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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




11. Oktober 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


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  Verliebt in meine Frau (Daniel Autieul)

Verliebt in meine Frau
(Daniel Autieul)

Originaltitel: Amoureux de ma femme, Frankreich 2018, Buch: Florian Zeller, Kamera: Jean-François Robin, Schnitte: Joëlle Hache, Musik: Thomas Dutronc, mit Daniel Autieul (Daniel), Sandrine Kiberlain (Isabelle), Gérard Depardieu (Patrick), Adriana Ugarte (Emma), 85 Min., Kinostart: 11. Oktober 2018

Ich muss zugeben, dass ich weder bei Daniel Autieul noch bei William H. Macy mitbekommen habe, dass diese Schauspieler inzwischen auch Regie führen, und deshalb war ich auch in beiden Fällen (und bei Judy Greer) durchaus gespannt auf die Resultate.

Autieul ist mit Abstand am besten weggekommen. Sein Film Amoureux de ma femme ist - größtenteils ungeachtet des Titels - nicht viel mehr als eine Altherrenphantasie, die sich der Regisseur selbst auf den Leib geschneidert hat, mit Adriana Ugarte aus Almodóvars Julieta in der Rolle des Objekts seiner Begierde.

Dass dies durchaus abendfüllend ausfallen kann, liegt weniger am Liebreiz der jungen Dame (der auch etwas dick aufgetragen wird), sondern u.a. an Autieuls Hingabe, sich selbst etwas durch den Kakao zu ziehen. Und an dem erzählerischen Konzept des Films, der es für den Zuschauer zunehmend schwieriger macht, zu unterscheiden, was jetzt nur eine Spinnerei im Halbschlaf ist - und was tatsächlich passiert.

Man hat also sozusagen »Daniel« (ist auch sein Rollenname) als Erzählerfigur und sieht den Film zunehmend mit seinen Augen. Dabei gibt es zu Beginn noch deutliche Hinweise darauf, was real ist, doch die Geschichte entwickelt sich rasanter weiter, als die Hirngespinste aufgelöst werden. Und die fortschreitende Handlung bezieht sich auch mehrfach auf Handlungselemente, die eigentlich nie stattfanden. Als wenn man ein Buch liest, bei dem der Autor sich eigentlich noch gar nicht sicher ist, für welchen von diversen Pfaden er sich entscheiden wird und was später irgendwann mal herausgeschnitten werden muss, weil es nicht mehr zu dem passt, was sich zwischenzeitig entwickelt hat. Dadurch hat man die Option, recht aufmerksam bei dem Film mitzudenken. Oder man labt sich einfach an den mitunter doch recht amüsanten Verwicklungen, Missverständnissen und Eifersüchteleien.

Die beiden anderen Figuren in dieser Viererkonstellation sind aber auch interessant, vor allem, weil Sandrine Kiberlain als Daniels Frau Isabel gerade recht sauer auf des Gatten besten Freund Patrick (Gérard Depardieu) ist, weil der ihre beste Freundin abserviert hat. Und zwar natürlich für die jüngere Spanierin Emma (Ugarte), in die sich Daniel dann klammheimlich verguckt, während er (wie eine amouröse Version von Walter Mitty) zwischen seinen Phantastereien versucht, auf dem aktuellen Level der Diskussion zu bleiben (was ihm längst nicht immer gelingt).

Während Gevatter Depardieu eigentlich größtenteils sich selbst spielt und Fräulein Ugarte sehr damit beschäftigt ist, den feinen Grat zwischen attraktiver junger Frau und abdriftendem Phantasie-Ideal auszuloten, macht der Regisseur ganz auf träumerischen Deppen und Sandrine Kiberlain bekommt einige göttliche (spitze, genervte, explodierende) Blicke zugeschustert, die sie am Bildrand zur eigentlichen Hauptfigur machen, die sich dieses ganze Kasperlespiel gefallen lassen muss (wobei sie aber mit nicht immer ganz wahrheitsgemäßen Gemütsäußerungen auch bereitwillig mitspielt).

