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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




31. August 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


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»Gefesselt«



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  Bad Spies (Susanna Fogel)

Bad Spies
(Susanna Fogel)

Originaltitel: The Spy who dumped me, USA 2018, Buch: David Iserson, Kamera: Barry Peterson, Schnitt: Jonathan Schwartz, Kostüme: Alex Bovaird, mit Mila Kunis (Audrey), Kate McKinnon (Morgan Freeman), Justin Theroux (Drew), Gillian Anderson (Wendy), Sam Heughan (Sebastian), Hasan Minhaj (Duffer), Ivanna Sakhno (Nadedja), Paul Reiser (Arnie), Jane Curtin (Carol), 117 Min., Kinostart: 30. August 2018

Mila Kunis wird meines Erachtens stark überschätzt, abgesehen von That '70es Show! und Black Swan kenne ich sie aus Ted, den beiden Bad-Moms-Filmen und jetzt diesem idiotischerweise für den deutschen Markt in Bad Spies umgetitelten Film (damit geistig Umnachtete vor dem Kinoplakat stehend sagen können: »Ich glaube, das ist eine von den Bad Moms...«) - und in den vier letztgenannten spielt sie meines Erachtens nahezu exakt die selbe Figur. Sie ist dabei weder herausragend komisch noch beispiellos gutaussehend, sondern einfach Mila Kunis - vielleicht muss man in den Staaten mit ihrer »Jackie Burkhart« aufgewachsen sein, um irgendwie unter ihren Bann zu fallen.

The Spy who dumped me (okay, das Verb kann man schlecht ins Deutsche übersetzen, ohne den Bezug zum Bond-Film zu verlieren - aber man hätte ja auch mal den englischen Titel beibehalten können) ist ein Film, dessen Grundgeschichte man sehr schnell beschreiben kann: Zwei junge Frauen, von denen die eine (ohne es zu wissen) etwas mit einem internationalen Spion hatte, werden in gefährliche Machenschaften gezogen und müssen darin bestehen - und am besten auch überleben. Im Grunde dasselbe wie Spies like us oder Ishtar, nur mit Frauen in den Hauptrollen und deutlich mehr Actionsequenzen, die aber relativ preiswert und lieblos heruntergekurbelt wirken.

Das Zielpublikum sind u.a. angeheiterte Frauengruppen (Fans von Knocked Up, Bridesmaids etc.), die durch den verhältnismäßig hohen body count ein wenig verblüfft werden, aber es gibt kaum neue Impulse.

Die Besetzung besteht größtenteils aus gutaussehenden oder witzigen Personen, außerdem hat man noch ein paar bekannte Gesichter dazwischen gemischt wie Gillian Anderson, die als »starke Frauenfigur« à la Dame Judi Dench von Fangirl Morgan (Kate McKinnon aus Ghostbusters) abgefeiert wird wie nur irgendwas - was aber jetzt auch nicht der Riesenbrüller ist.

Für eine Komödie ist der Film ziemlich verhalten, die Genre-Parodie und die Frauenfreundschaft (mit ein bisschen Anbändeln) sind aber auch nur bedingt abendfüllend - aber dennoch hat der Film einen gewissen spröden Charme - im Grunde tatsächlich wie Ishtar.

Die »over the top«-Gewalt ist das Element des Films, das ich noch am ehesten nachvollziehen kann. Wenn James Bond selbstgefällig Blofeld in einen hohen Schornstein stürzen lässt, im nächsten Moment aber einigermaßen ernstgemeint um sein Leben kämpfen muss, dann kann man sich vorstellen, wie das mit der launigen Kunis und der überkandidelten McKinnon ganz erheiternd ausfallen könnten. Gerade der Umstand, dass die beiden es relativ schnell verarbeiten, dass sie gerade einen Menschen getötet haben (war ja quasi Selbstverteidigung und keine böse Absicht), dann hat das auch was von diesen Powerfantasien, für die sich pubertierende Jungs Superheldencomics kaufen oder halt zu James-Bond-Filmen usw. gehen. Wie Michael Douglas in Falling Down will doch jeder von uns mal dem Ärger Raum machen und beispielsweise die Konkurrentinnen, die einem beim Sommerschlussverkauf die besten Schnäppchen wegnehmen, mal eben mit einer Kettensäge zurechtstutzen.

