Spider-Man: Homecoming
(Jon Watts)
USA 2017, Buch: Jonathan Goldstein, John Francis Daley, Jon Watts, Christopher Ford, Chris McKenna, Erik Sommers, Kamera: Salvatore Totino, Schnitt: Dan Lebental, Debbie Berman, Music: Michael Giacchino, Kostüme: Louise Frogley, Production Design: Oliver Scholl, mit Tom Holland (Peter Parker / Spider-Man), Jacob Batalon (Ned Leeds), Robert Downey jr. (Tony Stark / Iron Man), Michael Keaton (Adrian Toomes / Vulture), Jon Favreau (Happy Hogan), Laura Harrier (Liz), Marisa Tomei (Aunt May Parker), Tony Revolori (Flash Thompson), Zendaya (Michelle), Donald Glover (Aaron Davis), Tyne Daly (Anne Marie Hoag), Bokeem Woodbine (Herman Schultz, Shocker #2), Logan Marshall-Green (Brice), Michael Chernus (Mason), Martin Starr (Mr. Harrington), Angourie Rice (Betty Brandt), Tiffany Espensen (Cindy), Abraham Attah (Abe), Michael Barbieri (Charles), Kenneth Choi (Principal Morita), Hannibal Buress (Coach Wilson), Chris Evans (Captain Amerika), Gwyneth Paltrow (Pepper Potts), Stan Lee (Old Man in Window), 133 Min., Kinostart: 13. Juli 2017
Der neueste Marvel-Blockbuster wirkt wie eine erstaunlich gütliche Grundlagendiskussion zwischen globalen Konglomeraten und Filmstudios, die als Rechteinhaber einen Kompromiss suchen, der alle Beteiligten (sogar das Publikum) zufrieden stellen kann.
Sony hat seit geraumer Zeit die Rechte an Spider-Man und muss (glaube ich jedenfalls) in einem bestimmten Rhythmus Filme produzieren, um diese nicht zu verlieren. Disney / Marvel indes gefällt es offenbar nicht, dass ausgerechnet der bekannteste und beliebteste Held aus dem Marvel-Universum nicht einfach ins MCU übernommen werden kann. Und so schuf man einen seltsamen Spin-Off, der es einerseits ermöglicht, dass Spider-Man wie in Captain America: Civil War auch mal in den MCU-Filmen auftauchen kann, während Sony mit ein wenig Unterstützung durch einen »väterlichen Freund« sein eigenes Ding anleiern kann.
So absurd das klingen mag: Im Film wird das fast exakt genauso debattiert. Spider-Man wäre gern ein Mitglied der »großen« Avengers, aber Tony Stark (als alter ego Kevin Feiges?) findet, dass der junge Mann noch nicht reif dafür sei, er soll sich erstmal als »friendly neighborhood Spider-Man« in seinem Kiez beweisen. Und zu Beginn des Films wirkt das wie eine frustrierte, demütigende Strafarbeit: Peter / Spidey stellt einen Fahrraddieb, findet aber den Besitzer des Fahrrads nicht - oder erklärt einer alten Dame, an welcher Straße sie wo abbiegen muss.
© 2017 Sony Pictures Releasing GmbH
Dieses vorherrschende Meta-Thema des Films wird diverse Male ins Zentrum gestellt. So verblüfft man das Publikum etwa mit einem sehr ungewohnt wirkenden Vorspanntitel: »A Film by Peter Parker«. Es folgt dann ein teilweise übelst verwackeltes Handy-Video, das Peter bei seiner Kurzvisite an der Seite der Avengers in Berlin schoss. Ein bisschen Background-Handlung über seine Beziehung zu Tony Stark und Happy Hogan, ein wenig Sightseeing und jugendlichen Euphorismus, aber auch die verkürzte Handy-Variante des Showdowns aus Captain America: Civil War. Was impliziert, dass ein Sony-Film halt weitaus einfachere Mittel einsetzt als eine Disney-Marvel-Produktion. Etwas später taucht auch eine Einbrecher-Bande mit billigen Plastik-Masken der Avengers auf, die dieses Prinzip noch mal verdeutlicht. Man darf hierbei aber nicht aus den Augen verlieren, dass Sony selbst (bzw. das halbe Dutzend Drehbuchautoren) sich hier zum unerfahrenen »kleinen Bruder« macht.
