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Bildmaterial © 2015 Sony Pictures Releasing GmbH
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The Diary of a Teenage Girl
(Marielle Heller)
USA 2014, Buch: Marielle Heller, Lit. Vorlage: Phoebe Gloeckner, Kamera: Brandon Trost, Schnitt: Marie-Hélène Dozo, Koen Timmerman, Kostüme: Carmen Grande, Animation: Sara Gunnarsdóttir, Production Design: Jonah Markowitz, Art Direction: Emily K. Rolph, mit Bel Powley (Minnie Goetz), Alexander Skarsgård (Monroe), Kristen Wiig (Charlotte), Christopher Meloni (Pascal), Miranda Bailey (Andrea), Abby Wait (Gretel), Quinn Nagle (Chuck), Margarita Levieva (Tabatha), Madeleine Waters (Kimmie), Austin Lyon (Ricky), 102 Min., Kinostart: 19. November 2015
Die 1960 geborene Phoebe Gloeckner ist vor allem als Comickünstlerin bekannt, 2002 hat sie aber auch mal einen Roman veröffentlicht, der wegen einiger Illustrationen und Comic-Seiten (und vermutlich auch wegen ihrer Bekanntheit im Bereich Comic) gern als »Graphic Novel« bezeichnet wird, ein ohnehin fragwürdiger Begriff, der gern auch für Reportagen und Sachbücher (beispielsweise Scott McClouds Understanding Comics) verwendet wird, obwohl diese mit der in der Literatur klar umrissenen Form des Romans (engl.: novel) so gar nichts zu tun haben. Jedenfalls bringt bei Gloeckners The Diary of a Teenage Girl: An Account in Words and Pictures der Schubladenbegriff noch mehr Verwirrung als üblicherweise, denn in diesem Fall ist das Buch tatsächlich eher ein Roman als ein Comic.
Anyway, die filmische Adaption dieses Werkes übernahm Marielle Heller, die vor ihrem Regiedebüt vor allem als Schauspielerin tätig war (insbesondere im Theater und Fernsehen, aber kürzlich auch in A Walk among the Tombstones mit Liam Neeson), und die in einer New Yorker Theaterproduktion des Gloeckner-Stoffs 2010 die Titelrolle der Minnie Goetz spielte. Bevor sie das Drehbuch selbst schrieb, hatte sie also bereits eine persönliche Bindung zu der Geschichte, musste nur – filmgerecht – ihre Rolle mit einem echten Teenager besetzen.
Gloeckners 1976 in San Francisco spielende Geschichte, die sich auch stark mit dem Einfluss von Aline Kominsky (legendäre feministische Comickünstlerin, die seit langer Zeit mit Robert Crumb verheiratet ist) auf die aspirierende junge Zeichnerin Minnie befasst, hat offensichtlich einige autobiographische Züge (die Figur »Minnie« wurde schon in früheren Arbeiten Gloeckners verwendet), nutzt diese aber vor allem, um der fiktiven Figur mehr Authentizität zu verleihen. Ob Phoebe Gloeckner je als Minderjährige (wird im Film nie so gesagt, aber suggeriert) Sex mit dem 34-jährigen Freund ihrer Mutter hatte, ist ein Detail, das spätestens bei der Betrachtung des Films keinerlei Rolle mehr spielen sollte. Die Verwirrung und Manipulation der Beziehung ist aber gut beobachtet, und Alexander Skarsgård (What Maisie knew, Straw Dogs) versieht die Rolle des Monroe mit einer faszinierenden Niederträchtigkeit, wie sie nur Michael Fassbender in Fish Tank noch widerwärtiger auf den Punkt brachte. Doch auch, wenn diese Beziehung für Minnies auf Band gesprochene Tagebücher eine große Rolle spielt und im Zentrum des Films steht (die erste Einstellung zeigt Minnies Unterleib in einer hellblauen Hose in Zeitlupe und leichter Untersicht, sie geht freudigen Schrittes ein wenig durch den Park, ehe die Geschichte mit den Worten »I had sex today, holy shit!« beginnt), definiert sich die Figur ganz deutlich nicht nur über diese eine (wenn auch länger andauernde) Beziehung, es geht auch um andere Kerle, Drogenerfahrungen und gleichgeschlechtliche Erkundungen. Nicht zuletzt aber auch um Minnies Interesse an Comics, das – wie so oft in Filmen – größtenteils in Bewegtbilder, also Animationen, übertragen wird. wodurch der Film einen ganz eigenen Tonfall erhält.
Als Phoebe Gloeckner sich entschied, statt eines Comics einen Roman zu schreiben, hing das auch damit zusammen, dass mit ihren angemessen »graphischen« Schilderungen der insbesondere sexuellen Erlebnisse hier und da so ihre Probleme hatte, was Zollbehörden oder Leserrezeption anging. Wenn derlei nur in einer Kombination von Buchstaben geschieht, gibt es weitaus weniger Ärger. In der Filmfassung nun hat man sich für einen Mittelweg entschieden, der noch als jugendfrei durchgeht, aber nicht alles erbarmungslos verharmlost. Gerade auch für eine Sektion wie 14plus eine gute Wahl, denn auch, wenn es durch die »Zeitreise« in die 1970er eine gewisse Verfremdung für junge ZuschauerInnen gibt, so sind doch die Themen universell und aktuell, und die schwierige Situation von Minnie, die sich einerseits über die Beachtung und das sexuelle Erwachen freut, andererseits aber auch nicht ganz sicher ist, ob diese Beziehung mit einem älteren (zzgl. dem Betrug an der Mutter) »richtig« ist oder ob sie als Quasi-»Schutzbefohlene« zum manipulierten Opfer wird. Gerade hier behält sich der Film eine gewisse Ambivalenz, die natürlich verdeutlicht, dass man die Geschichte aus Minnies Sicht sieht. Selbst in seinen manipulativsten Momenten gesteht man Monroe noch ein, dass er vielleicht selbst nicht besser weiß, wie er sich angemessen verhalten sollte. Das ist natürlich kein Freibrief, sondern nur ein Hinweis darauf, dass man in Beziehungen generell nur selten klar zwischen »Opfern« und »Tätern« unterscheiden kann. Das Manipulieren hat Minnie auch recht schnell raus, so viel steht fest.
Eine etwas überdeutliche visuelle Übertragung dieses »Verschwimmen« von Täter- und Opferrollen sehe ich im Film (keine Ahnung, ob das in der Vorlage auch so ist) in Minnies bevorzugt getragenem Tieschört, auf dem das Konterfei von Robert Armstrongs »Mickey Rat« prangt. Minnie ist eben nicht das passive Mäuschen, sondern selbstbewusst und aktiv – nur eben noch nicht mit einem klaren Ziel vor Augen. Und innerhalb der narrativ nicht so sehr eingeengten Filmhandlung ist das mit Höhe- und Tiefpunkten sehr interessant zu beobachten.
Von den im Vorfeld gesichteten Generation-Filmen klar der eindrucksvollste, mit einer klaren Linie, tollen schauspielerischen Leistungen, ein bisschen Nostalgie und Comic-Geschichte … was will man mehr?
Meine Lieblingsszene ist das Gespräch mit der animierten Aline Kominsky, bei der die den tollen Spruch »Alienation is good for your art« abgibt.
Die Szene, die ich am wenigsten mochte, ist ausgerechnet die, in der man Zeuge wird, wie Minnie eine Comic-Seite gestaltet. Wer selbst schon mal einen Comic gezeichnet hat, wird vermutlich verstehen, warum. Schudder!