Das Abwechslungsprinzip zwischen »witzig« und »gutaussehend« klappt ganz gut. Justin Theroux als The Spy who dumped me hat ausreichend Selbstironie, um seine Figur trotz aller Scherze halbwegs ernst zu nehmen. Zwei andere Agenten, die unter Gillian Anderson stehen und für unsere zwei Hauptdarstellerinnen quasi das Empfangskomitee bilden, sind auch auf diese Merkmale verteilt und frotzeln ein wenig miteinander, ehe sie dann selbst Konkurrenten werden. Und das dramatischste Element des Films ist es, zwischen den beziehungstauglichen und den zur Gegenseite übergelaufenen Agenten zu unterscheiden.

Mein persönlicher Höhepunkt im Film war die durch und durch unangenehme Ostblock-Agentin Nadedja (Ivanna Sakhno), der man tatsächlich eine back story gab, die erklärt, warum sie unerbittlich wie ein Terminator ihre Mordaufträge vollziehen will, während sie zunehmend frustrierter persönliche Rache nehmen will. Diese Figur ist gleichzeitig furchterregend, witzig und trotzdem kann man auch mit ihr mitleiden (auch, wenn man angesichts der Konventionen von Anfang an davon ausgeht, dass ihr ein böses Ende bevorsteht).

Wenn beispielsweise die beiden Hauptfiguren oder einer der männlichen Agenten eine ähnliche Charaktertiefe erfahren hätte, wäre es durchaus möglich gewesen, dass aus The Spy who dumped me etwas irgendwie besonderes geworden wäre. Doch der Humor auf halber Flamme, die hanebüchene Geschichte und die paar feministischen Ansätze (die seltsamerweise immer von Humor durchsetzt wurden, als wolle man es sich bloß nicht mit FeministInnen oder diesem Ansatz eher kritisch gegenüberstehenden ZuscherInnen verderben) - das allein hat für mich nicht ausgereicht.


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  Offenes Geheimnis (Asghar Farhadi)

Offenes Geheimnis
(Asghar Farhadi)

Originaltitel: Todos lo saben, Intern. Titel: Everybody knows, Buch: Asghar Farhadi, Kamera: José Luis Alcaine, Schnitt: Hayedeh Safiyari, Musik: Javier Limón, Spanien / Frankreich / Italien 2018, Buch: Asghar Farhadi, mit Penélope Cruz (Laura), Javier Bardem (Paco), Richardo Darín (Alejandro), Eduard Fernández (Fernando), Bárbara Lennie (Bea), Inma Cuesta (Ana), Elvira Mínguez (Mariana), Ramón Barea (Antonio), Carla Campra (Irene), Sara Salámo (Rocio), Roger Casamayor (Juan), José Ángel Egido (Jorge), Sergio Castellanos (Felipe), Ivan Chavero (Diego), 132 Min., Kinostart: 27. September 2018

Weil ich seit längerem den Berlinale-Wettbewerb nicht unbedingt als Pflichtveranstaltung verstehe, habe ich Asghar Farhadis ersten internationalen Erfolg Darbareye Elly (Alles über Elly) verpasst, seit Jodaeiye Nader az Simin verfolge ich aber seine Karriere, und konnte mit jedem seiner Filme (also die danach folgenden Le passé und Forushande) recht viel anfangen.

Nach seinem französischen Ausflug Le passé folgt nun ein spanischsprachiger Film, mit Penélope Cruz und Javier Bardem in den Hauptrollen superprominent besetzt, und auch der Status des diesjährigen Eröffnungsfilms beim Filmfestival in Cannes sagt viel über das Prestige des Projekts aus. Liest sich natürlich auch immens schmeichelhaft, dass der Iraner nicht nur (bisher) zwei mit dem »Auslands-Oscar« ausgezeichnete Filme realisierte, sondern nun auch noch mit einem Schauspieler-Paar aufwarten kann, die beide bereits mit dem Oscar ausgezeichnet wurden (für Vicky Cristina Barcelona bzw. No Country for Old Men).

