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27. Juni 2015 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||||
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Originaltitel: The Age of Adaline, USA 2015, Buch: J. Mills Goodloe, Salvador Paskowitz, David Lanzenberg, Schnitt: Melissa Kent, Production Design: Claude Paré, mit Blake Lively (Adaline Bowman), Michael Huisman (Ellis Jones), Harrison Ford (William Jones), Ellen Burstyn (Flemming mit 80), Kathy Baker (Kathy Jones), Cate Richardson (Flemming mit 20), Amanda Crew (Kikki Jones), Anthony Ingruber (junger William Jones), Hugh Ross (Erzähler), Izabel Pearce (Flemming mit 5), Julia Torrance (Flemming mit 13), 113 Min., Kinostart: 9. Juli 2015
Mit der winzigen Ausnahme der Back to the Future-Trilogie (die aber auch nicht richtig in die Schublade passt) wäre es vor – sagen wir mal zwanzig Jahren – noch undenkbar gewesen, so einen echten chick flick mit romantischem Geschmuse à la Nicholas Sparks mit einer Zeitreisegeschichte (ich benutze hier die etwas ausufernde Definition von Wolfgang Jeschke, wonach schon als Zeitreisegeschichte zählt, wenn der normale Lauf der Zeit irgendwie verändert wird) zu kombinieren und damit auch noch Leute ins Kino zu locken. Filme wie Kate and Leopold (2001, mit Meg Ryan und Hugh Jackman!!) oder The Lake House (2006, mit Keanu Reeves und Sandra Bullock) waren erste zaghafte Versuche dieses Subgenres, aber erst mit der Entwicklung, dass auch Frauen waschechte Nerds sein dürfen, Comicläden unsicher machen usw. fasste diese Entwicklung langsam Fuß, gemeinsam mit Zombie-Versionen von Jane Austen, Vampir-Schmachtfetzen und so weiter. Anne Rice hatte einfach Pech, der Zeit voraus zu sein (und ich hätte nie gedacht, dass ich jemals einen so absurden Satz schreiben würde – aber es ist vor allem finanziell gemeint). The Time Traveler's Wife, The Curious Case of Benjamin Button oder About Time sind nur drei Beispiele dafür, dass man mit solchen Prämissen tatsächlich Filme drehen kann, die ernst genommen werden und ihre Kosten wieder einspielen. Und diese Filme (und meine persönliche Vorliebe für Zeitreisegeschichten) waren dann auch der Grund, mir diesen Film anzusehen. Ohne Vertrautheit mit dem Regisseurs und einer eher negativen Einstellung zur Hauptdarstellerin (habe Gossip Girl nie gesehen, aber in Green Lantern oder The Town konnte sie mich wirklich nicht überzeugen).
Einige Aspekte des Films sind auch durchaus interessant. Das Drehbuch spielt auf eine charmante Weise mit der Blödsinnigkeit der eigenen Prämisse. Durch eine Kombination von einem Autounfall in eiskaltes Wasser und einen Blitzschlag wird Titelfigur Adaline im Jahr 1935 in einen Zustand versetzt, in dem sie nicht mehr altert. Eine Erzählerstimme erklärt uns in kurzen, von Technobabble nur so strotzenden Worten, wie die wissenschaftliche Erklärung dazu lautet, die aber erst 100 Jahre später, also 2035 erforscht werden wird. Natürlich ist Adaline zu diesem Zeitpunkt 29, in vielen Hollywood-Filmen und schlechten Romanen das Alter, von dem aus es nur noch bergab geht. Wer (insbesondere als Frau) mit 29 noch nicht den Partner fürs Leben gefunden hat, gilt quasi als »unvermittelbar«, und da ist es ja durchaus von Vorteil, wenn man etwa die nächsten achtzig Jahre in diesem Alter verbleibt. Eigentlich ist Adaline zu diesem Zeitpunkt zwar schon verheiratet und sogar Mutter, aber der Gatte stirbt kurz darauf und die Tochter altert, während die Mutter »feststeckt«, und das bringt durchaus Probleme mit sich (FBI und McCarthy-Behörde sind Adaline auf der Spur). Also erfindet sie sich alle zehn Jahre »neu«, und nur ihre Tochter, die mit der Zeit zur Schwester, Mutter und Großmutter aufsteigt (damit das mit dem Alter funktioniert), weiß Bescheid. Sich einem Mann anzuvertrauen ist für Adaline (oder wie sie aktuell immer gerade heißt) ein großes Risiko und in der kleinen Zeitreise, die wir mit ihr mitmachen, während sie sich bei einer Silvesterparty, kurz vor einem erneuten Identitätswechsel, neu zu verlieben droht, erleben wir, wie sie zwar Männer kennen lernt, aber sich dann im entscheidenden Moment doch abwendet.
