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Nach einer kurzen Weihnachts- und Neujahrspause erklären wir die Clubsaison 2008 für eröffnet! Der 17. Wohnzimmerclub kredenzt neue Veröffentlichungen von Bajofondo, Missill, Christian Prommers Drumlesson und Remixalben von zerodB und Ursula 1000 ...
zerodB:
Heavyweight Gringos
(Ninja Tunes)
2006 erschien zerodB's Album „Bongos, Bleeps & Basslines“, was bald vollmundig als „bestes Ninja Tunes-Release“ ever galt. Der in die Knie beziehungsweise auf den Tanzboden zwingende Mix aus HipHop, Jazz und Funk mit tiefen, tiefen Bässen, den die beiden zerodB's Chris Vogado und Neil Combstock präsentierten, nutzt sich in keinster Weise ab – und lädt zu Interpretationen und Remixes ein. Ninja Tunes veröffentlicht jetzt das Remix-Album „Heavyweight Gringos“, das jeden Track des Originalalbums in einer neu bearbeiteten Version featuret. Peter Kruder hat sich um „Te Quiero“ gekümmert, Dibaba fügen dem Titeltrack „Bongos...“ noch tiefere Bässe hinzu (falls das vorstellbar ist), „Sunshine Lazy“ wird gleich dreimal geremixt, die Version von NWACHUKWU läßt die Beats sehr smooth fließen. Dave da Gatos Mix von „A Pomba Girou“ lebt von special effects wie Hundegebell und jeder Menge Bongos – insgesamt eine spannende Neubelebung eines Albums, von dem man nicht glaubte, dass Steigerungen möglich seien.
Tracklisting: Sunshine Lazy RAPHAEL SEBBAG remix ; Bongos, Bleeps & Basslines. RAYMOND IN SPACE remix ; Know What I'm Sayin' NERY BAUER remix ; Conga Madness.. TOSHIO MATSUURA remix ; Anything's Possible XRABIT remix ; Sunshine Lazy DAEDELUS remix ; Bongos, Bleeps & Basslines DIBABA remix ; Te Quiero ATFC remix ; Sunshine Lazy TONY NWACHUKWU remix ; Know what i'm Sayin' KIDS IN TRACKSUITS remix ; A Pomba Girou DAVE DA GATO remix ; Coisa Do Gringo YPPAH remix ; Te Queiro PETER KRUDER RUFF MIX ; Bongos, Bleeps & Basslines GOETZ B remix
Undressed
Ursula 1000 ... remixed
(ESL Music)
Noch ein Remixalbum: Auf „Undressed“ werden zehn Tracks des New Yorker DJs und Multiinstrumentalisten Alex Gimeno alias Ursula 1000 neu eingekleidet und mit jeder Menge schicker Accessoires ausgestattet. Das Ausgangsmaterial stammt von Ursulas Album „Here Comes Tomorrow“ (2006), dazu kommt ein neuer Track („Step Back“), der mit der Dancehall-Toasterin Sista Widey aufgenommen wurde. „Step Back“ fungiert als Opener und Rausschmeisser und kickt mit seinen HipHop-Beats sehr ordentlich; „Boop“ wurde von Skeewiff mit einem jazzigen Arrangement versehen und wem „Electrik Boogie“ im Original noch nicht disco-knallig genug war, wird mit dem Fort-Knox-Five-Remix sehr viel Freude haben. Da Ursula 1000 selbst schon leidenschaftlich gerne mit den verschiedensten Genres jongliert, Disco, House, 70er-Funk und Elektrorock zu einer tanzbaren Mischung verarbeitet, erstaunt es umso mehr, dass alle Remixer den Tracks zusätzliche Highlights aufsetzen konnten. So wird „Urgent/Anxious“ (der Gesang stammt von No-Wave-Ikone Cristina) im Ladytron-Remix zu einem schwer rockenden Electroclash-Gewitter, Myagi konzentriert sich beim selben Stück auf die technoiden Breakbeats. Das aus Grey's Anatomy einem größeren Publikum bekannte „Kaboom“ wird von den Neofunkern der All Good Funk Alliance zu einem charmanten Discotrack. Ursula 1000 macht enorm viel Spass – selbst frisiert oder von anderen gestylt.