Im Gegensatz zu Woody Allen (keine Ahnung, wie ich jetzt auf den komme) hat Farhadi sich aber nicht nur film-touristischen Gründen nach Europa begeben, sein erklärtes Ziel war es auch, die durch einen Spanienurlaub inspirierte Geschichte so umzusetzen, dass Spanier nicht merken sollten, dass das Drehbuch zwar ursprünglich in Farsi entstand, dem landestypischen Temperament aber in einem langwierigen Prozess immer nähergebracht wurde.

Die Geschichte spielt im Verlauf einer Familienfeier, auch die Großfamilie im Zentrum, die soziale Schichten wie auch mehrere Länder umspannt (die von Penélope Cruz gespielte Laura hat einen argentinischen Architekten geheiratet, implizit fremdländische Saisonarbeiter werden als erstes bei einem Kidnapping verdächtigt), wirkt durchaus südländisch und schlägt sich mit hochaktuellen wirtschaftlichen Problemen herum.

Man erkennt in der Geschichte typische Themen Farhadis, doch wo seine früheren Filme sich meist um eine leicht zu überschauende Kerngruppe drehten, hat er diesmal ein sehr komplexes und weitschweifiges Figuren-Ensemble erdacht, das zum einen ausreichend Verdächtige für das irgendwo im Film versteckte (aber nicht so wichtige) whodunit stellt, gleichzeitig aber auch mit Generationskonflikten, Missgunst und Familiengeheimnissen viel Konfliktpotential bietet.

Das große Problem ist hierbei, dass das »offene Geheimnis«, von dem laut Titel »jeder weiß« (über Todo sobre mi madre und homo sapiens konnte ich mir sogar den spanischen Titel Todos lo saben halbwegs erschließen), nicht nur sehr früh im Film angedeutet wird - man muss auch erschreckend stark auf der Leitung stehen, um die sich aus der Andeutung ergebende Handlungsfolgerung nicht schon von weitem herannahen zu sehen. Obwohl der Film die vermeintliche Überraschung exakt wie eine solche zu verkaufen trachtet. Mittlerer Spoiler: jedes mal, wenn jemand mit einem »Warum?« die kausalen Zusammenhänge zu hinterfragen beginnt, wird die eigentliche Geschichte des Films erzählt.

Insbesondere im Umfeld des späteren Entführungsopfers Irene (Carla Campra) wird alles, worum es in diesem Film wirklich geht, superdeutlich ausbuchstabiert, während die recht konventionellen Hinweise auf das in Vorbereitung stehende Verbrechen nie wirklich so gefährlich und dramatisch wirken, wie es im Film eine gewisse Spannung hätte entstehen lassen. Zumindest ich hatte während des gesamten Films das Gefühl, in einer Familiengeschichte zu stecken (bei der ich auch noch reichlich aufpassen musste, wer jetzt die Schwägerin vom Onkel etc. war), während sich die Kriminalgeschichte trotz eines überzeugenden reaktivierten Kommissars nicht wirklich entfalten wollte. Alle Krimimotive führten nur zu neuen oder wieder ans Tageslicht beförderten Familienspannungen, und nebenbei wurde das ganze durch blöde Vorurteile politisch aufgeladen - aber selbst, wenn es mal zu Gewalt- und Emotionsausbrüchen kam, schnurrte der Film wie ein Uhrwerk daher - und ich vermeide hier ganz bewusst das Wort »funktionieren«, denn die ach so skandalöse und dramatische Handlung kam trotz Lebensgefahr und vielen komplizierten Ressentiments nie wirklich in Fahrt. Ich bin weder ein Experte für Spanien noch für den Iran, aber Todos lo saben hat trotz aller beschwipsten Tanzszenen sehr viel von der unterkühlten Strenge, die man aus Farhadis Arbeiten innerhalb seines Heimatlandes kennt.

