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Na sowas, da haben wir doch beim letzten Wohnzimmerclub glatt vergessen, uns selbst zu gratulieren! Dabei gab es die 18. (sprich erwachsen gewordene) Ausgabe zu zelebrieren, mit der gleichzeitig das zweite Clubjahr vollendet wurde. Aber zum Feiern ist es ja nie zu spät, schließlich kann man Festlichkeiten auch ausdehnen: das wollen wir hiermit tun und starten voller Vorfreude ins Jahr drei des Wohnzimmerclubs! Die Jubiläumsparty wird von einer Schar vielversprechender Jung-Clubber ausgerichtet, die für äußerst überraschende Hör- und Tanzerlebnisse sorgen:
Inverse Cinematics:
Passin' Through
(Pulver Records/Groove Attack)
In der Person des 22-jährigen Stuttgarters Danilo Plessow kommt der Begriff „Wunderkind“ zu ganz neuen Ehren: als pre-Teen spielt Danilo bereits in einer Jazz-Big-Band, sein Schlagzeuglehrer begeistert ihn für John Coltrane. Mit zehn Jahren beschliesst Danilo, dass „nur“ Schlagzeug spielen noch nicht alles gewesen sein kann, verkauft sein Drumset, um den Erlös in elektronisches Equipment zu stecken. Plessow spielt mit schwäbischen HipHoppern, 1997 beginnt er mit der Arbeit an eigenen Tracks (zu diesem Zeitpunkt ist er zwölf), die bereits damals deutliche Züge seiner Begeisterung für schwarze Musik tragen, sei es Experimentaljazz, Techno oder eben HipHop. Anfang der Nullerjahre wird das Label Pulver Records auf Danilo und seinen Partner Joachim Tobias aufmerksam und veröffentlicht die EP „Slow Swing“, die schon unter dem Projektnamen Inverse Cinematics erscheint. Danilos Arbeitseifer ist allerdings nicht mit einem einzigen Projekt zu deckeln: als „Motor City Drum Ensemble“ produziert er Künstler von Four Roses Recordings, er remixt für Ninja Tunes und veröffentlichte unter dem Pseudonym „Aphro Pzyko“ auf dem schwedischen Label Raw Fusion. Sein Track „Detroit Jazzin'“ reüssierte zu einer der bestverkauften Platten auf Pulver Records, wo jetzt auch das erste „lange“ Album von Inverse Cinematics erschienen ist. Danilo bezeichnet sich als „Crate Digger“, also als nerdigen Schatzsucher, der immer auf der Jagd nach unentdeckten Samples und verschollenen Platten ist. Crate Digging ist besonders im HipHop unverzichtbar und so ist „Passin' Through“ auch als Hommage an Black Music zu verstehen: von Freejazz über House, Soul, Detroit Techno und HipHop bis hin zu Loungeklängen bastelt Young Danilo alles zusammen, was flow und groove besitzt. Das kann ein ausgiebiger Part aus dem Jazzklassiker „Salt Peanuts“ sein oder ein flüchtig eingestreuter Sambarhythmus, Danilo verliert nie den Faden. Er findet immer wieder zurück zum beat, zum Rhythmus, der die Tracks zusammenhält und weiterführt - „passin' through“ eben. Große Entdeckung, die Begriffe wie „Alter“ und „Erfahrung“ zu völlig unwichtigen Kategorien werden lässt.
