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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




August 2007
Christina Mohr
für satt.org


Wohnzimmerclub
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Wohnzimmerclub
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Der Herbst wirft seine langen Schatten voraus – wie schön! Dementsprechend sind die im Folgenden vorgestellten Klangfarben mal umbra bis burgunderrot (Swayzak, Cepia), zuweilen auch noch grell und knallig (Shir Khan). Ist eben eine unentschlossene Zeit jetzt, in der man an manchen Tagen den Wollpullover zu Flip-Flops kombiniert. Und Drinnen wird das neue Draussen, glaubt mir!


Swayzak, Some Other Country

» www.swayzak.com
» myspace.com/swayzak

Swayzak live:
24.8. Berlin, Watergate
25.8. Essen, Loveparade
24.11. Berlin, Panoramabar

Swayzak:
Some Other Country
(!K7)

Drei Jahre sind seit der letzten Swayzak-Platte „Loops from the Bergerie“ vergangen – das britische Elektronikduo, bestehend aus James Taylor und David „Brun“ Brown, neigt nicht zu übertriebenem Output: die neue Platte „Some Other Country“ ist erst die fünfte Veröffentlichung in zehn Jahren Bandgeschichte. 2006 erschien das opulente 2-CD-Remixalbum „Route de la Slack“, bevor sich James Taylor in den Vaterschaftsurlaub verabschiedete, aus dem er inzwischen mit aufgetankten Kreativitätsbatterien zurückgekehrt ist. Auf „Some Other Country“ präsentieren sich die Meister des kontemplativen Elektrosounds auf einem neuen Niveau ihres Schaffens. Der Grundton ihres charakteristischen Sounds ist noch immer dunkel und schwer, aber nicht düster; melancholisch, aber nicht schwermütig. Spannung und Entspannung sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander. Swayzak reagierten auf ihre Weise auf „das ganze Minimalzeug, das zu einer Art Mainstream geworden ist“ und so steckt „Some Other Country“ voller kompositorischer Ueberraschungen, die vom tief hallenden Dub-Techno, für den Swayzak stehen, unterfüttert und getragen werden. Taylor und Brown beschrieben ihren musikalischen Ansatz vor Jahren als „transzendental“, sie wollen Grenzen aller Art überschreiten, seien diese durch Sprachbarrieren, Geschlechterrollen, gesellschaftliche oder politische Konstrukte definiert. So verwundert es nicht, dass Swayzak den Popsong als Spielwiese entdeckt haben: „No Sad Goodbyes“, gesungen von Swayzaks Lieblingsvokalisten Richard Davis (Kitty-Yo-Artist), klingt schwebend-leichtfüssig und eingängig, trotz des bittersüssen Texts über eine unglücklich zu Ende gegangene Liebesbeziehung. Auch „Distress and Calling“ und „Claktronic“ besitzen eindeutiges Popappeal, wobei von Mainstream keine Rede sein kann, eher von Grenzverwischung, eben der von Swayzak propagierten Transzendenz. Auch wenn die Melodie eine grössere Rolle im Swayzak-Oevre spielt als früher, darf man keine lärmigen Ausbrüche erwarten: Ruhe, „Silence“ ist nach wie vor ein konstituierendes Element ihrer Musik, die flächig und tiefgründig zugleich ist, Atmosphäre erzeugt und imaginäre Bilder von langen Ueberlandfahrten mit dem Zug evoziert. Besonders eindringlich klingt das beim sich langsam aufbauenden und infinit weiterloopenden „Pukka Bumbles“. Diese sphärische/atmosphärische Wirkung entwickelt sich bereits beim Opener „Quiet Life“: der Track lässt sich viel Zeit, über sechs Minuten breitet sich über kellertiefem Dub dezenter Klick-Klack-Elektro aus, dazu wiederholt eine Stimme immer wieder „all my thoughts go out to you.“ Auch „Silent Luv“ nimmt das Motiv der Stille auf, behandelt es aber auf für Swayzak ungewöhnlich witzige Art: zu diesem Track luden sich Swayzak die italienische Fun-Popband Les Fauves ein, deren Sänger Zeilen wie „silent luv is better than the spoken one“ schnarrt. „So Cheap“ mit seinem fröhlich bouncenden Ping-Pong-Sound lädt zum Tanzen ein, ebenso wie „Smile and Receive“, auf dem man die Stimme von DJ Cassy hören kann, ihres Zeichens Resident im Berliner Club Berghain. Swayzak gelingt im zehnten Jahr ihres Bestehens die Weiterentwicklung in poppigere Gefilde, ohne ihre Wurzeln zu verleugnen, die sich aus der Schönheit der Stille speisen.


