Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




August 2005
Thomas Vorwerk
für satt.org

Korea - Die Entdeckung eines Kontinents

Vom 8. September bis 16. Oktober gibt es im Berliner Kino Arsenal eine Retrospektive mit koreanischen Filmen. Hier schon mal die Rezensionen zu fünf davon: Address Unknown, Flower Island, The Housemaid, Peppermint Candy und The Power of Kongwan Province. "Smile and say Kimchee!"

Korea
Die Entdeckung eines Kontinents
(8. September - 16. Oktober 2005)

Im Rahmen der diesjährigen Asien-Pazifik-Wochen findet im Kino Arsenal vom 8. September bis 16. Oktober eine Retrospektive mit koreanischen Filmen statt - passend zum Fokus Korea der APW.
Etwa zwei Drittel der im September gezeigten Filme stammen aus den letzten zehn Jahren und stecken ein Spektrum der bekanntesten zeitgenössischen koreanischen Regisseure ab, zum Beispiel mit

  • Song Il-gon (Der Debütfilm Flower Island eröffnet die Retrospektive)
  • Kim Ki-Duk (zuletzt preisgekrönt für Bin-Jip und Samaria, in der Retro laufen The Isle, Address Unknown, Frühling, Sommer, Herbst, Winter … und Frühling)
  • Park Chan-Wook (vor allem bekannt durch Oldboy, in der Retro laufen Joint Security Area, Sympathy for Mr. Vengeance)
  • Hong Sang-soo (2 Filme in der Retro, darunter The Power of Kangwon Province)
  • Hur Jin-ho (Geheimtip, in der Retro läuft der Debütfilm Christmas in August)
  • Kim Dong-won (Der Dokumentarfilm Repatriation wurde gerade beim Sundance Festival ausgezeichnet, der Regisseur wird bei einer der Vorführungen auch anwesend sein)
  • Lee Chang-dong (2 Filme in der Retro, darunter Peppermint Candy)
  • Byung Young-joo (begeisterte 2004 auf der Berlinale mit ihrem Spielfilmdebüt Mil-ae / Ardor, in der Retro läuft ihr Dokumentarfilm Habitual Sadness)
  • Jang Sun-woo (2 Filme in der Retro, darunter Resurrection of the Little Match Girl)
  • Kim Hong-joon (Fünf Episoden seiner sehr persönlichen Betrachtung bestimmter Phänomene des koreanischen Kinos - ein work-in-progress namens My Korean Cinema - wirken innerhalb des Programms wie eine Klammer)

Doch auch aus den 1980ern werden mehrere hierzulande selten vorgeführte Filme gezeigt, und um den zwei großen klassischen Regisseuren des koreanischen Kinos gerecht zu werden, gibt es neben Mandala von Im Kwon-Taek (dem ja auf der diesjährigen Berlinale schon eine ausgiebige Retrospektive gewidmet wurde) auch Kim Ki-youngs Klassiker Hanyo / The Housemaid von 1960 - sicher einer der Höhepunkte der Filmreihe.

Korea - Die Entdeckung eines Kontinents

Flower Island
(Song Il-gon)

Originaltitel: Ggot seom, Südkorea 2001, Buch: Song Il-gon, Kamera: Kim Myong-joon, Schnitt: Moon In-dae, Musik: Noh Young-shim, mit Seo Joo-hee (Ok-nams Frau), Im Yoo-jin (Yoo-jin), Kim Hye-na (Hye-na), Son Byung-ho, 115 Min., Vorführungen am Donnerstag, den 8. September, um 19 Uhr, und am Donnerstag, den 29. September, um 21 Uhr 30

Schon die Auswahl des Eröffnungsfilms der koreanischen Reihe im Arsenal sagt viel über die beschwerliche Reise aus, auf die man die Zuschauer einladen will. Flower Island ist ein Debütfilm und keineswegs für ein verwöhntes Mainstream-Publikum geeignet (nicht einmal ein koreanisches Mainstream-Publikum), denn der Film ist zu jedem Zeitpunkt sperrig, ungelenk und weit davon entfernt, "perfekt" zu sein. Doch auch daraus kann sich eine Faszination entwickeln …

