sich, dass auch andere Menschen Opfer der verstörenden Experimente waren. Der langerwartete zweite Film von Kultregisseur Shane Carruth ist ein virtuos inszenierter, rauschhaft rasanter Zombie-Horror-Thriller mit Drama- und Mystery-Anteilen. Mit seinen surrealen Techniken und durchdringenden Bilderkaskaden folgt er keiner linearen, chronologischen Narration, sondern setzt ganz auf eine komplexe, höchst intensive Atmosphäre.
Hierzu noch einige Hinweise. Wenig überraschend tauchte auch Jörg Buttgereit bei der Pressevorführung auf, doch wer glaubt, nur fünf Jahre nach Bruce LaBruces Otto; Or: Up with Dead People schon wieder einen Zombieschocker im Berlinale-Programm zu finden, der wird enttäuscht, denn hier geht es nicht um kannibalistische lebende Tote, sondern um Zombies aus der Zeit vor Romero: Durch schwarzen Voodoo in willenlose Marionetten verwandelte Menschen, wie in Jacques Tourneurs I walked with a Zombie (1943) oder Carl Barks' Voodoo Hoodoo (1949).
Passend zum Ende des Monats startenden Zombie-Liebesfilm Warm Bodies geht es auch hier um ein seltsames Paar, wobei »er« übrigens vom Regisseur, Autor, Kameramann und Filmkomponisten Carruth gespielt wird, was oft ein Problem darstellt, doch hier schafft man trotz überschaubarem Budget ein kleines Juwel, das nicht jeden Zuschauer überzeugen wird, aber sicherlich niemanden völlig kaltlassen wird. Upstream Color erzählt einerseits eine Geschichte, kümmert sich aber vor allem um die Atmosphäre und lässt viel Raum für Interpretation. Der Prolog mit den wie ferngesteuerten Jugendlichen deutet auf einen perfiden Plan, die seltsamen Maden erinnerten mich vor allem Sci-Fi-Parasiten wie die Ceti Eels aus The Wrath of Khan oder die Bluegills aus der TNG-»Conspiracy«, aber von Night of the Living Trekkies (gerade gelesen) ist dieser Film weit entfernt, er bietet storytechnisch nur Lösungsansätze, keinen stringenten Masterplan (oder zumindest keinen, der jedem Zuschauer gleichermaßen einleuchten sollte). Und zum ersten Mal, wenn in einem Berlinale-Film Thoreaus Walden in den Mittelpunkt einer Geschichte gerückt wird (was eindeutig öfter passiert als Zombiestreifen im Programm), törnt mich das nicht ab und erscheint mir als intellektuelles Name-Dropping, sondern lässt mich über weitere Interpretationsansätze sinnieren.
Fest steht: diese seltsam milchigen Farben, der Einsatz von Detailschärfen (bzw. -Unschärfen), den experimentellen Kampf von Hunger gegen Ermüdung, diese gesamte seltsame Schweineoper à la TH-Pigs 1138 war etwas ganz besonderes. Und das ist gerade im Panorama nicht immer so.
Vorführungen:
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USA / Mexiko 2013, Kamera: Shaul Schwarz, Schnitt: Bryan Chang, Jay Arthur Sterrenberg, Musik: Jeremy Turner, mit Richi Soto, 102 Min.
Am Anfang dieses Films steht eine Grenze, die schon oft Mittelpunkt von Filmen war: die zwischen Mexiko und den USA. Ganz konkret an der Stelle zwischen der mexikanischen Stadt Juarez und, auf der US-amerikanischen Seite, El Paso. Durch einen hohen Zaun und verhältnismäßig gute Überwachung gibt es hier recht wenige gelungene illegale Grenzüberschreitungen, dafür aber ein besonderes Ungleichgewicht zwischen den beiden Grenzstädten. Denn während El Paso innerhalb der USA eine vorbildlich geringe Statistik an Mordfällen hat (durchschnittlich fünf verteilt aufs Jahr), hat sich Juarez in den letzten Jahren - seit sich dort die Drogenkartelle breitgemacht haben - zur gefährlichsten Stadt der Welt gemausert. 2007 gab es hier 320 Morde, 2008 1623, 2009 2754 und 2010 3622, da der Film keine aktuellere Statistik abliefert, kann man nur hoffen, dass sich dieses negative Wachstum nicht weiter so exponentiell entwickelt hat - oder, aber, man kommt mit der Statistik einfach nicht mehr hinterher …