Baby Godzilla

» dalycityrecords.com

Baby Godzilla
(Daly City/Stars and Heroes)

Die Figur „Baby Godzilla“ oder auch „Little Godzilla“ tauchte zum ersten Mal 1993 im Film „Godzilla gegen Mechagodzilla“ auf, zeichnet sich durch relative Niedlichkeit im Vergleich zum Original-Godzilla aus und verfügt ausserdem – wie sein grosser Bruder, Onkel oder Vater (???) Godzilla – über einen radioaktiven Strahl.
Der auf dem in San Francisco ansässigen Label Daly City erschienene 20-Track-Sampler „Baby Godzilla“ vereint die Pole Niedlichkeit und Power mit Hilfe auch hierzulande bereits bekannter Elektro-Künstler wie Mochipet, dessen Album „Disco Donkey“ wir vor einigen Monaten an dieser Stelle empfohlen haben, BloodySnowman, Delux oder Edit. Besagter Mochipet liefert mit seinen Buddys Mikah 9 und Taiwankid den Opener, „Hope Again“ im Bruce-Lee-Remix (um eine weitere asiatische Popikone ins Spiel zu bringen) überzeugt durch stolpernden Beat und non-macho-Rap. Gemeinsam mit Ray Barbee zeichnet Mochipet auch verantwortlich für „Beats Ballet“, das in eine ganz andere Richtung geht, hier wird freundlich-swingend eine Ibiza-Lounge eröffnet, die keine Schickimicki-Allüren aufweist. Ebenfalls mit swingenden Grooves arbeitet Daedalus, der sich mit seinen Releases bei Ninja Tune weltweit einen Namen machen konnte. Sein Track „Crazy Dancing“ bringt Dancehall und Barpiano zusammen und lässt ganz zart und leise irgendwo im Hintergrund den Soundtrack eines 60er-Jahre-Films mitlaufen. Mophonos „Live Human Break 7“ sorgt mit seinen Rumpelbeats für Schluckauf und Herzrhythmusstörungen, die man am besten auf der Tanzfläche auskurieren kann. Wie HipHop auch klingen kann, nämlich liebevoll mit Congas, Flöten und Saxophon aufgepeppt, zeigen Spacetheater mit den zwei Versionen von „Ghostplant“ (einmal im Eustachian's Trustafarian Mixx zu hören, einmal „normal“). „Baby Godzilla“ zeigt, was im Elektrokosmos alles möglich ist, wenn die Angeber- und Poserschiene mal verlassen wird.


Shir Khan, Maximize!

» www.dj-shirkhan.de
» myspace.com/djshirkhan

Shir Khan: Maximize!
(Exploited)

Shir Khan aus Berlin ist einer der am härtesten arbeitenden DJs – und vor allem würde er sich niemals mit einem Genre zufriedengeben. Seine Electroclash-Mixe sind legendär und gerade für „Maximize!“, sein neues Monster-2-CDs-44-Tracks-Album bei Exploited begnügt er sich erst recht nicht mit halben Sachen. Shir Khan wirft beherzt alles zusammen, was nicht oder doch zusammenpasst, von Acid House über Hiptronics, Seventies-Disco und Old-New-Wave spannt er den Bogen, der zielsicher genau auf die Tanzfläche zeigt. Ob Ex-Pop Group-Held Mark Stewart, Adam Sky, Martin Peter oder Namosh, Shir Khan kriegt und nimmt sie alle. Auch für Schwerhörige und Nichttänzer ist die CD interessant: Das Exploited-Label hat „Maximize!“ in ein bonbonbuntes, mehrfach ausklappbares Digipak gesteckt, das sicherlich einen Designpreis wert ist!


