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Etwas wie "Donjon" kann nur in einem Land entstehen, das comicverrückt ist – also in Japan oder Frankreich (die Vereinigten Staaten kann man angesichts der Qualität der meisten dortigen Serien wohl nur als comicbescheuert bezeichnen). "Donjon" vereint japanischen Umfangswahnsinn mit französischer Erzählhybris: Der Zyklus ist auf fünf Serien verteilt, die auf drei Zeitebenen spielen und eine Unzahl von Figuren versammeln. "L’époque Potron-Minet" erzählt die Anfangszeit jenes vom sogenannten "Gardien" begründeten Abenteuerparks, der als "Donjon" firmiert und für alle aventurenversessenen Ritter ausreichend Monster und Kämpfer bereithält, daß sie gewiß die Mauern der düsteren Burg nie wieder verlassen werden, in denen man sie zunächst finanziell ausnimmt, um sie dann noch nach allen Regeln des Splatterfilms auszuweiden. Keine leichte Kost also, die Trondheim und sein Mitstreiter, der geniale Joann Sfar, in "Donjon" servieren. Zudem beginnen sie die Zählung ihrer Serie bei –99, und erst bei Band 1 wird der zweite Teil erreicht: "L’époque Zénith", wo die eigentliche Hauptpersonen, die Ente Herbert und der Drache Marvin, sich im Donjon zum Team zusammenschließen. Und auch dieser Abschnitt der Saga ist auf hundert Alben berechnet, denn die dritte Zeitebene, "L’époque Crépuscule" betitelt, setzt erst mit Band 101 ein und erzählt von der Dämonendämmerung im längst ausgedienten Donjon. Somit ist der gesamte Zyklus auf rund 300 Alben projektiert, und dazu kommen mit "Donjon Monsters" und "Donjon Parade" noch nicht näher eingegrenzte Ablegerserien, die für Kinder (die "Parade") und Liebhaber (die "Monsters") gedacht sind. Niemand anderen als dem neununddreißigjährigen Trondheim und dem gerade einunddreißigjährigen Sfar wäre ein solch gigantisches Projekt zuzutrauen; beider Ausstoß an Comics ist seit geraumer Zeit geradezu unheimlich, und was noch mehr verblüfft ist das Qualitätsniveau ihrer jeweiligen Arbeiten. Niemals gab es eine Epoche, wo zwei Zeichner und Szenaristen (beide sind darin jeweils gleichermaßen perfekt) die Entwicklung des Genres derart im Alleingang vorangetrieben haben, aber für die hunderte von "Donjon"-Bänden haben selbst diese manisch Arbeitswütigen sich der Hilfe von Mitstreitern versichern müssen. Zunächst zu nennen ist da der fantastische Kolorist Walter, der auch für fast alle sonstigen Alben von Joann Sfar die Farbgebung verantwortet. Und dann gesellt sich zu diesem Kerntrio eine Riege von Zeichnern, die "Donjon" endgültig zu einem Labor des französischen Comics macht: Bisher zeichneten nach Trondheims und Sfars Szenarien bereits J.C. Meny, Christophe Blain, Manu Larcenet, J-E Vermot-Desoroches und Mazan. Nun ist auch noch Yoann dazugekommen. Er hat den neuesten, mittlerweile schon sechsten Band von "Donjon Monsters" gezeichnet, und wer die Geschehnisse um den tumben Grogro (in dieser Reihe werden jeweils Einzelabenteuer von verschiedenen Bewohnern des Donjon erzählt) in den aufwendig gemalten Bildern Yoanns verfolgt, der kann die Weiterentwicklung eines selbst für Frankreich denkbar ungewöhnlichen Stils miterleben. Yoann reüssierte mit seinen bislang drei Alben um das Schnabeltier Toto (auch diese Serie hat Carlsen auf deutsch verlegt) im Kindersektor, doch die virtuose Handhabung seiner Farben und Formen hat "Toto l’ornithorynque" auch zur Pflichtlektüre für erwachsene Leser werden lassen, zumal Yoann mit seiner Erzählstruktur auf geradezu zynische Weise die "Spirou"-Traditionen der fünfziger Jahre wiederbelebte – ergänzt um die notdürftig verwitzelte Brutalität der neunziger Jahre. Nun hat er mit Sfar und Trondheim Autoren gefunden, die just diese Stärken mit ihrer Vorlage bedient haben, und so ist sein "Monsters"-Band der bislang mit Abstand skrupelloseste der Serie – obwohl das Vorgängeralbum "La nuit de tombeur" von Vermot-Desroches diesbezüglich schon Maßstäbe gesetzt hatte. "Monsters" entwickelt sich immer mehr zum Glanzstück des "Donjon"-Kosmos. Neunzehn Bände sind darin insgesamt bislang erschienen, und das in lediglich fünf Jahren. Konzipiert ist die ganze Handlung als Parodie auf Computerspiele: die verschiedenen Ebenen, die ständigen Suchen nach Schätzen und Metzeleien, die ständig wechselnden Figuren um einen festen Kern von Donjon-Bewohnern. Sfar und Trondheim haben ein Experiment gewagt, an dessen Erfolg niemand geglaubt hätte – und natürlich gibt es auch die Site donjonland.com, wo man sich mediengerecht am Bildschirm über diese seltsame Welt informieren kann. Doch seinen Zauber entfaltet das Konzept erst im Comic, wo all die Versatzstücke aus der Computerspielwelt als Tabubrüche empfunden werden und der seriell-monotone Charakter der Handlung, der schon die Frühwerke von Trondheim so extrem geprägt hat, immer noch als revolutionär gelten darf. Wenn nun andere Zeichner zur Teilnahme an diesem Spiel bewegt werden können, darf man von nicht weniger sprechen als einer neuen Welle im französischen Comic. Schön, daß zumindest ein wenig ihres Treibguts auch hierzulande angeschwemmt wird. Allerdings ist aus "Donjon Monsters" noch kein einziger Band übersetzt worden.
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