Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen





Februar 2005
Andreas Platthaus
für satt.org


Neil Gaiman,
P. Craig Russell:
Mordmysterien

Aus dem Amerikanischen von Björn Laser
Carlsen, Hamburg 2004


Cover
64 S., vf., geb., 16,- €
» amazon

VENTIL:
1: Mawil: Wir können ja Freunde bleiben

2: Emmanuel Moynot: L'Enfer du jour

3: Yoann, Vermot-Desroches, Sfar, Trondheim: Donjon Monsters 5,6

4: Jason: Hey, warte mal …

5: Anke Feuchtenberger, Katrin de Vries: Die Hure H | Diceindustries: Rimini Redux

6: Joann Sfar: Le Chat du Rabbin 3: L’Exode

7: Ulf K.: Titus von Götheborg | Uli Oesterle: Hector Umbra. Der halbautomatische Wahnsinn

8: Craig Thompson: Carnet de Voyage

9: Moebius, Stéphane Cattaneo: Beautiful Life

11: David B.: Babel

12: Baru: Wut im Bauch

13: Georges Abolin, Olivier Pont, Jean-Jacques Chagnaud: Jenseits der Zeit


Andreas Platthaus'
VENTIL No. 10




Neil Gaiman,
P. Craig Russell:
Mordmysterien


Die Behauptung, Neil Gaiman habe schon inspirierter geschrieben als im Falle von "Mordmysterien" ist nicht besonders gewagt. Das hätte auch Carlsen merken können, denn die Erzählung "Murder Mysteries" ist immerhin schon zwei Jahre älter als deren 2004 fertiggestellte Comicversion. Aber die Versuchung, einen der namhaftesten Comicszenaristen über diesen Umweg ins Programm zu bekommen, dazu noch ergänzt um die Zeichnungen eines Mainstream-Stars wie P. Craig Russell, war doch zu verführerisch. Wen interessiert da wohl noch, daß die Handlung vom Mord im Himmel und der daraus resultierenden Verstoßung des Luzifer gegenüber der knappen biblischen Version des Engelsturzes geradezu unerträglich pathetisch aufgemotzt worden ist und auch die Rahmenhandlung, die die Konsequenzen der Existenz des Bösen auf der Erde ausbuchstabiert, nicht einmal annähernd derart überraschen kann, wie Gaiman es wohl gerne hätte? Wen das noch interessiert? Nun, hoffentlich die Leser.

Abbildung aus dem besprochenen Band.

Sie müssen sich durch eine mittelmäßige, weil nicht nahe genug am biblischen Ton des Originals orientierte Übersetzung beißen, die den Zugang zur Geschichte zwar erleichtert, aber dafür die sprachliche Raffinesse Gaimans beseitigt, die unter Russells Adaption ohnehin schon gelitten hatte. Und dazu kommt der optische Eindruck der Zeichnungen, die zwar gängiges Niveau amerikanischer Comics erreichen, aber die Gaimansche Pointe der Geschlechtslosigkeit der Engel, die dennoch einen Eifersuchtsmord nicht verhindern kann, dadurch entwertet, daß die ausnahmslos nackten und ansonsten sehr männlich modellierten Körper in der Leistengegend lediglich eine flache Wölbung aufweisen, die leider zu sehr an die graphische Praxis der Superheldenzeichner der sechziger Jahre bei der Darstellung von Sexualorganen erinnert, als daß sie mehr als lediglich lächerlich wirken könnte. Immerhin hat Russell die Konsequenz besessen, auch die Nabel der Engel wegzulassen – für diese Rücksicht aufs anatomische Detail einer bloßen Gottesschöpfung muß man ihn schon wieder preisen.

Aber das rettet die klischeegesättigte Geschichte ebensowenig wie den denkbar konventionellen Seitenaufbau oder die himmlischen Architekturvisionen, denen man gewünscht hätte, einmal über die gängigen Stereotypen von Kristalltürmen hinaus zu kommen. Dazu schwanken bei den Figuren die Proportionen der Gliedmaßen zueinander, und die Kolorierung von Lovern Kindzierski gefällt sich in einer ins Monochrome verliebten Farbabstimmung, die den Mangel an Hintergrundgestaltung in Russells Panels überdeutlich werden läßt. So bleibt die Comic-Adaption eine überflüssige Verwässerung der zugrundeliegenden Geschichte, die auch schon nicht gerade durch erzählerische Dichte glänzte. Aber dem Reiz, so billig zumindest indirekt in sein ursprüngliches Metier zurückzukehren (als bloßer Ideenlieferant), scheint Gaiman partout nicht widerstehen zu können.