Die Story bringt recht früh den bedeutungsschwangeren Satz »This is the first and last chapter of her story«, doch das schicksalsträchtige Detail, dass Adaline an einem Neujahrstag geboren wurde und auch die Gegenwartsschiene des Films quasi mit dem Jahresbeginn einsetzt, lässt uns (neben der Genreeinordnung) einem möglichen Happy-End gegenfiebern. Das güldet zumindest für das Zielpublikum, ich für meinen Fall habe eher gehofft, dass ein narrativer Kreis geschlossen werden kann und die Drehbuchautoren nicht leichtfertig solche »Versprechungen« von sich geben.
Ohne ins Detail gehen zu wollen, steht und fällt die Handlung mit dem kleinen Haken, dass Adalines neuer Verehrer Ellis (Michael Huisman) nicht nur wohlhabend und hartnäckig ist, sondern Adaline beim Treffen mit Ellis' Vater William (Harrison Ford) erkennen muss, dass sie nun von einem Liebschafts-Skelett aus einem vergangenen Jahrzehnt konfrontiert wird und reichlich beschäftigt damit ist, ihr Geheimnis zu wahren und gleichzeitig auch noch die kurz vor dem 40. Hochzeitstag stehende Ehe ihres Freundes retten will – oder sich doch lieber aus dem Staub machen??
Das seltsame an dem Film ist, dass ich mit den etwas strapazierten Zeitreise-Aspekten eigentlich kein größeres Problem hatte (wenn der Film sich selbst nicht bierernst nimmt, warum soll ich mir darüber die Haare raufen?). Es war nur leider so, dass die Knutschi-und-Schmusi-Sequenzen – insbesondere vor dem Auftauchen von Harrison Ford – und die ach so romantische Flirterei und die kleinen Geschenke (statt Mehl wie in Stranger than Fiction gibt es diesmal Bücher mit Blumen im Titel) mich schon etwas strapazierten. Ein bisschen weniger davon und stattdessen tatsächlich ein paar Einblicke in die letzten 80 Jahre von Adalines Leben hätte einiges verbessern können. Stattdessen wird ihre gesammelte Lebensweisheit mit Sherlock-Holmes-Taschenspielertricks, Trivial Pursuit und Sprachkenntnissen vorgeführt. Was mich aber trotz des ganz hübsch gelungenen Filmchens nachwirkend vergrätzte, war das Credo des Films, dass Liebe immer auf den ersten Blick abläuft. Das war dann doch mehr Nicholas-Sparks-Geschmuse, als ich vertrage. Selbst wenn sie daraus nicht alle zehn Jahre die Nummer »eine neue Liebe ist wie ein neues Leben« macht, sondern sich wegen ihres einzigartigen Problems sozusagen »verbietet«, sich zu verlieben (woraus der Film auch wenig macht, weil es nicht zum Thema und der verordneten Stimmung passt).
Außerdem war die letzte Viertelstunde des Films für mich viel zu vorhersehbar. Zwei zentrale Szenen konnte man schon mit ein paar Minuten Vorankündigung kommen sehen – und im Gegensatz zum gelungenen, aber noch mysteriösen Anfang des Films lief der Schluss wie ein reichlich glattes Drehbuchseminar ab – nur dass man dem Film nie zwei Schritte voraus sein sollte – das ist etwas, was die Autoren eigentlich wissen sollten – aber vielleicht hat man auch im Schluss etwas rigoroser geschnitten als in der Anfangsphase, um die Sache zum Ende zu bringen, bevor zwei Stunden um sind.
Deutschland / Polen 2014, Buch: Franz Müller, Kamera: Kawe Vakil, Schnitt: Andreas Menn, Stefan Stabenow, Musik: Tobias Ellenberg, Kostüme: Elena Wegner, mit Eva Löbau (Olga), Samuel Finzi (Georg), Laura Tonke (Meike), Jan[ek] Bielawski (Lukasz), Justyna Bartoszewicz (Justyna), Mirek Balonis (Mirek), Jakub Ehrlich (Kuba), Elena Wegner (Elena), Maciej Sykala (Tadeusz), Malgorzata Hrynaszkiewicz (Lukasz' Mutter), Mariola Kurnicka (Lukasz' Schwester), Fabian Miebach (Fabian), Florian M[ischa] Böder (Carsten), Vivian Mahler (Ingrid), Jutta Riedel (Jutta), 82 Min., Kinostart: 2. Juli 2015
Dilletantismus wird ja selten positiv bewertet, aber selbst daraus lässt sich was machen, wenn man sich voll und ganz dazu bekennt. Das gilt auch für diesen Film, bei dem der vielsagende Titel nicht nur mit krude hingekrakelter Computerschrift mehr schlecht als recht das Plakat verziert, sondern im Vorspann beinahe noch armseliger daherkommt. Doch der Wahnsinn hat Methode, denn die wahnwitzigen und von Minikatastrophen begleiteten Dreharbeiten, die man im Film beobachten kann, sind von der eher spontanen Idee der Filmemacher gar nicht so weit entfernt, und dadurch potenziert sich der Mut der Verzweiflung, mit dem der Regisseur Georg (Samuel Finzi) nach der Absage der Produzentin Ingrid seine Camping-Komödie im Umfeld der Europameisterschaft 2012 in Polen einfach mit einer stetig schrumpfenden Crew weiterdreht.
