Club Zero
(Jessica Hausner)
Originaltitel: Club Zero, Österreich / Großbritannien / Deutschland / Frankreich / Dänemark / Katar 2023, Buch: Jessica Hausner, Geraldine Bajard, Kamera: Martin Gschlacht, Schnitt: Karina Ressner, Musik: Markus Binder, Kostüme: Tanja Hausner, Szenenbild: Beck Rainford, mit Mia Wasikowska (Frau Novak), Ksenia Devriendt (Elsa), Luke Barker (Fred), Florence Baker (Ragna), Sidse Babett Knudsen (Frau Dorset), Amir El-Masry (Herr Dahl), Elsa Zylberstein (Elsas Mutter), Mathieu Demy (Elsas Vater), Samuel D Anderson (Ben), Gwen Currant (Helen), 110 Min., Kinostart: 28. März 2024
Jessica Hausner und Mia Wasikowska - in meiner persönlichen Wahrnehmung ein deutlich besseres Paar als beispielsweise Steven Spielberg und Tom Hanks (2 von 5 Filmen erfolgreich verpasst) oder Martin Scorsese und Leonardo DiCaprio (seit Gangs of New York hat mich da auch nur noch die Chronistenpflicht hingelockt). Ich will kurz meine Vorgechichte mit den beiden damen schildern, ehe ich auf den Film eingehe.
Die Österreicherin Jessica Hausner ist nicht nur Mitgründerin von coop99 (Filmproduktionsfirma hinter Filmen wie Böse Zellen, Die fetten Jahre sind vorbei, Schläfer, Grbavica, Die Wand oder Toni Erdmann), sondern seit Ende 2000 auch Professorin an der Filmakademie Wien (im Fach Filmregie). Seit Lovely Rita verfolge ich ihre Karriere, bin ein großer Fan von Hotel, aber auch, wenn mich nicht jeder ihrer Filme völlig verzückte (ich bin ein launischer Kerl, spätestens beim vierten Film vom selben Regisseur finde ich immer was zum Rummäkeln), so waren auch Lourdes oder Little Joe sehr interessant, abwechslungsreich, aber auch von einer deutlich erkennbaren Handschrift gezeichnet. Nur Amour fou habe ich irgendwie verpasst, den muss ich aber glaube ich im aktuellen Umfeld von The Zone of Interest (auch mit Friedel und Hüller) und Club Zero unbedingt mal nachholen. Das absurdeste in meiner persönlichen Verbindung zu Jessica Hausner: Ich habe ihre Filme immer nur einmal gesehen, was außergewöhnlich ist, wenn mir etwas gefällt!
© Neue Visionen Filmverleih
Die Australierin Mia Wasikowska gehört zu den wenigen Schauspielern (oder hier Schauspielerinnen), deren Filme ich aktiv suche. Ich bin eher dafür bekannt, dass ich einzelne Darsteller aktiv meide, zum Beispiel Keira Knightley, aber wegen Auftritten von Mia habe ich mir sogar die DVDs von der ersten Staffel In Treatment, John Hillcoats Lawless (Frechheit, dass der hierzulande nicht im Kino lief) oder Richard Ayoades The Double besorgt. Im Kino ist aber immer schöner, und wenn ich ins Presseheft zu Club Zero schaue, fällt mir eher auf, welche tollen Filme das in der (wie üblich verkürzten) Filmographie fehlen: Albert Nobbs, Tracks oder Damsel von den Zellner-Brüdern, ein wenig bekanntes Juwel, dessen Präsentation bei der Berlinale auch dazu führte, dass ich mich bei der PK im selben Raum mit Mia befand, die eben nicht nur einem scheuen Rehlein wie in Jane Eyre Leben einhauchen kann, sondern auch mal widerborstig wie in Stoker auftrat. Wer sich mal anschaut, mit welchen großen Regisseuren sie schon zusammenarbeitete, der wundert sich auch nicht darüber, dass sie im zarten Alter von 24 Jahren auch schon ihre erste Regiearbeit ablieferte, selbst wenn es nur eine Teil des australischen Episodenfilms The Turning war. Hier besteht ein wirkliches Interesse an der Kunstform Film, über das Darstellerische hinaus.
