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März 2003
Thomas Vorwerk
für satt.org

Oscar
Verleihung
2003

» 2004
» 2002

And the winner is …

Eindrücke von der
75. Oscar-Verleihung



Wie im letzten Jahr berichte ich live von der Oscar-Verleihung, doch leider beginnt diese Übertragung mit einer Panne (zumindest aus meiner Sicht), denn der Event begann nicht nur einen Tag früher, am Sonntag, statt wie sonst am Montag, sondern auch eine Stunde früher: nicht wie sonst um 3 Uhr MEZ, sondern wohl schon um 2 Uhr (so nehme ich jedenfalls an …) Anyway, mein Wecker klingelte um 2 Uhr 45, und um 2 Uhr 53 lief der Fernseher, und vier Visual-Effects-Leute von "Lord of the Rings: The Two Towers" (im folgenden als "LOTR:TTT" abgekürzt) bedanken sich gerade (Später habe ich die Namen ausfindig gemacht: Jim Rygiel, Joe Letteri, Randall William Cook und Alex Funke).

Dann erfahre ich durch die deutsche Kommentatorin, daß "Sen to Chihiro no kamikakushi/Chihiros Reise ins Zauberland" von Hayao Miyazaki den Oscar für den besten Animationsfilm bekam. Immerhin eine positive Überraschung, denn für mich war das ja sogar der beste Film überhaupt im letzten Jahr (und ich freue mich natürlich, daß ich bei meinem privaten Oscar-Tipspiel mit einigen Freunden nicht auf die vermeintliche "Nummer Sicher" gegangen bin und auf "Ice Age" gesetzt habe).

Nach meiner ersten Werbepause vergibt Vorjahressiegerin Jennifer Connelly den Oscar für die beste männliche Nebenrolle an Chris Cooper, den zahnlosen Orchideensammler aus "Adaption". Darauf hatte aus meine Oscar-Tipp-Gruppe nur eine Person gerechnet, womit Kathi Hetzinger (die auch bei "Chihiro" gemeinsam mit drei anderen Optimisten richtig lag) jetzt führt (2 von 2 richtig!), bis ich rausbekomme, wer anderswo für die beste weibliche Nebenrolle ausgezeichnet wurde …

Der Preis für "Art Direction" geht an "Chicago" (John Myhre), was ich an dieser Stelle als eine Vorentscheidung werten würde. Zurück zur weiblichen Nebenrolle: Immerhin wirkt die perfekt geschminkte Queen Latifah mit bei der ersten Song-Performance. Falls sie vor einer knappen Stunde gewonnen haben sollte, hat sie vielleicht nicht ganz so sehr geweint vor Freude. Immer diese blöden Ungewißheiten!

Ein Blick auf www.oscar.com offenbart mir um 3 Uhr 10, daß ich nichts verpasst habe, was ich nicht inzwischen schon herausbekommen habe. Offenbar hat man also zur halben Stunde begonnen …
Vielleicht ein Kompromiß, weil man die Red Carpet-Show wegen des Irak-Kriegs hat ausfallen lassen? Man weiß so wenig … Streng genommen hätte ich aber auch wissen müssen, daß vor der ersten Werbepause immer die männliche (und nicht weibliche) Nebenrolle ausgezeichnet wird.

Bester animierter Kurzfilm wird "The ChubbChubbs!" von Eric Armstong, der auch auf der Berlinale lief. Nicht nur wegen der computeranimierten Micky-Maus, die den Sieger verlauten ließ, hätte ich wahrscheinlich auf "Mike’s New Car", einen (zugegebenermaßen enttäuschenden) "Monsters, Inc."-Nachfolger von den Kollegen bei "Pixar" getippt. Bester "Live Action"-Kurzfilm wird "Der er en yndig mand / This Charming Man" aus Dänemark (Regie: Martin Strange-Hansen and Mie Andreasen).

Ein zweiter Oscar für die Kostüme von "Chicago" (Colleen Atwood). Damit sieht es ganz so aus, als würde "Gangs of New York" überflügelt … Beim "Make-Up" wird "Frida" ausgezeichnet (John Jackson and Beatrice De Alba). Ich denke mir, daß dies ein denkwürdiger Abend für Franziska Rudert wird, eine Bekannte, die vor kurzem noch als Praktikantin die PR-Trommel für "Buena Vista International" (aka "Disney") rührte, die zwar dieses Jahr bei den traditionellen Animationskategorien übergangen wurden, aber mit "Frida" und "Chicago" wohl die richtigen Realfilme im Angebot haben …

Sean Connery vergibt jetzt den Oscar für die beste weibliche Nebenrolle … (Spannung!) Herrje, ausgerechnet Catherine Zeta-Jones! (Meines Erachtens waren drei der anderen vier preiswürdiger, und sogar Kathy Bates hätte ich einen zweiten Oscar eher gegönnt als … but alas, ich will mich nicht grämen …

