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Kraak & Smaak: Plastic People
(Jalapeno/Groove Attack)
Der Titel „Plastic People“ kann verschiedene Assoziationen wecken: vielleicht stellt man sich etwas Kaltes, Unmenschliches vor oder denkt an Playmobil-Männchen in Legoland. Die drei holländischen DJs, Remixer und Producer Mark Kneppers, Oscar de Jong und Wim Plug, die seit einigen Jahren als Kraak & Smaak (was soviel wie „knusprig und lecker“ auf niederländisch heißt) die Tanzböden der Welt unsicher machen, liefern mit ihrer neuen Platte das genaue Gegenteil von Kälte und Starre. „Plastic People“ mixt munter die verschiedensten Stile: die beiden ersten Tracks „Bobby & Whitney“ und „Squeeze Me“ feiern den Soul und Funk der siebziger Jahre, beschwören die Geister von James Brown und Curtis Mayfield. „California Roll“ fährt treibende House-Klänge auf, mit Kuhglocken und allem drum und dran. Bemerkenswert ist die lässige Version des Blues-Traditionals „Man of Constant Sorrow“, das hierzulande vor allem durch den Coen-Film „O Brother, Where Art Thou?“ bekannt wurde (remember George Clooney und die Soggy Bottom Boys) und mit dem Kraak & Smaak die Tanzdiele für kurze Zeit verlassen. Entspannten HipHop in Kombination mit deepstem Slowfunk gibt es bei „That's My Word“ zu hören, auf diesem Track hat die Sängerin Carmel, die in den achtziger Jahren mit Jazzpopsongs wie „More, More, More“ erfolgreich war, einen Gastauftritt. Ohnehin haben Kraak & Smaak bei der Auswahl ihrer Gastvokalisten und Kooperateure ein sehr geschicktes Händchen, so sind neben Carmel auch Ben Westbeech und Mark Brydon (Ex-Moloko) mit von der Plastic-Partie(y). Kraak & Smaaks humorvolle, entspannte Arbeitsweise läßt Funk neben Ambient, Samba neben Techno und Popmelodien neben hibbeligen Breakbeats gedeihen – so dass die Assoziation fröhlicher Playmobilmännchen, die Legosteine zu einem bunten Häuschen zusammenfügen, doch nicht ganz falsch ist.
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» myspace.com/kraaksmaak
Blacklabel Series Vol. 3
Mixed by Jay Shepheard
(Compost)
Drei Jahre sind vergangen, seit das Münchner Dance- und Elektrolabel Compost Records die „Blacklabel“-Serie ins Leben rief. Mit Blacklabel wollte Compost die ein bisschen zu beschaulich gewordene Loungeecke verlassen, die mit Stars wie Rainer Trueby zwar hochkarätig gefüllt ist, aber eher zum Cocktailschlürfen als zum Tanzen verführt – und auf den Dancefloor wollte Compost unbedingt zurück. Mittlerweile sind dreißig Blacklabel-12“es erschienen, die hauptsächlich House, Techno und funky Elektronik featuren und von DJs auf der ganzen Welt mit großer Begeisterung in ihre Sets eingebaut werden. Der Blacklabel-Künstler Jay Shepheard, dessen eigene EPs als exemplarisch für den „neuen“ Compost-/Blacklabel-Sound gelten, bekam nun die Aufgabe, den dritten Blacklabel-Sampler zusammenzustellen und zu mixen. Das Spektrum reicht von Achtzigerjahre-Einflüssen beim Opener „Bikini“ (Phreek Plus One) über treibenden Clubhouse („Get Slapped Up“ / Motor City Drum Ensemble), einen Remix des Jazzexperimentalisten Christian Prommer bis zu eigenen Stücken von Shepheard („4NC“), die seine Hingabe an Oldschool-Funk einerseits und deepen Clubhouse andererseits zeigen. Auch der legendäre Housevokalist Robert Owens ist dabei: seine unverwechselbare Stimme erklingt bei „Merging“ von TJ Kong & Nuno Dos Santos. Shepheards Mix ist voluminös, treibend und definitiv tanzbar, auch für Cocktailtrinker in der Lounge.
