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Das hat sich seit etwa zehn Jahren geändert. Zunächst verschliefen die größeren Verlage den Aufbruch des zeichnereigenen Verlags L’Association, dann traf das Spar- und Umschichtungsprogramm zugunsten der Manga sämtliche Übersetzungsprojekte, sofern sie nicht längerfristig vereinbart waren. "Monsieur Jean" etwa, eine der erfolgreichsten Comicreihen in Frankreich, wird hierzulande von dem kleinen Salleck Verlag in einer Miniauflage herausgebracht. Bei ihm erscheinen auch Zeichner wie Gibrat oder die graphisch erstaunliche Reihe "Ring Circus" von Chauvel und Pedrosa. Leider aber hat Salleck offenbar keinen guten Draht zu dem Pariser Verlag Delcourt. Dort erscheinen neben L’Association seit einigen Jahren die interessantesten französischen Comics. Und das Haus bietet den ihm verbundenen Zeichnern die Möglichkeit zu Neuausgabe älterer Arbeiten. So auch jetzt Emmanuel Moynot, dessen umfangreiche Comicerzählung "L’enfer du jour" (Die Hölle des Tages) bereits zum dritten Mal erscheint. Zunächst war sie als normales Album in den späten achtziger Jahren bei Glénat herausgekommen, dann wesentlich erweitert und auf A5-Format ummontiert 1995 bei Dargaud. Insgesamt zwölf Jahre hatte Moynot daran gearbeitet, und man kann die Stilbrüche innerhalb dieser langen Zeit den einzelnen Kapiteln noch ansehen. Das zuerst entstandene Herzstück des Comicromans ist eine fast hundertseitige Krimihandlung aus dem Paris des Jahres 1983. Olivier wird durch die dubiosen Bekanntschaften seiner Freundin Corinne in ein Drogengeschäft verwickelt. Als Corinne an einer Überdosis stirbt und der Stoff bei ihm gefunden wird, landet Olivier im Knast. Sein Freund Jeff, der ihn sowohl an die Drogenhändler wie an die Polizei verraten hat, kommt davon. In seiner lakonischen Erzählhaltung ist dieser Kern der Geschichte auch deren Glanzstück. Zwar noch etwas unbeholfen gestaltet und streng in schwarzweißer Linearzeichnung angelegt, kann man hier einen Vorläufer für Tardis "Griffu" oder "La débauche" erkennen. Für die zweite Ausgabe fügte Moynot diesem Teil drei kürzere Kapitel als Rahmen hinzu, die Olivier, der nach zwölf Jahren Haft entlassen wurde, auf der Suche nach Jeff begleiten. Hier hat der Zeichner durch kräftige Kohlestiftraster und -schattierungen den kalten Schwarzweißkontrast der ursprünglichen Episode beseitigt und ein ungleich dunkleres Paris im Jahr 1995 gezeichnet. Es ist die abweisende Stadt, die für einen ehemaligen Häftling keine Heimat mehr bietet. Seine Freunde sind unbekannt verzogen, seine Eltern haben sich von ihm abgewandt. Trotzdem findet Olivier über Jeffs Freundin Pascale den Verräter – aidskrank im Krankenhaus, unfähig, noch ein Wort zu seiner Entlastung zu sagen. Und mit einemmal wird Olivier klar, daß schon zwölf Jahre zuvor viele wußten, daß er unschuldig war, daß er jedoch außerhalb aller Loyalitäten stand. Die Welt setzt sich neu zusammen, und Rache kann es nicht mehr geben, weil sie sich gegen zuviele richten müßte. Man darf nicht damit rechnen, daß "L’enfer du jour" jemals in Deutschland erscheinen wird. Es ist auch kein Meisterstück, aber eine solide Geschichte, deren Bildkompositionen ein sicheres Gefühl für das graphische Erzählen beweisen. Daß solche Comics in Frankreich mehrfach aufgelegt werden, daß an ihnen überhaupt zwölf Jahre gearbeitet werden kann, das belegt besser als alle umständlichen Erörterungen den Unterschied zwischen einer Comicnation und einem Comicentwicklungsland.
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