Seit Damsel im Frühjahr 2018 hat sich mein Leben verändert, Brotjob, Corona, Kinokonsum stark runtergefahren, keinen neuen Film mit Mia mehr gesehen. Ich hab mir aber mal für diese Kritik die »verlorenen Jahre« angeschaut, und meine irgendwie noch lückenhaft erscheinende Übersicht zeigt zumindest einen halbjährigen Theaterausflug mit William Goldings Lord of the Flies (in Diversitäts-Zeiten offenbar ein Stoff, der sich nicht nur auf Rollen für Knaben beschränkt), und bei einem Interview hat Mia davon berichtet, dass sie für den Wechsel ins Regiefach einige Zeit aufgebracht hat, wohl auch, um Finanziers für ihre Projekte zu finden. Bei ihrer Rolle in Club Zero dürfte es sich um die erste als »Erzieherin« handeln, also keine Mutterrolle, sondern die einer jungen Lehrerin, die somit also Schutzbefohlene hat. Ich mag mich irren, aber das dürfte Neuland für sie sein (der Wechsel zu Mutter- und Großmutterrollen spielt bei Schauspielerinnen leider immer noch eine große - eher negative - Rolle im Karriereverlauf.
Nach diversen Jahren mit Filmen, in denen sie auch mal »Problemkinder« spielte (In Treatment, Alice in Wonderland nebst Sequel, The Kids are all right, Stoker, vielleicht auch noch Restless) überlässt sie diese Rollen hier jungen KollegInnen, die dabei brillieren, während sich Mia eher etwas zurückzieht. Für eine echte Hauptrolle ist sie hier zu sehr Außenseiterin, die die jungen Leute zwar inspiriert, aber nie selbst so intensiv wie diese für ihre Überzeugungen steht.
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Ein Merkmal bei den Filmen von Jessica Hausner ist eine gewisse Kühle. Die Spielorte und Kostüme sind meist bis ins Detail durchkomponiert, und Gefühle (insofern sie überhaupt eine Rolle spielen) werden entweder von den Figuren unterdrückt oder zumindest nicht offen gezeigt. Das sieht man auch an zwei Stellen von Club Zero sehr gut. Man könnte jetzt darüber sinnieren, ob sowas in der (Film-)Welt von Jessica Hausner generell nichts zu suchen hat, oder ob sie es einfach vorzieht, es nicht zu zeigen (und das Publikum muss selbst entscheiden, ob da weitaus mehr unter der Oberfläche oder hinter der Kulisse brodelt).
Das betrifft übrigens nicht nur »romantische« Gefühle, auch sowas wie Wut, Trauer oder Ekel zeigt sich nur in auf ein Minimum beschränkten Gesten. Leidenschaft und Drama sind einfach nicht der Jessica ihr Ding, sie arbeitet lieber unterschwellig, ein leises Grauen oder eine beißende Satire, die sich langsam wie ein Faultier in Zeitlupe entwickeln, dabei aber noch unaufhaltsamer das Publikum in eine verstörende Hilflosigkeit drängen - Now, that's the Hausner-Methode!!
Die junge Ernährungs-Lehrerin Frau Novak (Mia Wasikowska) ist neu an der Elite-Schule, in einer kleinen Therapiesitzung lernt sie SchülerInnen mit unterschiedlichen Problemen oder Zielen kennen, die sie mit ihren Erfahrungen zu »nutrition skills« und dem »conscious eating« schult. Das klingt zunmächst alles sehr vernünftig, ihr eigener Tee inklusive Konterfei, ihr adrettes Aussehen... glückliche Schüler, »We don't exert pressure«
Doch nach und nach erfahren wir als Publikum mehr über die einzelnen Schüler und deren Hintergründe. Die eine Tochter spiegelt die Magersucht der Tochter und hört dann später ohnmächtig zu, wie diese sich hinter der Badezimmertür erbricht. Der Vater Larry ist etwas aufbrausend, wirkt aber vergleichsweise normal. Aber mit Ansätzen wie »Just spare me the excuses, just eat your meal!« ist keine Verbesserung zu erwarten.
