daily satt
- daily wien -Mittwoch, der 10. April 2002
Puuuuh. Was für ein Tag. Um zehn Uhr Besichtigung des Vereinslokals, das
heißt: Um eins vor zehn sausen Clemens und Lisa einen Stock tiefer und
klingeln Carsten aus dem Wachschlaf. Unsere zukünftige Vermieterin aber
wartet noch nicht im Erdgeschoß, dafür logischerweise dann wir. Bibber.
Das Lokal ist wunderbar. "Großer Raum" auf die Gasse mit Schaufenster
und den typischen Wiener Wellblech-Rollläden, unglaublich hohe Räume,
kleines Kammerl mit Herd, Kabinett mit Dusche. Ein riesiger
weißgestrichener Omalackkasten, und der Kloschlüssel fürs Klo am Gang
ist auch da. Ungeachtet dessen, ob wir's auch bezahlen werden können,
sagen wir frischfröhlich zu und schmieden gleich Pläne für die
Verwendung. Dann Einkaufen und wieder mal Kopieren. Der Toner für Lisa
ist heute natürlich nicht eingetroffen. Nun muss die Zeitung aber raus,
weil ja die Werbung für den von Fritz und Ilse so wunderbar in Szene
gesetzten WINNETOU 1 drin ist, der am 26. präsentiert werden soll. Ja,
da spielt Clemens den bösen Santer und Malena Menzel den tugendhaften
Old Shatterhand und Lisa gibt edel blickend den Winnetou. Nach einem
späten Frühstück von Rührei mit Kreuzkümmel, rotem Paprika und was weiß
ich, was, freuen wir uns darauf, Fritz und Ilse am Samstag oder Sonntag
das Lokal zeigen zu dürfen, haben wir doch mithilfe einiger unserer
unnachahmlicher Bitte-bitte-Augenaufschläge den Schlüssel zu behalten
uns ausbedungen. Ja, da werden wir gleich ein paar Bücher unserer
Lieblingeressen ins Schaufenster legen, das wir bisher beinahe nicht
gesehen, nun aber schon herzlich liebgewonnen haben. Schließlich macht
sich Lisa an das Zusammentragen, Heften und Beschneiden der Zeitung.
Niemand von uns weiß eigentlich meistens, wenn so eine Arbeit ansteht
und die erste halbe Stunde damit verbracht worden ist, wieso wir uns
sowas antun. Der Boden ist übersät mit Papier- und Folienstreifen, die
die Schneidevorrichtung ganz munterlichst ausspuckt, wenn sie von Lisa
gewürgt wird. Clemens schreibt inzwischen an seinem sicher genialen
Trio, das ein Saxofon, ein Klavier und ein Schlagzeug im Herbst dazu
animieren soll, mithilfe einiger Verzerrerkistchen böse und charmante
Klänge von sich zu bringen. Und dann telefoniert er sehr, sehr lange mit
dem ganz wunderbaren Komponisten Simeon Pironkoff, der schon wieder
vergisst, dass er auch mal für sich selber was veranstalten könnte. Ja,
manche von uns, sagen Ilse und Lisa oft, haben den Zwang, sozial zu
handeln, was sehr sympathisch ist. Andererseits ist es nicht
sympathisch, zwanghaft sozial denkenden Menschen in den Rücken zu fallen
oder nicht zwanghaft sozial zu sein. Findet ihr, wird der sehr soziale
Fritz vielleicht sagen.? Und noch spät nachts mit Carsten "dem Piraten
vom Unteren Stockwerk" Brüning, der mit uns den Raum gemeinsam mieten
und nutzen will, noch einige Details und Ideen besprochen. So wie wirs
jetzt planen, werden die 36 m2 zu einem multifunktionalen Raum
umgestaltet: als Veranstaltungsraum für Ausstellungen, Lesungen,
Konzerte, als Schau- und Verkaufsraum für unsere .werkschafts?
Erzeugnisse und für die beiden Editionen "das fröhliche Wohnzimmer" von
Ilse und Fritz und "edition ch" von unserer Lisa (unser Clemens besteht
darauf als "bezugsfreigestellter Verlagsbediensteter h.c." genannt,
betitelt und in den Büchern auch als solcher geführt zu werden), als
Werk- und Bastelraum, als Photolabor, und für all das, was uns bis jetzt
noch nicht eingefallen ist, uns aber noch in die Sinne kommen könnte.
Irgendwie ist der Tag so voll gewesen, dass uns weder ein Gedicht, noch
ein Preisrätsel oder sonst was einfallen will. Die Hirnwindungen sind
ein wenig überlastet, denken wir gemeinschaftlich einen einzigen
Gedanken, sind aber gleichzeitig voller Tatendrang. Schließlich ists
doch was Wunderbares und Notwendiges an unseren ausufernden
Mikrostrukturen, versehen mit allerlei Tentakeln in verschiedenste
Richtungen zu basteln, und das Tagebuch ist ja auch so eine, dass wir
satt und zufrieden in Richtung Ruhephase uns bewegen. Doch noch eine
Rätselfrage: was verdient Clemens als Mitarbeiter der "edition ch"?
Fröhliches Denken im Wohnzimmer, hihi, das versteht sich von selbst,
prustet's aus uns hervor.