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Wighnomy Brothers:
Metawuffmischfelge
(Freude am Tanzen)
Was mag wohl eine Metawuffmischfelge sein? Vielleicht ist dieser Begriff bei einem Spieleabend im Hause Wighnomy Brothers respektive Gabor Schablitzki alias Robag Wruhme entstanden: jeder Mitspieler muss einen Begriff auf einen Zettel schreiben, den Zettel umknicken, damit der/die nächste das Wort nicht lesen kann, und immer so weiter, bis am Schluss ein Patchwork-Wortungetüm wie eben „Metawuffmischfelge“ dabei heraus kommt. Vielleicht war aber auch alles ganz anders, was eigentlich auch völlig schnurz ist, denn dieses Mixalbum ist ein besonderes Schätzchen, egal wie man es nennt. Die letzte Wighnomy-Platte „Remikks Potpourri“ überzeugte durch organische, lebendige Klänge, „Metawuffmischfelge“ ist experimenteller und vertrackter, verbindet Euphorie und Melancholie, Minimalismus und Opulenz. Wruhme/Schablitzki verheimlicht nicht, was er tut: die Tracklist verzeichnet nicht nur die von ihm bearbeiteten Haupttracks, sondern auch die Titel der Samples und Versatzstücke. Wer will, kann akribisch nachvollziehen, womit Lisa Gerrards „Cometenderness“ oder Kreon & Lemos „Nice Day“ zusammengemixt wird. Die Wighnomy-Mixe lassen verschiedene Spuren aufeinander zu- und wieder auseinanderlaufen, meist laufen mehrere Tracks gleichzeitig, schichten sich über- und untereinander. Verwirrend und begeisternd wirkt die psychedelische Santana-Anmutung bei Trentemöllers „An Evening With Bobi Bros“, die von einem nervösen Klickerbeat konterkariert wird. Technoid und opernhaft zugleich geht es weiter mit Sidsel Endresens „Psalm“, es ist faszinierend, wie versiert und unerschrocken Schablitzki agiert, ohne die Ursprungstracks ihrer Eigenständigkeit zu berauben. Der sparsame, wirkungsvolle Einsatz von Vocaltracks (Lisa Gerrard, Sidsel Endresen und Stewart Walkers zartes Housestück) tut dem Album sehr gut, der Spannungsbogen reicht von tanzbar bis entspannt-chillig. Und wenn die „Metawuffmischfelge“ mit Mosca Vias „Machiste“ ausklingt/-dreht, sind Körper und Geist beglückt.
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The Herbaliser:
Same As It Never Was
(!K7)
„Same As It Never Was“ - genauso, wie's noch nie war – der Titel des neuen Albums von The Herbaliser ist programmatisch. Am Anfang steht eine Formalie: nach dreizehn Jahren Zusammenarbeit entschlossen sich die Herbaliser Jake Wherry und Ollie Teeba, ihr Hauslabel Ninja Tunes zu verlassen und zu !K7 zu wechseln. Wherry und Teeba lernten sich Mitte der neunziger Jahre in London kennen und musizierten alsbald unter dem Projektnamen „The Herbaliser“ zusammen. Mit ihren Vorlieben für HipHop einerseits und experimentellen Jazz andererseits waren sie bei Ninja Tunes gut aufgehoben – kaum ein anderes Label vereint auf der Basis genuin schwarzer Sounds so viele kühne Herangehensweisen an Dance-, Club- und elektronische Musik. The Herbalisers Album „Something Wicked This Way Comes“ von 2002 zum Beispiel bestand hauptsächlich aus düsterem HipHop, nur leicht aufgelockert von dezent-funky Bläsersätzen. „Same As It Never Was“ nimmt diese Ingredienzien wieder auf, der Grundton ist aber durchweg vitaler, energetischer. The Herbaliser machen weiter wie bisher und doch alles anders, experimentieren auf der Basis HipHop + Jazz / Soul, trennen aber die Stile nicht mehr, sondern lassen alles ineinanderfließen. So ist es kein Widerspruch, dass in einem Soultrack auf einmal wild gescratcht wird oder über einem Latinrhythmus fiepende Synthies zu hören sind. Der Opener und Titeltrack donnert mit Pauken und Trompeten wie eine neue „Rocky“-Hymne aus den Boxen und auch wenn HipHop und Rap weiterhin eine wichtige Rolle für The Herbaliser spielen, wird schnell klar, dass Wherry und Teeba den Soul und Funk der Siebziger entdeckt haben. Die Bläser sind fett, die Beats vertrackt, aber tanzbar. Wichtigste Neuerung: mit der 22-jährigen Jessica Darling ist jetzt eine feste Sängerin im Herbaliser-Boot. Ihre heisere, volumenstarke Stimme, die bei Songs wie „On Your Knees“, „Can't Help This Feeling“ (Oldschool-Soul reinsten Wassers) besonders gut zur Geltung kommt, läßt die Scharen momentan populärer Soulsängerinnen blaß und blutleer aussehen. Apropos Songs: das neue Herbaliser-Album entdeckt nicht nur den Soul, sondern auch den Song – gerne lyriclastig wie das furiose „Just Won't Stop“, bei dem Gastvokalist Yungun über das schnellebige Musikbusiness rappt und wettert. Spielen Vocals auch eine wichtige Rolle bei „Same As It Never Was“, sind die rein instrumentalen Tracks genauso interessant: „The Next Spot“ spielt mit Elementen aus orchestraler und klassischer Musik und erinnert an Filmscores, bei „Amores Bongo“ sprechen die Latin-Trompeten und -Gitarren, der Rhythmus ist strictly-dancing und ruft nach Party, mit „Stranded On Earth“ findet das Album einen beinah sphärischen Ausklang.