Drei Frauenschicksale werden miteinander verbunden und führen zu einer gemeinsamen Reise zur sagenumworbenen "Blumeninsel", wo das märchenhaft-mythologische Roadmovie sein Ende findet. Da haben wir eine namenlose Frau und Mutter, die sich nur über Mann und Kind definiert, und sich heimlich dafür prostituiert, um ihrer Tochter ein Klavier zu kaufen. Als ihr greiser Freier beim Geschlechtsakt verstirbt und sie sich im Polizeibüro wiederfindet, gibt ihr Mann ihr den Rat, sich erstmal eine Weile lang nicht zu Hause blicken zu lassen. Die Teenagerin Hye-na durchlebt auf einer öffentlichen Toilette eine Geburt und dreht sich danach nicht wieder um. Nachdem sie ihr Kind verlassen hat, will sie ihre Mutter finden, die sie seinerzeit verließ. An dieser Stelle gibt es bereits eine nahezu magische Verbindung zwischen den Frauen, wenn man einen Auftritt der Sängerin und Schauspielerin Yoo-jin sieht, die in nicht geringem Maße an die blutigen Vorgänge auf dem Abort erinnert. Yoo-jin, die ihre Gesangsstimme auf wundersame Weise bekam, nun aber mit "Mundrachenkrebs" für ihre Karrieresucht bestraft wird, weigert sich, ihr Leben durch eine Zungenamputation zu retten, und nachdem zwei der Frauen nach einer eigentümlichen Busfahrt durch den Schnee irren, macht man sich zu dritt zur Blumeninsel auf, wo man alle Qualen und Sorgen vergessen soll.

Der Film selbst funktioniert retrospektiv wie ein Heilungsprozeß, und lauter kleine geheimnisvolle Details wie die drei Blumentöpfe, ein Feuerritual auf dem Bauchnabel, eine Spieluhr oder die Doppelrolle des Darstellers von Ok-nam als schwules Mitglied einer Männerband (zumindest glaube ich das …) wirken noch lange nach dem Film. Ich kenne mich in der koreanischen Mythologie nicht ausreichend aus und erkannte deshalb eher westliche Motive wie die drei Hexen, Orpheus oder die Fähre über den Styx, doch ich bin mir sicher, daß Flower Island nicht nur Mythologien gleich welcher Herkunft widerkäut, sondern sie vielleicht auch selbst erschafft. Und auch wenn es einiges an diesem Film auszusetzen gibt, ist dies doch eine immense Leistung.


The Power of Kangwon Province
(Hong Sang-soo)

Originaltitel: Kangwondo eui him, Südkorea 1998, Buch: Hong Sang-soo, Kamera: Kim Young-cheul, Schnitt: Ham Sung-won, Musik: Won Il, mit Baek Jong-hak, Oh Yoon-hong, Kim Yoo-suk, Chun Jae-hyun, Park Hyun-young, 108 Min., Vorführungen am Samstag, den 17. September, um 21 Uhr 30, und am Montag, den 19. September, um 21 Uhr 15

Hong Sang-soo war in den letzten Jahren mit seinen intellektuellen Filmen (die zudem französische Co-Produktionen sind) ein gerngesehener Gast beim Festival in Cannes. In der Retrospektive laufen seine zwei ersten Filme, Der Tag, an dem ein Schwein in den Brunnen fiel (1996) und The Power of Kangwon Province (1998).

Die Provinz Kangwon ist eine beliebte Urlaubsregion für gestreßte Großstädter aus Seoul. Dazu gehören beispielsweise drei junge Mädchen, Eunkyung, Jisook und Misun, die dort mit einem verheirateten Polizisten einen über den Durst trinken. Jisook, eines der Mädchen, soll nicht nur mal eine Affäre mit einem verheirateten Mann gehabt haben, sie erzählt auch von einem Jungen, der während ihrer Highschool-Zeit in sie verschossen war und der irgendwann aus einem Fenster "fiel", womöglich ein Selbstmordversuch wegen unerwiderter Liebe. Als er später im Krankenhaus erwachte und nach seinem Namen und Telefonnummer gefragt wurde, soll er Jisooks Namen und Nummer angegeben haben. Eine interessante Geschichte, doch als ihre Freundinnen wissen wollen, wie die Geschichte ausging, sagt Jisook, sie habe ihre Schulausbildung beendet, während der junge Mann immer noch im Krankenhaus war, und habe deshalb nicht erfahren, was aus ihm wurde …