Für meine Verhältnisse war die schon eine gelungene filmische delivery, auch wenn hier und da in der zweiten Hälfte des Films die Luft zu entweichen droht. nach anfänglichem Ansporn, dem narrativen Detektivspiel auf den Grund zu gehen, klickte ich mich dann etwas aus, und ein Twist, der gegen Ende dem Ganzen noch einmal ein Sahnehäubchen aufsetzen soll, ging etwas an mir vorbei. Ungeachtet dessen kann ich den Film (mit Einschränkungen) aber empfehlen, wenn man nur im Geringsten irgendwie Interesse an der Handlungsprämisse und den Schauspielern hat.


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  Champagner & Macarons - ein unvergessliches Gartenfest (Agnès Jaoui)

Champagner &
Macarons - ein
unvergessliches
Gartenfest
(Agnès Jaoui)

Originaltitel: Place publique, Frankreich 2017, Buch: Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri, Kamera: Yves Angela, Schnitt: Annette Dutertre, Musik: Fernando Fiszbein, Kostüme: Charlotte David, mit Agnès Jaoui (Hélène), Jean-Pierre Bacri (Castro), Léa Drucker (Nathalie), Kévin Azaïs (Manu), Nina Meurisse (Nina Mareuil Castro), Sarah Suco (Samantha), Héléna Noguerra (Vanessa), Eric Viellard (Vincent), Miglen Mirtchev (Pavel), Frédéric Pierrot (Jean-Paul), Yvick Letexier / Mister V (Biggie Star), Michel Masiero (Jean-Luc Delavenne), Marie Agnès Brigot (Marie Delavenne), Olivier Doran (Thomas), Evelyne Buyle (Madame Chaulieu), 98 Min., Kinostart: 18. Oktober 2018

Jaoui und Bacri machen seit gefühlt recht langer Zeit (gut zwei Jahrzehnte) gemeinsame Filme, und insbesondere diejenigen, bei denen Agnès Jaoui dann die Regie übernimmt und Jean-Pierre Bacri nicht nur hinter den Kulissen zugegen ist (anfänglich schrieben die beiden auch Drehbücher, u.a. für Alain Resnais), haben inzwischen eine gewisse Tradition im französischen Kino entwickelt. On connaît la chanson (noch Resnais), Le goût des autres und Comme un image waren wunderbar quirlige Komödien, mit denen immer mal wieder etwas Neues probiert wurde, die Konzepte gestreckt wurden, und die beiden recht unauffälligen »Haupt«-Darsteller in diesen Ensemblefilmen haben selbst im deutschen Kinogeschäft eine kleine, feine Nische erobert.

Von ursprünglich etwa drei Jahren Zwischenraum zwischen diesen Projekten wurden inzwischen eher fünf (allerdings bin ich über die Theateraktivitäten der beiden kein Stück informiert), vielleicht hat auch der kreative Drive etwas abgenommen oder beide finden genügend andere Rollen, es gelang mir jedenfalls, ihren letzten Film Au bout du conte (2013) in der Zwischenzeit nahezu komplett zu vergessen. Und ich befürchte, dieses Schicksal ist auch Place publique vorbestimmt.

Es ist durchaus ambitioniert, wie man hier ein recht großes Ensemble verwendet, um anhand eines örtlich und zeitlich knapp umrissenen Gartenfests durchaus einiges über unterschiedliche Gesellschaftsklassen (darunter sowohl arrogante Reiche wie verbohrte Landwirte), die Parallelexistenz im Internet und einen allgemeinen Kulturpessimismus auszudrücken, doch die Figuren wirken hier stärker wie Stereotype und Klischees - und bis auf ein oder zwei Ausnahmen sind fast alle extrem unsympathisch, schlichtweg ignorant, völlig irregeleitet oder eher so schnell hingeworfene Skizzen, mit denen man sich als Zuschauer nicht so wirklich intensiv befasst, während man damit beschäftigt ist, im ganzen Gewusel erst mal die Beziehungen der Figuren untereinander auseinanderzuklamüsern und erste Prognosen darüber anzustellen, wer hier für die eigentliche Geschichte von wirklicher Bedeutung ist. Wie in einem historisch wirkenden Gesellschaftsgemälde à la Robert Altmans Gosford Park erkennt man schnell, dass oft die einfachen Arbeiter wenigstens noch Energie und ein Ziel aufweisen, während die ganzen Fernseh- und Youtube-Mokel mit ihren großen Bankkonten und eingebildeten Zukunftsvisionen größtenteils in einer Art intellektueller Inzucht feststecken.

