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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 
September 2003
Enno Stahl
für satt.org


Performance-Beiträge auf satt.org:
16. Interazioni in Cagliari, Sardinien
Über künstlerische Messlatten, kaltes Bier und Flamingos. Ein Reise- und Festivalbericht aus Italien … [Enno Stahl]

Performance Art in NRW
Bereits zum vierten Mal finden momentan die "Performance Tage NRW" statt, und zwar als eine Art "dezentrisches Festival": an Stelle der Konzentration auf einen Ort nämlich siedelt dieses Meeting sich übers Jahr verteilt in mehreren Städten des Bundeslandes an … [Enno Stahl]

Shin-Ichi Arai: Happy Japan! [englisch]
Der japanische Performer über politische Zustände in seinem Land und seine Performance Happy Japan. Mit Bildern von Yukio Saegusa und Makoto Kondo. [Shin-Ichi Arai]

Exit Festival Helsinki 2001
Bericht vom internationalen Performance-Festival in Finland. In französischer Sprache. [Paul Grégoire]

Time Space Movement
Reisebericht vom 5. Baltischen Performance-Festival [Enno Stahl]

lass gut sein, hol mal Luft!
Ein Gespräch mit der Performance-Künstlerin Anja Ibsch [Anne Hahn]

pakt
Performance und Aktionskunst Berlin
Sülzer Salon

Kophar Surreal 1
Kophar Surreal 2

Typus I: Brotzeit
Typus II: Lichtecht
Typus III: Salzarm
Typus IV: Vron Lichnam

art migration

Performance-Marginalien



I (Performance und Definition)

Der Ruf der Performance in Deutschland ist schlecht.
Ich frage mich: Wieso eigentlich? Weil jeder schon einmal eine schlechte Performance erlebt hat?
Hat nicht auch jeder schon mal eine schlechte Ausstellung, einen schlechten Film gesehen, ein langweiliges Buch gelesen?
Warum ist das Erlebnis einer schlechten Performance bei vielen Rezipienten, gerade auch professionellen Kritikern, so nachdrücklich, dass sie fortan gegen die Disziplin Performance als solche eingenommen bleiben?
Sind es vielleicht gerade Dichte und Komplexität des Mediums, die ein Scheitern so schmerzlich erfahrbar machen? Ist es nicht gerade die Fülle der Möglichkeiten, dass Performance schier alles sein kann - in einer Zeit, in der jeder kulturelle Ausdruck kanalisiert wird, kategorisiert wird und nur über die jeweilige Schublade rezipiert zu werden vermag?
Und kann das wirklich ein Nachteil sein, wenn sich etwas der Eindeutigkeit verweigert?

Betrachten wir es einmal anders herum: Könnte das schlechte Image der Performance-Kunst, die von Rezensentenseite häufig als dritter Aufguss einer Kunstform angesehen wird, die in den 60er und 70er Jahren ihr Zenit erreicht hatte, könnte dieses Image nicht auch bewusst lanciert sein?
Immerhin richten sich diese Invektiven gegen eine der aufmüpfigsten künstlerischen Darstellungsformen, die viel vom rebellischen Geist der verschiedenen Avantgarden des 20. Jahrhunderts bewahrt hat und sich erfolgreich einer kommerziellen Verwertung verschließt (erfolgreicher als ihr manchmal selber lieb ist). Damit richtet sie sich aber explizit gegen den Markt, gegen die „Institution Kunst". Dadurch, dass Performance „flüchtig“ ist, direkt nach ihrem Zustandekommen für immer verschwindet, demonstriert und decouvriert sie den imaginären Charakter von Kunst überhaupt. Wer also solche subversiven Positionen marginalisiert, tut dies zumeist nicht ohne Intentionen, politische Intentionen genauer gesagt.
Noch ein Wechsel der Perspektive: zwar kann niemand wirklich definieren, was Kunst, was Literatur nun letztendlich sei, doch der gesunde Menschenverstand weiß genug mit den Begriffen anzufangen, um sich in befriedigender Weise zurecht zu finden. Das ist bei der Performance anders. Kaum ein Performer dürfte in der Lage sein, eine ausreichend allgemeine Antwort auf die Frage zu geben, was er eigentlich macht, was er unter Performance versteht.
Gleichzeitig ist der Begriff gesellschaftlich hochbelastet, er ist allgegenwärtig: die Performance von Computern, Hifi-Anlagen, Geschäftsmännern und Kühlschränken. Auch im kunstinternen Bereich ist eine beständige Indienstnahme zu verzeichnen – nicht mehr szenische Lesungen, sondern Literatur-Performances, ein bisschen Musik vom Band bei einer Vernissage, Feuerspucker, schlechtes Kabarett: alles Performance.
Ein Blick auf tatsächliche Spielarten der Performance-Kunst: wie gesagt, hier scheint alles möglich, der pure Einsatz des Körpers, Body Art mit Bezug zu Tanz oder Theater, die Verwendung von Sprache, ja poetischen Texten, die Gestaltung von Bildern, Aspekte der Installation, die Einschaltung von Musik und technischen Medien: Film, Fernsehen, Video, Dia, Computer – überall bildet die Performance Schnittmengen, sie ist ein interdisziplinäres Medium per se, aber stets eine eigene Kunstform.
Ich würde es so definieren: Performance ist, dass etwas passiert und nur das passiert. Es können Elemente aus allen Medien einfließen, doch diese Ingredienzen sammeln sich im Körper des Performers. Er ist der Fokus, der Fluchtpunkt aller Ereignisse innerhalb einer Performance. Das macht den Unterschied zu anderen Kunstformen aus. Der Performer ist nie Interpret. Er spielt nicht, sondern zeigt, was er ist. Eine Persönlichkeit. Ein inneres Bild. Etwas Essenzielles.