Es ist durchweg immer so, wenn man einen Film über fiktive Dreharbeiten sieht, dass der »Film-im-Film« unverkennbar handwerklich schlechter dargestellt wird als der »eigentliche« Film. Das ist diesmal anders, denn gnädigerweise sieht man nie Ausschnitte aus jener Komödie, die sich um die »Asi-Familie« des deutschen Nationaltorwart dreht, bei dem die Casting-Auslese auf dem Campingplatz sich fast schon darin erschöpft, welche angesprochenen Urlauber dazu bereit sind, sich ein Schalke-Trikot anzuziehen (an dieser Stelle muss ich immer an den Audiokommentar David Finchers zu Gone Girl denken, der sich bitter über die Unprofessionalität seines Hauptdarstellers beschwert). Diesen Film-im-Film will auch wirklich niemand sehen, es reicht völlig, wenn man miterlebt, wie bei den Dreharbeiten nach und nach Leute aussteigen, eine verschüchterte Dame mit Flüsterstimme sich als Regieassistentin versucht oder der Aushilfs-Kameramann lieber Grundsatzdiskussionen über Zuständigkeitsbereiche anreißt als durch Professionalität und Gehorsam zu retten, was zu retten ist.
Nachdem sich das mit den Camping-Schauspielern als nicht durchführbar erweist, heuert man polnische Darsteller an. Nur zu schade, dass es dabei arge Verständnisprobleme gibt und man irgendwann entschließt, einfach später alles nachzuvertonen. Und zu allem Übel eröffnet Kostümbildnerin Olga (Eva Löbau), die Exfreundin des Regisseurs, diesem nebenbei noch, dass sie von ihm schwanger ist – wofür der aktuell so gar keinen Kopf hat.
An dieser Stelle zeigt sich mal wieder die Klasse von Eva Löbau (Der Wald vor lauter Bäumen), die als vielleicht einzige Figur des Films nicht nur die überforderte Filmemacherin mimt, sondern nebenbei die besorgte Schwangere – und manchmal sogar die erstaunlich gutgelaunte und kommunikative Privatperson, während sie den deutlich jüngeren Lukasz umgarnt. Verglichen damit ist die auch durchaus patente Laura Tonke (Hedi Schneider steckt fest) ganz auf ihre verhinderte Schauspielprimadonna abonniert, was aber immerhin auch unterhaltsam ist. Und wenn sie dabei erklärt, dass sie »berühmt« sei, aber ihr Gesprächspartner ihre Filme vermutlich nicht kennt, denn das seien »anspruchsvolle Filme«, so hat das exakt jene Nähe zur Realität, die dem Film tatsächlich eine eigenartige Authentizität verleiht.
So wie im Film Teile der Filmcrew zusätzliche Aufgaben übernehmen, weil andere das Handtuch geschmissen haben, war das auch bei den Dreharbeiten des eher spontan zustande gekommenen Films. Die Regieassistentin mit der Flüsterstimme ist beispielsweise eigentlich die Kostümfrau und einer der Fußballfans, die sich als Schauspieler versuchen, ist im wahren Leben für den Ton zuständig. Mehrere Polen konnten tatsächlich kein Deutsch (oder Englisch) und das Wetter soll auch übelst nasskalt gewesen sein.
Das kann man alles im Nachhinein im Presseheft nachlesen oder den Stabangaben entnehmen, aber man ahnt es auch ohne Vorwissen, während man Worst Case Scenario anschaut. Weil zum Beispiel mal die Kameralinse verdreckt ist und jeder normale Regisseur diese Szenen neu gedreht hätte. Oder der langsame Zerfall der Dreharbeiten auch im Film deutliche Spuren hinterlässt. Und trotz Nachdrehs in Berlin und drei Cutter, die mit teilweise abgedrehten Ideen (Stichwort Nachvertonung) versucht haben, etwas zu retten, ist letztendlich das Endprodukt dann doch nur so gut wie die Idee des Films.
