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14. September 2008
Christina Mohr
für satt.org


Wohnzimmerclub
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  Bomb the Bass: Future Chaos
Bomb the Bass:
Future Chaos

!K7
» future-chaos.de


Vor langer langer Zeit trieb Acid House in England, später auch im Rest Europas sein fröhliches Unwesen: ab ca. 1987 grinsten knallgelbe Smilies von Plattenhüllen und T-Shirts, die Kids tanzten bis zur Erschöpfung zu hektischen Elektroklängen, häufig unterstützt durch illegale Substanzen in Tablettenform. Einer der Acid-Hauptakteure war Tim Simenon a.k.a. Bomb the Bass: sein Track „Beat Dis“, eine wahnwitzige Melange aus Samples, Discobeats und Techno wirkte epochal für das gesamte Genre. Mitte der neunziger Jahre war die große Zeit der Raves und Acid House vorbei, auch das Projekt Bomb the Bass stellte seine Aktivitäten ein. Simenon arbeitete als Remixer und Producer, Hits wie Neneh Cherrys „Buffalo Stance“ und Seals „Crazy“ gehen auf sein Konto als Studiozauberer. Mit einem Comebackalbum von Bomb the Bass war zum jetzigen Zeitpunkt nicht wirklich zu rechnen – und mit Acid House hat „Future Chaos“ kaum etwas zu tun. Simenon, immer auf der Suche nach ungewöhnlichen Sounds, entdeckte den Minimoog wieder, einen bereits 1970 entwickelten analogen Synthesizer. Einfachheit wurde zur neuen Losung für Bomb the Bass: keine aufwändigen Samples und Breaks mehr, sondern zugängliche, eingängige Melodien und Arrangements. Die Grundstimmung auf „Future Chaos“ ist sanft und minimalistisch, trotz moderater Beats nicht wirklich für die Tanzfläche geeignet. Tim Simenon lud zur Unterstützung und Abrundung der neun Tracks namhafte Gastvokalisten ins Studio ein: David Best, eine Hälfte des Duos Fujiya & Miyagi haucht und flüstert auf „Butterfingers“, Jon Spencer (Blues Explosion) macht aus „Fuzzbox“ eine irritierende Telefonsex-Skizze, Paul Conboys (A.P.E., Corker/Conboy) sanftes Organ veredelt gleich fünf Songs. Den unbestrittenen Höhepunkt liefert Mark Lanegan: der Queens of the Stone Age-Shouter und Duettpartner von Isobel Campbell sorgt auf „Black River“ für whiskygeschwängertes Countryfeeling, das hervorragend zur elektropoppigen Basis paßt.


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  Gelka: Less Is More
Gelka: Less Is More
Wax On Records, Nova Media, Beats International
» myspace
» waxonrecords.com


Ungarn stand in punkto Musik seit jeher für feurige Pusztaklänge und Operetten á la Czardasfürstin – weniger für Pop und Dance. Gelko, jüngstes Signing des Nightmares On Wax-Labels Wax On Records, könnte diese Wahrnehmung grundlegend ändern: Die beiden Musiker/Producer Alex und Sergio stammen aus Budapest, arbeiten auch dort und konnten ihre Tracks schon mehrfach auf Café Del Mar-Compilations unterbringen. „Less Is More“ ist ihr erstes „langes“ Album und räumt gleich mit mehreren Vorurteilen auf:

  1. Man hört Musik aus Südosteuropa ihre Herkunft sofort an – falsch. Gelkas Musik hat nichts, rein gar nichts mit Balkanbeats, Russendisko oder dem Bucovina Club zu tun. Gelka spielen lässigen, smoothen Souljazz mit Einflüssen aus Reggae und Funk, sozusagen „Loungemusic with an edge“.
  2. Lounge ist langweilig – auch falsch. Siehe 1.
  3. Ungarn ist nicht pop-sozialisiert: erst recht falsch.

