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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Februar 2006
Christina Mohr
für satt.org


DJ Kicks:
The Exclusives

!K7 2006
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Vampyros Lesbos
Crippled dick hot wax! 2006
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Telex:
How Do You Dance?

Labels/EMI 2006
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Stereo Total:
Discothèque

Disko B 2006
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Wohnzimmerclub
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I don't like to smoke, I don't like the stroboscobe
I don't like pills, I don't like coke
I don't like the pretty folks
Don't like your music, you people make me sick
Everybody in the Discotheque (I hate!)

(Stereo Total)


Wohnzimmerclub
– Part One –

Der Wohnzimmerclub öffnet seine Pforten! Ab jetzt stellt satt.org in unregelmäßiger Reihenfolge Platten vor, die sich vor allem zu einem eignen: zum Tanzen. Das kann man ja auch zu Hause tun, gern allein, aber am Besten in Gesellschaft, die handverlesen sein sollte. Denn jedes der hier ausgesuchten Alben ist eine Besonderheit für sich, die man nicht mit jedem x-beliebigen Hinz oder Kunz teilen sollte. Sondern nur mit Leuten, die man ohne Bedenken in sein Wohnzimmer einlädt – los geht's:

Cover

Zum stilvollen Einstieg und lockeren Eingrooven eignet sich der DJ-Kicks-Sampler The Exclusives vortrefflich. Bei The Exclusives handelt es sich um eine Art Jubiläumsalbum: die DJ-Kicks-Reihe besteht seit zehn Jahren, diese CD ist die 25. Veröffentlichung, auf der die Crème de la Crème gepflegter Plattenauflegerei versammelt ist.
Mit Kruder & Dorfmeister, DJ Cam und Terranova wird das Album sanft eingeleitet, erste Drinks werden gereicht, Zigaretten geteilt. Die perlenden Tracks von Kid Loco und dem Trüby Trio klingen wie musikgewordene Highballs, doch noch ist alles relaxed und soft.
Ab der Samplermitte geht es dann etwas knackiger zur Sache; die federnden Keyboardsounds von Track Nr. 8 erkennt man gleich, aber es ist nicht das Original: Playgroup covern und mixen Depeche Modes Behind the Wheel, und mit Tigas Hot in Herre sollten sich die ersten Hüftschwünge gen Tanzboden richten. Wer bei Chicken Lips‘ Bad Skin noch sitzt, hatte vielleicht von Anfang an etwas anderes vor als Tanzen …
[Tracklist] Kruder & Dorfmeister: Black Baby · DJ Cam: Bronx Theme · Terranova: Contact · Thievery Corporation: It Takes A Thief · Kid Loco: Flyin‘ on 747 · Trüby Trio: High Jazz · Vikter Duplaix: Sensuality · Playgroup: Behind the Wheel · Tiga: Hot In Herre · Chicken Lips: Bad Skin · Erlend Oye: The Black Keys Work · The Glimmers: Cassette · Annie: The Wedding · Carl Craig: DJ-Kicks (Bonus Track)

Cover

Für diejenigen, die sich ins Séparée zurückziehen wollen, ist Vampyros Lesbos Sexadelic Dance Party die erste Wahl. Vampyros Lesbos ist ein exotisch-surrealer Softporno des spanischen Regisseurs Jess Franco, der ab Mitte der sechziger Jahre in 160 Filmen seine voyeuristischen Vorlieben auslebte. Seiner Muse und Lieblingsdarstellerin Soledad Miranda ist die CD gewidmet, Miranda ist auch das Covergirl des Albums. Manfred Hübler und Siegfried Schwab komponierten 1969/’70 die Musik zu Francos Filmen und sorgten so für die besonderen Momente. Für …Sexadelic Dance Party wurden die besten Titel der schwer aufzutreibenden Original-Soundtracks zusammengestellt und digital aufpoliert.
Als das Label Crippled Dick Hot Wax! 1995 zum ersten Mal Franco-Filmmusik unter dem Titel Vampyros Lesbos veröffentlichte, trafen die Macher – inmitten des Easy-Listening-Hypes – voll ins Schwarze. Überall fanden Vampyros-Lesbos-Parties statt, auch wenn fast niemand die betreffenden Filme kannte. Wer mag, kann natürlich auch noch heute Lavalampen aufstellen und den Boden mit Flokatis auslegen. Aber die musikalische Mischung der Sexadelic Dance Party dürfte ausreichen, um die richtige sexy-sleazy Stimmung zu erzeugen: wilde 60's-Beatgitarren, Rotlichtswing, geschickt platziertes Stöhnen, kombiniert mit interessanter Instrumentierung (satte Bläser, Mandoline, Sitar, typische Hammondorgel-Orgien), basierend auf jazzig-funkigen Rhythmen ergeben mehr als bloße Soundtapeten. Die Hübler/Schwab-Kompositonen sind in ihrer Eigenständigkeit vergleichbar mit der Edgar-Wallace-Musik von Peter Thomas; und falls kein Franco-Werk aufzutreiben ist, kann man sich zu den Vampyros-Lesbos-Klängen seinen ganz privaten Film erfinden. Dem Digipak liegt übrigens ein sehr informatives Booklet bei (mit ein paar Filmbildern!).

