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- daily knörer -
4. Tag: Cyclopstraße (Reinickendorf)
Besichtigung: Freitag, 3.5., von 15 Uhr 5 bis 16 Uhr 10
Reinickendorf war, neben Spandau, der einzige Bezirk, der sich bei der kürzlich stattgefundenen Reform mit keinem andern zusammentun musste. Vielleicht ein typischer Fall von West-Berliner Borniertheit, jedenfalls kommuniziert die Cyclopstraße ganz deutlich das eine: dass sie mit niemandem was zu tun haben will. Rechter Hand, von der S-Bahn aus, verstecken sich hinter Hecken, mit dem Rücken an der Wand des Bahndamms, Laubenpieperhütten und mehr noch als laubenpieperüblich, scheint mir, wird der Vorübergehende aus feindseligen Augenwinkeln betrachtet. Linker Hand erst große, anonyme Schulgebäude (darunter eine "Fachschule für Familienpflege", was das wohl ist), dann mindestens genauso anonyme neue Mietskasernen, die einem doch allen Ernstes den Zutritt selbst zum Garagenhof untersagen wollen: alles privat, Betreten verboten. Unterbrochen wird die Freudlosigkeit durch grün überwucherte, querende Bahngleise (natürlich: Zutritt nach rechts und links verboten) und ein freies Feld mit Trampelpfad und fünf großen Bäumen, die vielleicht Pappeln sind. Insgesamt macht die Cyclopstraße jedenfalls richtig schlechte Laune.
An ihrem Ende aber wird's interessant, wenngleich nicht weniger trostlos. Man stößt nämlich unversehens auf eine als solche ausgewiesene Privatstraße mit dem blauen Straßennamenschild Avenue Charles de Gaulle. Dazu eine Tafel: Cité Foch, auf älteren Hinweisschildern Beschriftungen in deutsch und französisch. Im Zentrum dieser Cité ein unendlich deprimierendes kleines Einkaufszentrum (famila & aldi), dessen sagenhaft hässlich gelbweiß gesprenkelte Linoleumböden gewiss schon in den 80ern mit Füßen getreten wurden - gegenüber ein rostiger Neubau-Campanile, Kirche kann ich gar keine entdecken. Daran schließt sich ein mit Stacheldraht abgesperrtes Gelände an, darin sitzt ein undefinierbares Ungetüm in Orange und Weiß, Wasserturm, Funkanlage, es lässt sich nicht sagen. Darum herum, durchnummeriert, Pavillons und ein größere Verwaltungsgebäude, alles macht einen verlassenen, vor sich hin rottenden Eindruck. Soviel immerhin habe ich herausgefunden: im Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände als Ausbildungslazarett für die Wehrmacht erbaut, nach dem Krieg von den Franzosen - für ebenfalls militär-medizinische Zwecke übernommen. Irgendwann in den 90ern haben sich die Franzosen davongemacht, der Status des Geländes (das jedenfalls wohl nicht der Stadt Berlin gehört) ist so kompliziert, dass man sich jahrelang nicht einigen konnte, wie man es juristisch hinkriegt, eine Buslinie da durch zu führen. Tatsächlich mussten die Cité-Foch-Bewohner (Foch war übrigens ein Marschall im Ersten Weltkrieg, Unterzeichner des Friedensvertrags von Versailles, seiner war der berühmte Waggon im Wald von Compiègnes) währenddessen bescheuerte Umwege laufen. Heute fährt der Bus. Man sollte ihn zur Flucht nutzen, eine seltsam gespenstische Stimmung herrscht hier.