Ich muss noch mal kurz zurück zu Irene kommen. Zu Beginn des Films muss diese ihre rebellische Ader und ihre impulsive Spontanität zeigen: sie wird von einem gleichaltrigen Verwandten im sehr privaten Glockenturm auf den Mund geküsst, und reagiert darauf, in dem sie ihn mit den Federn eines toten Vogels beschmeißt und dann übermütig in dem maroden Gemäuer die Glocken läuten lässt. Und wenn man die Figur mit einer irgendwie »gefährlich« wirkenderen, wilden jungen Frau besetzt hätte, hätte man ihr Verhalten vielleicht auch für bare Münze genommen. Ich habe aber das vage Gefühl, dass es den Filmemachern fast genau so wichtig erschien, dass Irene sich auch als wehrloses Opfer, um dessen Leben man fürchtet, beweisen sollte - doch ausgerechnet dadurch, dass diese doch irgendwie zentrale Figur fast von Anfang an nicht stimmig wirkte, nahm man ihr letztlich weder die »Miss Hyde« ab, noch zitterte man so um ihr Leben (nicht zuletzt braucht sie Medikamente wegen eines Atemdefekts), wie es die andere Hälfte des Films, der einen unscheinbaren aber klaffenden Spalt in der Mitte aufwies, womöglich gerettet hätte.

In Anlehnung an einen Film von Mike Leigh hätte dieser Film vielleicht auch »Secrets and Danger« heißen können (weitaus hübscher wäre es jetzt natürlich, wenn ich das auf Spanisch raushauen könnte, aber ich bin jetzt auch zu schlaff, dafür eine Bekannte mit Spanischkenntnissen anzurufen, die dann mein Far- äh, Englisch übersetzt) - nur war halt das Geheimnis offener als erwartet und die Gefahr ließ die vollen zwei Stunden auf sich warten. Es kann nicht alles spitze sein...

Zum Schluss noch ein Beispiel für meinen zu genauen Blick: In dem auf seinen Realismus pochenden Film sieht man mal einen kleinen Jungen, der offenbar gerade alleine auf Toilette gegangen ist. Er steht daneben, zieht sich die Hose hoch - und dann wirft er das Klopapier weg. Drehtechnisch so vermutlich für den Schauspieler einfacher (er tut ja nur allenfalls so, als hätte er das Papier irgendwann benutzt), aber normalerweise bringt man Kindern aus naheliegenden Gründen eine andere Reihenfolge bei.


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  Why are we creative? (Hermann Vaske)

Why are we
creative?
(Hermann Vaske)

Originaltitel: Why are we creative - The Centipede's Dilemma, Deutschland 2018, Buch: Hermann Vaske, Kamera: Patricia Lewandowska, Sasha Rendulic, Evgeny Revvo, Schnitt: Dennis Karsten, Marie-Charlotte Moreau, Carsten »PeeWee« Piefke, Musik: Teho Teardo, Blixa Bargeld, Animation: Valerie Pirson, mit Marina Abramovic, Mario Adorf, Marina Aljuchina, Pedro Almódovar, Laurie Anderson, Jassir Arafat, Nabuyoshi Araki, Leslie Arden, Paul Arden, Asia Argento, Blixa Bargeld, Georg Baselitz, Frédéric Beigbeder, Björk, Bono, David Bowie, George Bush, Nick Cave, Claude Chabrol, John Cleese, Francis Coppola, Penelope Cruz, Willem Dafoe, dem Dalai Lama, Umberto Eco, Brian Eno, Peter Gabriel, Charlotte Gainsburgh (auch nur erhascht), Bill Gates (bleibt die Antwort schuldig), Frank Gehry, Mel Gibson, Terry Gilliam, Michail Gorbachov, Reed Hastings, Stephen Hawking, John Hegarty, Werner Herzog, Damien Hirst, David Hockney, Dennis Hopper, Sebastian Horsley, Jim Jarmusch, Angelina Jolie, Quincy Jones, Milla Jovovich, Tony Kaye, Harvey Keitel, B.B. King, Takeshi Kitano, Jeff Koons, Diane Kruger, Stanley Kubrick (nur zu erhaschen, kein Wortbeitrag), Spike Lee, David Lynch, George R.R. Martin, Marilyn Manson, Ian McKellen, Russ Meyer, Jeanne Moreau, Kitten Natividad, Yoko Ono, Jimmy Page, Alex Payne, Sean Penn, Schimon Peres, Roman Polanski, Charlotte Rampling, Neo Rauch, Tobias Rehberger, Jean Reno, Isabella Rossellini, Julian Schnabel, Harry Dean Stanton, Philippe Starck, Quentin Tarantino, Oliviero Toscini, Bischof Desmond Tutu, Peter Ustinov, Christopher Walken (womöglich einer, der sich verweigert), Wayne Wang, John Waters, Ai Weiwei, Wim Wenders, Vivienne Westwood, Billy Wilder (nur zu erhaschen, kein Wortbeitrag), Yohji Yamamoto, Hans Zimmer, 84 Min., Kinostart: 4. Oktober 2018