Der Regisseur des Films, der aus Israel stammende Kriegsfotograf Shaul Schwarz, hatte die Situation in Juarez bereits seit 2008 beobachtet (und in Fotos dokumentiert) und sich dann entschieden, einen Film darüber zu drehen. Größtenteils verfolgt der Film zwei Protagonisten auf beiden Seiten der Grenze. In Juarez wird der Arbeitsalltag von Richi Soto gezeigt, der bei einer der im Fernsehprogramm so beliebten CSI-Teams arbeitet, also bei den »Crime Scene Investigators«, die an Tatorten minutiös jedes noch so kleine Beweisstück zusammentragen, um durch Labortests etc. den Mördern auf die Spur zu kommen. In Richis Fall ist dieser Job aber nicht so abwechslungsreich und unterhaltsam wie bei den Krimi-Episoden, denn zum einen schildert der Film auch, wie über die Jahre Mitglieder der CSI (die sich größtenteils bereits vermummen) von den Kartellen ganz gezielt erschossen werden (auf einem schönen Gruppenfoto des Teams sind drei der Kollegen, die in unmittelbarer Nähe Richis standen, bereits erschossen worden), wodurch auch ein ziemlich direkter Druck auf die Polizei in Juarez entsteht, die mittlerweile nahezu keinen der Morde mehr aufklärt - aber gewissenhaft die Beweisstücke in einem rapide anwachsenden Archiv sammelt (etwa 3% der Mordfälle kommen immerhin vor Gericht, der Prozentsatz der Bestraften geht aber gegen Null). Richi und seine Kollegen werden deshalb auch als »bullet collectors« verlacht, denn eigentlich ist der Ertrag ihrer Arbeit kaum wertbar. Richi hält aber dennoch - und trotz der nicht zu unterschätzenden Gefahr - an seinem Job fest, denn die Arbeitslosigkeit in Juarez ist ähnlich verheerend wie die Mordstatistik. Und auch, wenn Richi und seine Kollegen täglich von Tatort zu Tatort fahren, und dort eigentlich nur den Niedergang ihrer einst so geliebten Stadt dokumentieren (der Film liefert auch einige drastische - bewegte - Bilder von von Kugeleinschlägen und Blut verzierten Fahrerinnenräumen oder einigen verkohlten Leichen, die Richis Kollegen aus einem Auto bergen müssen), immerhin haben sie noch einen Job!
Weitaus »ruhmreicher« ist der Beruf der anderen Person auf der US-Seite. Edgar Quintero ist Sänger der aufstrebenden Band Los Buk(a)nas de Culiacán, wobei Culiacán ein mexikanischer Ort ist, der sich zum »Hauptquartier« eines der Drogenkartelle entwickelt hat. Edgars Musikstil ist der der »narcocorridos«, einer aus mexikanischer Tradition gewachsenen Musikrichtung, die sich textlich vor allem mit den zu Volkshelden aufgestiegenen Drogenkriminellen widmet. Die Erfolgsgeschichte dieser eigentümlichen Stilrichtung ist nicht nur so unübersehbar, dass Kommentare wie »narcocorrido ist der neue HipHop« durchaus realistisch klingen, man findet natürlich auch Anknüpfungspunkte beim thematisch ähnlichen Gangsta-Rap, der verglichen damit aber fast harmlos klingt. Stars wie »El Komander« verdienen pro Auftritt in zahlreichen ganz dieser Musik verschriebenen Clubs 45.000 Dollar, Edgar ist verglichen damit noch auf dem Weg nach oben, er gibt sich aber Mühe, seine Texte möglichst wirklichkeitsnah zu gestalten und schreibt beispielsweise (gegen Honorar) auch die »Biographien« tatsächlicher Drogenschmuggler oder Killer auf, um sie in Songs zu verwandeln. Der Einfluss der Musikrichtung ist so groß, dass sogar Richi und seine Kollegen vom CSI mittlerweile durch Soundbites solcher Songs über Funkgerät auf den jeweils nächsten zu untersuchenden Tatort hingewiesen werden. Aber zurück zu Edgar. Wie Richi hat er auch eine Familie, die er mit seinem Job unterstützt - und die sich mitunter ähnlich Sorgen um ihn macht. Denn weil Edgar in den USA aufgewachsen ist, ist er unzufrieden darüber, dass er nicht alle unter den mexikanischen Gangstern gängigen Slangausdrücke kennt. Es wurde sogar Kritik laut, dass Edgars Combo zwar den Stadtnamen Culiacán im Bandnamen führt, die »nicht ganz so harten Kerle« aber selbst noch nie dort waren. Und so fährt er zusammen mit dem ihn begleitenden Dokumentaristen in diese gefährliche Gegend - und spätestens hier zerfließen im Film die Grenzen dazwischen, was Verherrlichung der Kriminalität ist und was bereits selbst ins Kriminelle abrutscht. Man wird mit besonders exklusiven Drogen hofiert oder schießt mal auf einem Hügel eine Runde mit einer AK-47 (in Juarez weiß jedes Kind, was das ist) in die Luft. Und lässt sich dabei zur Verbesserung der »credibility« fotografieren.
Vom Widerspruch dieser zwei Welten lebt der Film, es sind die kleinen Details, die über die Schockmomente und die Perversität der Situation (aus unerfindlichen Gründen werden die Gangsterbosse wie moderne Robin Hoods angebetet) hinaus faszinieren. Etwa Edgars kleiner Sohn, der auf einem kleinen Dreirad seinem Vater hinterherfährt, bei einem Song mit »bloodthirsty« im Text mitsingen soll - stattdessen aber »no to drugs« sagt (ein winziger Hoffnungsschimmer). Mein Lieblingsmoment des Films ist aber die Stelle, wo ein Grenzbeamter zur verbesserten Statistik befragt wird!
