Andreas Platthaus'
VENTIL No. 12
Baru: Wut im Bauch
Für die Begründung, warum ich Baru für einen Großmeister des Comics halte, verweise ich auf eine meiner älteren Publikationen ("Im Comic vereint"). Denn ich möchte den einzigen Fehler vermeiden, den Baru macht: sich zu wiederholen. Zugegeben, er ist läßlich, wenn er auf einem derartigen Niveau erfolgt, wie wir es von Baru gewohnt sind, und der Ausbau von "Cours Camérade" (auf deutsch "Lauf, Kumpel") zum fabelhaften "Autoroute du soleil" zeigte auch die Stärken dieser ständigen Motivvariation. Doch der jüngst begonnene Zyklus "L’Enragé", dessen erster Band nur ein halbes Jahr nach der französischen Publikation von der Edition 52 nun schon als "Wut im Bauch" ins Deutsche übersetzt wurde, ist denn doch etwas zu nahe sowohl an dem gleichfalls im Boxermilieu spielenden Album "Der Champion" wie an den Aussteigergeschichten des leider weitgehend noch unübersetzten "Sur la Route encore" angesiedelt.
In "Wut im Bauch" wird der Karriereweg des polnischstämmigen Anton Witkowski vom Schulabbrecher zum Weltmeister der Profiboxer verfolgt. Wie bei Baru nicht anders zu erwarten, hat Witkowski einen Schulfreund arabischer Abstammung an seiner Seite, doch diesmal zerbricht das vielfach bewährte Duo bereits früh am Konflikt darüber, ob der neue Lebensstil, den der erfolgreiche Boxer pflegt, mit seiner Herkunft aus der Banlieue und einer Arbeiterfamilie vereinbar ist. Baru gelingen dabei eindrucksvolle psychologische Schilderungen, doch man kennt diese Fähigkeit bereits, und das stete emotionale Auf und Ab bietet nicht nur nichts Neues, sondern ist von jedem halbwegs treuen Leser seiner Comics bis ins Detail der Handlungsentwicklung voraussehbar.
Warum ist "Wur im Bauch" dann trotzdem lesenswert? Weil Baru seine Zeichenweise verändert hat, ohne daß darunter die für ihn typische Expressivität aus Verzerrung des Mienenspiels seiner Figuren und Stilisierung der Bewegungen gelitten hätte. Die Modifikation der Arbeitsweise spielt sich im Hintergrund ab, wie man durch einen Vergleich des veröffentlichten Albums mit den derzeit in einer Pariser Galerie zum Kauf angebotenen Originalseiten lernen kann. Erstmals hat Baru hier massiv mit Computergraphik gearbeitet, wodurch er etwa die überaus detaillierten Interieurs oder die einzelnen Fotomontagen im Hintergrund ermöglicht hat. Ganze Seiten haben ihre düstere Gesamtwirkung erst durch eine nachträgliche Computerkolorierung erhalten, und die auffällige Typographie mehrerer Zeitschriftenartikel, in denen Anton Witkowski zum Gegenstand de Glamour-Journalismus gemacht wird, ist gleichsam allein technisch, nicht länger eigenhändig reproduziert.
Das Faszinierende allerdings ist, daß gerade diese Regression des handwerklich Gefertigten ein graphisch so überzeugendes Bild hervorbringt. "Wut im Bauch" ist das künstlerisch perfekteste aller Baru-Alben, eine Augenorgie, ein Blickableiter. Erzählerisch aber muß die noch ausstehende Fortsetzung, die den am Schluß des ersten Teils frisch verliebten Boxer schließlich auf die Anklagebank eines Gerichtshofes bringen wird (dort setzt die ganze Erzählung ein, bevor dann eine Rückblende den chronologischen Ablauf in Gang bringt), erst noch einlösen, was die Graphik bereits erreicht hat.