Was allenfalls sehr eingeschränkt »kreativ« ist: beim Copy-Pasten eines Monate zuvor geschriebenen Textes einen Niesanfall zu bekommen, kurz zum Waschbecken zu gehen, und etwa eine halbe Stunde später zu begreifen, dass man den Computer heruntergefahren hatte, als der fertige Artikel noch in der »Zwischenablage« steckte - So muss man dann halt mit reduzierter Erinnerung erneut kreativ werden (immerhin hatte ich meine Notizen aus dem Kino noch nicht entsorgt ...)

Der Ansatz von Regisseur Hermann Vaske müsste mir eigentlich sehr sympathisch sein, weil ich mal (in Grenzen) ein ähnliches Projekt verfolgte. Vaske fragt immer wieder Prominente, warum diese (oder generell »wir«) kreativ sind, filmt dieses auf unterschiedlichen Formaten, lässt aber auch mal Seiten beschreiben, bastelt daraus Ausstellungen, Bildbände und jetzt einen Kinofilm.

Ich habe in den Neunzigern, als meine Comicbegeisterung auf dem Höhepunkt war und ich mich häufig beim Comic-Salon in Erlangen oder vergleichbaren Veranstaltungen herumtrieb, jeweils ein Sketchbook mitgeschleppt und die Comickünstler jeweils gebeten »ein Tier ihrer Wahl« zu skizzieren. Dave McKean lieferte eine Cages-Vorstudie mit Katze ab, Lorenzo Mattottis Tier ist je nach Fokus ein anderes, ob art spiegelman sich durch meine Körperfülle zu einem Elefanten (im typischen Maus-Stil) inspirieren ließ? Bei Morris hoffte ich auf einen Jolly Jumper, bekam aber nur einen Rantanplan, der Dagobert von Don Rosa inspirierte sowohl Guido Sieber als auch Neil Gaiman (»Sandduck«!), kurzum, es war ein großes Erlebnis, das ich aber nur mit wenigen Personen teilen konnte.

Hermann Vaske machte aus seiner Idee sein persönlich betreutes Gesamtkunstwerk, blieb Jahrzehnte am Ball und kann natürlich besonders mit den inzwischen verstorbenen Promis angeben (bei mir immerhin u.a. Joe Kubert und Moebius).

Vaskes Film kommt dabei aber kaum über das Niveau eines Sammelsuriums hinaus. Trotz der aufwendigen (und durchaus gelungenen) Animationen, die einzelne Ansätze illustrieren (Captain Ahab gegen den weißen Wal der Kreativität), trotz der Bemühungen, einen dramaturgischen Bogen zu spannen (am deutlichsten beim - nicht chronologisch - ersten Beitrag, bei dem David Bowie mal ein Interview »gegen den Strich« und die Konventionen aufbauen lässt), aus den unzähligen Facetten wird kein größeres Ganzes, manche der »dokumentarischen« Ansätze wirken sogar fast hilflos, wenn etwa manche Künstler eine kleine Einführung erhalten, etwa durch eine Abfolge von Plattencovern.

Die einzelnen Gespräche sind durchaus unterhaltsam, hier und da steckt auch eine kleine Anekdote dahinter (wenn etwa George Bush auf die Frage »Why are you creative, Mr. President?« argwöhnisch antwortet »I'm not sure I understand the question...«), aber letztlich bleibt alles so vage wie die vermeintlich allumfassende Frage.


