Schon am zweiten Tag der Regelbruch - aber ich habe, da das Alphabet zu kurz geraten ist, ja ein paar Joker - : keine Berliner Straße, stattdessen: die Flucht ins Umland. Erst mit dem Rad in den Zug. Dann mit dem Rad durch die Gegend. Fürstenwalde, damit verband ich bisher wenig mehr als rechte Gewalt - und eine Ausstellung neuerer amerikanischer Druckgrafiken im Rathaus (auch was von Art Spiegelman war dabei, mehr weiß ich nicht mehr), die ich einst während eines Praktikums vor langer Zeit mitbetreut habe. Jetzt hab ich wieder was gelernt: die Stadt hat einen Dom, nicht sehr groß, aber sehr tapfer, in seiner 800 Jahre langen Geschichte mehrmals mit großer Gründlichkeit zerstört, immer wieder aufgebaut, zuletzt 1995 fertig geworden. Einmal fiel auch der Turm runter, der Alte Fritz ließ ihn, wofür man heute noch per Tafel dankt, wieder draufsetzen.
Eigentlich aber sind wir unterwegs nach Storkow, eher eine graue Maus unter den Städten Brandenburgs, aber eine sehr sympathische. Seen drumrum, ein Marktplatz, auf dem gerade der Tanz in den Mai vorbereitet wird. Das Interior Design des ansässigen Cafés hat seltsam römische Ambitionen, an der Wand lehnen die scheußlichsten Gemälde, die ich seit langem gesehen habe, ich hoffe nur, die haben sie gerade abgehängt und planen nicht, sie arg unschön ins Römische platzen zu lassen. Im Radio läuft "Juliet" von Robin Gibb. Im Zeitschriftenladen, interior design: Diddl, gibt es, gewellt und leicht vergilbt, Postkarten von anno sozialismusmals, drauf steht, ganz stolz, Farbphotos, ein anderes Motiv ist allerdings Schwarzweiß. Und der alte Preis steht auch drauf: 0,20 M. Jetzt 0,10 , die Wechselfälle der Geschichte stellen hier keinen vor Umrechnungsprobleme. Ein Schnäppchen, wir haben gleich drei gekauft.
Ansonsten bietet Storkow: einen Sowjetsoldatenfriedhof, der sehr gut in Schuss wirkt, ein von großen unkrautbewachsenen Flächen durchzogenes neues Gewerbegebiet, das man Neu-Boston getauft hat (was gar nichts ist, gleich nebenan liegt ein Ort mit dem schönen Namen Philadelphia), um Storkow herum eine ganze Reihe von nicht zu überriechenden Hühner-KZs, dass sich einem das Frühstücksei im Magen umdreht, eine ganz neue Zugbrücke über einen kleinen Kanal, der wohl zwei der Seen ortsdurchschneidend miteinander verbindet. Dann Frau Filor, deren pfälzisches Gemüt nicht jedermanns Sache sein dürfte, aber man wohnt gut und günstig am Uferrand - und das allerbeste ist das aus Berlin hierherverschlagene Restaurant "Alte Schule" im Nachbardorf Reichenwalde. Von diesen Genüssen aber schweige ich, eine Restaurantkritikkolumne ist das hier schließlich nicht.
Morgen: B wie Butterblumensteig in Hellersdorf
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