Vorführungen:
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USA 2013, Buch, Schnitt: Travis Mathews, Kamera: Keith Wilson, Music Supervisor: Brian Jones, mit Val Lauren (Val / Steve), James Franco (James), Christian Patrick (Master Avery), Travis Mathews (Travis), Brenden Gregory (Brenden), Bradley Roberge (Bradley), Collin Chavez (Drag Queen), A.J. Goodrich, Robbie Acklen, Osbaldo Daniel Alvarez, Andres Barcelo, Nick Buda, Jol Devitro, Jonathan Howard, Caleb James, Loc Le, Keith Wilson, Eva Lauren, 60 Min.,
William Friedkins Cruising wurde 1980 unter anderem für homophobe Stereotypen angefeindet. Das ändert aber nichts daran, dass schwule wie nichtschwule Filmfreunde gerne wüssten, was denn in den insgesamt 40 Minuten, die Friedkin damals vor der Veröffentlichung aus dem Film schnitt, so passiert ist. Es gibt Gerüchte, dass es »heiß hergegangen« soll.
James Franco, Hollywood-Star aus den Spider-Man-Filmen und seit einigen Jahren auch als schwuler Filmemacher unterwegs (in den letzten Jahren liefen im Panorama einige Kurzfilme von ihm), wollte gemeinsam mit seinem Co-Regisseur Travis Mathews diese Kontroverse beilegen und die entsprechenden Szenen einfach nachdrehen.
Das Problem ist natürlich, dass auch keine Drehbuchseiten zur Verfügung stehen, die dabei behilflich sein könnten, dieses kleine filmgeschichtliche Mysterium einfach zu rekonstruieren. Doch davon lassen sich Franco und Mathews nicht abhalten, sie drehen einfach das, was sie sich unter diesen geheimnisvollen 40 Minuten vorstellen. Nun ist Interior. Leather Bar. (der Titel verweist auf den Schreibstil von Drehbüchern) aber weitaus mehr als die »Deleted Scenes«-Zugabe einer DVD, der Film beschreibt auch die Dreharbeiten, im Grunde genommen geht es sogar weitaus mehr um die Dreharbeiten als um die Cruising-Szenen. Es beginnt mit dem Casting, der Hauptdarsteller (der die Rolle von Al Pacino ergatterte) telefoniert aber immer wieder mit seiner Mutter und einem Schwulenhasser aus seinem Freundeskreis, der befürchtet, der Hollywoodstar würde seinen Kumpel da in eine seltsame Sache hineinziehen, die weder seiner Karriere noch seinem Gemütszustand helfen würde. Hierbei baut sich ein Spiel auf diversen Ebenen auf. Ob Hauptdarsteller Val Lauren tatsächlich hetero ist, weiß ich nicht, er spielt aber in diesem Film den heterosexuellen Val, der den heterosexuellen Undercover-Cop Stve spielt, der sich als Schwuler ausgibt. Und die Pacino-Ebene (denn Val spielt ja Al nach) kommt dabei auch noch dazu. Dieses vielschichtige Spiel wird auch anderswo im Film weitergespielt, denn bei den als Lederkerls verkleideten »Statisten« gibt es »solche und solche« Darsteller, manchmal erstaunlich naiv, manchmal nur darauf aus, vielleicht mit James Franco eine Nummer zu schieben. Und wenn Val an einem Zaun lehnt und an seiner Entscheidung zweifelt, liest er dabei Drehbuchseiten, in denen beschrieben wird, wie er an einem Zaun lehnt und über seine Rolle nachdenkt.
Im Gespräch mit einem der Darsteller erklärt James Franco, wie krank er es findet, dass etwas so wunderschönes wie Sex von Hollywood verteufelt wird, während Gewalt ein viel kleineres Problem darstellt. Deshalb will er in seinem Film auch die verhuschten Grenzen Hollywoods durchbrechen, um den Mainstream zu verändern (wie es ja inzwischen dauernd passiert). Sein Status als »Disney-Star« gibt ihm dazu die Möglichkeit. (Zwischenfrage: als man ihn als »Wizard of Oz« besetzte, hat man da bei Disney über die Bedeutung des regenbogenfarbenen »wunderbaren Landes« für die Queer Community nachgedacht? Hat man es schlichtweg übersehen oder war man sich auch des zusätzlichen Zielpublikums bewusst?)
Die größte Frage, die sich mir als Zuschauer aber stellt, ist folgende: Wenn Franco den Mainstream verändern will, warum dreht er dann einen Film, der mit 60 Minuten Lauflänge kaum die Möglichkeit hat, von einer Kinoauswertung zu profitieren? Oder hat auch dieser Wahnsinn irgendeine Methode, die mir nur entgeht?
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