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  Book Club - Das Beste kommt noch (Bill Holderman)

Book Club -
Das Beste
kommt noch
(Bill Holderman)

Originaltitel: Book Club, USA 2018, Buch: Bill Holderman, Erin Simms, Kamera: Andrew Dunn, Schnitt: Priscilla Nedd-Friendly, Musik: Peter Nashel, mit Diane Keaton (Diane), Jane Fonda (Vivian), Mary Steenburgen (Carol), Candice Bergen (Sharon), Andy Garcia (Michell), Don Johnson (Arthur), Ed Begley Jr. (Tom), Craig T. Nelson (Bruce), Katie Aselton (Adrianne), Alicia Silverstone (Jill), Tommy Dewey (Chris), Wallace Shawn (Dr. Derek), Michael Gmur (Segway Cop), 97 Min., Kinostart: 13. September 2018

Was man in einer Filmkritik nur selten sieht, ist Ehrlichkeit. Ich habe von diesem Film wenig erwartet. Besetzung und Thema klangen nach einem typischen »Tantenfilm« (so heißen bei mir Filme, die auf ein älteres weibliches Publikum zugeschnitten sind, oft mit Judi Dench, Helen Mirren o.ä. und einem gediegenen Liebesthema). Zudem fand ich es befremdlich, dass man sich hier statt etwa im Jane Austen Book Club (den habe ich sogar auf DVD) oder The Guernsey Literary And Potato Peel Pie Society bzw. The Book Shop (gleich zwei Filme mit Buchthema aus diesem Jahr, die leider Murks waren) nicht mal oberflächlich mit Literatur befasst, sondern - so klingt es jedenfalls zunächst - über Fifty Shades of Grey und den sexuellen Nachholbedarf einer starbesetzten Rentnerversion von Sex and the City (die Ähnlichkeit scheint nicht besonders groß, aber die Freundinnen sind zu viert) sein Publikum zu generieren sucht.

Als Literaturwissenschaftler mit sehr breitem Geschmack (ich lese von modernistischer Lyrik über feministische Traktate und exotische Kochbücher bis hin zu The Night of the Living Trekkies eigentlich fast alles) habe auch ich so meine Grenzen. Ich war zwar mal kurz davor, einen Rosamunde-Pilcher-Roman zu lesen (nur, um mir fortan ein eigenes Urteil bilden zu können, es mag ja sein, dass die Fernsehverfilmungen den Vorlagen nicht gerecht werden), aber ähnlich wie beim Film probiere ich alles irgendwann einmal aus, aber wenn ich dann festgestellt habe, dass beispielsweise Michael Bay, Jerry Bruckheimer, Martin Short, Rob Marshall, Bernd Eichinger, übermäßige Religion, Keira Knightley oder Pferdedramen mir nicht liegen, umfahre ich solche Baustellen gerne auch weiträumig.

In der Literatur halte ich es ähnlich. Eine Bekannte empfahl mir mal mit blumigen Worten den Krimiautor Simon Beckett (Hinweis: es folgen Spoiler!), ich las seinen ersten Bestseller, erkannte die nicht sehr innovative Formel (Whodunit mit mainstreamtauglichen leichten Horror-Zusatz), war reichlich genervt, dass für mich relativ offensichtlich war, dass der angeblich querschnittsgelähmte Doktor der Täter sein muss, was dann auf peinliche Art kaschiert wurde, indem es einfach zwei Täter gab, wobei der zweite ein Friedhofsgärtner (!!!) war, der ca. alle 30 Seiten mal in einem Halbsatz erwähnt wurde. Spiegel-Bestseller-Liste oder nicht, das war einfach ärgerlicher Dreck.

Fifty Shades of Grey ist für mich ein Buchphänomen, das ich mit höchstmöglicher Voreingenommenheit und Arroganz schon dadurch abqualifiziere, weil es sich hierbei ursprünglich um Twilight-Fan-Fiction handelte und ich von Twilight nur mit knapper Not den ersten Film durchgehalten habe.