» www.eslmusic.com
» www.ursula1000.com
Missill: Targets
(Discograph)
Die französische DJ Emily trägt ihren Aliasnamen „Missill“ (resp. Missile) zu recht: die 15 Tracks auf „Targets“ brettern so zielsicher, energiegeladen und kompromisslos aus den Boxen, dass man die weisse Fahne schwenkt und sich der 25-jährigen Rakete sofort ergibt. Missill ist berühmt für ihre Schnelligkeit beim Auflegen, die ihr beeindruckende Oberarmmuskeln beschert hat (auf dem Pressefoto sieht sie allerdings recht schmächtig aus); Emily/Missills Talente beschränken sich keineswegs auf einen Bereich: sie ist eine talentierte Graffiti- und Grafikkünstlerin und entwirft sogar ihre Klamotten selbst.
Der Opener „Forward“, zu dem Dynamite MC Gastvocals beisteuert, ist eine der zwingendsten HipHop- und Dancehall-Verbindungen, die man je gehört hat. Kräftig getoastet und Arsch getreten wird auch bei „Ill“ (featuring Junior Red), „Toxick“ und eigentlich allen anderen Tracks. Mit ihrer Freundestruppe, zu der zum Beispiel Ninelives the Cat und DJ Netik gehören, knallt Missill Reggae, HipHop und Breakbeats zusammen, bei „Dark Moon“ feat. DJ Netik und „Can't Control Me“ ertönen sogar kreischende Doom-Rockgitarren. Die britische Musikpresse – um Genredefinitionen nie verlegen - erfand den Begriff „Urban Punk“ für ihren Style. „Targets“ ist eins der seltenen DJ-Alben, das die Energie des Live-Auflegens mit detailverliebter Studioarbeit verbindet, ohne dass die Atmosphäre der Stücke darunter leidet. Obwohl es schwierig ist, einzelne Tracks aus diesem wehrlos machenden Debüt hervorzuheben: Mein Lieblingstrack ist „Kema“ mit seinen zerschredderten Elektronikbauteilen und der coolen Stimme von Yethz.
» www.missill.com
» myspace.com/djmissill
Bajofondo: Mar Dulce
(Surco Records/Universal)
Wer kennt Gustavo Santaolalla? Der Name des 55-jährigen Argentiniers ist tatsächlich kaum jemandem geläufig, seine Musik hingegen erreicht ein Millionenpublikum: Santaolalla zeichnet für die Oscar-gekrönten Soundtracks von Filmen wie „Brokeback Mountain“ und „Babel“ verantwortlich, er erhielt ausserdem zahlreiche andere Preise wie den Golden Globe und gleich neun Latin Grammys. 2002 stellte er seine Band Bajofondo Tango Club zusammen, produzierte nebenher junge lateinamerikanische Poptalente (sein erfolgreichster Schützling ist „Camisa Nera“-Sänger Juanes) und gründete ein Independentlabel, das sich der Veröffentlichung linksalternativer Bands aus Mexiko und Argentinien widmet. Santaolallas Mission ist es, genuin lateinamerikanische Musik wie Tango, Murga, Candombe oder Milonga in ein popkulturelles Umfeld zu bringen, mit HipHop und Electronica zu verschmelzen. Mit dem Album „Mar Dulce“ verbinden Santaolalla und seine uruguayanisch-argentinische Band, die jetzt griffiger nur noch Bajofondo heißt, Tradition und Moderne auf sehr lässige Weise. Der erste Track, „Grand Guignol“ ist ein energetischer Stomp-Tango mit flirrenden Klavierparts und Streichern, „strictly dancing!“ heißt die Devise, wie auch bei „Pa' Bailar“ und „Infiltrado“. Getragen und melancholisch hingegen ist „Cristal“, bei „Hoy“ erklingt die betrunken-verzweifelte Stimme von Juan Subira, der eine gewiss traurige Geschichte erzählt (wenn man sie denn verstünde). Überhaupt, die Gäste: die Stimme auf „Fairly Right“ kommt einem gleich bekannt vor – ja, es ist tatsächlich Elvis Costello! Nelly Furtado singt „Slippery Sidewalks“; Santaolalla ist besonders stolz darauf, die uruguayanische Grand Dame des Tango, Lagrima Rios zu einem Gastauftritt für „Mar Dulce“ bewegt zu haben. Bei allen 16 Tracks dieses Albums offenbart sich Santaolallas Hauptbeschäftigung als Komponist von Filmmusik: er lässt der Musik Zeit, Atmosphäre zu entwickeln, die Tracks sind effektvoll, aber nie effektüberladen. Bei „Pulmon“ karikiert/überzeichnet er den ehrwürdigen Tango und verleiht ihm eine witzige Note: man sieht regelrecht vor sich, wie ein Laurel-Hardy-artiger Tölpel zur Musik über die eigenen Füße stolpern. „Mar Dulce“ ist ein ungemein abwechslungsreiches Album, das alle Farben und Spielarten lateinamerikanischer Musik in den Popkontext überführt. Weitere Grammys für Santaolalla dürften sicher sein!