Das Ungleichgewicht zwischen den unterschiedlichen Studios spiegelt natürlich auch die Situation eines wissenschaftlichen Nerds unter den jocks und bullies einer Highschool. Die man hier aber entscheidend entschärfte, denn Flash Thompson, eine Figur, die man aus den Comics als herablassenden Quarterback kennt, wird hier vom Latino Tony Revolori (bekannt aus The Grand Budapest Hotel, seine Eltern stammen aus Guatemala) gespielt, der zwar ein Kontrahent Peters ist - aber genau solch ein Nerd wie er. Die beiden fahren sogar zusammen (mit anderen Highschool-Figuren, die im Film eine Rolle spielen) zu einem überregionalen Wissenschaftsquiz. Und nebenbei erklärt man den Spitznamen »Flash« damit, dass er jetzt eben nicht mehr ein herausragend schneller Sportler ist. Sondern jemand, der in der Lage ist, auf Quizfragen schnell zu antworten. Wenn auch nicht immer korrekt.
Doch zurück zur Beziehung zwischen Peter und seinen Mentoren Tony und Happy. Neben der Kategorie des »kleinen Bruders«, der bestimmte Regeln zu befolgen hat, weil er noch nicht volljährig ist (»This is where you zip it. The adult is speaking!«), wird Peter auch noch auf einer anderen, leicht erkennbaren Ebene zum Gespött gemacht, weil er noch sehr jung ist (im Film wird mal erwähnt, dass er vor kurzem 16 wurde, Tom Holland ist mit 21 Jahren zwar jung, aber nicht soo jung). So oder so ist es aber so, dass Peter offenbar noch wenig romantische Erfahrungen gesammelt hat. Und wenn Tony / Happy ihm vermelden »we'll call you«, ist er überglücklich und merkt erst nach zwei Monaten und hunderten unbeantworteter SMSe, dass er jetzt eigentlich eine Standard-Abfuhr erhalten hat.
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Wo es in den anderen Spider-Man-Filmen immer auch um eine Liebesbeziehung ging, spielt hier Peters Schwarm, den er irgendwann auch zum Schulball einlädt, der dann aber etwas anders abläuft, eine ähnlich unerreichbare Rolle wie die Avengers. Liz (Laura Harrier) wirkt zwar durchaus interessiert an Peter (was dieser kaum fassen kann), aber er scheint einfach noch nicht so weit, wie man auch sieht, wenn er sich von seiner Tante (reichlich unterbeschäftigt: Marisa Tomei) Tanzschritte beibringen lässt und weitere Tips bekommt. Liz bleibt auch die Rolle als damsel in distress erspart, die in den letzten Spider-Man-Filmen jedes Mal zu einem taktischen Vorteil der Bösewichte führten. Und dadurch entwickelt sich eine ganz andere (und anders und neu ist in diesem Fall gut) Storydynamik.
Kaum zu übersehen für den Zuschauer ist eine andere Mitschülerin namens Michelle (gespielt von Zendaya, einem durch eine Disney-TV-Serie bekannt gewordenen Tanz- und Musikstar à la Miley Cyrus, Selena Gomez und wie sie alle heißen), die zwar immer im Handlungshintergrund bleibt, aber von der Kamera geliebt wird. Dass auch sie an Peter interessiert ist (der nächste Film kommt ja bald), erkennt man spätestens an solch einem ungefragten Widerspruch: »I'm not obsessed with him. I'm just very observant!«
Die beiden Mädel sind für Peter aber (noch) längst nicht so wichtig wie sein übergewichtiger Nerd-Freund Ned (Jacob Batalon), der ähnlich wie Peters von Stark Industries gefertigtes hochmodernes Spinnenkostüm für einen komplett neuen Spidey sorgen. Uncle Ben und der »With great power ...«-Sermon wurden komplett gestrichen, die origin story (Spinnenbiss) wird nur mal am Rande erwähnt, stattdessen sucht man die Querverbindung zum MCU. Etwa über den Bösewicht Michael Keaton, der hier wieder als Birdman antritt, sich aber Vulture nennt (und manchmal auch wie ein Aasgeier agiert und angreift). Der bastelt nämlich seinen Fluganzug und andere Waffen für seine Schergen aus den außerirdischen Hinterlassenschaften der Chitauri in The Avengers.