Und ich ganz persönlich habe auch ein gewisses Problem mit Samuel Finzi (bekannteste Rolle: Kokowääh) und seiner Stimme. Aber das war hier nicht entscheiden, sondern nur noch ein zusätzliches Manko.
Deutschland 2015, Buch: Justus von Dohnányi, Kamera: Ralf Noack, Schnitt: Olivia Retzer, Musik: Marco Dreckkötter, Stefan Will, Production Design: Johannes Fischer, Art Direction: Maxi von Dohnányi, Garderobe: Zoe von Dohnányi, mit Justus von Dohnányi (Ed), Jan Josef Liefers (Mace), Milan Peschel (Mischa), Stefan Kurt (Dr. Jörg Würsch), Anna Loos (Lydia), Maximilian Simonischek (Johann), Angela Winkler (Mutter), Oscar Ortega Sánchez (Polizist), Manfred Lehmann (Erzähler Bruce Willis), 90 Min., Kinostart: 16. Juli 2015
»Das ist Ed. Ed ist heiß, er träumt von seiner Süßen.«
Wer seinen Film mit diesen Worten, gesprochen von der Synchronstimme von Bruce Willis, beginnen lässt und dabei den immer zur peinlichen Selbstdarstellung bereiten Justus von Dohnányi zeigt, der hat vermutlich einen Masterplan.
Und man muss sagen, dass Regisseur und Autor Justus von Dohnányi in seiner zweiten Regiearbeit (nach Bis zum Ellenbogen, der ebenfalls eine schwarze Komödie war) zumindest über die verstrickten Beziehungen zwischen dem guten halben Dutzend Figuren, die sich anfänglich plakativ zum Filmtitel drapieren, einigermaßen lange nachgedacht hat, um jeder Figur eine Motivation zu geben, die dafür sorgt, dass so ziemlich jeder versucht, die anderen zu hintergehen.
Ein bisschen erinnert das an die Prämisse eines Gesellschaftspiels, etwa Cluedo, Junta oder Risiko (»Besetzen sie Australien und Asien«), und daraus könnte man auch sicher einen amüsanten Kinoabend basteln – wenn man sich für die Figuren oder deren Überleben interessieren würde. Von Dohnányi kann diesmal mit ein paar Produktionsgeldern auftrumpfen und hat auch eine illustre Schauspielergarde zusammengesucht – doch von Cormac McCarthy oder den Coen-Brüdern ist Desaster noch weit entfernt. Man erkennt zwar die Ingredenzien, aber erinnert sich nur an die am wenigsten gelungenen Werke (etwa Burn after Reading oder The Counsellor, beide auch nicht eben mit Identifikationsfiguren gesegnet) – und selbst davon ist man noch eine Ecke entfernt. Denn Jan Josef Liefers ist nicht Michael Fassbender oder John Malkovich, Anna Loos ist nicht Frances McDormand oder Penélope Cruz, Milan Peschel ist nicht Jarvier Bardem – und Justus von Dohnányi ist definitiv nicht Brad Pitt oder Bruce Willis.
Und so wird aus dem, was in den Pressematerialien ein »schauspielerischer Schlagabtausch der Extraklasse« genannt wird, ein anfänglich ganz unterhaltsames Spielchen, dass sich dann aber zunehmend in den immer unglaubwürdiger erscheinenden Drehbuchvolten verliert und immer ermüdender wird, wenn man erst einmal begriffen hat, dass das uralte Ladykillers-Prinzip (und ich rede hier nicht von dem Coen-Film!) hier mal wieder bis zum Äußersten durchgezogen wird – man aber den Nachteil hat, dass man weder eine alte Dame hat, um die man sich sorgen kann (Angela Winkler beißt als erste ins Gras – oder besser gesagt in den Sandstrand). Oder der man wünschen würde, dass sie am Schluss den Zaster behalten darf.