Christian Prommer's Drumlesson,
Drum Lesson Vol. 1 (Sonar Kollektiv)
Eine Idee, so kühn wie zwingend: zehn House-Klassiker im Jazzgewand, eingespielt von Christian Prommer und seiner Band Drumlesson. Prommer stammt aus München und hatte schon vor gut zehn Jahren als Teil des Trüby Trios erstmals versucht, Jazz und Clubsounds zusammenzudenken und -zu spielen. Erst jetzt, dank der enthusiastischen Teilnahme des Pianisten Roberto di Gioia, Schlagzeuger Wolfgang Haffner, Bassist Dieter Ilg und Percussionist Ernst Ströer, gelang Prommer die Realisation seines Jazz-Club-Traums und das Ergebnis ist – ohne Übertreibung – fantastisch, ein Genuss. Bei diesem Experiment hätte viel schiefgehen können, bildungsbürgerlich-dröge Arrangements hätten die für den Tanzboden geschaffenen Originale schlicht zerstören können. Aber Prommers Neuinterpretationen wirken nie konstruiert und aufgesetzt, sondern arbeiten mit Repetition und Improvisation, Elemente, die beiden Genres eigen sind. Erstaunliche (oder gar nicht so erstaunliche) Erkenntnis: House und Jazz verstehen sich wunderbar, stehen sich näher, als man denken könnte. Derrick Mays House-Hymne „Strings of Life“ war der erste Track, den Prommer in ein Jazzarrangement mit Bossanova-Anleihen packte und damit wahre Grenzüberschreitung praktizierte. Drumlesson zeigt, wie einengend und unsinnig Stilbezeichnungen oft sind, wenn die reine Tanzbarkeit bei „Drum Lesson Vol. 1“ verständlicherweise eine kleinere Rolle spielt. Prommer/Drumlesson stellt die Melodiebögen und Harmonien heraus: Ein Stück wie „Higher State of Consciousness“, im Original eine Feier der Entgrenzung, wird von Drumlesson in seine Einzelteile zerlegt und zu einer jazzy Etüde wieder zusammengefügt. „Elle“ von DJ Gregory wird unter den Händen Prommers und seiner Kollegen zu einem regelrechten Klassikstück, „Claire“ von Patrick Pulsinger gerät zur verhaltenen Studie mit entspannt-swingenden Drums, Barjazz-Pianoparts und dunkelgefärbten Streichern. Kraftwerks „Trans Europa Express“ klingt mit gestrichenem Schlagzeug und Piano ungeahnt fröhlich und lebendig, dass man es beim ersten Hören kaum erkennt, wäre da nicht die prägnante Hookline, die man doch schon mal irgendwo gehört hat... Für 2008 ist ein weiteres Drumlesson-Projekt geplant, dann soll es in die umgekehrte Richtung gehen: Jazzklassiker bekommen ein House-Gewand – man darf gespannt sein!
Drumlesson live:
16. Februar: München/Registratur (mit Peter Kruder); 19. März: Hamburg/Fabrik (mit Neil Cowley Trio) ; 20. März: Berlin/Lido; 21. März: Dortmund/Domizil; 22. März: Köln/Stadtgarten
» myspace.com/christianprommer
» www.sonarkollektiv.com