Cover

Ich muß gestehen, noch nie etwas von Telex gehört zu haben, obwohl sie doch so anscheinend so bedeutend sind und außerdem schon 1978 gegründet wurden (!). Es sei denn, diese Geschichte ist ein geschickt platzierter Fake, dann bin ich voll auf den Leim gegangen. Aber nehmen wir mal an, es stimmt alles und die Band hat tatsächlich zwei Millionen Platten verkauft und mit Moscow Diskow einen großen Dancehit gehabt, dann kommen Telex aus Belgien, und drei Menschen (?) namens Marc Moulin, Michel Moers und Dan Lacksman stecken hinter dem Projekt. Ganz egal, wer diese Musik nun fabriziert, sie macht sehr großen Spaß und dürfte auch Computernerds zum Fußwippen animieren. Auf How Do You Dance befinden sich einige Coverversionen, zum Beispiel von On the Road Again oder Jailhouse Rock und man sollte an den Originalen nicht allzu sehr hängen. Telex nehmen sich die Songs liebevoll-dekonstruierend zur Brust und die Ergebnisse der Behandlung sind weniger Rock'n'Roll als reagenzglasgezeugte Mutanten, die sich so anhören, als hätten sich Daft Punk, Devo, die Pet Shop Boys, Yello und Kraftwerk in Conny Planks Studio eingeschlossen, um European-Songcontest-Muzak einzuspielen. Auch die eigenen Telex-Stücke überzeugen im Handstreich: der Titelsong zum Beispiel besteht aus einem trockenen Klopfrhythmus, der Text beschränkt sich aufs Einzählen und Tanzanweisungen à la "To the left – and to the right", Dancefloor-Basics, sozusagen. La Bamba, dieses scheintote Traditional, wird von Telex freundlicherweise bis zur Unkenntlichkeit verfremdet. Wer bei dieser Version das Original heraushört, bekommt die goldene Discokugel am Bande verliehen!

Cover

Telex haben auch angeblich in den achtziger Jahren das Remixalbum erfunden, was eine perfekte Überleitung zu Discotheque, dem längst fälligen – ja! – Remixalbum von Stereo Total ergibt. Einige Stücke ihres letzten Albums Do the Bambi wurden hier durch den Mixer gejagt, aber auch Songs von Brezel Görings Nebenprojekt Barom One. Die Platte unterstreicht eindrucksvoll das glamouröse und natürlich tanzbare Potenzial der Cactus-Göring-Kompositionen:
Motor Mark und Echokrank widmen sich Everybody in the Discotheque (I hate), wobei Echokranks Mix spektakulärer ist und sich weniger nah ans Original hält. Thieves Like Us sorgen für eine hypnotische Version von Chelsea Girls, die mich ein bißchen an die Maxiversion von I Feel Love von Bronski Beat und Marc Almond erinnert (letztes Jahrhundert). Besonders beliebt bei den Remixern ist Das erste Mal, sowohl Justus Köhncke als auch Vredus bearbeiten dieses Stück, die eigentliche Herausforderung stellen die vier (!) Mad-Professor-Dubversionen von Das erste Mal dar: spätestens jetzt sollten beruhigende Substanzen gereicht werden. Die Gäste können chillen und die Party darf langsam ausklingen … bis zum nächsten Mal!