Sergio und Alex leben nicht hinterm Mond, sondern in der lebendigen Metropole Budapest und haben so einiges mitbekommen, was man auf „Less Is More“ nachhören kann. Gelka bezeichnen sich als stark beeinflußt von internationaler Pop- und Dancemusic, halten es aber gleichzeitig für sehr wichtig, „typisch ungarische“ Eigenschaften wie die untrennbare Verquickung von Melancholie und Optimismus, Fröhlichkeit und Traurigkeit in ihren Sound einfließen zu lassen. Gelkas Beats sind oft nicht mehr als ein Fingerschnipsen, leicht und wie beiläufig entwickeln sich tanzbare Grooves. Gastsängerin Sena bringt Soul in Tracks wie „Blame“, „So Many Ways“ und „Angry Eyes“; der Toaster/MC Ricky Ranking sorgt für afrokaribische Elemente bei „Eau Rouge Pt. 2“ und dem verspielt-verschleppten Walzer „Burlesk“. „When You Gotta Go You Gotta Go“ greift mit seinem Reggaerhythmus und gedämpfter Trompete die karibische Stimmung erneut auf, mit „Hungarian Woodoo“ nehmen sich Gelka selbst auf die Schippe (Vorurteile gegenüber Osteuropa, s.o.). Gelko, deren Bandname auf den ehemaligen staatlich-einheitlichen Elektrogeräte-Reparaturdienst Ungarns zurückgeht, haben mit George Evelyn alias E.A.S.E., Head of Nightmares on Wax, zwar einen prominenten Supporter gewonnen, auf den sie aber ziemlich sicher nicht mehr lange angewiesen sein werden.


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  Simian Mobile Disco: Sample and Hold
Simian Mobile Disco:
Sample and Hold

Wichita / Cooperative
» wichita-recordings.com
» simianmobiledisco.co.uk
» myspace


Als das britische Elektro-Duo Simian Mobile Disco im vergangenen Jahr „Attack Decay Sustain Release“ veröffentlichte, war die Begeisterung groß: die zehn Tracks des Albums bildeten die perfekte Schnittstelle zwischen Nu Rave und Oldschool, Ekstase und Augenzwinkern gingen Hand in Hand. Jetzt haben Jas und James alias SMD gute Bekannte mit großen Namen ins Studio gebeten, um das komplette „Attack“-Album zu remixen und das Ergebnis ist ziemlich umwerfend. Die Originaltracks, meist kompakte Drei- bis Vierminüter, wurden geschreddert, gedehnt, geloopt und in schier infinite Dancefloor-Epen verwandelt. Simians Trackmaterial verträgt sich mit Dubstep genauso gut wie mit minimalistisch-technoiden Beats und ambientartiger Elektronik. Simon Bakers Remix des Openers „Sleep Deprivation“ gehört inzwischen zum festen Repertoire von SMDs eigenen DJ-Sets, der französische Producer Joakim behandelt „Hustler“ äußerst elegant und feinfühlig, „Tits & Acid“ im Oscillation-Remix entwickelt Trance-Wirkung, spiralförmig und repetitiv. Höhepunkt im Remix-Reigen ist Shit Robots „It's the Beat“-Mix (mit Gastvokalistin Ninja vom Go!-Team): mehr als zehn Minuten Irrsinn, von Elektroclash über Italo-Disco, House, Rock und Samba ist hier alles drin. Ninja singt „On the dancefloor I am a world class freak“ – in diesem Sinne: Yeah!


