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März 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Oscar
Verleihung
2004

» 2003
» 2002

And the winner is …

Bericht von der 76. Verleihung der Academy Awards



Der gewohnte Beitrag über die Oscar-Verleihung fällt diesmal etwas kürzer aus, zum Teil wegen des vollen Terminplans des satt.org-Filmredakteurs Thomas Vorwerk, zum Teil wegen der doch etwas ermüdenden Prozedur des eingestellten Rekords, von der bei Onlinestellen dieses Artikels sicher schon jeder gehört hat.

Der bei Oscar-Übertragungen mittlerweile schon etwas zu routinierte deutsche Fernsehsender Pro7 überzeugte zunächst mit der eigens auf den roten Teppich geschickten Anke Engelke, die durch ihre Berlinale-Erfahrungen einen erfrischenden Umgangston mit den Stars an den Tag legte, sich aber auch nicht scheute, ihre eigenen Faux pas (pardon my french, ich bin mir nicht sicher, wie der Plural lautet) gleich mit zu kommentieren ("Das war wohl die blödeste Frage, die ich stellen konnte … [ …] Diane Keaton friert also nicht, sie hat ja auch Hut und Handschuhe dabei.").

Als man dann ab 1 Uhr 30 MEZ auf ihre amerikanischen Kollegen umschaltete, zeigte nur, daß Routine nicht unbedingt zur Unterhaltung beiträgt. Unsäglich das wahrscheinlich stundenlang geprobte "spontane" Interview mit Ben Stiller und Owen Wilson (die später publicity-mäßig noch eins drauf gaben) oder die Frage nach Ben Kingsleys "Date" - immerhin konterte der Gandhi-Darsteller genial: "Who is my lovely date?!? I married my lovely date - This is Lady Kingsley - this is Alexandra.").

Der einzige Höhepunkt der amerikanischen Einspielungen wurde bis zum Schluß des Countdowns aufbewahrt, als einer der Reporter die 13-jährige für Whale Rider nominierte Keisha Castle-Hughes (die jüngste nominierte Darstellerin aller Zeiten, noch jünger als Tatum O’Neal oder Anna Paquin ihrerzeit) mit ihrem persönlichen Favorit Johnny Depp (in ihren Worten: "a real stud") bekanntmachte …

Billy Crystal ist zurück. Und er feierte seine Rückkehr wie üblich mit einem eigens aufgenommenen Kurzfilm (dem aufzeichnungswürdigen "The Return of the Host", das Crystal unter anderem als Smeagol oder auf dem Rücken der Schildkröte Crush aus Finding Nemo zeigt) und einem musikalischen Medley, das die für den "besten Film" nominierten Streifen vorstellte. Höhepunkte hierbei sicher der in "Sofia" umgetextete Hit aus West Side Story und die favorite things aus The Sound of Music (Crystal entschuldigte sich bereits vorher bei Julie Andrews), die dann natürlich den Lord of the Rings (im folgenden als LOTR abgekürzt) besangen. Ein guter Beginn …

Der erste Oscar ging wie üblich an den Nebendarsteller, wobei sich Tim Robbins mit seiner Rolle in Mystic River durchsetzen konnte. In der vielleicht unvorhersehbarsten Kategorie hätte eigentlich keiner der Nominierten völlig überrascht Ken Watanabe in The Last Samurai, Alec Baldwin in The Cooler, Djimon Hounsou in In America oder Benicio del Toro in 21 Grams waren allesamt auch "möglich"), der erste Oscar gleich für Mystic River gab aber ein wenig die Hoffnung, daß die Academy doch nicht nur mit Teil 3 von LOTR gleich die gesamte Trilogie auszeichnete, wie es sich ja dann in unerwartetem Ausmaß zeigte.

Der zweite Oscar ging dann auch gleich an LOTR: ROTK (oder eigentlich alle drei Teile) für die Art Direction - daß etwa die Hälfte aller Oscars an diesen Film ging, machte die Veranstaltung natürlich etwas zäh, aber es sei Peter Jackson vergönnt, sich fortan mit Titanic und Ben Hur (ebenfalls 11 Oscars) in einem Atemzug nennen zu dürfen.