Nachdem Jisooks Freundinnen sich in angetrunkenem Zustand bereits zur Unterkunft begeben haben, trinkt sie mit dem jungen Polizisten noch weiter, bis dieser es gerade so eben schafft, das Mädchen aufs (leere) Revier zu bringen, wo er gegenüber der nahezu bewußtlosen etwas -äh- "aufdringlich" wird. Eine spätere Einstellung, bei der Jisook ihr Körpergewicht kontrolliert, impliziert hier einiges und bei einem späteren erneuten Treffen der beiden wiederholt sich sogar fast der Fenstersturz …

Nach etwa 40 Minuten scheint der Film seine bisherigen Hauptfiguren zu "vergessen" und beginnt sozusagen neu. Nun geht es um den jungen Lehrer Cho, der versucht, eine Professorenstelle zu ergattern. Dafür "besticht" er etwa einen Vorgesetzten mit einer teuren Flasche Whiskey und trinkt ohne Murren die bereits schlecht gewordene Cola des geizigen Alten. Doch bevor sich herausstellt, ob aus seinen Aufstiegsplänen etwas wird, unternimmt auch er eine Urlaubsreise nach Kangwon - nicht etwa mit Frau und Kind, sondern mit seinem Studienkollegen, der den Schritt zum Professoren bereits hinter sich hat. Im Zug wiederholt sich eine Szene mit den drei Mädchen, die wir bereits ganz zu Beginn des Films einmal gesehen hatten, und man bekommt einen völlig neuen Einblick in die Chronologie der Geschichte. Auch Cho und sein Freund benutzen den Urlaub für Alkoholexzesse und flüchtige sexuelle Abenteuer, gemäß ihrer Gehaltsklasse (und vielleicht ihrem Geschlecht) besuchen sie jedoch ein Bordell …

Nach und nach fügen sich bei diesem faszinierenden Film Puzzleteile zusammen und dem Zuschauer wird höchste Aufmerksamkeit abgefordert. Tarantino (Pulp Fiction) oder Kieslowski (Trois couleurs) mögen Paten dieses Films gewesen sein, das Ergebnis ist aber ungleich subtiler und ich persönlich habe einige Geheimnisse des Films auch erst in einer Diskussion danach erschlossen. Ein auflösbares Rätsel ist das der Frau, die von einem Felsabsprung stürzt. Ein unauflösbares das vom Fisch im Wald, doch gerade solche metaphysischen Momente machen den Reiz dieses Films aus, es gibt nicht auf jede frage eine Antwort.

Drehbuchautoren nehmen oft ihre plots und zergliedern sie in Häppchen, in Episoden, Hong Sang-soo behauptet, andersrum zu arbeiten und erst aus den Episoden eine Geschichte entstehen zu lassen. Wenn bei diesem Verfahren Filme wie The Power of Kangwon Province entstehen können, kann sein Weg nicht wirklich falsch sein. So gibt es hier viele Episoden, die mit der eigentlichen Handlung nur wenig zu tun haben (etwa der Besuch beim Professor, die Bordellgeschichte) und die bei einem stromlinienförmigen Hollywood-Drehbuch sofort gestrichen worden wären. Doch gerade diese kleinen "Umwege" des Films machen ihn zu einem Ereignis.


Peppermint Candy
(Lee Chang-dong)

Originaltitel: Bakha satang, Südkorea 2000, Buch: Lee Chang-dong, Kamera: Kim Hyung-gu, Schnitt: Park Il-hyun, Musik: Lee Jae-jin, mit Sol Kyung-gu (Youngho), Moon So-ri (Sunim), Kim Yeo-jin (Hongja), 129 Min., Vorführung am Mittwoch, den 21. September, um 21 Uhr