Denn die menschliche Anteilnahme ist schon ein wichtiger Punkt in solchen tödlichen Lachnummern (Dietrich Brüggemanns Heil hat ähnliche, aber tiefergehende Probleme), und gerade die Coen-Brüder haben das schon positiv wie negativ bewiesen. Selbst in No Country for Old Men, den ich ganz sicher nicht als schwarze Komödie einstufen würde (auch wenn Elemente vorhanden sind), hat man nicht nur gleich zwei Hauptfiguren, mit denen man mitfiebern kann, sondern anhand der Kelly-MacDonald-Figur auch noch jemanden, bei dem der Tod als Konsequenz einen dann doch mitnimmt / nachdenklich stimmt (ähnlich wie die eine Frau im Auto bei Fargo, deren Gesicht man kaum sieht, die aber dem ganzen zynischen Umgelege eine sehr menschliche Note zufügt). So etwas fehlt in Desaster. Da gibt es diese durchweg unterschiedlich unsympathischen Figuren, die immerhin dezidierte Eigenschaften haben und sich gegenseitig austricksen. Oder teilweise sich auch selbst austricksen (Yachtszene), und man verfolgt das als Zuschauer wie einen »Zehn kleine Afroamerikaner«-Abzählreim. Und wenn man Glück hat, lacht man vielleicht noch beim dritten Blow-Job, den Milan Peschel bekommt oder den komplizierten Situationen, bei denen zwei Alltagsgegenstände in Kombination dann dem einen oder anderen Fiesling Sand ins Getriebe streuen. Da hat selbst Seven Psychopaths, an den der Film stark erinnert, einfach sehr viel mehr Klasse. Und wenn deutsche Regisseure US-amerikanische Erfolgsrezepte 1:1 übernehmen, hat mich das schon bei Knocking on Heaven's Door (1992) ziemlich abgetörnt. Dann lieber etwas, was wie Bis zum Ellenbogen zumindest noch mit der deutschen Realität in Bezug steht. Und nicht Ed und Mace in St. Tropez …
Verleihtitel: Kafkas Der Bau, Deutschland 2014, Buch: Jochen Alexander Freydank, Schnitt: Philipp Schmitt, Kamera: Ego Werdin, Musik: Ingo Ludwig Frenzel, Szenenbild: Tom Hornig, mit Axel Prahl (Franz), Josef Hader (Hausmeister), Devid Striesow (Handwerker), Kristina Klebe (Franz' Frau), Robert Stadlober (Wachmann 1), Fritz Roth (Wachmann 2), Roland Wiesnekker (Nachbar), Erwin Leder (Penner), 114 Min., Kinostart: 9. Juli 2015
In Kinotrailern wird die Welt oft in zwei Kategorien aufgeteilt: Oscargewinner wie Ben Affleck oder Angelina Jolie – und normalsterbliche Minderbegabte wie Alfred Hitchcock, Ernst Lubitsch oder Akira Kurosawa (die seltsame dritte Gruppe der »Oscarnominierten« lasse ich hier mal außer acht). Jochen Alexander Freydank gehört durch seinen Kurzfilm Spielzeugland seit 2009 zu den Oscargewinnern, und in seiner Kurzbiographie scheint er auch Wert auf die Feststellung zu legen, Mitglied der »Academy of Motion Picture Arts and Sciences« zu sein.
Seine persönliche Erfolgsgeschichte ist aber nicht so strahlend wie die einiger Kollegen, denn es folgten vorerst nur Werbeclips, Fernsehfilme und zwei Tatorte. Und seinen ersten Kinofilm musste er mit viel Durchsetzungsvermögen quasi aus dem Boden stampfen.
Aus irgendwelchen Gründen hat er sich dabei für ein etwas seltsames Projekt entschieden: die Verfilmung einer Erzählung von Franz Kafka, die streng genommen noch nicht einmal abgeschlossen war (Max Brod hat hier mal wieder posthum für einen »Abschluss« gesorgt). In dieser Geschichte geht es um die Paranoia eines namenlosen Erzählers, der trotz seines eloquenten Monologs, der sich nahe am stream of conciousness befindet implizit eher ein Waldtier als ein (im Film) Stadtmensch ist, vermutlich so etwas wie ein Dachs, der sich um seinen unterirdischen Bau kümmert, überall (imaginierte?) Feinde erahnt und durch ein mysteriöses Geräusch fast verrückt wird.
Regisseur und Autor Freydank hat zwar viele Sätze von Kafka direkt übernommen und Axel Prahl als »Franz« in den Mund gelegt, aber sein Film ist dann doch eine eher freie Interpretation, die einiges dazuerfindet. Der titelgebende »Bau« (da »Kafkas« weder bei der Titeleinblendung zu Beginn des Films steht noch die Formulierung im Presseheft »nach der gleichnamigen Erzählung von Franz Kafka« die rein marktpolitische Umbenennung in meinen Augen legalisiert, unterschlage ich diese Ergänzung geflissentlich) ist hier ein knallroter Wohnklotz, dessen Inneres sich manchmal nicht recht mit der Außenansicht zu arrangieren scheint (einerseits große Fensterfronten, andererseits nasskalte Betonräume mit sehr hohen Wänden, die Fenster allenfalls erahnen lassen), aber durch cleveren Ausnutzung des Gebäudekomplexes, zeitgemäßen Einsatz von Kameradrohnen, nahezu unsichtbare »Visual Effects« und viel »Stagedressing« zum veritablen Titelhelden wird. Wenn man es nicht anders wissen würde, könnte man annahmen, dass Der Bau eine Abschlussarbeit im exotischen Studienbereich Production Design sein könnte.
