Sing
(Garth Jennings)
Japan / USA 2016, Buch: Garth Jennings, Schnitt: Gregory Perler, Musik: Joby Talbot, Production Design: Eric Guillon, Art Direction: François Moret, mit den Original- / deutschen Stimmen von Matthew McConaughey / Daniel Hartwich (Buster Moon), Seth MacFarlane / Klaas Heufer-Umlauf (Mike), Scarlett Johansson / Stefanie Kloß (Ash), Reese Witherspoon / Alexandra Maria Lara (Rosita), John C. Reilly / Olli Schulz (Eddie), Tori Kelly / ?? (Meena), Taron Egerton / ?? (Johnny), Garth Jennings / Katharina Thalbach (Miss Crawley), Nick Kroll / ?? (Gunter), Beck Bennett / Inscope21 (Lance), Jennifer Saunders / Iris Berben (Nana Noodleman), Jennifer Hudson / ?? (Young Nana Noodleman), Leslie Jones / ?? (Meena's Mother), Peter Serafinowicz / ?? (Big Daddy), Jay Pharoah / ?? (Meena's Grandfather), Nick Offerman / ?? (Norman), Rhea Perlman / ?? (??), Jon Robert Hall (Frog) bzw. Prince Damien, Luca Hänni & Lukas Pratschker (Die drei Frösche), 110 Min., Kinostart: 8. Dezember 2016
Wer glaubt, dass Casting-Shows es nur relativ selten auf die Kinoleinwand schaffen (American Dreamz war ein einigermaßen frühes Beispiel, das Biopic um Paul Potts fällt mir auch auf Anhieb ein, während ich mich an Die Welt der Wunderlichs in wenigen Monaten hoffentlich schon nicht mehr erinnere), verdrängt Young-Adult-Romanverfilmungen wie The Hunger Games oder The Maze Runner, die ja letztlich exakt dasselbe Prozedere nachspielen, nur nicht automatisch mit den satirischen Elementen von Frühwerken à la Das Millionenspiel oder Running Man.
Die naheliegende Kombination von Publikumserfolgen wie Frozen (der zum Höhepunkt seines Erfolgs hier und da auch als »Singalong«-Version in die Kinos kam) oder Pitch Perfect wird nun durch den Animationsfilm Sing geliefert, der zwar die Fernsehmaschinerie zu Beginn etwas ausklammert und mehr nach den Regeln eines Backstage-Musicals funktioniert, aber ganz deutlich die kleinen Nebenbei-Dramen der bevorzugt emotional aufgeladenen aufstrebenden Talente nachzeichnet.
© 2016 Universal Pictures International. All Rights Reserved
Streng genommen steht im Zentrum des Films der nicht eben vom Glück verfolgte Theater-Impressario Buster Moon (Stimme: Matthew McConaughey), der die ganze Show aufzieht, um sein Theater und seine Karriere zu retten. Ihm zur Seite stellt man auch ein kleines Arsenal von Nebenfiguren wie eine zerstreute Sekretärin (Regisseur Garth Jennings höchstpersönlich) oder eine alte Diva (Jennifer Saunders), die als widerspenstige Mentorin fungiert.
Aber was den Film auszeichnet (und deutlich die Fernseh-Formate ins Gedächtnis ruft), ist der schnelle Wechsel zwischen den recht unterschiedlichen Gesangstalenten, die größtenteils eine Emanzipationshandlung durchleben. Da gibt es den rebellischen Lederjackenträger (Taron Egerton), der statt einer kriminellen Karriere im Gefolge seines Vaters lieber sein musikalisches Talent ausleben möchte.
Dann ist da die schüchterne Teenagerin (Tori Kelly), die aus der sie bedrängenden Familie ausbrechen will, im Tonfall übrigens sehr ähnlich zur Hausfrau und vielfachen Mutter (Reese Witherspoon), die aus der teilweise lieblosen Routine wegwill und ihren fast vergessenen Jugendtraum realisieren möchte. Ihr zur Seite stellt man wegen der nötigen Paardynamik (und als comic relief) eine extrovertierte (männliche) Rampensau, die zwar im direkten Vergleich Talentdefizite aufweist, aber diese durch zum Größenwahnsinn auswachsendes überschäumendes Temperament ausgleicht (Nick Kroll).
Und auch die unter der Fuchtel eines dominanten Freundes stehende punkige Ash (Scarlett Johansson) darf nicht fehlen, wenn es um eine emotional überladene Emanzipation geht. Wenn ihr schnell einen Ersatz findender Freund deutlich offenbart, dass er sie weitaus mehr vermisst als sie ihn (obwohl er immer so tat, als müsse sie froh sein, dass er sich um sie kümmert), ist das eine CG-Realität gewordene Teenager-Fantasie aller frisch gebrochenen Herzen.
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Dass all diese Figuren aussehen wie Tiere, ist für die eigentliche Handlung eigentlich unerheblich. Es trägt aber erheblich zur Cuteness bei (und damit auch zum Kassenpotential exakt jener jungen Zielgruppe von 8 bis 28) und bringt auch ein paar Gefahren mit sich: der Gorilla Johnny hat zwar Rhythmus im Blut, stammt aber aus einem kriminellen Umfeld - das wirkt zumindest so lange wie ein quasirassistisches Klischee, bis er mit deutlichem englischen Akzent ausgerechnet den Elton-John-Song »I'm still standing« trällert und plötzlich alle Schubladen Lügen straft.
