06
|
Kreator: Hordes Of Chaos SPV
|
Kreator: Hordes Of Chaos
Der Begriff der Entropie wird gemeinhin mit “Unordnung” übersetzt, auch wenn dies physikalisch als umstritten gilt. Mit dem Ansteigen nicht verwertbarer Energie geht automatisch der Informationsverlust einher, was ein System erheblich schwächen kann. Diese Theorie reizt natürlich auch die Sozialwissenschaft, die die Theorie zu einem physikalischen System auf ein gesellschaftliches überträgt. Heraus kommt die Hypothese, dass steigende Entropie zur Instabilität eines Systems führt. Das lässt sich auf Umweltzerstörung genauso wie auf die grassierende Finanzkrise anwenden. Etwas massenkompatibler drücken es Kreator in Titeltrack des aktuellen Albums aus: „Everyone against everyone / Chaos!“ Auch das aktuelle Studioalbum der Ruhrpott-Thrash-Legende knüpft lyrisch an der Beschreibung des (sozialen) Verfalls, der Fokussierung von Manipulation und Machtmissbrauch, sowie den Folgen des Krieges – allesamt Themen der letzten Scheiben - an. Nach den musikalischen Experimenten in den 90ern, die seitens der Fans kaum goutiert wurden, spielen Kreator seit etlichen Alben wieder nahe ihrer Wurzeln, die im Old-School-Thrash der 80er liegen. Die Produktion oblag auf „Hordes of Chaos“ Moses Schneider, der bereits die Regler bei den Beatsteaks und Tocotronic erfolgreich bediente. So hat der druckvolle Sound nichts mit den unsäglichen Retro-Metal-Bands gemein, die seit Jahren durch die Konzerthallen geistern und das Thrash-Proll-Image längst vergangener Zeiten reanimieren. Damit haben Kreator auch textlich nichts zu tun. Bereits vor Jahren grummelte Kreator-Mastermind Mille Petrozza, dass er keine Lust mehr habe über „reitende Leichen“ zu singen. Sound und Lyrics stehen der Band enorm gut zu Gesicht. So klingt die Ruhrpott-Combo zorniger, moderner und erhabener als so manche der neuen Hatecore-Bands, die Thrash, Hardcore und Punk zu einem oszillierenden Soundbrei vermengen. Das instrumentale „Corpses of Liberty“ oder das kompositorisch komplexe Stück „Amok Run“ führen dazu, das ohnehin bereits gesprengte Thrash-Korsett abzustreifen, ohne den Musikstil komplett zu negieren, wie es beispielsweise Metallica seit Jahrzehnten praktizieren. Fazit: Herausragende Platte, die auch für offene Ohren, die sonst mit Old-School-Metal wenig anzufangen wissen, interessant klingt.
◊ ◊ ◊
|
James Yuill: Turning Down Water For Air Moshi Moshi / Cooperative Music / Universal
» jamesyuill.com » myspace
|
James Yuill: Turning Down Water For Air
Auch wenn die Plattenfirma von einem Debütalbum spricht, wissen Fans des kauzigen Engländers, dass bereits 2005 „The Vanilla Disc“ erschien. Yuill gilt als einer der Vorreiter der Folktronica-Welle. Erinnert der knapp zweiminütige Opener „You Always Do“ mit der fragilen Akustik-Gitarre noch stark an Nick Drake, kommt bei „Left Handed Girl“ dezent, aber doch spürbar elektronische Begleitung hinzu, um auf dem darauffolgenden Track „No Pins Allowed“ deutlich den Takt anzugeben. Jedoch fährt Yuill den fast swingenden Discogroove wieder zurück, um Folkanleihen stärker in den Vordergrund zu stellen. Nein, leicht macht es der Musiker seinen Hörern nicht. Und das ist gut so! Nörgelnde Journalisten, die sich als Immunsystem der Popmusik verstehen und auf deren Reinheit und Überschaubarkeit pochen, frotzelten unlängst, dass sich Yuill mit dem Spagat zwischen Electronica und dem Wirken als Singer/Songwriter übernehme. Solche Positionen mögen in Bayreuth ankommen, wo die Wagner-Inszenierungen von Schlingensief oder Katharina Wagner von den Konservativen wie eine kulturelle Apokalypse aufgenommen wurden. Auch Yuill erschreckt ebenso wenig wie die innovativen Regisseure, sondern gefällt: So entstand eine Platte, die alles andere als vorhersehbar, aber eben absolut nachvollziehbar klingt. Dank des Ohrwurmcharakters und der sauberen, aber keinesfalls sterilen Produktion, avanciert „Turning Down Water For Air“ zu einem spannenden und abwechslungsreichen Album, das nicht nur Indietronic-Nerds anspricht.
◊ ◊ ◊
Her Space Holiday: XOXO Panda and The New Kid Revival
Sieht man von einer japanischen Veröffentlichung im Jahre 2006 ab, liegt das letzte Album von Marc Bianchi bereits vier Jahre zurück. Dementsprechend hoch liegt die Erwartungshaltung gegenüber „XOXO Panda and The New Kid Revival“. Los geht es mit einem phantastischen Ohrwurm, irgendwo an der Schnittstelle zwischen Glam und Indietronic. Auch das kalifornische Projekt um den ehemaligen Hardcore-Protagonisten Bianchi verweigert sich den Schubladen. Beim Song „The Truth Hurts So This Should Be Painless“ hätten Lennon und McCartney feuchte Augen bekommen – entstammte er ihrer Feder. „The Year in Review“ wiederum könnte auch in Bowies „Rebel Rebel“-Phase entstanden sein. Von den früheren HSH-Alben - verträumt und melancholisch – scheint nichts übrig geblieben. Statt dessen entzünden die 14 Songs ein Feuerwerk an Mitgeh-Groove, musikalischen Überraschungen und – so merkwürdig das klingen mag – ansteckender Lebensfreude.