Dass der Chauffeur Manu (Kévin Azaïs, La belle saison, Souvenir) bis zur Begegnung mit der etwa gleichaltrigen Nachwuchsautorin Nina (Nina Meurisse) sich gefühlt nur hinter sein Steuer setzt oder an irgendwelchen Hauswänden herumdrückt, nimmt dieser Figur vieles an erahntem Elan. Ähnlich ist die junge Kellnerin Samantha (Sarah Suco) viel zu sehr damit beschäftigt, inmitten der Promis Schnappschüsse für ihren Sonstwas-Account zu schießen oder sich sehr aktiv als Groupie anzubieten, wenn jedermann um sie herum sonnenklar ist, dass sie dabei unter die Räder kommen wird. Und der (aus meiner Sicht) Dritte im Bunde, der wild radebrechende osteuropäische Koch Pavel (Miglen Mirtchev) kann zwar auf seiner Habenseite gegen Ende des Films recht überraschend etwas aufweisen, kommt damit aber auch nicht über seinen Status als Sparwitz drüber hinweg.

Eine gewisse Spannung wird dem Film dadurch verschafft, dass man zu Beginn den aufgebrachten Nachbarn, der sich im Verlauf mehrfach über die andauernde Lärmbelästigung mokiert, in stockfinsterer Nacht mit einer Schrotflinte herumwüten sieht, aber der Spagat zwischen der vermeintlich blutigen Horrornacht und der etwas lahmen Gesellschaftskomödie ist hier einfach zu groß, es entsteht nur gepflegte Langeweile, bei der etwa für mich der filmisch spannendste Moment ein kurzer Schauer war, bei dem sich die Regisseurin immerhin den Eigenwillen bewahrt hat, in einigen Einstellungen mit mehreren Darstellern, die durch den plötzlichen Regen flüchten, das Wetterphänomen einfach komplett nur zu behaupten. Man hört den Regen, aber man sieht ihn nicht, auch keine Wassertropfen auf den Kleidern oder ähnliches. Auf dieses logistisch sehr anstrengende Detail verzichtet Jaoui mehrfach, und selbst, wenn man es bemerkt, gibt es keine Beschwerden.

Leider reicht so ein halb-virtuellen Regenschauer nicht aus, um einen als Zuschauer aus der Apathie zu reißen. Letztlich geht es im Film um eine Ruhestörung und einen größeren Bagatellunfall mit Fahrerflucht, nur gegen Ende scheint etwas zu kulminieren, und die Opfer, wenn es welche gibt, sind letztlich doch immer nur die kleinen Leute. Vielleicht wird von mir als Zuschauer erwartet, dass ich mich mit den Reichen und vermeintlich schönen identifiziere und an deren vergleichsweise selbstgemachten Problemen leide, aber letztlich fühlte ich mich auf diesem Gartenfest komplett wie herbestellt und nicht abgeholt, denn obwohl ich zum Beispiel mehr als der Durchschnittsbürger von Fernsehen (insbesondere altertümlichen) und Literatur verstehe, gibt es kaum etwas uninteressanteres als Jean-Pierre Bacri als vermeintlichem Literaturpapst, dessen Fernsehshow abgesetzt werden soll, inmitten diesem etwas faden Eiergeschaukel beizuwohnen. Da hat die ausgesprochene Kündigung des Chauffeurs für mich eine ungleich größere Tragweite.