Findet Nemo (Finding Nemo) (R: Andrew Stanton)
Findet Nemo

Der vielleicht offensichtlichste Oscar (in meinem Tippspiel tippten sieben von sieben Teilnehmer darauf) war Finding Nemo als bester Animationsfilm. In der glücklichen Lage, bereits alle drei Nominierten gesehen zu haben, kann ich diese Wahl durchaus gutheißen, Les triplettes de Belleville ist zwar eine gelungene Hommage an Jacques Tati, aber dem letzten Pixar-Streich kann der Franzose ebensowenig das Wasser reichen wie der demnächst in Deutschland startende Brother Bear (Rezensionen folgen).

Nach dem Kostüm-Oscar für LOTR (Ngila Jackson & Richard Taylor) folgte die beste Nebendarstellerin, mit Renée Zellweger, einem der besten Gründe, sich Cold Mountain anzuschauen, wurde auch hier eine gute (und vorhersehbare) Wahl getroffen. Die nach ihren beiden molligen Rollen bereits wieder heruntergehungerte Zellweger zeigte sich dennoch sichtlich überwältigt und bedankte sich unter anderem auch bei Tom Cruise, dem Hauptdarsteller aus Jerry Maguire, in dem sie damals erstmals auffiel. Die Oscars für Kurzfilme gingen an die Faulkner-Verfilmung Two Soldiers von Aaron Schneider und Andrew J. Sacks sowie den mit Knetgummi animierten australischen Harvie Krumpet von Adam Elliot.

Zwischendurch wurde auch noch der achtzehnmalige Präsentator der Oscar-Verleihung, Bob Hope, geehrt, doch Pro7 verabschiedete sich etwas früh aus dem Kodak Theatre, wodurch die standing ovations für den betagten Komiker allenfalls angedeutet waren. Ich muß mich allerdings auch über die amerikanischen Event-Regisseure beschweren, die beispielsweise bei den vier ausgezeichneten LOTR-Visual Effects-Leuten deren Namen für etwa drei Sekunden einblendeten, so als interessiere das kein Schwein. Zum späteren Recherchieren der Namen fehlte mir leider die Zeit, aber so wie Billy Crystal später immer witzelte, daß inzwischen schon ganz Neuseeland in Dankesreden mehrfach bedacht worden war, müssen die ausgezeichneten Talente sich halt hinter der Ensemble-Auszeichnung verstecken, streng genommen wissen wir doch alle, daß durchschnittliche Academy-Mitglieder eh nicht viel Ahnung von Make-Up oder Sound Mixing (Oscars Nr. 4 & 5 für LOTR) haben. Beim Sound Editing hingegen war LOTR gar nicht nominiert (nur Nemo, der Fluch der Karibik und Master & Commander), und so konnte ein Film ausgezeichnet werden, der nicht aus Neuseeland stammt, sondern nur einen australischen Regisseur und Hauptdarsteller hat …

Der Ehren-Oscar für Blake Edwards (Regisseur von Breakfast at Tiffany’s oder den Pink Panther-Filmen) wurde von Jim Carrey überreicht, durch eine besondere Slapstick-Einlage wird dieser Auftritt wohl noch oft gezeigt werden und auf späteren "Oscar-Highlights"-Zusammenschnitten zu finden sein. Standing Ovations gab es übrigens auch. Statt des üblichen filmischen Nachrufs auf die im Vorjahr verstorbenen Kinohelden gab es diesmal zunächst eine besondere Würdigung der Rekord-Oscar-Gewinnerin Katherine Hepburn (demnächst in der Scorsese-Version des Lebens von Howard Hughes dargestellt von Cate Blanchett …), und kurz darauf eine ähnlich angekündigte Danksagung an Gregory Peck, wobei aber dann doch die Oscar-Version der Todesanzeigen folgte und man Michael Jeter, Leni Riefenstahl oder Jack Elam noch mal in der Schönheit ihrer Jugend sehen konnte …

Nebenbei eingestreut wurden immer mal wieder "kleine" Kategorien wie Dokumentarfilme (Kurzfilm: Chernobyl Heart von Maryann DeLeo; Langfilm: The Fog of War von Errol Morris & Michael Williams), bevor dann wieder das Thema des Abends angespielt wurde, und LOTR nacheinander für Original Score (Altmeister Howard Shore), Schnitt (Jamie Selkirk) und Song (Fran Walsh, Howard Shore, Annie Lennox) ausgezeichnet wurde … da waren es dann schon acht (aus acht) und allenfalls beim adaptierten Drehbuch gab es mit Brian Helgelands Mystic River noch ernstzunehmende Konkurrenz.