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Diamanten & Raketen II,
mixed by Roman Flügel
(Klang Elektronik/Kompakt)
Roman Flügel ist eine Hälfte des Elektronikduos Alter Ego und betreibt mit seinem Buddy Jörn Elling Wuttke die drei Labels Ongaku, Klang Elektronik und Playhouse. Klang Elektronik steht seit 1993 für diejenigen Varianten elektronischer Musik, die sich weder eindeutig für den Dancefloor noch für Chillout-Areas eignen. Die ersten Platten von Jan Jelinek erschienen bei Klang Elektronik, aber auch Alter Egos Smashhit „Rocker“, insgesamt gibt es inzwischen 130 KE-Maxisingles und sechzehn Alben. Vielfalt ist Trumpf, wobei der experimentelle, spielerisch-auslotende Aspekt der Tanzbarkeit eindeutig übergeordnet ist. Daher gehen auch nicht alle der vierzehn Tracks, die Flügel für die zweite KE-Kompilation zusammengestellt hat, direkt in Hüfte und Bein. Das vierminütige „ELO“ von Siro beispielsweise basiert auf einem verschleppten, zeitlupenartig verlangsamten Beat, „Conversations“ (Eight Miles High) ist eine klickernde, zischelnde Skizze, eingebettet in ruhige Ambientklänge, der letzte Track, „Lavender“ von Alter Ego ist bestens dafür geeignet, das Ende der Party einzuleiten. „Brain Hoover“ von SUM oder „Bob“ vom legendären Anthony „Shake“ Shakir* hingegen grooven vortrefflich. Schönes Album, das wie nur wenige andere die enorme stilistische Bandbreite innerhalb des elektronischen Universums aufzeigt.
* F.S.K. holten Shakir vor einigen Jahren ins Studio, um ihre bavarian sounds mit Techno zu verbinden. Ergebnis: das Album „First Take, Then Shake“
Außerdem neu auf Klang Elektronik: Das Remixalbum „What's Next“, in dem Alter Egos 07'er-Erfolgsplatte „Why Not?“ von A – Z, beziehungsweise von 1 – 11 durch die Maschinen gejagt wird. Im Studio waren unter anderen: DJ Koze, Joakim, Adam Sky, Modeselektor, Carl Craig und Jörn Elling Wuttke + Roman Flügel selbst.
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PlantLife:
Time Traveller
(!K7/rapster/Easy League)
Diese Platte beginnt – der Titel verrät es – mit einer Zeitreise. Jack Splash, der Mann hinter dem Projekt PlantLife zählt mit quietschiger Mickey-Mouse-Stimme auf, bei welchen Ereignissen er schon dabei war: „I was there when it all began. I made the whole planet rock with Afrika Bam. I had Melle Mel's back when he was on the edge, I used to wear them big suits with the Talking Heads“ und so weiter, und so weiter. Bigmouth strikes again? Ja, aber das was folgt, ist feinster, knackigster, tanzbarster Funk und HipHop, der sich deutlich an Vorbildern und Verwandten wie Prince (ihm am allermeisten) und Outkast orientiert. PlantLifes Bandbreite reicht dabei von Achtziger-Funkbrettern wie „Outta Control“ bis zu soulgefärbten Balladen und schwülen Sauereien, die als sportive exercises verbrämt werden („move forward, then backwards, now sideways, now dip and slide...“/ „Rollerskate Jam“). Überhaupt werden viele „sexy girls“ und „lover boys“ beschworen, Splash/PlantLife stöhnt und juchzt, „get down“, „keep goin'“ - großer Spaß, Zeitreise inklusive!
Charles Walker & The Dynamites: Kaboom!
