– Part Six –
Leute, es war Zeit – endlich wieder ausgehen und tanzen, und zwar in geschlossenen Räumen, nicht mehr „outdoor“ auf verdörrtem Rasen oder steinigen Plätzen am Baggersee. Dieser Wohnzimmerclub (mittlerweile schon die sechste Ausgabe! und die nächste kommt gewiß!) versorgt Euch mit jeder Menge gepflegtem Material, dass man gar nicht weiß, womit man anfangen soll.
Ok, hier wäre zunächst Nickodemus aus New York, der gemeinsam mit seinem DJ- und Produktionspartner Mariano seit gut acht Jahren die legendären „Turntables on the Hudson“-Parties veranstaltet. Nickodemus stammt aus einer sehr musikbegeisterten Familie, die ihn schon als Kind mit Motown, Disco und Latin vertraut machte, folgerichtig hatte auch niemand was dagegen, als sich der kleine Nick Anfang der neunziger Jahre das erstes Turntable-Equipment wünschte. Er legte alles auf, was ihm unter die Finger kam, eine stetig wachsende Begeisterung für NYC-HipHop sorgte dafür, dass nicht nur die Musik seiner Eltern in den Sets vorkam. Als er im Club The Red Zone einen Aushilfsjob annimmt, lernt er DJ-Größen wie Kid Capri und Kid Morales kennen und Nickodemus war nicht mehr aufzuhalten: er legte auf, wo und wann es nur ging, veranstaltete Strandraves und Warehouseparties. Obwohl er seit Jahren ein beliebter Mixer für anderer Leute Platten ist, ist „Endangered Species“ sein erstes „eigenes“ Album. Den Titel erklärt er damit, dass New York City mittlerweile ein schwieriges Pflaster für kreative Menschen mit aufregendem Lebensstil geworden ist – er zählt Künstler und Musiker zu den „Endangered Species“. Falls diese tatsächlich aussterben sollten (was hoffentlich weder in NYC noch sonst irgendwo eintreten mag), ist Nickodemus` Platte ein liebevoller Beitrag zum Artenschutz. Er mixt tropischen Swing mit HipHop und Worldsounds, der Track „Funky in the Middle“ mit Jay Rodriguez & Ticklah ist pure Blockparty, mit altmodischen Funkbläsern und booty-shakin' Grooves, Höhepunkt von „Endangered Species“ ist „Give the Drummer Some“, ein baßlastiger Classic schon jetzt, mitreißend wie „My Definition“ von den Dream Warriors. Nickodemus hat viele interessante GastsängerInnen um sich geschart, besonders toll: Apani B, die ich glatt mit Monie Love verwechselt habe (zu hören auf dem Track „The Spirits Within“). Insgesamt eine sehr newyorkishe urbane Mixtur, die die Welt zum hüftenschwingenden Global Village werden läßt.
Über die DJ-Kicks-Reihe von !K7 muß ja nichts mehr gesagt werden. 28 Veröffentlichungen unter diesem Brand in 11 Jahren, die erfolgreichsten waren sicherlich die Kicks der Stereo MC's, Kruder & Dorfmeister und Rocker's HiFi, interessante Entdeckungen boten aber alle Sampler. Ich erinnere hier mal an das schöne Kicks-Album von Annie aus dem letzten Jahr oder die Killerplatte der Glimmers aus Belgien. Jetzt hat Henrik Schwarz das Staffelholz in die Hand gedrückt bekommen – „wer ist Henrik Schwarz?“ mag sich mancher fragen, auf jeden Fall ist er ein Mensch mit brillantem Musikgeschmack. HS stammt vom Bodensee, ging – na klar – nach Berlin und macht seit einigen Jahren durch seine geschmackvollen Mixe und großartigen DJ-Sets von sich reden, außerdem betreibt er gemeinsam mit anderen DJs das Label Sunday Music. Schwarz durchlief mehrere Phasen des Djing, sein Background ist jazzgeprägt, er experimentierte mit Techno, Trance und House, fand Minimal irgendwann zu langweilig und kann seine große Liebe für Motown-Soul und Funk nicht verhehlen. Die 23 Tracks seines Kicks!-Albums zeigen zum einen seine exorbitanten Skills, lassen aber jeden einzelnen Song in seiner individuellen Schönheit leuchten. Henrik Schwarz liebt die Musik, die er auflegt und respektiert das Werk der Originalkünstler. Der Jazzgott (oder Superfreak) Moondog eröffnet die Platte mit „Bird's Lament“, nach diesem noch sehr un-discomäßigen Einstand geht es weiter mit einem sehr deepen Instrumentalmix von „Woman of the World“ (Double), Schwarz leitet über zu D'Angelo, James Brown, Coldcut, Pharoah Sanders, Drexciya, Womack & Womack und streut eigene Tracks nur sehr sparsam ein. Mit Marvin Gaye's „You're the Man“ klingt diese wunderbar tanzbare Hommage an den Soul, den Funk, das Leben aus und man fühlt sich – glücklich. Danke, Herr Schwarz!
