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Dienstag, der 9. April 2002

Ilse hat beschlossen, dass sie sich dieses Jahr nicht so sehr wie im letzten über ihre Mitmenschen ärgern wird wollen. Lisa aber hat einen Rundbrief an alle Freunde und Bekannten verschickt bezüglich des Tagebuchs hier und musste heute morgen per Mailpost lesen, dass wir da jetzt ja wieder alle mal ganz schön doof vor der Kiste hocken, und sie soll wohl auch noch wie wir Doofies allein und blöd vor der Kiste hocken und so was. Es gibt so Menschen, da weiß ich nicht genau, wieso sie sich mit mir abgeben, denn genaugenommen haben sie in jeder Sekunde, die sie mit mir verbringen, etwas an mir auszusetzen, sagt Lisa. Und Lisa kriegt's nicht hin, sich nicht zu ärgern, schon gar nicht um neun Uhr sechs in der Früh. Und schon gar nicht, wenn das eine Nachricht ist von einer Frau, die Lisa immer so gern gemocht hat. Und dann fällt mir ALLES wieder ein, nämlich, dass die Frau sich schon jahrelang verändert und es eigentlich dauernd Ärger gibt mit ihr in Form von Versetztwerden beispielsweise. Und rechthaberisch, besserwisserisch oder nur schnippisch, fragt sich Lisa. Vielleicht auch: fehlgeleiteter Humor, wer weiß. Jedenfalls sind die guten "ich ärgere mich nicht"-Vorsätze beim Dreizack. Und überhaupt müssen alle zu allem ununterbrochen einen negativen Kommentar abgeben. Und überhaupt lag Lisa, die (wie Ilse diese Anfälle beschreibt) ihr Leben kurzfristig wieder für sehr verpfuscht hält, letztes Jahr zusammengerechnet ungefähr viereinhalb Monate krank im Bett, und da hat kein Schwein sich gemeldet, aber wenn's drauf ankommt, von wegen allein vor der Kiste oder in der Kiste. Und Lisa hat beschlossen, sich nicht mehr über Leute zu ärgern, die ungefragt uncharmante Kommentare abgeben. Und außerdem ist es sehr seltsam, dass Lebenszeit, die unangenehm verläuft, von Lisa nicht als Lebenszeit, sondern als Lebenszeit-Störung abgebucht wird. Alles sehr seltsam. Sogar das Wetter hat umgeschlagen. Sagen wir, das kommt alles vom Wetter. Und dann musste auch unbedingt noch Himmel über Berlin laufen beim Abwaschen. Das verbessert die Stimmung. Klar. Aber die von uns extrem ins Herz geschlossene Autorin Malena Menzel schickt Clemens und Lisa auch um neun Uhr sechs eine ganz liebe Mail. Wir umärmeln uns halt wieder mal wie die Doofies per Mail, weil wir uns vielleicht erst in Kürze wieder sehn oder sowas. Auch gut. Tagebuch frisst Ärger auf. Tagebuch frisst Leben. No tseawas. Findet Fritz, dass Ärgern oder nicht Ärgern eine Frage des Willens ist? Das ist allerdings eine Lebensaufgabe, meldet sich der Clemens da auch zu Wort, der gerade vom Geldverdienen wieder nach Hause gekommen ist (inzwischen vor Stunden, aber wir behalten die Chronologie bei), den Willen so zu beherrschen, dass er so etwas wie Ärgern abwehren kann. Das Beherrschen ist ja selbst beim eigenen Willen immer noch ein Herrschen, weswegen wir sehr schnell diesen Punkt abhaken können. Aber wie die Sache mit der Umdeutung von Ärgern als verlorener Lebenszeit zu? schlicht und einfach? Lebenszeit funktionieren kann, bleibt im Raum. Müssten wir doch die Quadratur des Kreises schaffen, und das Erlebnis "Ärger" mit vollstem Interesse und der Aufmerksamkeit aller Sinne? fast genießerisch? beobachten und eben erleben können. Das ist uns für heute eindeutig zuviel der Aufgaben und wir beschließen die Frage im Kopf zu behalten. Außerdem ist es auch vielleicht gar nicht so wichtig, wie die Antwort lautet, schließlich wird ja eh jeder von uns damit auf seine eigene Weise umgehen müssen, oder so. Der Rest des Tages ist dann dem normalen Tagewerk gewidmet, welches aber mit dem Tag an sich nur marginal etwas zu tun hat, sind wir doch alle auch nächtens fröhlich mit allerlei Dingen beschäftigt. Und genau diese Beschäftigungen sind dann die, zumindest im Moment, wirksamste Lösungen für oben genanntes Problem, denken wir uns vier recht vergnügt am Ende dieses neunten Tages unserer gemeinsamen Tagebuchschreiberei.



 
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