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  Der Vorname (Sönke Wortmann)

Der Vorname
(Sönke Wortmann)

Deutschland 2018, Buch: Claudius Pläging, Vorlage: Alexandre de La Patellièrre, Matthieu Delaporte [Film Le Prénom], Kamera: Jo Heim, Schnitt: Martin Wolf, Musik: Helmut Zerlett, Kostüme: Annegret Stößel, mit Christoph Maria Herbst (Stephan Berger), Florian David Fitz (Thomas Böttcher), Caroline Peters (Elisabeth Berger-Böttcher), Justus von Dohnányi (René König), Janina Uhse (Anna), Iris Berben (Dorothea Böttcher), 91 Min., Kinostart: 18. Oktober 2018

Inmitten all diesen französischen Gesellschaftskomödien nun noch das deutsche Remake einer solchen (ich habe das Original Le Prénom nicht gesehen, weiß aber aus gut unterrichteter Quelle, dass der Vorname tatsächlich der selbe war, auch wenn dies bei der Bearbeitung einige Veränderungen mit sich brachte).

Sönke Wortmann (Allein unter Frauen, Der bewegte Mann) bewegt sich seit drei Jahrzehnten mit erträglichem Erfolg in der deutschen Filmbranche, ungeachtet seiner jüngsten Erfahrungen mit der Frank-Goosen-Verfilmung Sommerfest und der Fernsehserie Charité ersehe ich aus seiner Filmographie aktuell aber einen Trend zur gediegenen Boulevard-Komödie. Wie zuvor Frau Müller muss weg! (2015) ist auch Der Vorname ein durch Reizthemen angespitzter Standardstoff, der eigentlicher als Selbstläufer sein Geld einspielen sollte. Und wenn man dabei noch mit publikumswirksamen interessanten Schauspielstars zusammenarbeiten kann, klingt das zwar fast schon ein bisschen nach dem Til-Schweiger-Rezept, aber es funktioniert wirtschaftlich und auch, was einen angenehmen Arbeitstag angeht.

Ich könnte mir vorstellen, das Wortmann diese bequeme Arbeitsweise vielleicht nicht auf Anhieb kultivieren und ins Zentrum seines Schaffens rücken wird, aber zumindest im Hinterköpfchen behält. Risiko und Stress spricht einen im fortgeschrittenen Alter ja nicht unbedingt immer stärker an.

Entsprechend kann man bei so einem Remake-Projekt mit zugkräftigen Darstellern wie Christoph Maria Herbst, Florian David Fitz und Justus von Dohnányi eigentlich nicht wirklich viel falsch machen. Das Schlimmste, was passieren kann ist, dass zu große Teile des Zielpublikums bereits den Originalfilm kennen und dieses Erlebnis nicht so früh schon wiederkäuen wollen (und das scheint mir eher eine geringe Gefahr zu sein, egal wie sehr französischen Komödien in den letzten Jahren boomten - her geht es doch um ganz andere Zahlen!).

Wie gesagt kenne ich das Original nicht und kann so keine Urteile darüber fällen, was besser oder schlechter geworden oder generell verändert wurde. Im Kern sind die sechs Hauptfiguren gut besetzt und auch interessant, aber die Figuren von Herbst und Fitz finde ich etwas überzogen, die Frauen werden generell etwas in den Hintergrund gedrängt (auch Iris Berber, die quasi erst mit Verspätung als Pausenclown dazu stößt), und das Timing überzeugte mich nicht immer. Die ganze Vornamen-Kiste (ein Kind muss benannt werden) wird durchgekaut bis zum geht nicht mehr, und schon die lange Zeitspanne, in derer der zukünftige Vater bis auf den Anfangsbuchstaben nichts verraten will, zieht sich unendlich hin. Gerade auch, weil ich wohl zu intelligent für die Story zu sein scheine (und das ist in diesem Fall keine besondere Auszeichnung), denn mir war dann doch recht fix klar, um welchen männlichen Vornamen mit A es sich handeln muss, der einen solchen Eklat hinter sich ziehen kann (Alfons ist es nicht!).

Das bei der ganzen Diskutiererei einige Ressentiments heraufbefördert werden, ist naheliegend, aber der zweite Kernpunkt des Films wirkte auf mich dann auch so lapidar wie inzwischen anachronistisch. Und allerspätestens an dieser Stelle war das Ganze schon etwas anstrengend, denn die Art und Weise, wie jetzt alles harmonischer oder auch nicht aufgelöst werden soll, war im letzten Drittel des Films nicht wirklich mehr von großem Interesse. Dazu waren die Figuren auch zu überzogen. Man sollte sein Publikum nicht eine Stunde lang einer teilweise doch recht wütenden Schreitherapie lauschen lassen und sich dann mit Verspätung um die kleinen psychischen Wunden sorgen, alles hübsch wieder zusammenfrickeln. In Ansätzen wirkt der Film wie Vinterbergs Festen (Das Fest), nur halt als größtenteils konsequenzlose Boulevard-Komödie.