Performances sollten sich daher reduzieren, je elementarer ihre Sprache, ihre Zeichen-Textur, desto universeller werden sie. Desto mehr werden sie auch in internationalem Kontext verstanden. Performance ist ein kosmopolitisches Medium. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist es, eine direkte und unabhängige Kommunikation mit dem Publikum herzustellen. Eine Kommunikation hinter und neben den Wörtern, ZAUM, beyond language. Freie und unabhängige Kommunikation mit Menschen aller Ethnien, Körpersprache, atavistische Signale, verlorene Kenntnisse schürfen, die Wurzeln frei legen.


II (Performance und Interpretation)


Es gibt jedenfalls zwei Formen, Performances zu begreifen. Die erste versucht zu interpretieren, das Zeichen-Repertoire, das ein Performer während seines Auftretens mobilisiert, auf das Arsenal kultureller Zeichen zu beziehen, das uns umgibt. Die zweite Verstehensweise geschieht instinktiv, mit dem Körper.
Genau daran kann man erkennen, ob eine Performance „gut“ ist: ob nämlich ihre Materialien, ihre Erzähl- oder Handlungsformen sich in nachvollziehbarer Weise auf bekannte Muster, etwa der globalen Populär- und Massenkultur beziehen lassen und ob damit eine bestimmte inhaltliche Position formuliert wird. Oder ob es ihr gelingt, den Zeichenbestand aufs Äußerste zu verringern, hin zu nahezu archaischen Formen des Ausdrucks, Rituale, schamanische Akte, menschliche Ur-Erfahrungen ansprechend.
Beides ist eine Frage des Handwerks, des spezifischen performerischen Handwerks: es hat mit Körperbeherrschung zu tun, wie man sich in einem Raum bewegt, wie man sich in Beziehung zu ihm setzt, ihn durch Gestik, Motorik und Aktion gliedert und zerlegt.
Es hat auch mit Erkenntnis zu tun, inwieweit man die kulturellen Zeichen der Jetztzeit bzw. die Erinnerungsrelikte der Vorzeit zu deuten und sinnträchtig zu kombinieren vermag. Performance darf daher z.B. nie nur „banal“ sein, sondern müsste etwas über Banalität, über die Bedingungen des Alltäglichen verraten.
Gerade dem Zuschauer kommt dabei eine besondere Verantwortung zu, nicht nur weil Performance-Kunst der Entschlüsselung von seiner Seite bedarf. Sie verlangt viel mehr von ihm, denn das Publikum kann sich – wenn es einmal da ist – einer Performance nicht wirklich entziehen, man kann sich nicht abdrehen wie von einem Bild, sie nicht ausschalten wie einen Fernseher.
Sondern der Zuschauer muss – positiv oder negativ – Stellung dazu beziehen. In diesem Sinne ist das Publikum immer auch Mitwirkender, ungleich mehr als bei allen anderen Kunstformen. Das mag ein Grund sein, wieso sich manch einer in dieser Zuschauerposition bisweilen etwas unbehaglich fühlt. In meinen Augen aber ist das gerade Zeichen einer Intensität der Performance-Kunst und nicht Ausdruck ihrer historischen Überkommenheit.

Weil Performance diese Spannung immer wieder zu entwickeln versteht, weil sie eine eigene Sprache und Textur besitzt, hat sie nicht nur eine Geschichte, sondern auch eine Gegenwart und eine Zukunft. Sie entwickelt sich permanent weiter.
Für mich ist sie eines der spannendsten künstlerischen Genres, gerade wenn man über den europäischen Tellerrand hinausblickt, etwa nach Asien, wo ein nahezu unerschöpflicher Zustrom von jungen Performerinnen und Performern zu verzeichnen ist. Eines der spannendsten Genres auch deshalb, weil man hier - im Unterschied zu einem Hollywood-Film - nie weiß, was einen erwartet. Weil Performance in Zeiten eines unbedachten Kunstkonsumierens eine Beteiligung fordert, ein tätiges Deuten dessen, was geschieht.
Man sollte also bereit sein, sich überraschen zu lassen, die nächste gute Performance kommt bestimmt!