◊ ◊ ◊
Secret Machines
Kurz nach dem Debütalbum „Now Here Is Nowhere“ (2004) zog das Trio aus Dallas nach New York. Mag sein, dass die veränderte Umgebung der musikalischen Entwicklung der Space-Rock-Combo behilflich war. Das mittlerweile dritte Album klingt urbaner: weniger Krautrock-Flächen, dafür deutlich mehr Druck. Auch wenn radiokompatibler Popappeal gar nicht angestrebt wird, befinden sich auf dem Album waschechte Ohrwurmkompositionen, die sofort in die Beine gehen: „Atomic Heels“ überrascht als hitverdächtige Up-Tempo-Nummer. Jedoch fasziniert der Sound mindestens genauso, wenn die Jungs die Geschwindigkeit drosseln und auf „Now You’re Gone“ lässig bis unterkühlt wirken. Als Herzstücke erweisen sich jedoch die überlangen, epischen Nummern „Have I Run Out“ und „The Fire Is Waiting“, die erklären, warum die Band immer wieder mit Led Zeppelin oder Pink Floyd in ihren besten Zeiten verglichen wurden. Ein wirkliches Spannungsfeld entsteht aus der sanften, regelrecht empathischen Stimme Brandon Curtis’ und der stellenweise heftigen Wucht der Arrangements. Eine spannungsreiche Rockplatte, die trotz der Verbeugung vor oben genannten Vorbildern nie in die peinliche Retroecke abdriftet, sondern mit stimmigen Details zu begeistern weiß.
◊ ◊ ◊
Eagles Of Death Metal: Heart On
Als Josh Homme sich nach dem Ende von Kyuss mit seiner neuen Stammformation Queens Of The Stone Age nicht ausgelastet genug fühlte, initiierte er 1998 mit seinem ehemaligen Schulkumpel Jesse „The Devil“ Hughes die Eagles Of Death Metal. Spielte Homme anfangs noch die Drums, konzentrierte er sich später auf andere Verpflichtungen. Seit 2004 spielen die Eagles mit permanent wechselnden Besetzungen. Lediglich Hughes, inzwischen Lehrer, blieb am Mikro und der Rhythmusgitarre. Nach den furiosen Alben „Peace, Love and Death Metal“ (2004) und „Death By Sexy“ (2006) erscheint nun in Deutschland mit etwas Verzögerung der dritte Streich der Jungs mit dem eigentümlichen Humor. Musikalisch mit Garage-, Stoner-, Boogie- und Schweinerock operierend, buchten Guns'N'Roses die Truppe vor einiger Zeit als Vorband für die US-Tour. Das Kokettieren mit einer homoerotischen Attitüde, die ironischen Texte und das drollige Auftreten, das Macho-Rock karikiert, konnte jedoch den Gunner-Fans, die klare Rollenverteilungen erwarten, nicht zugemutet werden. „Heart On“ vereint all das freche Durcheinander, für das die Eagles stehen. Josh Homme kehrte nicht nur als Musiker zurück, sondern verlieh den Aufnahmen eine druckvolle Produktion, die die Spielfreude bei Songs, die sich über Hollywood und den amerikanischen Traum lustig machen, ungefiltert ins heimische Wohnzimmer überträgt.
◊ ◊ ◊
Greg Weeks: The Hive
Bescheidenheit gilt bekanntlich als eine Zier. Greg Weeks, Gründungsmitglied der US-Psychedelic-Folkformation „Espers“, betrachtet sich nicht als Musiker, da er die Instrumente viel zu schlecht beherrsche. Er selbst sieht sich als „musikalischen Denker“, der Dank seiner Erfahrung als Produzent letztlich doch einen halbwegs passablen Klang erzeuge könne. Diese Eigeneinschätzung muss an dieser Stelle als hemmungslose, ja fast schamlose, Unterstreibung geoutet werden. In der Tat baute Weeks nicht nur sein Studio zu einem komplett analogen 24-Spur-Aufnahmetempel um, sondern spielte eine Vielzahl der Instrumente, angefangen bei den akustischen und elektrisch verstärkten Gitarren über Keyboards bis zur Harfe selbst ein. Unterstützung fand er unter anderem bei Cellisten und Flötisten. Allein die Instrumentierung verdeutlicht, dass es sich bei „The Hive“ um kein gewöhnliches Pop- oder Folk-Album handelt. Bei den elf Kompositionen handelt es sich um kleine, extrem stimmungsintensive Meisterwerke, die Weeks’ Vorliebe für italienischen Prog-Rock offenbaren, jedoch vollkommen eigenständig und ebenso zeitlos für sich stehen. Mal erscheint vor dem geistigen Auge das beklemmende Ende eines französischen Polit-Thrillers, mal die Erinnerung an eine verflossene Liebe, um letztlich das Hier und Heue auszublenden. Galten bisher Antimatter als „saddest band in the world“, so haben die Engländer zumindest starke Konkurrenz bekommen. Beeindruckend!
◊ ◊ ◊