Ich weiß, dass sich dennoch 0,8 - 1,5 Mio. Zuschauer daran beömmeln werden und baff erstaunt darüber sein werden, dass sie sich und ihre Familie im Film wiedererkennen werden. Aber letztlich hätte man das auch mal durch ein etwas offeneres Gespräch zutage fördern können.

Ich werde nach wie vor mit diesen vermeintlich gesellschaftlich bedeutsamen Fließbandkomödien nicht warm. Der eskalierenden tit-for-tat-Formel der alten Laurel & Hardy-Filme können sie nichts neues abgewinnen, und diese Zweckentfremdung irgendwelcher Minderheiten (bisher noch viel schlimmer in französischen Filmen) für irgendwelche Scherze, die ich vor diversen Jahren schon in zahlreichen Sitcoms besser ausformuliert erlebt habe, nervt fast so sehr wie der wild summende Schwarm von Fliegen, die ein ums andere darauf reinfallen und den Mist auch noch verteidigen (wir sind Experten!). Das hat jetzt zugegeben nicht mehr ganz so viel mit dem Wortmann-Film zu tun, aber der schale Beigeschmack des kontinuierlichen Untergangs ist der selbe. Ich bin mir sicher, über dasselbe Thema könnte man auch ein deutlich prägnanteres Theaterstück wie die Vorlage zu Polanskis Carnage ersinnen. Nur besteht daran weitaus weniger Interesse, weil man es nicht in gleichem Maße zu Geld machen kann. Und das ist doch wirklich irgendwie todtraurig. Wenn nur 10-15% der Leute, die solche im Grunde komplett überflüssigen Filme schauen, mal den Mut zu etwas ambitionierterem an »Unterhaltung« hätten, fände ich das schon toll.

»Nee, den Christoph Maria Dingens, den sehe ich so gern - das lasse ich mir nicht vermiesen...!«

Ein Einblick, wie wenig wichtig die eigentlichen Figuren für den Film sind, gibt übrigens folgendes Detail: Eine Person rühmt sich im Film »schon für Inklusion gewesen zu sein, als diese noch gar nicht gefunden war«, redet aber später von »Eskimos« (für betont politisch korrekte Intellelle ein Affront). Wenn schon die kleinen Details nicht stimmen, kann auch der Film nicht stimmig wirken.


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  The Guilty (Gustav Möller)

The Guilty
(Gustav Möller)

Originaltitel: De skyldige, Dänemark 2017, Buch: Gustav Möller, Emil Nygaard Albertsen, Kamera: Jasper Spanning, Schnitt: Carla Luffe, mit Jacob Cedergren (Asger Holm), Morten Thunbo, Maria Gersby Cissé, Anders Brink Madsen (Alarmoperatør #1-#3) und den Originalstimmen von Johan Olson (Michael), Jessica Dinnage (Iben), Omar Shargawi (Rashid), Jakob Hauberg Lohmann (Bo), 85 Min., Kinostart: 18. Oktober 2018

Es gibt diesen Werbespruch »Im richtigen Kino sitzt Du nie im falschen Film«. Der schon mal Quatsch ist, weil in jedem Kino, das ich kenne, auch irgendwann ein Murksfilm läuft. Ich würde aber konstatieren, dass man mit dem falschen Publikum die richtigen Filme nicht als solche erkennen kann. Leider bin ich oft genug selbst derjenige, der durch seine persönliche Auffassung von Filmen Zuschauer im selben Saal davon abbringt, eine eigene zu entwickeln. Als ich zum Kinostart von David Lynchs Blue Velvet mit meinem besten Freund in einem Bremer Kino saß und wir uns halb weggeschmissen haben ob der spaßigen Sprüche von Dennis Hopper, gab es sicher auch Zuschauer, die wir tierisch nervten, weil sie den Film als knallharten und spannenden Thriller wahrnahmen (wobei der Film für uns auch spannend war - nur eben spannend und witzig).