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Im Vorfeld hat man sich im Netz ja schon darüber lustig gemacht, wie groß die Rolle von Robert Downey jr. / Tony Stark / Iron Man in Spider-Man: Homecoming wohl sein würde (zu präsent auf einem frühen Plakat). Die Sache ist die: die screen time von Downey jr. ist eher überschaubar, aber es fällt natürlich schon auf, wie man Iron-Man-Regisseur Jon Favreau in seiner Rolle als Happy Hogan einbringt und sich sogar Gwyneth Paltrow für vier oder fünf Sätze ohne eine wirkliche Konsequenz mit unter die Stars des Films drängte. Dann hat man noch die »Mentoren«-Rolle als »väterlicher Freund«, die ich in meinem Text auch ziemlich in den Mittelgrund gestellt habe. Aber der deutlichste Einfluss ist für mich Peters super suit, der zwar einige Staun-Effekte mit sich bringt, aber halt auch die Figur des Spider-Man stark verändert, u.a. seine Abhängigkeit von dieser technologischen Hilfestellung sehr betont. Das ist in meinen Augen nicht die beste Entscheidung aus der Story-Phase.
Dass Petes Kumpel Ned jetzt nicht nur mit ihm zusammen den Todesstern aus Lego bastelt (ist das schon ein Zugeständnis an den Disney-Konzern?), sondern er als veritabler Sidekick von Peters Superhelden-Job erfährt, ist zwar auch keine Bestandteil der Spider-Man-Comics, die ich so gelesen habe, aber eine frische Bereicherung, während die Tricks des Kostüms für mich wirken wie eine Universal-Abkürzung beim Drehbuchschreiben, um die Informationsvergabe oder das sich verändernde Gleichgewicht der Kräfte besser zu kontrollieren. Stattdessen hätte ich mir gewünscht, die Mitschüler à la Harry Potter etwas besser kennen zu lernen, aber man muss so viel erzählen, dass der Film schnell über zwei Stunden geriet, obwohl im Endeffekt gar nicht so viel passiert.
Und damit meine ich keineswegs einen gigantischen Showdown zum Schluss, wie er mittlerweile wohl zum guten Ton gehört. Okay, der fällt diesmal etwas spartanischer aus, aber der ist für den Film als solches auch nicht so wichtig. Im Grunde wird der diesmal vorweggenommen mit der Staten-Island-Fährensequenz, die wohl jedermann an die U-Bahn-Szene bei Raimi erinnern wird. Oder - etwas länger her - an die Stelle, wo Superman ein fehlendes Gleisstück ersetzt. Die Rettung normaler Menschen finde ich tatsächlich etwas interessanter als das Gekloppe zwischen den Superheinis, aber so ein klitzekleines bisschen ansatzweiser Realismus wäre ja auch mal ganz nett. Eine Fähre, die im Grund aufgeschnitten wurde wie ein Hotdog-Brötchen, kann man nicht mit ein wenig web liquid oder einem besseren Lötkolben wieder zusammenflicken. Die geht unter wie ein Stein. Blödeste Szene des Films.
© 2017 Sony Pictures Releasing GmbH
Alles in allem ist das Homecoming Spider-Mans schon ganz gelungen, aber es gab auch vieles, worüber ich mich gewundert habe. Etwa den deutlichen Trend dazu, die handelnden Figuren in riesigen Panoramen fast zu verlieren. Im Kino funktioniert das, aber es wirkt auch ein wenig so, als wolle Sony dafür sorgen, dass mehr Großbildfernseher gekauft werden. Auf meiner alten Gurke jedenfalls würde man da den Spider-Man gar nicht mehr sehen. Von Pads oder Handys gar nicht zu reden.
Sony hat uns übrigens gebeten, nicht über Schlüsselszenen des Films zu sprechen. Also ich habe überhaupt nur einen Schlüssel gesehen, der wechselte auf der Fähre seinen Besitzer. Und über die Szene habe ich ausgiebig erzählt. Und jetzt verrate ich euch noch, was in der post credit sequence passiert, die man wohl auch aus dem MCU gleich mitübernommen hat: Vernünftige Kinozuschauer, die nach dem Film sitzen bleiben und wissen wollen, wer alles zum Film beitrug, werden übelst gedisst. Und damit wird das Grundthema »Sony ist kleiner als Disney« bis zum Schluss beibehalten. Womit auch ich dieses Detail als Schlusspunkt nutze.
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Hier noch eine Kleinigkeit. Tom Holland über Michael Keaton, zitiert aus dem Presseheft: »I've been a huge fan of his ever since Beetlejuice«. Also schon vor Batman!
Korrekt müsste es natürlich heißen »ever since I saw Beetlejuice«, weil Holland erst gut acht Jahre nach dem Kinostart von Beetlejuice auf die Welt kam. Ich achte gern auf solche Details.