Auch in Lee Chang-dongs Peppermint Candy (vom selben Regisseur läuft in der Retro auch noch Green Fish) wird die Geschichte nicht streng chronologisch erzählt, sondern (und dies vor Memento oder Cinq fois deux) annähernd rückwärts. Der Film beginnt im Frühling 1999 mit dem Kapitel "Outdoor Excursion": Irgendwo in der Natur erwacht ein abgerissen aussehender Typ, der irgendwie nicht zu seinem feinen Anzug passt, insbesondere natürlich auch, weil Anzugträger im Normalfall nicht irgendwo im Gras übernachten. Am Ufer eines Flusses trifft er auf eine Art Betriebsfeier mit Karaoke, bei dem die Beteiligten ihn als "Yongho" wiedererkennen. Doch Yongho hat offenbar ein mentales Problem. Er tanzt wild, singt nicht sehr melodisch ein Lied ("What secrets made you leave me behind?") oder rennt mit voller Geschwindigkeit in seinem Anzug durch den flachen Fluss. Die anderen Feiernden wenden sich von ihm ab, er klettert auf eine von zwei parallelen Eisenbahnbrücke, und bald hört man auch das Zugsignal, er lässt sich jedoch nicht dazu bewegen, herunterzukommen. Glücklicherweise fährt zumindest der erste Zug noch auf den anderen Schienen …

So wie der Film mit der Einstellung eines Tunnels begann, in dem sich die Kamera langsam auf den Ausgang zubewegte, sind auch die einzelnen Kapitel jeweils durch Einstellungen getrennt, die offenbar aus dem Führerhaus einer Lokomotive die Gleise zeigen. Doch waren Eisenbahnschienen als moderne Metapher für das Schicksal schon in Hitchcocks Strangers on the Train ein alter Hut, merkt man hier irgendwann, daß man gar nicht im Führerhaus sitzt, sondern am Ende des Zuges und das Filmmaterial rückwärts gezeigt wird (was man erst anhand zufällig rückwärts durchs Bild fahrenden Autos erkennen kann). Wen mag es da verwundern, daß das zweite Kapitel, "The Camera", drei Tage vor dem ersten Kapitel spielt. Und es beginnt sogar wieder mit der Ausfahrt aus einem (Auto-)Tunnel …

Im Verlauf des Films machen wir so eine Zeitreise durch 20 Jahre, nach 1994, 1987, 1984 und 1980 landen wir schließlich im Jahre 1979, und Peppermint Candy entwickelt seinen vollen Reiz nur, wenn man sich ein wenig in der koreanischen Geschichte auskennt. So sollte man wissen, daß 1979 das Ende einer zwanzigjährigen Diktatur markierte, daß 1980 das berüchtigte Kwangju Massaker stattfand oder in den Achtzigern die Befragungsmethoden südkoreanischer Polizisten mitunter eher unseren Vorurteilen über Nordkorea entsprachen. Festgemacht an dieser Nationalgeschichte erleben wir die persönliche Geschichte von Kim Yongho, der eine Karriere vom Militärdienst über eine Polizistenstelle bis hin zum Börsenmakler und Firmenpräsidenten durchmacht, und dessen große Liebe zum Mädchen Sunim in den zwanzig Jahren des Films immer eine besondere Bedeutung annimmt.

Ähnlich wie bei Ozon oder Nolan wird die Narration durch die Neugier des Zuschauers vorangetrieben. Was hat es mit der geheimnisvollen Sunim und ihren Pfefferminzbonbons auf sich? Warum hat Yongho trotzdem eine andere geheiratet? Warum humpelt er teilweise oder gebärdet sich im ersten (letzten) Kapitel wie ein Wahnsinniger. Ähnlich wie in The Power of Kangwon Province (und vielen anderen koreanischen Filmen) wird auch hier die männliche Hauptfigur nicht eben positiv dargestellt, und wenn während des Films mal im Jahre 1984 angekündigt wird, daß Yongho auch mal beim Militär war und in einer Fabrik arbeitete, stöhnte zumindest ich innerlich auf, wieviele Kapitel wohl noch folgen würden. Doch Peppermint Candy belohnt den Zuschauer für das durchhalten, denn die closure nach (bzw. vor) zwanzig Jahren ist derart gelungen, und die (für mich erst nachträglich erfahrene) Verbindung zur jüngeren koreanischen Geschichte so kunstvoll eingewoben, daß der Film im Nachhinein wie ein Diamant schimmert, auch wenn er beim Betrachten manchmal etwas matt wirkt. Poesie, Romantik, Leidenschaft, Politik, Rache, staatlich verordnete Greuel, Folter, Selbstmord und Pfefferminzbonbons - vielleicht nur die Koreaner beherrschen es derart, Positives und Negatives so zu verbinden, daß man am Ende gerädert, geläutert und gerührt ist und vielleicht noch nicht das Leben an sich, aber zumindest diesen Film als "beautiful" bezeichnet.