Nach Sichtung von De skyldige (der bei mir und meinen bevorzugt in meiner Nähe sitzenden KollegInnen hart und unbarmherzig durchfiel), war ich sehr erstaunt darüber, wie der Film mit guten Kritiken beschert wurde und schließlich sogar für sein Land ins Oscar-Rennen geschickt wurde (wobei ich im Jahr 2018 nicht das Gefühl erhielt, dass dies von einer besonderen Qualität des erwählten Films zeugte).

Und auch, wenn ich es den Kinozuschauern überall auf der Welt gönne, von diesem Film spannungsmäßig mitgerissen zu werden, war der Streifen für mich dennoch ein arger Schmarrn.

Damals, als ich den Film sah, arbeitete ich noch nicht selbst als Telefonist, wie die Hauptfigur Asger Holm (Jacob Cedergren). Doch mir war auch damals klar: Selbst, wenn man nur eine zwangsweise Vertretung eines anderen Polizisten in der Telefonzentrale ist, soll und darf man sich nicht verhalten wie dieser Herr Holm, der zum einen ein zutiefst unsympathischer Herr ist, dessen von Anfang an dem Zuschauer aufs Brot geschmiertes »dunkles Geheimnis« auch nicht an seiner Einstufung ändert.

Bei einem Drogen-Notruf beginnt man keine Moraldiskussion mit dem in Not befindlichen Anrufer. Hilfesuchende sollte man nicht aburteilen, Überfallene nicht ewig warten lassen undsoweiter - völlig unabhängig davon, ob man diesen Job mag oder nicht. Das hat schon etwas mit einer Verantwortung zu tun, der man sich sicher irgendwie entziehen kann, statt den Rest der Welt mit in den Schlamm zu ziehen, in dem man offenbar gerade steckt.

Wenn man den Film aus der Sicht der Filmemacher sieht (insbesondere aus der des Regisseurs, der hier auch als Co-Autor fungiert), erkennt man ohne Probleme dramaturgische Muster, die dafür sorgen sollen, dass der Film über eine möglichst lange Dauer hinweg immer wieder Spannung erzeugen soll. Alles im Drehbuch ist diesem höchsten Ziel untergeordnet. Leider auch jede Art von gesundem Menschenverstand. Asger verhält sich wieder und wieder wie ein Vollidiot, bricht so ziemlich jede Regel, die man als Notruftelefonist beherzigen sollte, bringt ganz aktiv Personen in zusätzliche Gefahr und ist dabei auch noch äußerst unsympathisch - und für diesen Kerl soll man die Fahne schwenken, während er versucht, sein eigenes und das Leben anderer in den Griff zu bekommen? Sorry, aber das funktioniert bei mir wortwörtlich ums Verrecken nicht.

Man schaut sich diesen Film, der immerhin visuell etwas interessanter ist als das übergreifende Hörspiel-Erzählprinzip es erfordern würde an, und erlebt mit, wie das vermeintliche »Mastermind« dahinter, also Regisseur Gustav Möller, alles zurechtschiebt, das man teilweise kurzen Statements die falsche Botschaft entnimmt, so dass eine eigentlich in drei Sätzen zusammenfassbare Handlung sich über anderthalb Stunden Filmzeit erstrecken kann und jene Zuschauer, die es tatsächlich schaffen, bei diesem Aufreger mitzufiebern, immer wieder neue Offenbarungen und Enthüllungen erleben, inkl. der küchenpsychologischen Erklärung, warum sich Asger so seltsam verhält und wie dieser Abend auch sein Leben verändern wird (leise Stimme der Filmemacher: »Drunter machen wir es nicht«).

Ich bin mir aber dennoch sicher, dass K., E. und ich, hätten wir den Film jeweils einzeln gesehen, dennoch keine(r) für uns zu einem komplett anderen Urteil gekommen wären. De skyldige ist einfach ein Film, der mit einem schier unendlich anhaltenden Hall das Geräusch einer Handfläche, die auf eine Stirn knallt, zelebriert. So würde ich dieses filmische Hörspiel aus meiner Sicht gerecht beschreiben.