Deela, Mano Mano

Deela: Mano Mano
(Switchstance/GrooveAttack)

Nach der vollen Shir-Khan-Breitseite bietet sich zum Wiederrunterkommen das Album „Mano Mano“ des Producerteams Deela an, bestehend aus Ingo Möll und Martin Morsch. Möll remixte bereits für internationale Acts wie Fort Knox Five oder All Good Funk Alliance und hat in seinem Studio bereits mit den Jungle Brothers gearbeitet. Unter dem Namen Deela haben Morsch und Möll Remixe für Mo'Horizons gemacht, zu denen eine eindeutige stilistische und atmosphärische Nähe besteht. Deela bestechen mit organischem, fließendem Sound, der durch die live eingespielten Instrumente entsteht – von latininspiriertem Groove über Reggae-, HipHop- und Jazzelemente lassen sich viele Einflüsse ausmachen, GastsängerInnen wie zum Beispiel Re:Jazz-Chanteuse Inga Lühning und Reggae-Newcomer Mango Juice machen „Mano Mano“ zu einem warmen, trotz aller Experimente homogenen Spätsommeralbum. Jazzfunkige perkussive Wahnsinnsausbrüche wie beim eigentlich karibisch-palmweingetränkten „All There is“ erinnern an Santana während der sechziger Jahre und gehen genauso okay wie das fließende, schwebende „Uciekam“, das von Kasia Bortnik gesungen respektive gehaucht wird.


Wahoo, Take it Personal

Wahoo: Take it Personal
(fine./FourMusic/Rough Trade)

Hinter dem Projektnamen Wahoo verbergen sich DJ Dixon und Georg Levin – Dixon a.k.a. Stefan Berkhan ist seit vielen Jahren als renommierter DJ* und Remixer unterwegs, Levin ist Soulliebhaber, Songschreiber und Producer, man nennt ihn auch „Prince from Prenzlberg“. Dass die beiden sich trafen und beschlossen, ein Album aufzunehmen, ist ein Glücksfall für alle Funk- und Soulfans. Spielen für DJ Dixon sonst die elektronisch generierten Beats die Hauptrolle, lehrte ihn Levin „handgemachte“ Melodien und Harmonien lieben, Technik traf auf „echte“ Instrumente – herausgekommen ist „Take it Personal“, ein Funk- und Soulalbum, das im besten Sinne oldschool klingt. Dixon und Levin feiern Vorbilder wie Prince oder Earth, Wind & Fire; die Gastsängerinnen Celine Bostic und Ruth Renner lassen bei Tracks wie „Damn (You're Here)“ heutiges R'n'B-Feeling aufkommen – ohnehin wird wieder viel gesungen, geswingt, geshaket und boogaloot im Club, „soulful house“ ist der bevorzugte Begriff für das sexy Crooning, in dessen Mittelpunkt eindeutig der Song steht. Der Einstiegs- und Titeltrack ist ein eingängiger Stomper zum Hüftenschwingen-und-den-Tanzpartner-ruhig-Anfassen; die schweisstreibenden funky Sounds entstehen mittels Gitarre, Rhodes-Piano, E-Bass, Saxophon und jeder Menge Synthies, dazu webt DJ Dixon einen federnden Teppich aus bouncenden Beats. Dixon und Levin experimentieren auch gern über den Soulkontext hinaus: „I'm Your Lover“ basiert auf einem extrem elastischen jamaikanisch inspirierten Offbeat, „Wishing“ verbeugt sich vor elegantem Siebzigerjahrepop à la Steely Dan. Ein spannendes, abwechslungsreiches Album, das auf angenehm verwirrende Weise aus der Zeit gefallen scheint.

* zuletzt erschien bei Get Physical sein hochgepriesenes Mixalbum „Body Language Vol. 4“


Cepia: Natura Morta
(Ghostly Int.)


» www.ghostly.com
» www.cepiamusic.com

Mit dem nur 33 Minuten langen Album „Natura Morta“ des aus Minneapolis stammenden Fricklers und Bastlers Huntley Miller alias Cepia lassen wir die Nacht ausklingen und in den Tag übergehen. Unaufdringlich, aber stellenweise intensiv entwickeln die Tracks, die geheimnisvolle Namen wie „Braille Wounds“, „Clay Face“, „Tape“ oder einfach „Untitled“ tragen, verknarzte Atmosphäre. Zuweilen kann man sich gut vorstellen, dass sich gleich CocoRosie dazugesellen (zum Beispiel bei „Opening Parade“ und „The Undeniable Bend“), um ihre wundersamen Stimmen um den wundersamen Track zu wickeln. „Natura Morta“ klickt und knistert und es mag sich verschwurbelt und seltsam anhören – diese Musik klingt wie ein Sepiafoto.