Was mir im Verlauf des Films recht schnell und recht deutlich klar wurde, war: die mit Ausnahme einer großmäuligen Maus (Seth MacFarlane) allesamt sehr sympathischen und zur Identifikation einladenden Gesangstalente würden den Film eigentlich zerbrechen, wenn die anfängliche Dramaturgie es erfordern würde, dass es nur einen Gewinner gibt. Nach ca. 40 Minuten Film ist dies bereits komplett undenkbar - und entsprechend bemüht man sich auch, Gruppensolidarität statt Konkurrenzdenken ins Zentrum zu stellen (passt auch besser für das oft mit einem pädagogischen Auftrag versehene Animationsgenre). All diese Träumer eint ja der Traum - und wo man dem quietschigen Fernsehpublikum zumuten kann, Woche für Woche einen Favoriten zu verlieren, um sich dann neu zu orientieren (oder sich die CDs des unglücklichen Fünften dennoch zu kaufen), strebt man hier ein gemeinsames Feelgood-Happening an, bei dem man sich dann auf dem Heimweg immer noch erzählen kann, ob man das Stachelschwein oder die Elefantendame besser fand.
Überhaupt hat Sing wie das Super-Talent (es ist sicher kein Zufall, dass man als Synchro-Stimme für Buster Moon Daniel Hartwich auserkoren hat) auch das Potential, Generationen zusammenzubringen. Genau an der Grenze, wo erst noch die erwachsenen Begleitpersonen eher unwillig mit ins Kino gehen, um irgendeinen Kinderfilm zu sehen - und dann die Teenager lieber klar mit den Altersgenossen ins Kino wollen, eröffnet Sing die Möglichkeit, in einem riesigen Wust von musikalischem Material sowohl Alt als auch Jung die Möglichkeit zu bieten, jeweils den Song zu benennen, den der Sitznachbar nicht zuordnen kann, aber dennoch als erstaunlich eingängig empfindet (von Cat Stevens und Stevie Wonder bis »Call me Maybe« - in manchen Passagen so schnell hintereinander, dass man schon jetzt sicher sein kann, dass sich auch die DVD gut verkaufen wird).
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Mich persönlich hat es etwa schier verrückt gemacht, dass ich einen gleich dreimal im Film verorteten Song nicht zuordnen konnte, bei dem ich sogar große Teile des Textes auswendig wusste (»sweet pretty darling, do not cry ... I will sing a lullaby«). Aber wenn der Songtitel nicht so prominent im Text vorkommt, man den Interpreten nicht hinbekommt und im Nachhinein kapiert, dass es auch daran liegt, dass man zwar das Hauptwerk des Künstlers zuhause stehen hat, aber ausgerechnet dieses eine Album nur als MC besitzt ... Na gut, es war »Golden Slumbers« von den Beatles (auf Abbey Road). Wer sich's merkt, kann damit später angeben.
An und für sich ist der Film ziemlich gelungen und besticht durch seine Originalität. Mir ist nur sauer aufgestoßen, dass man gleich in zwei Handlungssträngen (Gorilla und Maus) die Spannung aus einer ansonsten im Film kaum verorteten Kriminalität zog - da muss es doch noch andere Storymöglichkeiten geben. Und der Action-Höhepunkt mit den Leuchtfischen ist ähnlich kindgerecht-konsequenzlos wie der mit Aquarien vollgestellte verunglückende LKW in Finding Dory - keine Angst, Kinder, den Tieren ist nichts passiert ... und wenn doch, ihr esst doch gern Fischstäbchen !?!
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Zu den verschenkten Chancen (beide quasi musikalisch) zähle ich den fehlenden Einsatz des Uralt-Songs »Only a paper moon«, weil der Papiermond des alten Theaters so eine große visuelle Rolle spielt. Und dass Stachelschwein Ash nie wirklich punkmäßig aufdrehte - selbst, wenn es nur eine Art rebellischer Kleinmädchen-Punk gewesen wäre. Man sieht lange Zeit dieses Potential (und es hätte auch super zur Tierauswahl gepasst), aber letztlich bleibt man musikalisch doch sehr »middle of the road« und die Extreme sind allenfalls zuckersüßer Kinderpop. Wenn man bedenkt, wie wenig sich der Film ansonsten (vor allem in der Handlung und im Tier-Casting) um typische Animations-Klischees kümmert, wäre da vermutlich mehr drin gewesen.
Für mich bleibt die größte Überraschung übrigens sowieso, dass man einem Regisseur wie Gareth Jennings (The Hitchhiker's Guide to the Galaxy, Son of Rambow), mit deutlichen Ecken und Kanten, ein solch teures Hollywood-Projekt übertrug (wie sehr half hier die japanische Produktionsbeteiligung?). Vergleichbares kennt man höchstens von James Gunn, der nach Filmen wie Slither und Super dick und fett mit Guardians of the Galaxy ins Marvel-Cinematic-Universe einstieg - und für exakt jene Widerborstigkeit und Chuzpe sorgte, die bei Sing noch etwas ausgeprägter hätte ausfallen können.