Eine noch halbwegs positive Kurzzusammenfassung des Films würde indes so klingen: Stell Dir eine Art Handtaschen-Die-Hard vor, nur mit John McClane als Telefonisten, der kaum mal den Hintern vom Stuhl bekommt und von jemandem wie Willem Dafoe (mit schlechter Laune) gespielt wird. Dann hat man schon eine ungefähre Vorstellung. Man sollte nur nicht den Fehler machen, in diesen Satz irgendetwas besonders Positives hineinzuinterpretieren. Von Willem Dafoe ist Jacob Cedergren dann doch noch einigermaßen weit entfernt. Einige der Schauspielerstimmen am anderen Ende des Telefons haben da ihren Job deutlich besser gemacht. Aber ich will die Schuld nicht auf den Hauptdarsteller wälzen, der hat vermutlich genau das gemacht, was ihm sein Chef eingesagt hat - und war clever genug, nicht bei jeder zweiten Szene einzuwenden, dass dieses oder jenes doch nur sehr gedehnt sinnvoll erscheint. Denn Schauspieler sind professionell. Und wenn sie erst mal im Schlamassel stecken, bleibt ihnen wenig anderes übrig, als es bis zur letzten Klappe durchzuziehen und dabei noch halbwegs gut wegzukommen. Also: chapeau, Jacob!

PS: Ich bin mir übrigens durchaus des Umstands bewusst, dass der Film mit einem blütenreinen Vorzeige-Helden à la Tom Hanks in der Hauptrolle auch nicht funktioniert hätte (weil der Sache der Biss gefehlt hätte), aber die gewählte Variante ging so auch in die Hose. Da gab es sicher noch eine Lösung für das material, nach der nur nicht lange genug gesucht wurde. Der Prozentsatz des den-Zuschauer-im-Dunklen-halten war jedenfalls eindeutig zu hoch - auch, wenn alle Hörspielerfahrungen eher andere Resultate andeuten.


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  Krystal (William H. Macy)

Krystal
(William H. Macy)

USA 2017, Buch: Will Aldis, Kamera: Adam Silver, Schnitt: Ben Baudhuin, Musik: Dan Romer, mit Nick Robinson (Taylor Ogburn), Rosario Dawson (Krystal), Jacob Latimore (Bobby Bryant), Grant Gustin (Campbell Ogburn), Tipp »T.I.« Harris (Willis), William H. Macy (Dr. Wyatt Ogburn), Felicity Huffman (Poppy Ogburn), Kathy Bates (Vera Greenwood), William Fichtner (Dr. Lyle Farley), Rick Fox (Bo), 93 Min., Kinostart: 18. Oktober 2018

Nun zur neuesten Regiearbeit von William H. Macy (Fargo, Boogie Nights, Magnolia). Wie Kollege Auteuil hat er selbst eine (deutlich kleinere) Rolle übernommen und umgibt sich (wie auch Judy Greer) mit vielen begabten und beliebten Kollegen.

Ich bin auch ein Fan dieser Coming-of-Age-Geschichten um etwas seltsame junge Männer, muss aber an dieser Stelle attestieren, dass mich Nick Robinson (Love, Simon) in dieser Rolle einfach nicht mitreißt. Ich sehe genau, was mit dem Betrachter passieren soll, aber es funktioniert nicht. vielleicht nehme ich dem Knaben auch die ohnehin die Glaubwürdigkeit strapazierende Rolle nicht ab.

Einerseits verknallt er sich in eine hochattraktive aber deutlich ältere Frau (Rosario Dawson in der Titelrolle), andererseits hat er das in solchen Teeniefilmen etwas zu häufig eingebaute schwache Herz, das mehr oder weniger impliziert, dass er einmal Amors Flammenpfeil in seinem Herzen spüren könnte und sogleich voll Melancholie verscheiden könnte.