(Outta Sight/Terre a Terre/Groove Attack)
Soulsänger Charles Walker hatte seine ersten minutes of fame in den sechziger Jahren, als er für Stars wie Otis Redding, James Brown, Etta James oder Wilson Pickett die Bühnen anwärmen durfte. Richtig groß und berühmt wurde er nie, vielleicht hatte für sich und seine Begleitband einfach den falschen Namen ausgesucht: Little Charles and The Sidewinders klingt nicht wirklich nach Superstar-Potenzial. Der relative Mißerfolg läßt allerdings keinerlei Rückschlüsse auf sein Talent als Sänger zu: Charles Walker ist auch heute noch eine stimmliche Bombe, wie man auf dem Album „Kaboom!“, das er mit der zehnköpfigen Soulband The Dynamites aufgenommen hat, deutlich hören kann. The Dynamites stammen aus der Hochburg des Country, aus Nashville/Tennessee, klingen aber, als wären sie direkt Barry Gordys Soul-Talentschmiede Motown/Detroit entsprungen. Das Album präsentiert durchweg authentisch arrangierte Oldschool-Funk- und Soulstücke, die der rauhen, beeindruckenden Stimme Walkers einen perfekten Rahmen bieten – seien es tanzbare Funkkracher, zu Herzen gehende Soulballaden wie „Dig Deeper“ und „Every Time“ oder bluesgefärbte Songs wie „Way Down South“, hier sitzt jeder Ton und jede Geste.
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Four Tet: Ringer
(Domino)
Kieran Hebden alias Four Tet machte zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit dem legendären Jazzdrummer Steve Reid von sich reden. Das ambitionierte Projekt Hebden/Reid verband gestern und heute, alt und neu, traditionellen Jazz mit experimenteller Elektronik und war eine der großen Überraschungen des vergangenen Jahres. Hebdens neue Aufnahmen, die als Vier-Track-EP „Ringer“ erscheinen, entwickeln in kurzer Spielzeit (knappe halbe Stunde) so viele Ideen, dass andere Künstler Doppelalben daraus machen würden. Der psychedelisch angehauchte Minimalismus des Titeltracks kontrastiert mit dem lebhaft blubbernden und zischenden, ozeanisch anmutenden „Ribbons“, „Swimmer“ und „Wing Body Wing“ sind anspruchsvolle Jazz-Elektronika-Etüden, die im Falle des letzten Tracks sogar noch in Richtung Tanzboden führen. Sollte „Ringer“ nur eine Interims-Fingerübung Hebdens bis zum nächsten „langen“ Album sein, darf man mehr als gespannt sein!
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Osborne
(Spectral/Kompakt)
Der Producer, Mixer und DJ Todd Osborn (ohne „e“) aus Michigan nennt sein Projekt verwirrenderweise Osborne (mit „e“), aber Buchstaben sind schließlich nur Schall und Rauch. Osbornes Album ist wie ein mit flauschigem Plüsch gefülltes Riesenkissen, in das man sich zum Chillen und Post-Party-Fußwippen fallen lassen kann. Die 15 Tracks verbeugen sich vor House-Vorbildern aus Chicago („“Ruling“, „Afrika“) und Detroit-Techno (z.B. „Evenmore“ und „L8“), featuren im Fall von „Downtown“ fröhliche Eurodisco-Beats und präsentieren Todd Osborn als genialen, smarten Eklektiker. Laut Presseinfo ist Osborn(e) nicht nur Producer, sondern auch Pilot, Flugzeugmechaniker und war Mitglied der Air Force. Was davon stimmt und was hübsch ausgedachte Legende ist, sei dahingestellt. Dass Todd Osborn ein Ausnahmetalent ist, ist hingegen sonnenklar.
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Elektro Willi und Sohn:
Diamanten (modul8)
Nochmal Diamanten, diesmal aus Aachen - Ihr erinnert Euch: vor zwei Jahren stellten wir im Wohnzimmerclub die erste Veröffentlichung von Elektro Willi und Sohn vor.
Also Vater und Sohn mit dem Waschmaschinenladen in Aachen, geschenkt. Unvergessen sind ihre Hits „Knacken in der Rille“ und „Töne in mein Haar“ - und jetzt legen Willi und Sohn endlich noch einen Schleudergang drauf in Form des langerwarteten Albums „Diamanten“. Neben den bekannten Evergreens gibt es neue Knallertracks wie „Autoscooter“, „Duftbüttel“ und „Luft in den Zehen“ zu hören und platzieren Aachen endlich und wohlverdient ins Zentrum der Dancefloor-Landkarte.
» www.modul8.de