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Ich möchte die einzelnen Jugendlichen nicht im Detail vorstellen, das überlasse ich dem Film selbst, denn Hausner macht das auf eine Art und Weise, die nicht an ein Drehbuchseminar mit feinsäuberlich aufgestellten narrativen Dominosteinen erinnert, sondern sich anfühlt wie eine organisch gewachsene Hecke. Da klafft mal ein Loch, dafür steht anderswo etwas in einem seltsamen Winkel drüber. Dadurch bleibt der Film lange Zeit spannend, liefert aber gleichzeitig äußerst unterschiedliche Arten der Satire, mal beißend, mal subtil, dann wieder etwas traumwandlerisch leicht abseits vom eingeschlagenen Weg... (Notiz an mich selbst: Alter!? Willst Du mit möglichst vielen vermischten Metaphern ins Guinness-Buch? Reiß Dir mal zusammen!)
Club Zero ist ein Film, der keinen ganz kalt lassen wird. Frühere Hausner-Filme haben selten das ganze Publikum gefesselt, weil die Regisseurin auch nicht jeden aus dem Platzregen ins Kino geflüchtenden Dummbatz willkommen heißt. Aber diesmal legt sie es darauf an, zu polarisieren. Das Thema Ernährung erhitzt halt die Gemüter, und wenn man es noch mit Erziehung kombiniert, wird es nur noch explosiver. Zu Beginn des Films gibt es eine Trigger-Warnung, die ich hier (nicht vollständig mitgeschrieben) wiedergeben möchte, weil sie einem, wenn man schon das Ticket gekauft hat, nicht so richtig hilft:
»[...] scenes of behaviour control and eating disorders that may be stressing to some.«
Eine Szene, die wohl besonders nach dieser Warnung verlangte, brachte dann auch beim hartgesottenen Kritikerpublikum hörbare Reaktionen, ich persönlich kann mich von solchen Inhalten distanzieren (und es hilft auch, wenn man die kleinen Tricks beim Filmemachen gut kennt), aber ich würde jetzt auch nicht bis aufs Messer verteidigen, dass der Film ohne diese Szene etwas wichtiges »verloren« hätte. Wie eine Klammer gibt es dann im Abspann auch einen Hinweis, dass die jungen Darsteller während der Dreharbeiten keinerlei Diät folgen mussten, Make-Up oder Kostüme, die man bei späteren Szenen vielleicht etwas größer geschneidert hat, täuschen hier etwas vor (wobei mich das Make-Up nicht wirklich überzeugt hat, aber damit habe ich generell Probleme, denn Make-Up macht für mich fast nur Sinn, wenn man nicht merkt, dass es Make-Up ist. Ähnlich wie bei Spezialeffekten: die besten sind die, wo gar keiner merkt, dass es Spezialeffekte sind. Und in Club Zero gab es vielleicht auch solche Make-Up-Szenen, aber mir sind nur die aufgefallen, bei denen man halt etwas dick aufgetragen hat...
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Hinweis: Ich habe schon wieder viel drauflos gelabert und arbeite jetzt meine mitgeschriebenen Notizen nur insofern ab, dass ich schauen will, dass ich nichts wichtiges vergessen habe. Da stoße ich auf den Satz »Miss Novak pronounces everything very carefully.« Das ist auch so ein Merkmal von Jessica-Hausner-Filmen, das vielleicht einige Zuschauer abtörnt, weil es sie an didaktisch abgestimmte Schiller-Aufführungen oder sowas erinnert. Mir ist es nur bei Mia Wasikowska etwas aufgestoßen (Sorry, kleines ABC der Filmkritik: thematisch passende Vokabeln im anderen Zusammenhang einstreuen), vermutlich weil diese beherrschte Aussprache mir das Gefühl gab, etwas von ihrer Darstellungskunst ginge verloren.
Ich erwähne ja gern, dass ich es liebe zu lachen, und ein vielleicht ungewollter Gag war, dass in der Eliteschule, in der der Film spielt, große Banner hängen, die irgendwas (die ganze Schule? nur Teile?) als »Talent Campus« bezeichnen. Das ist ja auch eine langjährige kreative Rubrik bei der Berlinale (wo man auch oft Jahre später süffisant von »ehemaligen Talenten« spricht, hihi!). Ob Frau Hausner dazu eine bestimmte Beziehung hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich würde es aber sicher nicht ausschließen!
Frau Hausners Entscheidungen den Schluss des Films betreffend unterstütze ich (sorry, das nennt man eine no-spoiler-policy), aber die bereits angesprochene Ausblendung von romantischen Gefühlen hätte ich nicht vorgenommen...