Dieser reichlich dick aufgetragenen Prämisse kann der Film immerhin noch etwas entgegenstellen. Am gelungensten finde ich die Rolle von Krystals Sohn (Jacob Latimore aus Collateral Beauty), der nur wenige Jahre jünger als »Taylor Ogburn« ist (diese Typen heißen übrigens nie John Smith, sondern immer Mike Tyson, Nick Twisp, Oliver Tate, Maik Klingenberg, Holden Caulfield usw.), im Rollstuhl sitzt und tatsächlich zu einem besten Freund werden könnte, falls das andere nicht funktioniert.

Aber Krystal wir von den ganzen Nebenfiguren, die alle schillernde Persönlichkeiten sein müssen, etwas überlaufen. Kathy Bates als Kunstmäzenin und William Fichtner als seltsamer Arzt (»God, you remember eighteen...?«) halten sich etwas im Hintergrund und bekommen dadurch mehr Platz dafür, ihre Miniaturen schauspielerisch etwas zu unterfüttern.

Taylors Familie besteht aus den Eltern (William H. Macy und Felicity Huffman), die auch etwas neben der Spur sind (was zu einer interessanten Vorstellung der »neuen Freundin« führt, die übrigens auch noch Bordschwalben-Erfahrung hat, weil man ja kaum etwas auslassen möchte) und seinem älteren Bruder Campbell, der ausgerechnet vom Darsteller des Fernsehsuperhelden Flash gespielt wird.

Und was der Geschichte ein wenig Biss verleiht, ist jetzt noch ein gefährlicher »Ex-Freund« von Krystal, an dem Taylor seine Männlichkeit ausprobieren und ausarbeiten kann (und sich mit einer taffen Lederjacke verkleidet).

Im Ansatz alles durchaus ausbaufähig, doch der Ensemblefilm gibt seinen vielen Figuren nicht die Möglichkeit sich zu entwickeln oder zumindest auszudefinieren. Vieles wirkt eher improvisiert, man hat etwas den Eindruck, dass ohne besonderes pochen auf das Drehbuch eher all das in den fertigen Film montiert wurde, was ganz amüsant ausfiel. Während anderswo die Verbindungspunkte zwischen den Figuren nicht so recht ausgebaut sind. Dieses leicht Schwebende beim Film, wenn fast alles möglich scheint, ist durchaus sehr interessant, aber das Endresultat kann diesen Zustand nicht beibehalten.

Fast schon verdrängt hatte ich ein Detail, dass den Film auch noch reichlich runterzog: es gibt Spezialeffekte, die einen kleinen Teufel zeigen - und die Effekte bringen dem Film nicht nur wenig, sie sind auch nahezu unfassbar schlecht. Hätte ich jetzt nicht in meine Notizen geschaut, hätte ich das sicher verdrängt gehabt. Ähnlich wie die Verarztung / Darstellung eines Messerstichs, die ich in letzter Zeit nur im Film Peppermint (da soll ich eigentlich noch gar nicht drüber reden) noch idiotischer erlebte. Im einen Film ist das Loch in der Jeans weniger breit als das darunter im Fleisch (wie kann das denn sein??), im anderen verarztet man die Wunde, ohne dafür die Hose auszuziehen. Es wirkt fast ein bisschen, als hätten diese beiden zusammen ein stimmiges Paralleluniversum entwickeln können.

Aber ich bin auch hier ein wenig vom Pfad abgekommen (man sollte keine fünf Kritiken an einem Vormittag raushauen!), denn das sind eigentlich nur noch die kleinen Steine, die man noch aufs Grab wirft, wenn bereits keine Rettung mehr möglich ist. Ungeachtet der größtenteils ganz netten Darsteller war Krystal nix, keine echte Kohärenz und noch weniger Relevanz, einfach nur eine in Passagen ganz hübsch anzusehende Fingerspielerei, die als Improvisationstheater begeistern könnte, aber leider nicht als Spielfilm.


Demnächst in Cinemania 192 (Future's Past):
Startaktuelle Rezensionen, vermutlich zu Assassination Nation (Sam Levinson), Career Day mit Hindernissen (Judy Greer), Cold War - Der Breitengrad der Liebe (Pawel Pawlikowski), Future World (James Franco & Bruce Thierry Cheung, DVD-Release), Halloween (David Gordon Green), Rememory (Mark Palansky) und Touch me not (Adina Pintilie).