Gut, alle wichtigen Entscheidungen sind gefallen, der Rest wird laufen wie ein Uhrwerk … (Aber aus meiner Sicht ein grausames …)

Zwischendurch zwei Wissenschafts-Oscars für ein 3-D Animation Software-Package und die Kamera-Manufakteure von Panavision. Renée Zellweger (die immer noch ziemlich seltsam aussieht) vergibt den zweiten Oscar für "Frida", für den besten musikalischen "Score" von Elliot Goldenthal. Nach Standing Ovations präsentiert Julie Andrews eine nette musikalische Clip-Show und zurück zur Werbung. Die deutsche Kommentatorin lässt nicht die Chance vergehen, darauf hinzuweisen, daß "Nirgendwo in Afrika" zu den Mitstreitern um den besten nichtenglischsprachigen Film gehört, der im nächsten Block dran ist. Ziemlich vermessen, wenn man bedenkt, daß mit Aki Kaurismäki und Zhang Yimou auch preiswürdige Regisseure nominiert wurden, und wahrscheinlich sind selbst die mir unbekannten spanischen und niederländischen Beiträge besser … (Spannung, die man beim Lesen dieser Zeilen wohl nur schwer nachvollziehen kann …) And the Oscar goes to … Germany, for "Nowhere in Africa": Keiner zum Abholen gekommen … ob das wohl wieder eine politische Botschaft war? Wenn ja, finde ich das positiver als eine Dankesrede ;-)

Zwischendurch mal wieder ein Oscar (inzwischen der vierte, und der Abend ist noch jung) für "Chicago", diesmal für den Ton (Michael Minkler, Dominick Tavella und David Lee). Julianne Moore, die den Gewinner verlesen durfte, sieht wohl schon ihre Felle schwimmen … Für den Tonschnitt war "Chicago" aber nicht nominiert, und so bekommt "LOTR:TTT" die zweite Statuette (Ethan Van der Ryn & Michael Hopkins). Steve Martin verkneift es sich sogar, das Stotterproblem des einen Gewinners zu kommentieren, ich hingegen bin nicht so politisch korrekt und finde sogar, daß dies eine gelungene Demonstration für "Tonschnitt" ist ;-)

Sowas ähnliches wie Patriotismus kann ich immerhin aufbringen, wenn es um die Oscar-Nominierung für Michael Ballhaus geht. Doch wird er gegen die "Chicago"-Übermacht eine Chance haben? Unzählige Fernsehdarstellerin, die mitwählen dürfen, machen wahrscheinlich lieber zahnmal ein Kreuz bei "Chicago", statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wer der bessere Kameramann war. Und Conrad Hall mit seinem Bonus als kürzlich verstorbener Director of Photography von "Road to Perdition" sollten wir auch nicht vergessen … Aber vorher werden noch die Dokumentarfilme ausgezeichnet: Wenig überraschend darf Michael Moore für "Bowling for Columbine" auf die Bühne und bekommt auch Standing Ovations, zumindest größtenteils, denn der Film ist natürlich nicht ganz so patriotisch, wie man es im Moment in Amerika mag. Und Michael Moore kriegt es auch geschickt hin, seine Bush-Kritik auch auf die Dankesrede auszuweiten. "Schande auf Bush", da buhen einige im Publikum, die Musik wird lauter und beim kurzen Dokumentarfilm "Twin Towers" ist die Stimmung wieder besser. "We’re all New Yorkers". Steve Martin hat dann den Job, Michael Moore auch noch zu verarschen, alle grinsen sich einen, und ich habe nicht übel Lust, als Kommentar den Fernseher auszuschalten und ins Bett zu gehen. Aber zum einen habe ich hier meinen Job zu tun, und zum anderen bin ich viel zu neugierig und aufgewühlt, um jetzt schlafen zu können. Stattdessen an dieser Stelle mein "guter Vorsatz", mir jetzt doch "Bowling for Columbine" anzuschauen, den ich bisher ausgelassen hatte. Conrad L. Hall bekommt posthum noch einen Oscar für "Road to Perdition", was auch irgendwie verschenkt ist, denn bei "American Beauty" (wofür er noch vor kurzem ausgezeichnet wurde) hatte er einen sehr viel beeindruckenderen Job gemacht.

Bei meinem Oscar-Tip-Spiel gibt es momentan zwei "Führende", die allerdings jeweils nur zweimal richtig lagen (bei momentan fünf von zehn geschätzten Kategorien, die bereits hinter uns liegen): Die bereits erwähnte Kathi und "Jump Cut"-Mastermind (und satt.org-Mitarbeiter) Ekkehard Knörer.