Auch wirkt es so, als hätte Freydank einige Semester Germanistik und Medienwissenschaft studiert, aber als Film überzeugt das Werk leider nicht immer. Und auch als literarische Interpretation tut man Kafkas Text nicht unbedingt einen Gefallen, denn mal abgesehen davon, dass sich ein dauerhafter innerer Monolog filmisch schnell zum bebilderten Hörspiel auswächst (interessant finde ich hier, dass Axel Prahl anfänglich noch seine Lippen bewegt, wenn er fast ausschließlich mit sich selbst spricht, das aber irgendwann auch abgestellt wird). Der Bau arbeitet zwar oft mit sehr filmischen Bildern und Ideen, erzählt aber letztendlich eine ganz andere Geschichte als Kafka – und aus heutiger Sicht auch eine weitaus konventionellere.
Der Film beginnt mit fast archäologisch anmutenden Erkundungen einer dunklen überdachten Ruinenlandschaft, in der man im Taschenlampenlicht schnell den Leichnam der Prahl-Figur für Sekundenbruchteile zu sehen glaubt. Dann spingt die Geschichte zwischen mindestens drei Zeitebenen hin und her, von der eine den Einzug von Franz' kleiner Familie in eine Wohnung mit angeblich »tollem Ausblick« umzieht. Damit beginnt der Film auch eine zweite Realitätsebene, denn nach und nach ist man sich gar nicht mehr so sicher, ob Franz sich diese Familie nicht einfach nur zusammenfantasiert hat. Das Verschwimmen von Realität und Fantasie/Halluzination ist der »kafkaeske« Hauptaspekt des Films, der ein wenig an Polanskis Repulsion (dt.: Ekel) erinnert, wo sich die junge Catherine Deneuve in einem ähnlichen »Cocooning« in ihre Wohnung zurückzieht und bei einem zunehmenden Realitätsverlust rigoros gegen »Eindringlinge« vorgeht. Wenn Axel Prahl hier auch einfach ein Sofa über eine Leiche klappen würde, wäre man als Zuschauer auch nicht wirklich überrascht. (Kafka schreibt auch mal von riesigen »Fleischvorräten«, an denen man »ersticken« könnte, was hier auf unschöne Weise durchaus passt, aber für mich eher auf eine politische Interpretation deutet, in der der paranoide Staatsapparat seinen »Bau« mit extremer Brutalität gegen »Eindringlinge« beschützt.)
Im Kafka-Text macht der Erzähler zwar auch klar, dass er das Blut seiner Feinde trinken würde, aber die ganzen illustren Nebenfiguren des Films bleiben in der Erzählung nur sehr vage beispielhafte Bedrohungen, die evtl. auch nur Hirngespinste des Erbauers des Baus sein könnten. Und hier findet man im Film nicht recht die Stelle, die die Grenze zwischen Realität und Vorstellung darstellen könnte. Und wenn sich Franz am Schluss quasi seinem eigenen Spiegelbild als großem Widersacher gegenübersteht, der Film aber in seinen letzten Bildern weitaus versöhnlicher wirkt als zuvor (Vogelgezwitscher und Blumen implizieren geradezu ein Happyend oder einen Neubeginn der gescheiterten Zivilisationsparabel), dann ist das einfach nicht konsequent genug, und selbst, wenn man sich mit dem wiedergekäuten Narrationsbrei (gerade das Zappen durch diverse Zeitebenen ist heute eher kalter Kaffee) abfinden sollte und Prahls Darstellung als theaterhafte Studie durchgehen lässt, hinterlässt das Ganze doch allenfalls einen schalen Nachgeschmack. Und Freydank kann sich nicht damit herausreden, dass er verstarb, bevor das Werk vollendet war und das Fragment eigentlich gar nicht für eine Veröffentlichung gedacht war.