The Housemaid
(Kim Ki-young)

Originaltitel: Hanyo, Korea 1960, Buch & Schnitt: Kim Ki-young, Kamera: Kim Tok-chin, Musik: Han Sang-ki, Ausstattung: Park Suk-in, mit Lee Un-shim, Chu Jung-nyo, Kim Chin-kyu, 92 Min., Vorführungen am Donnerstag, den 8. September, 21 Uhr 15, und am Mittwoch, den 21. September, 19 Uhr 30

Neben Im Kwon-taek dürfte Kim Ki-Young der bekannteste klassische koreanische Regisseur sein, man bezeichnet ihn auch gern als den großen Exzentriker. Kurz nach seinem Tod gab es bereits 1998 im Rahmen des Forums des internationalen Films eine kleine Retrospektive zu seinem Werk (am bekanntesten dürfte neben The Housewife wohl The Insect Woman sein), doch mittlerweile scheint es noch schwieriger geworden zu sein, dieser Filme habhaft zu werden, weshalb The Housemaid im Programm der Korea-Reihe leider etwas alleine dasteht.

The Housemaid ist sicher ein Film, dem man die viereinhalb vergangenen Jahrzehnte ansieht. Melodramatisch bis an die Grenzen zur Parodie verbindet er das Motiv der Gefahr gegen die Familie (die natürlich vom sexuell zu aktiven Ehemann ausgeht) mit Horrormomenten, ist also in gewisser Weise ein Vorreiter für amerikanische Filme späteren Datums wie Fatal Attraction, The Stepfather oder The Hand that rocks the Cradle.

Dem Musiklehrer Dong-shik liest in einem Prolog dessen Frau aus der Zeitung vor, daß jemand einen Ehebruch mit einem Hausmädchen begangen hätte. Gemeinsam mit dem Filmtitel baut dies natürlich eine erwartungsvolle Stimmung auf, die noch dadurch verstärkt wird, daß man die zwei Kinder des Paares während des Vorspanns bei einem universell bekanntem Kinderspiel mit sich gegenseitig abzunehmenden Konstruktionen aus einem Faden sieht. Welche Verstrickungen wird wohl dieser Film bringen? Die Vorspanntitel erscheinen in ebenso vermeintlich "blutverschmierten" Schriftzeichen, wie auch die Musik jeder Edgar-Wallace-Verfilmung zu Ehren gereichen würde.

Doch zunächst geschieht in der Fabrik, deren jungen Arbeiterinnen Dong-shik Gesangsunterricht erteilt, etwas harmloseres. Ein junges Mädchen hinterlegt dem attraktiven Lehrer auf seinem Klavier einen Liebesbrief - und Dong-shik begibt sich sofort zur Heimleiterin, denn Liebesbeziehungen zwischen ihm als Lehrer und den Arbeiterinnen sind natürlich verboten. Die junge Frau, von der der Brief stammt, wird ebenfalls zur Heimleiterin beordert und dort heruntergeputzt. Es sei ja eine Schande, einen verheirateten Mann zu lieben (diesen plot twist findet man natürlich auch noch in modernen koreanischen Filmen, wie dem geneigten Leser dieser Rezensionen aufgefallen sein wird). Das weitere Schicksal der jungen Frau führt über eine Kündigung relativ schnörkellos zu deren Beerdigung - hin und wieder soll sie noch den Namen des Lehrers gerufen haben, auf dem jetzt zumindest in den Augen ihrer Kolleginnen eine große Schuld lastet.