Colin Farrell präsentiert als gefährlicher Ire ("Bullseye") den U2-Song "The Hands that built America". Nicht besonders gut (Bonos Gejodel geht mir besonders auf die Eier), im Film "Gangs of New York" bereits ziemlich unpassend und zu diesem Zeitpunkt ohne den Hauch einer Chance, einen Oscar gewinnen zu können, den abgesehen von Conrad Hall, den Kaufman-Brüdern und ganz ganz ganz vielleicht Martin Scorsese dürfte keiner, der gegen Chicago antritt, viel Sonne sehen. Das gilt leider auch für Cutterin Thelma Schoonmaker (dies schrieb ich vor der Entscheidung), die zugunsten von Martin Walsh ("Chicago", what else?) übergangen wird.

Beim Preis für den besten Hauptdarsteller ist glücklicherweise Richard Gere nicht nominiert, wodurch ein wenig Spannung aufkommt. Und Hoffnung auf Qualität, die sich durchsetzt, denn immerhin konkurrieren neben Adrien Brody auch die früheren Gewinner Nicolas Cage, Michael Caine, Daniel Day-Lewis und (last, but by no means least) Jack Nicholson. Aber (keiner meiner Mitratenden hatte damit gerechnet) Adrien Brody wird ausgezeichnet (für "The Pianist") und nimmt sich erstmal die Zeit, Halle Berry ausgiebig zu küssen. "I’d like to thank Roman Polanski for the role of a lifetime." Nachdem seine Zeit bereits abgelaufen war und die Band ihn bereits herauskomplementieren will, bekommt er noch einige Sekunden, die er dann auch noch für ein aktuelles Statement zum Krieg "missbraucht". Doch sein Wunsch für eine "peaceful and swift resolution" rührt das Auditorium zu einer Standing Ovation.

Der Oscar für den besten Song geht dann doch nicht an Chicago, sondern an Eminem für "Lose Yourself" aus "8 Mile". Ein Mitkomponist nimmt den Preis in Empfang, und meine Mit-Tipperin Mélanie Chebance freut sich jetzt wahrscheinlich, denn mit Michael Moore und Eminem wurden ihre zwei Favoriten aus weniger wichtigen Kategorien beide ausgezeichnet.

Peter O’Toole bekommt nach sieben erfolglosen Nominierungen (u. a. für "Lawrence of Arabia") jetzt immerhin einen Ehrenoscar. Wieder mal Standing Ovations. Als nächstes darf Denzel Washington den Oscar für die beste weibliche Hauptrolle verlesen. Sollte hier noch mal eine Überraschung folgen, vielleicht ein dritter Oscar für "Frida", Julianne Moore oder Nicole Kidman, die letztes Jahr mit "Moulin Rouge!" Pech hatte? Tatsächlich geht Renée Zellweger (und damit auch "Chicago") leer aus und Nicole Kidman darf nach ihrer verblüffenden Rolle als Virginia Woolf in "The Hours" auch noch auf der Bühne so tun, als würde sie von den Emotionen übermannt, die richtigen Worte fallen ihr nicht ein und ein paar Tränen kommen dafür. Naja …

Die nächste Präsentatorin Olivia de Haviland, die vor genau 53 Jahren ihren zweiten Oscar für "The Heiress" erhielt, bekommt auch wieder Standing Ovations und 59 oscarprämierte Schauspieler werden auf der Bühne versammelt und einzeln vorgestellt. Darunter auch eine Gewinnerin von 1936. Die mit Abstand langwierigste Aktion zur Feier des 75. Jubiläums.

Als nächstes die Drehbuch-Oscars. Eine weitere Überraschung, die vielleicht noch etwas am Ende des Abends könnte: Ronald Harwood wird für die Adaption von "The Pianist" ausgezeichnet, abermals etwas, womit keiner meiner Tipper gerechnet hatte. Und für das Original-Drehbuch wird Pedro Almodóvar ausgezeichnet. Very nice und Ekkehard und Kathi haben wieder richtig gelegen.

Beim jetzigen Stand der Dinge dürfte nur Roman Polanski beim Regie-Oscar eine Chance gegen "Chicago" haben, und so kommt es dann auch, der dritte Oscar für "The Pianist" und nur durch die Abwesenheit des Gewinners können Standing Ovations verhindert werden. Beim "Besten Film" ist aber wieder alles vorhersehbar und "Chicago" bekommt den sechsten Oscar. Ich könnte jetzt noch eine Zusammenfassung zusammenfaseln, aber ich gehe lieber ins Bett, denn mittlerweile ist es 6 Uhr durch.

Glückwunsch an Ekkehard Knörer, den Gewinner des Oscar-Tipspiels (vier Richtige in zehn Kategorien). Und an Hayao Miyazaki, Pedro Almodóvar, Roman Polanski, Adrien Brody, Nicole Kidman, Chris Cooper und Michael Moore!