» myspace.com/inversecinematics
Drumpoet Community presents:
Drumpoems Verse 1
(Compost)
„Wer hat's erfunden?“ - „Die Schweizer!“ Dieser Werbeslogan für ein Hustenbonbon ist zum geflügelten Wort geworden und wird bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten verwendet. Nun wird niemand auf die Idee kommen, die Schweizer hätten die Housemusic erfunden (es sei denn, man zählt die Elektroexperimente von Dieter Meier und Boris Blank alias Yello dazu – aber das führt dann doch zu weit), aber sie lieben sie mindestens so sehr wie ihre Bonbons und Schokolade: Vor drei Jahren trafen sich in Zürich ein paar junge DJs, die die Liebe zu elektronischen Klängen aus Chicago und Detroit teilten. Diese jungen DJs schlossen sich zur drumpoet.comMUNITY zusammen, gründeten einen Club mit dem schönen Namen Zukunft und widmen sich seitdem der Pflege und Verbreitung exquisiter House-, Techno- und Elektroplatten. Musikalische Grenzen gibt es für die Drumpoet Posse keine, aber alle Drumpoets-Acts und -Veröffentlichungen sind von Wärme, Soul und Groove durchdrungen. Zürcher Maschinen sind nicht kalt, sondern pumpen lebendige, organische, schokoladenzarte Beats. Die erste Compilation „Drumpoems Verse 1“ featuret so schöne Tracks wie das beschwingte „Rest Your Senses“ von Manuel Tur & Dplay, klickernden Elektro von Soultourist („Turn Loose“ im Dixon Edit) und das hypnotisierende Loop-Epos „Take Root“ von Thabo. Die Zürcher Drumpoeten sind längst keine absoluten Beginner mehr, auf ihrer myspace-Seite kann man auf der beeindruckenden Gig-Liste nachverfolgen, welche coolen Orte die Jungs inzwischen bespielen: sogar Chicago ist dabei.
» www.drumpoet.com
» myspace.com/drumpoet
» www.zukunft.cl
Shonky: Time Zero
(Freak'n'Chic/Intergroove)
Don't judge a record by its cover and no artist by his/her name: die Rezensentin muss an dieser Stelle gestehen, den Namen „Shonky“ so doof gefunden zu haben, dass sie die CD einige Tage unberührt in ihrer Papphülle liess. Zum Glück siegt aber meistens doch die dem Verhalten einer Katze nicht unähnliche Neugier und „Time Zero“ fand den Weg in den Player – welch ein Versäumnis wäre es gewesen, dieses Album verschmäht zu haben! Olivier Ducreux, wie Shonky eigentlich heißt, gelingt mit seinem ersten kompletten Album auf Freak'n'Chic eine bezwingende Neudefinition des schon ein bisschen angegrauten Genres Hypno-Techno. Seit 1998 ist Ducreux/Shonky zunächst in Frankreich, später auch europaweit in Clubs wie dem Londoner Fabric, der Panorama Bar in Berlin oder dem Weetamix in Genf als DJ unterwegs. In letzter Zeit kooperierte er hauptsächlich mit Jennifer Cardini, gemeinsame EPs sind bei Crosstown Rebels erschienen. „Time Zero“ zelebriert die Hochzeiten des Detroit Techno ebenso wie psychedelische Klänge von der amerikanischen Westküste. Shonky wollte einen „galaktischen“ Sound erreichen, weshalb er fast vollständig auf Vocals verzichtete, dafür mehr Drumpads einsetzte. Schon die Tracknamen schicken uns unmissverständlich ins All: „Odyssey“, „Minor Planets“ und „Nebula“ lassen keine Frage nach dem Ziel der Reise offen. Der Track „Cosmic Ray“ loopt die tanzende Menge um den Verstand, die aus dem Hintergrund ploppenden kosmischen Geräusche scheinen wie selbstverständlich aus den Boxen zu dringen, Fragen stellt jetzt niemand mehr. „Galactica“ klöppelt staubtrocken vor sich hin, bis die ersten spooky noises in den kerzengeraden Beat dringen und man sich sternenstaubwirbelnd in den Orbit spiralt. Shonky findet die Balance zwischen Psychedelic und Down-to-Earth-Groove, was „Time Zero“ zu einem faszinierenden Trip für Hirn und Körper macht.