Originaltitel: Femmefille, Deutschland / Frankreich / Italien 2014, Buch, Kamera: Kiki Allgeier, Schnitt: Gesa Marten, Musik: Masami Tomihisa, Andreas Bjørck, mit Isabelle Caro, Christian Caro, Oliviero Toscani, Anne-Marie Caro, 87 Min., Kinostart: 2. Juli 2015
Durch eine spektakuläre Kampagne des für seine Benetton-Skandalfotos bekannten Fotografen Oliviero Toscani wurde die magersüchtige Isabelle Caro 2007 praktisch über Nacht bekannt und gab sich in der Folge viel Mühe, den plötzlichen Ruhm auch für eigene Zwecke zu nutzen. Als sie aus pädagogischen wie marketingtechnischen Gründen bei der französischen Version (»Top Model France«) der Heidi-Klub-Supermodel-Castingshow mitwirkte (wohlgemerkt nicht als Kandidatin, sondern als Jurymitglied), verfolgte sie nicht nur für längere Zeit ein RTL-Kamerateam wie die Hyänen das angeschlagene Gnu, auch die junge amerikanische Filmemacherin Kiki Allgeier wollte einen Kurzfilm über Isabelle realisieren – und es entstand etwas ähnliches wie eine Freundschaft.
Als sie drei Jahre später verstarb und ein selbstaufgenommenes Video-Tagebuch der ins Vertrauen aufgenommenen ehemaligen Begleiterin »vermachte«, entschied sich Allgeier, aus dem nunmehr umfassenden Material einen Langfilm zu machen. Bedingung Isabelles und Prämisse der Regisseurin war aber, die Protagonistin nicht nur auf ihre Krankheit zu reduzieren, was man zumindest beim deutschen Titel »Seht mich verschwinden« (immerhin ein Zitat, das sie in einem Theaterstück intoniert) nicht unbedingt verwirklicht findet.
Das Interessanteste am Film ist auch seine größte Schwäche: Weder ist Isabelle Caro eine verlässliche Quelle noch lassen sich ihre Schilderungen mit dem nach ihrem Tod interviewten Vater ohne weiteres koordinieren. Offensichtliche Widersprüche sind hier aber nicht immer gewollte Lügen, sondern eher falsche Einschätzungen oder gar psychologisch teilweise sogar nachvollziehbare Selbstlügen.
Auf diesem wackligen Fundament torkelt der Film, dessen lange Entstehungszeit schon für sich spricht, narrativ manchmal recht ziellos umher: experimentell wirkende Waldaufnahmen, eine starke Betonung auf die (schon für sich spektakulären) Beerdigungsumstände, fahrige biographische Einblicke, wobei gerade die Beziehung zur Mutter sehr spannend ist – aber man trotzdem nicht so recht weiß, ob man den Videotagebüchern eher glauben soll als der im Film ohne Stimme gebliebenen Mutter. Gerade, weil Isabelle sich schon so einiges zusammenzufantasieren scheint wie einen leiblichen Vater, der berühmter und glamouröser ist als der »richtige«. Oder schon ihre »eigenen« Namen für die Eltern: Josef und Magdalena!
Im Verlauf des Films gibt es auch diverse Auszüge aus Isabelle unvermeidlicher Autobiographie (»Das Mädchen, das nicht erwachsen werden wollte«) und mehrfach wirkt der Film wie das Bonusmaterial zu diesem Buch, das man am besten auch lesen sollte, um dem Geheimnis »zwischen den Zeilen« (oder Filmstreifen) näher zu kommen. Der Film für sich hinterlässt jedenfalls nur ein sehr fragmentarisches unbefriedigendes Bild. Und fast noch schlimmer ist dabei, dass er in einem auch nicht unbedingt den Wunsch aufkommen lässt, mehr über diese teilweise auch etwas nervig erscheinende junge Frau zu erfahren, die in weiser Voraussicht noch die Titel zu ihrer posthumen Filmbiographie selbst niederschrieb und das dann mit ihrer Digitalkamera einfing.
Zur Verteidigung des Films kann ich noch sagen, dass eigentlich ein anderer Film vorgeführt werden sollte (vermutlich wäre ich sonst wegen zu geringem Interesse am Thema gar nicht hingegangen), aber aus meiner persönlichen Sicht ist es leider so, dass weder der Inhalt des Film noch seine Inszenierung mich überzeugt haben. Und bei einer Doku sollte zumindest eines davon »funzen«. Aber immer noch viel spannender als ein überlanger Werbefilm über Dirk Nowitzki.
