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Nucleus Torn – Knell
(Prophecy Productions)
Die Schweizer Formation verwob bereits auf ihrem Debüt-Album “Nihil” (2006) Prog Rock, Metal, Folk und Neo-Klassik-Einflüsse, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Diesen Weg setzen die Musiker auf „Knell“ konsequent fort. So liegt es nahe, die vier Tracks nicht als Songs, sondern als Sätze einer Sinfonie zu begreifen. Der Auftakt erinnert an Kammermusik, wenn Maria D'Alessandro zur akustischen Begleitung fragilen, verletzlichen Gesang darbietet. Nach der Ouvertüre übernimmt die Stimme Patrick Schaads den Gesang. Streicher, elektrisch verstärkte Gitarren und Schlagwerk setzen ein. Der Rhythmus variiert zwischen progressiven Passagen und Black-Metal-Stakkato – angenehm konterkariert vom Klargesang. Im knapp 30-minütigem dritten Teil fügen sich alle bisherigen Motive ineinander, ergeben ein homogenes, melodramatisches Ganzes, an das sich ein Piano-Outro anschließt. Mit „Knell“ gelang den Schweizern ein sehr dichtes und komplexes Werk, das sich der Hörer in der Tat erarbeiten muss und dabei seine – insofern vorhanden – Genrepräferenzen sprengt. Wenn Mahlers „Sinfonie in E-Dur“ als Referenzwerk der frühen postmodernen Musik gilt, wo Bausteine aus Volks-, Militär- und Kirchenmusik zitathaft collagiert werden, so gelingt dies Nucleus Torn analog. Die Musik atmet den Geist der 90er, als vor allem norwegische Bands mit Black-Metal-Hintergrund (z.B. In The Woods... und Ulver) musikalisch dekonstruierten und ein Klanguniversum schufen, das von jeglichen Korsetts befreit war.
Noekk – The Minstrel’s Curse
(Prophecy Productions)
Herrlich schrullig agieren Noekk seit ihrem Debüt „The Water Sprite“ (2005). F.F. Yugoth und Funghus Baldachin spielten in Kapellen wie Empyrium, Nachtmahr, Sun Of The Sleepless, Vision Bleak oder Autumnblaze. Mit anderen Worten, von Black Metal über Folk bis hin zu experimentellen Stücken scheint musikalisch nichts undenkbar. Diese Vielfalt übertrugen die Musiker auf die aktuelle Scheibe, deren Grundstimmung klar im Prog-Rock wurzelt und verspielte Ausflüge in unterschiedliche Gefilde unternimmt. Schubladen-Denker macht das Album somit ratlos. Das Titelstück „The Minstrel’s Curse“ klingt noch nach klarem 70er-Rock mit wunderbarem, fast überzeichneten, Opern-Gesang. Vor dem geistigen Auge baut sich ein roter Vorhang inmitten der barockhaften Kulisse eines alten Musiktheater-Hauses auf. Doch bereits in „Song of Durin“ begleitet den Sänger mal ein Piano, dann wieder harsche Black-Metal-Riffs und –Rhythmen, unterlegt von opulenten Synths. Was bei vielen Bands nach Rummelplatzgeleier klingt, gelingt Noekk hervorragend: Eine stimmungsvolle Synthese, die nicht Gefahr läuft, in den Kitsch abzugleiten. „How Long Is Ever“ fragt der nächste Titel und gönnt dem Hörer nach einem furiosen Auftakt eine kleine Pause mittels verträumter Piano-Passagen. Die musikalische Vielfältigkeit vereinigt der knapp 15-minütige Höhepunkt des Albums, „The Rumour and the Giantess“, mit einem gesprochenen Outro. Die Spiellänge des Albums beträgt zwar nur etwas mehr als eine halb Stunde: Doch diese ist so intensiv, dass weniger in diesem Falle mehr ist. Zumal es bei jedem neuen Durchlauf unheimlich viel Neues zu entdecken gibt.
Sampler „Wilde Jäger“
(Steinklang Records)
Die „wilde Jagd“ oder „das wütende Heer“ rekurriert auf eine Erscheinung am Nachthimmel, die in ländlichen Kreisen als übernatürliche Jagdgesellschaft interpretiert wurde. Besonders häufig wurde dieses Phänomen zu den Rauhnächten um den Jahreswechsel beobachtet. Der Geisterzug spielt entweder unheilvolles Musik, begleitet von bedrohlichem oder gequältem Stöhnen oder wartet mit lieblichen Klängen auf, was als positives Vorzeichen gewertet wird. Dieser Hintergrund illustriert sehr anschaulich das Konzept der vorliegenden Doppel-CD, die mit bedrohlichen und harmonischen Stücken von Apocalyptic Folk-Künstlern aufwartet, die inhaltlich auf das dämonische Maskentreiben zur Julzeit verweisen. Allerseelen sind mit der psychdelisch-groovenden „Rauhnachtsmaske“ dabei. Auch der Krampus taucht auf. Während der Nikolaus die artigen Kinder beschenkt, sucht die teufelsähnliche Gestalt des Krampus die Bösen heim. Ernte übersetzten das Thema in einen abgedrehten, von Percussion dominierten Track. Neben den Eigenkompositionen fallen auch die Vertonungen von Gedichten ins Auge: Jahrtal interpretieren „Innsbruck, ich muss dich lassen“ des spätmittelalterlichen Dichters Heinrich Isaak. Hekate hingegen widmen sich Theodor Storms Gedicht „Tannkönig“. Zu der abwechslungsreichen Doppel-CD erscheint eine 3“-CD, die sich in die ansprechende Verpackung der „Wilden Jäger“ integriert.