Eine dieser Kolleginnen nimmt bei Dong-Shik private Klavierstunden und ist heimlich natürlich auch in den sensiblen Mann verschossen, dessen Hände sie beim Unterricht so oft berühren. Die Familie des Musiklehrers ist gerade in ein größeres Haus umgezogen, das noch umgebaut wird, und so geschieht es, daß die überarbeitete Hausfrau bei der Suche in einem Wandschrank von einer Ratte angesprungen wird. Ihre Reaktion ist vorhersehbar: "Diese Haus ist zu groß, ich brauche ein Hausmädchen." Als der Musiklehrer ausgerechnet das gerade anwesende Fräulein Cho bittet, ein Hausmädchen für die Familie zu finden, fragt er offensichtlich die falsche Person, denn Fräulein Cho hat ihre eigenen Pläne und gibt dem von ihr vermittelten Hausmädchen sogar noch etwas zu ihrem Gehalt dazu …

Das nicht besonders helle Hausmädchen ist aber immerhin unerschrocken im Umgang mit Ratten, und auch, wenn die trainierten Filmnager immer eine Spur zu possierlich aussehen, wird über die verhängnisvolle dritte Tür des Wandschranks, hinter der später auch das Rattengift verwahrt wird, immer wieder eine Spannung aufgebaut, die mit Klassikern des Horrorfilms mithalten kann. Die Gattin träumt vom Todeskampf vergifteter Ratten, der gehbehinderten Tochter wird als Haustier ein Eichhörnchen mit Hamsterrad (sehr subtile Pädagogik: wie der Nager soll die Tochter trainieren …) geschenkt, das das Hausmädchen am liebsten auch gleich vergiften würde. Und spätestens, wenn die Kamera dräuend durch ein Wasserglas blickt, das das unheimliche (aber natürlich auch sexuell verlockende) Hausmädchen die Treppe hinaufträgt, knüpft Kim Ki-young direkt bei Hitchcocks Notorious mit der leuchtenden Milch an.

Obwohl The Housemaid auch heute noch funktioniert, treibt er das heutige Publikum mit seiner Melodramatik und den übertrieben wirkenden Dialogen auch oft zu Lachanfällen - doch diese verstärken den Reiz des Films nur noch. Wenn das Hausmädchen den geliebten Musiklehrer mit einer Nebenbuhlerin vom Balkon aus beobachtet, steht sie dabei natürlich in einem Nichts von Nachthemd im strömenden Regen, an passender Stelle schlägt immer gerade irgendwo der Blitz ein und trotz aller dieser Klischees, die vierzig Jahre später natürlich etwas lächerlich wirken, funktioniert der Film besser als manche zeitgenössische Horrorfilme. Die Szene mit dem Wasserglas stellt alles in den Schatten, was man in A Tale of two Sisters oder anderen "Mädchenhorror"-Filmen nach ostasiatischer Manier zu sehen bekommt, und selbst, wenn man mal wieder in einem Fenster das reflektierte Kamerateam erblickt, verleiht dies diesem Film einen eigentümlichen Charme, der heutzutage vielleicht gar nicht mehr möglich ist …

"Wirst Du mich immer lieben?" fragt der Musiklehrer seine schwangere Gattin. "Ja, mein Schatz!" - "Auch, wenn ein Räuber wäre" - "Klaro." - "Ein Mörder?" - "Sicher, Liebling." - "Auch, wenn ich eine andere Frau geschwängert hätte …?" Erst an dieser Stelle wird die Gattin, die hier sowohl als Objekt der sexuellen Phantasie herhalten muß als auch als Unterdrückerin, hellhörig. Und ähnlich wie Michael Douglas, der erst über seine eigene Schwäche hinauswachsen muss und Verzeihung erbittet, ist auch in den Filmen von Kim Ki-young der Mann oft passiv und von seiner Frau abhängig, was natürlich in einem in den 1960ern noch extrem patriarchen Land wie Korea eine gewagtere Aussage ist als im Weichei-Amerika 30 Jahre später. The Housemaid ist Filmgeschichte, die Spaß macht.


Address Unknown
(Kim Ki-duk)

Originaltitel: Suchwiin bulmyeong, Südkorea 2001, Buch, Art Direction: Kim Ki-duk, Kamera: Suh Jong-min, Schnitt: Hahm Sung-won, Musik: Park Ho-joon, mit Yang Dong-kun (Chang-guk), Kim Young-min (Ji-hum), Ban Min-yung (Eun-ok), Cho Jae-hyun (Dog Eyes“), Pang Eun-jin (Chang-guks Mutter), Myung Kye-nam (Ji-hums Vater), 117 Min., Vorführungen am Donnerstag, den 22. September, und Sonntag, den 25. September, jeweils um 19 Uhr 30