UK 2014, Buch: Richard Curtis, Lit. Vorlage: Andy Mulligan, »additional material«: Felipe Braga, Kamera: Adriano Goldman, Schnitt: Elliott Graham, Musik: Antonio Pinto, Production Design: Tulé Peak, Art Direction: Pedro Equi, mit Rickson Tevez (Raphael), Gabrielle Weinstein (Rato), Rooney Mara (Olivia), Martin Sheen (Father Julliard), Wagner Moura (José Angelo), Selton Mello (Frederico), André Ramiro (Marco), Maria Eduarda (Pia), José Dumont (Carlos), Daniel Zettel (Carlos's partner), Jesuíta Barbosa (Turk), 114 Min., Kinostart: 18. Juni 2015
Bei diesem Film kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Stephen Daldry, eigentlich ein routinierter britischer Filmemacher (The Hours, The Reader), sich dringend mal wieder den Erfolg an der Kinokasse wünschte, den er einst mit Billy Elliott erlebte. Und dazu besann er sich einerseits auf jugendliche bis kindliche Protagonisten (wie damals) – sowie auf gleich zwei britische Erfolgsgeschichten im Bereich Kino. Denn Trash ist nicht nur eine Art brasilianische Version von Danny Boyles Slumdog Millionaire (zumindest, was die Geschichte um die armen Kinder angeht), sondern als Drehbuchautor verpflichtete er auch noch Richard Curtis – jahrelang ein erfolgsverwöhnter Erzähler konventioneller Geschichten im »frisch« und »neuartig« erscheinenden Gewand (z.B. Four Weddings and a Funeral), und später sogar als Regisseur seiner eigenen Drehbücher sehr erfolgreich (zuletzt mit About Time). Und als letzte Trumpfkarte hat man noch ein politisch brisantes und sehr aktuelles Thema – na gut, das hätte man gehabt, wenn der Film früher gestartet wäre … ich für meinen Fall habe die Pressevorführung im September 2014 gesehen, da sollte der Film noch im November starten, wurde dann jedoch immer weiter nach hinten verschoben (vermutlich, weil der Erfolg in anderen Ländern auf sich warten ließ), und mittlerweile ist der einigermaßen aktuelle Anknüpfungspunkt der Story, für den man der Romanvorlage noch »additional material« hinzufügte, beinahe schon wieder aktuell. Aber eben nur beinahe …
Ich möchte diesen erst spät im Film offenbarten Aspekt nicht unnötig spoilern (auch, wenn diese Überraschung doch nichts mehr retten kann), aber gerade hierzulande wird man bei einer Geschichte, die 2014 in Brasilien spielt, fast zwangsläufig an ein bestimmtes Ereignis denken, das vermutlich in der Romanvorlage noch keine Rolle spielte, dann aber schnell mit eingearbeitet wurde.
Die Story dreht sich um einige Kids, die auf einer Mülldeponie in der Nähe von Rio de Janeiro arbeiten und eine Brieftasche finden, für die sich plötzlich einige gefährliche Gestalten interessieren. Und die Kids ergründen unter Lebensgefahr das »Geheimnis« der Brieftasche, was so funktionieren könnte wie eine härtere und realistischere Version der »drei Fragezeichen«, aber leider in Sachen Logiklöcher und idiotischer Zufälle eher am Da Vinci Code orientiert ist.
Einerseits arbeitet man in diesem Film (bei den Kindern fast zwangsläufig) mit unbekannten (oder in einem Fall einem vor allem in Brasilien bekannten) Darstellern, andererseits musste man wohl irgendwie noch so was wie »Stars« einbauen, wofür man Rooney Mara und Martin Sheen verpflichtete. Die eine hat beim breiten Publikum bisher noch nicht den rechten Star-Appeal, der andere muss es sich inzwischen wohl sagen lassen, dass bereits seine Nachfolgegeneration mittlerweile einigermaßen abgehalftert ist. Somit fragt man sich dann: wieso dann nicht doch unbekannte Darsteller, die sich in die Geschichte einfügen, statt sie auseinanderzureißen?. Nicht nur, weil man die Gesichter kennt, auch, weil sie halt in dieser brasilianischen Geschichte genauso wenig zu tun haben wie Curtis oder Daldry, die einerseits in bunten Farben die Exotik betonen und die Schicksale der Ärmsten der Armen ins Scheinwerferlicht der Unterhaltungsmaschine rücken, dabei aber selbst mit der schon bei Danny Boyle reichlich verunglückten Möchtegern-Authentizität der Geschichte nicht einmal ansatzweise Schritt halten können.
Trash funktioniert leider auf vielen Ebenen nicht, und am frappierendsten ist wohl, dass man sich auch nicht wirklich entscheiden konnte, ob man einen Kinderfilm dreht (der Roman wendete sich dezidiert an ein junges Publikum) oder einen für »Große« (mit Gewalt und Liebe etc.). Und im Endeffekt spricht Trash meines Erachtens dann eben beide Zielgruppen nicht an. Außer vielleicht solche Kinogänger, die hübsche Spielfilmbilder als Ersatz für einen exotischen (und dadurch teuren) Urlaub sehen.
Ende Juli in Cinemania 133:
Fahrstunden fürs Leben (Isabel Coixet), Las insoladas – Sonnenstiche (Gustavo Taretto), Still the Water (Naomi Kawase), The Vatican Tapes (Mark Neveldine).
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