Kieran Hebden aka Four Tet ist musikalisches Wunderkind und renommierter Tausendsassa, arbeitet als DJ, Produzent, Remixer und Solomusiker. Dass er nicht als Streber verschrien ist, liegt an seiner Grundfreakigkeit, die ihn für immer vor dem Mainstream bewahren wird. Domino hat nun eine Doppel-CD veröffentlicht, die auf CD 1 ausgewählte Remixe von Four Tet für andere Bands versammelt, auf CD 2 geht's andersrum: Leute wie Jay Dee, Koushik oder Percee P remixen Four Tet. Wer hören will, was Mr Hebden aus Radioheads „Skttrbrain“, Sias „Breathe Me“, Madvillains „Money Folder“ oder Aphex-Twin-Tracks rausholt und was umgekehrt die Mixer aus Four-Tet-Stücken machen, sollte hier zugreifen. Nicht durchgängig zum Tanzen, eher zum Staunen und Genau-hinhören geeignet – aber im Wohnzimmerclub sind ja auch immer Leute, die ein offenes Ohr für die Fingerfertigkeit von Elektronikfricklern haben.
Sehr edel verpackt in einen goldenen Schuber kommt die Jubiläumsausgabe von „Music for Modern Living“ daher. Seit mittlerweile zehn Jahren kompilieren Mellow & Rivera, Betreiber des Hamburger Labels Lounge Records und Retter des gepflegten Barsounds die Samplerreihe, die dem modernen Leben gewidmet ist. Da es heuer was zu feiern gibt, besteht das goldene Album aus zwei CDs, das die glamourösesten Hits, rare und unveröffentlichte Tracks aus dem Labelprogramm präsentiert. Dabei steht Lounge Records für clubbigere Stücke, auf dem Sublabel Muto finden funkigere Tracks ihr Plätzchen. Die Torpedo Boys sind mit „Hablas Con Migo Senor?“ dabei, der in Japan vergötterte Berliner Space Kelly spendete eine exklusive Instrumentalversion von „Es ist nicht das Ende der Welt“. Der ebenfalls in Berlin ansässige Erk Wiemer ist mit seiner schönen Coverversion von „Shout“, dem Achtzigerhit von Tears for Fears dabei, Zimpala liefern mit „Sugar“ einen Fingerschnips- und Hüftenwieg-Superschwof, und „Hot“ von den Strike Boys dürfte auch denjenigen gefallen, die die Shadows mit ihren Superslide-Gitarren liebten. Unglaublich, was Batterie du Verre aus dem verstaubten „Jitterbug“ machen, und Killergroove Formula machen am Schluß mit dem „Killergroove Uppercut“ ihrem Namen alle Ehre.
Mit Luomos „Paper Tigers“ kann man die Nacht entweder ausklingen oder nochmal von vorn beginnen lassen. Selten klingt eine Platte mehr nach Dunkelheit, leeren Straßen und vereinzelt blinkenden Neonlichtern als dieses Dub-Soul-Album des Finnen Luomo. Eigentlich heißt Luomo Sasu Ripatti, aber er liebt das Spiel mit verschiedenen Namen und Identitäten. So ist er als Luukas Onnekas, Conoco, Sistol oder Uusitalo unterwegs. Seine bekannteste Erscheinungsform hat er mit dem Pseudonym Vladislav Delay erreicht, die ihm kultische Verehrung seitens der Elektroszene beschert hat. Obwohl er selbst erklärter Nichttänzer ist, entwickelt er ein unfehlbares Händchen für Clubsounds und ist neben seiner Tätigkeit als Musiker und DJ auch ein gefragter Mixer und Produzent. Das Leben in der Bar forderte seinen Tribut: mit 25 Jahren mußte sich Sasu Ripatti am Herzen operieren lassen, zu viele Drogen, zu wenig Essen, zu wenig Schlaf. Jetzt, sechs Jahre später, hat sich einiges verändert im Leben des finnischen Masterminds – eine kleine Tochter will umsorgt sein, und so banal es klingt, mag das Familienleben ein Grund dafür sein, dass Ripatti die selbstzerstörerischen Vibes mehr und mehr unterdrückt und die Musik die einzige Droge sein läßt.
Als Luomo läßt er seiner Liebe zu dunklem Dub freien Lauf, unterstützt von der finnischen Jazzsängerin Johanna Iivanainen klingen die neun Tracks zwar sparsam, aber dennoch detailreich ausstaffiert. Luomo läßt den Klängen Raum, Synthiesounds hallen an Straßenecken wider, Tracks wie „Really Don't Mind“ entwickeln im einsamen U-Bahnschacht morgens um vier einen hypnotisch-unwiderstehlichen Sog. „Paper Tigers“ sollte man unbedingt nachts alleine anhören! Und danach in die Disco.