Der Oscar für den besten fremdsprachigen Film ging wenig überraschend an Denys Arcands Les invasions barbares, ich bin auch unbesehen davon überzeugt, daß mich der schwedische Beitrag Ondskan (Evil) mehr verzücken wird. Die kanadische Produzentin war sichtlich erbaut darüber, daß LOTR in dieser Kategorie nicht nominiert werden konnte. Als der Kamera-Oscar für Master and Commander an Russell Boyd ging, faxte auch jener Gewinner, er habe einen "australischen Akzent" und man konnte die ganze Veranstaltung nicht mehr richtig ernstnehmen und war schon froh, daß diesmal nicht so überzogen wurde.

Francis und Sofia Coppola überreichten den Oscar für das beste adaptierte Drehbuch an Peter Jackson (der irgendwie sehr ähnlich wie Coppola aussieht) und seine Mitstreiter Fran Walsh und Philippa Boyens, kurz darauf gaben dann Tim Robbins und seine Frau Susan Sarandon Sofia Coppola den Oscar für das beste Original-Drehbuch. Ms Coppola war übrigens die erste aus Amerika stammende Regisseurin, die je für einen Regie-Oscar nominiert worden war, zu diesem Zeitpunkt war aber bereits klar, daß sie mit ihrer Auszeichnung für das Buch von Lost in Translation bereits bestens bedient war (LOTR-Regisseur Peter Jackson freute sich über die zehnte Auszeichnung) und höchstens noch auf Bill Murray hoffen konnte.

Doch zuvor gab es den Oscar für die beste Hauptdarstellerin, wie üblich überreicht vom letztjährigen Gewinner in der andersgeschlechtlichen Kategorie. Adrian Brody, dessen Auftritt letztes Jahr immer noch für Gesprächsstoff und Frotzeleien sorgte, holte genüßlich sein Mundspray hervor, bevor er den Umschlag öffnete, und wurde dann auch von Charlize Theron (Monster), die den Preis ihrem Geburtsland Südafrika widmete, mit einem Kuss bedacht.

Für Pro7-Zuschauer war neben dem LOTR-Thema auch die in nahezu jedem Werbeblock vertretene Reklame für die Seabiscuit-DVD ein Begleiter der Nacht, doch daß dieser Film trotz seiner sieben Nominierungen leer ausgehen würde, stand schon lange fest.

Nicole Kidman durfte dann den letzten noch einigermaßen spannenden Oscar verteilen, für die beste männliche Hauptrolle waren neben Bill Murray mit Jude Law (Cold Mountain), Sean Penn (Mystic River), Ben Kingsley (House of Sand and Fog) und - last, but by no means least - Johnny Depp (Fluch der Karibik) hochkarätige Darsteller im Rennen, aus denen dann Sean Penn als Sieger hervorging, wodurch Mystic River mit seinen zwei Darstellerpreisen immerhin neben Master & Commander (Tonschnitt & Kamera) einen zweiten Platz einnehmen konnte.

Cold Mountain, Monster und Lost in Translation gingen im Gegensatz zu Fluch der Karibik oder City of God wenigstens nicht völlig leer aus, aber der Oscar für den besten Film war dann auch nur noch reine Formsache und das Spektakel endete sogar vor der avisierten Zeit und ich konnte noch ein Stündchen schlafen …

Beim Oscar-Tippspiel gewann übrigens satt.org-Mitarbeiter Andreas Platthaus gemeinsam mit Alexander Herges und je 7 von 11 Kategorien (nicht die elf, in denen LOTR gewann, sondern die elf interessantesten, von denen LOTR "nur" drei für sich entscheiden konnte) richtig geraten. Auf dem dritten Platz mit 6 Richtigen unsere neue Mitarbeiterin Kathi Hetzinger, die als einzige auf Tim Robbins getippt hatte - alle anderen hatten die Hobbits schlichtweg unterschätzt oder auch anderswo daneben gelegen …

Mich eingeschlossen, der ich bis zuletzt an Johnny Depp geglaubt habe.