» myspace.com/shonkar
» myspace.com/freaknchic
» www.freaknchic.com
Bar Lounge Classics
Chill Out Edition
(comfort sounds/SonyBMG)
Don't judge a record by its cover, Teil II: die von Comfort Sounds herausgegebenen Bar Lounge Classics erfreuen mich immer wieder durch ihre unfreiwillig komischen, Altherren-Fantasien bedienenden Softerotikcover, die wahrscheinlich „edel“, „sexy“ und „hochwertig“ rüberkommen sollen. Und wie um mich noch mehr zum Lachen zu bringen, weist das Presseinfo zur „Chill Out Edition“ gesondert darauf hin, dass man für die Coverfotoaufnahmen eigens nach Japan reiste. Nun denn, Musik wird ja hauptsächlich durch die Ohren aufgenommen, so dass man – obwohl wir ja sonst ständig auf der Bedeutung des Coverartwork für die Gesamtwirkung eines Albums rumreiten – bei der 15. Ausgabe der Bar Lounge Classics ruhig die Augen schliessen kann. „Ruhig“ und „Augen schliessen“ sind auch gleich die richtigen Keywords für diese Compilation, die nicht ohne Grund „Chill Out Edition“ heisst: 32 Tracks zwischen Ambient und Barjazz floaten aus den Boxen und lassen relaxte Spa-Atmosphäre entstehen. Bekannte Namen sind darunter wie Thievery Corporation, die mit „All That We Perceive“ den ruhigen Reigen eröffnen, The Orbs aktuelles Stück „A Beautiful Day“ fand ebenso Aufnahme wie „Soundboy Rock“ von Groove Armada und „Shake it Loose“ von Mo'Horizons. Ein kleines bisschen rhythm bringen Road mit „Sausades Do Brasil“ und Kabanjak mit „Gypsy Soul“ ins Spiel, und Remixe von Nina Simones „I Can't See Nobody“ und Billie Holidays „Long Gone Blues“ sorgen für unerwartete Jazz- und Bluesakzente. Nina und Billie sind – nicht nur stilistisch, auch in puncto Gesang – Ausnahmen: Stimmen gibt es auf der „Chill Out Edition“ nur selten zu hören, auf dass kein Wort, kein Refrain die Entspannung störe.
» www.comfort-sounds.de
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Mehr Clubsounds in aller Kürze:
James T. Cotton: Like No One
(Vinyl/LP/Spectral Sound)
Ambitionierte Beats des Detroiter Techno-DJs, Erfinder des „Jakbeat“-Sounds, der unter vielen Pseudonymen veröffentlicht – diesmal unter seinem „echten“ Namen. Energiegeladen und voller Überraschungen. Nur digital oder auf Vinyl.
» myspace.com/jamestcotton
» www.spectralsound.com
» amazon
DJ Donna Summer:
Panther Tracks
(Cock Rock Disco)
Elektroclash ist tot? Nicht für DJ Donna Summer alias Jason Forrest. Der in Berlin sein Unwesen treibende DJ cockrockt sich durch Techno, Acid, Breakcore und House, samplet alte Dance-Tracks und schreddert alles in Highspeed durch seine Geräte. Es fiept, kreischt, hämmert, brettert - „guter Geschmack“ ist keine Kategorie für DJ Donna Summer. Er will, dass es laut ist und er will, dass Ihr schreit. Wer zu den „Panther Tracks“ auch nur ein Körnchen Koks zieht, kriegt sofort einen Infarkt.
» www.cockrockdisco.com
Simian Mobile Disco: Clock
(EP / Wichita)
Ganz anders und ungleich versöhnlicher kommen Simian Mobile Disco daher: die beiden britischen Elektroniker James Ford und Jas Shaw haben aus ihrem letzten Album „Attack Decay Sustain Release“ den Track „Clock“ separiert und mit drei neuen Stücken auf eine EP gepackt. Minimal, aber zwingend, melodisch und sehr eighties-orientiert beweisen „Simple“, „3 Pin Din“ und „State of Things“ die stilistische Treffsicherheit ihrer Urheber.
» simianmobiledisco.co.uk
» myspace.com/simianmobiledisco