Schon eine dem Film vorangestellte Titelkarte macht klar, daß Regisseur Kim sich nicht erneut den Vorwürfen bei The Isle stellen wollte: „No animal was harmed in any way during the making of this film“. Wenn man dann kurz danach eine junge Frau liebevoll mit ihrem Hund spielen sieht, während ihre Mutter Plüschtiere herstellt, ahnt man schon Schlimmes. Und in der Tat: Address Unknown ist einer jener Filme aus der mittleren Phase von Kims Werk, bei denen es sehr augenfällig ist, was wir in seinen aktuellen Filmen am wenigsten vermissen: Ausführliche Gewaltdarstellungen. Denn auch, wenn Address Unknown im Gegensatz zu anderen Filmen Kims auf ausgefeilte Spezialeffekte verzichtet und immer von den Verletzungen wegschneidet, dürften spätestens bei der Gewaltorgie Shakespeareschen Ausmaßes am Ende des Films einige zartbesaitete Zuschauer überfordert sein.

Da man in Asien Hunde auch mal auf die Speisekarte setzt, beschränken sich die Gewalttaten zunächst noch auf diese. Sie werden u. a. in einen Käfig gesperrt, der auf ein Motorrad montiert wurde, und bevorzugt durch eine Kombination von Erhängen und Erschlagen getötet.

Drei Geschichten werden zunächst in loser Reihenfolge fortgesponnen, bevor sich die Schicksalsfäden der Figuren untrennbar verheddern und oft ein beherztes Durchschnipsen unvermeidbar wird.

Ji-hum ist Angestellter eines Fotostudios, der aber selbst lieber zeichnet. Es ist unübersehbar, dass er sich in Eun-ok verliebt hat, der er mal schüchtern ein sehr gelungenes Porträt übergibt. Sie schaut sich das Bild an, ohrfeigt ihn, und zerreisst es vor seinen Augen. Erst später wird Eun-oks Geheimnis offenbart. Ihre ungewöhnliche Frisur soll ihr missgestaltetes Auge kaschieren, auf dem sie seit einem Vorfall mit der selbstgebastelten Spielzeugpistole ihres Bruders blind ist. Später lässt sie sich mit einem nahe dem Dorf positionierten US-Soldaten ein, der ihr die Operation bezahlen will, wenn sie dafür mit ihm geht. Das Motiv der Augenverletzung kommt im Film noch häufiger vor.

Was aus einer sexuellen Beziehung von US-Soldaten mit koreanischen Frauen entstehen kann, sieht man an Chang-guk, der seinen farbigen Vater nie zu sehen bekommen hat. Chang-guk hilft beim allenfalls halblegalen Hundeschlachter Dog Eyes“ mit, der zu allem Übel auch mit Chang-guks Mutter zusammen ist, was sich zu einem Eifersuchtsdrama zuspielt, bei dem die Frau das doppelte Opfer zu sein scheint. Eine Tätowierung über der Brust von Chang-guks Mutter, die U. S. Army Mom“ lautet, ist diesem, der unter einer unbezähmbaren Wut gegenüber seiner Mischlingsherkunft leidet, ein besonderer Dorn im Auge, und er würde sie wohl am liebsten entfernen – und zwar nicht mithilfe einer umständlichen Schönheitsoperation …

Und dann gibt es noch zwei notgeile koreanische bullies mit Faible für amerikanische girlie magazines, einen vermeintlichen Kriegsheld und seine Bogenschützengruppe und jede Menge Tragödien inklusive eines seltsamen Verkehrsunfalls, einer Vergewaltigung und einer unappetitlichen Schmuggelaktion eines Mordwerkzeuges in ein Gefängnis.

Zwar verbindet Address Unknown wieder in gewohnter Weise Humor, Poesie und Gewalt, doch auch wenn die Low Budget-Lösungen für Drogenhalluzinationen und eingeschränkte Visionen ganz charmant sind, leidet der Film unter einem Drehbuch, das sich nicht recht zu entscheiden weiß zwischen den vielen Handlungsfäden. Besonders peinlich sind die englischen Dialoge der US-Soldaten und das Finale, das sich auch nicht damit herausreden kann, daß der teilweise lächerliche Fatalismus die politische Botschaft und die Hoffnungslosigkeit betonen soll. Einzig die poetic justice der Rache am Hundeschlachter kann trotz ihres mangelnden Realismus überzeugen.