In Book Club gibt es da weitaus unterschiedliche Ansichten. Ohne Rücksicht auf die jeweiligen Sprecherinnen, die auch mal ihre Standpunkte ändern, heißt es dort (chronologisch): »I don't think this qualifies as a book«; »best book ever« und »this book is a wake-up call« - wobei aber die eigentliche Buchhandlung für den Film reichlich uninteressant ist. Es geht vor allem darum, dass die alten Damen ihr Leben (nebst Sexualleben) ordnen und man innerhalb der episodischen Wohlfühlhandlung möglichst viele zweideutige Sparwitze einstreut.

Hin und wieder geht es hier zwar auch um das Alter der Figuren (»last date ... we're talking Nixon era« oder ein Vergleich mit The Walking Dead), aber vor allem geht es immer wieder um das Thema Sex, und ich war mit meinen immerhin auch schon 50 Jahren für diese Scherze einfach noch nicht alt und verklemmt genug.

Wenn Diane Keaton etwa die Lektüre einem attraktiven Sitznachbar (Andy Garcia) gegenüber zu peinlich ist, behauptet sie, sie läse Moby-Dick (Freud lässt grüßen!). Und das war noch einer der subtilsten Scherze. Mary Steenburgens Filmgatte Craig T. Nelson erwärmt sich eher für sein Motorrad als für seine Frau - und man kann sich die Dialoge über das Vorglühen, die Position usw. leicht zusammenreimen.

Diese generelle Richtung des Films findet man auch in der Songauswahl wieder, wenn auch etwas dezenter. Typische Lyrics lauten etwa wie folgt: »Late in the evening«, »Running down a dream«, »Don't dream it's over«, »I believe in miracles«. Dabei passen natürlich auch die Interpreten zum Zielpublikum (Paul Simon, Tom Petty, Hot Chocolate etc.), aber die zunehmend auf Popsongs ausweichende Musiksauce passt auch zum weichgekochten Stil des Films, der wie ein Poesie-Bildalbum beginnt: mit hellblauen Seiten voller Stabangaben in Schnörkelschrift, zwischen denen man schlecht gephotoshoppte Schwarzweißaufnahmen der jüngeren Versionen der vier Hauptdarstellerinnen sieht (die übrigens alle mittlerweile (erfolg-)reiche Hausbesitzerinnen sind, wie offenbar jeder Amerikaner in ihrem Alter).

Der größte Schock war aber Candice Bergen, die ich vor kurzem noch in Soldier Blue sah, und die in Typ und Rolle im Film sehr an Angela Lansbury erinnerte. Mit Abstand die verklemmteste, die dann als love interest mit Richard Dreyfuss und Wallace Shawn zwar die besseren Schauspieler abbekommt, aber beispielsweise Don Johnson (Jane Fonda zugeordnet) ist halt deutlich schmucker.

Dass Diane Keaton mal wieder unter Mutterproblemen leidet, war genauso zu erwarten, wie die eher promiske Jane-Fonda-Rolle (sie muss quasi die »Liebe« entdecken, ihr Sexualleben funktioniert, ist nur etwas oberflächlich).

Letztes kleines Detail, das verdeutlicht, wie der Film auch vom deutschen Verleih ganz auf seine Sparwitz-Ausrichtung hin unterstützt wird: Die vergleichsweise poetische Formulierung »we shall not go quietly into that night« wird hier - ich kenne die dt. Übersetzung des Gedichts nicht - gleich wieder zu einer sexuellen Anspielung auf Kaffeekränzchen-Niveau: »in den Schoß der Nacht«.

Die mit Abstand sympathischste Stelle des Films ist ein angedeuteter Wutausbruch einer der Frauen (ich glaube, es war Candice Bergen): »Oh Jesus Christ, enough with the metaphors already!«


Demnächst in Cinemania 191 (»Connected«):
Startaktuelle Rezensionen, vermutlich zu The Guilty (Gustav Möller), Touch me not (Adina Pintilie), Verliebt in meine Frau (Daniel Autieul) und etwas noch nicht gesichtetem...