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  Stereo MCs: Double Bubble
Stereo MCs: Double Bubble
Doppel-CD, Pias / Rough Trade
» stereomcs.co.uk
» myspace


Die Stereo MCs aus London sind eine Klasse für sich: seit dem Debütalbum „33 45 78“ aus dem Jahr 1989 steht die Truppe um den hageren MC/Rapper Rob Birch und DJ Nick Hallam („The Head“) für eine ebenso hypnotisierende wie energetische Kombination aus zwingenden Dancebeats und verdrogter Lässigkeit, abgeschmeckt mit ein wenig HipHop und Funk. Bei aller Tanzbarkeit war dem Stereo Mcs-Sound immer eine gewisse unterschwellige Bedrohlichkeit eigen, ein leises, basslastiges Grollen unterhalb des Grooves... Die Rezensentin erinnert sich noch gut an ein Bizarre-Festival Anfang der neunziger Jahre: in glühender Mittagssonne betraten die Stereo MCs die Bühne und fanden ein abweisend-gelangweiltes Waver-Goth-Indiepublikum vor, das Iggy Pop und New Model Army ersehnte, aber keinesfalls zu DISCOklängen die Hüften schwingen wollte. Es sollte nur wenige Minuten dauern, bis sich die ersten Schwarzkittel aus ihrer Sitzblockade erhoben und zu „Connected“ und „Step it Up“ abhotteten – Tausende schlossen sich an, die Stereo MCs hatten gewonnen, New Model Army hin oder her. Seit dieser Zeit haben sich die MCs nie wirklich musikalisch „neu erfunden“, wie man so (un)schön sagt: stoisch und stilsicher wie sonst nur Motörhead, die Ramones und Status Quo fahren die Stereo MCs ihren Stiefel; elastisch, gut abgehangen mit deepen Beats und Birchs charakteristischem Sprechgesang. Sogar eine neunjährige Pause konnten sie sich leisten: 2001 erschien „Deep Down and Dirty“ und knüpfte ohne viel Federlesens dort an, wo „Supernatural“ und „Connected“ aufhörten. Der Sound kam vielleicht etwas rauher, technoider, moderner durch die Boxen als das mellow-smoothe Frühwerk, aber die Grundelemente blieben gleich, tanzwütige Fans weltweit dankten es ihnen. Auch das neue (Doppel-)Album „Double Bubble“ ist so sehr Stereo MCs, dass man von einem fremden Stern kommen müßte, um die Band nicht sofort zu erkennen. Das Tempo wird hier und da ein wenig angezogen, bei „Gringo (Ragged & Ruthless)“ fließen orientalische Elemente ein, „Pictures“ orientiert sich an düsterem Elektropop, öffnet sich dann in eine fröhliche Synthieorgie, in der ein kleines Stückchen aus Mike Oldfields Hit „Get to France“ gesamplet wird (!) und „City Lights“ reflektiert das Leben im urbanen Dschungel – moderate Variationen auf vertraut hohem, ja unantastbarem Niveau.


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Kurz & Knapp:

  The Jazzinvaders: Blow!
The Jazzinvaders: Blow!
Social beats / Groove Attack
» jazzinvaders.com

Mr. Confuse: Feel the Fire
Mr. Confuse: Feel the Fire
Légère
» myspace
» legere-recordings.com


Jazz und Funk neue Impulse verleihen wollen sowohl Mr. Confuse, DJ, Produzent und Komponist aus Hannover als auch die niederländische Band The Jazzinvaders. Mr. Confuse arbeitete bis vor kurzem mit dem Produzententeam Breakout zusammen und zeichnete unter anderem für eine sehr funky Bearbeitung von Afrika Bambaataas „Planet Rock“ verantwortlich. Das Album „Feel the Fire“ entstand zunächst komplett am Computer: Mr. Confuse baute Drumloops, samplete Versatzstücke aus existierenden Tracks und stellte dieses „Gerüst“ seinen Musikern vor, die mit „echten“ Bläsern und souligen Gesangseinlagen ein wahres Feuerwerk aus Latin, Afrobeat, Soul und Funk entfesseln. Ebenfalls „strictly dancing“, aber mehr US-amerikanischen Bigband-Traditionen verhaftet gehen The Jazzinvaders vor: Mastermind Phil Martin und seine Band frönen altmodischem Crooning („Day by Day“) ebenso wie Bongo-Rhythmen („Perugia“), huldigen mit Tracks wie „Max Roach“ und „Art Mbekie“ legendären Jazzgrößen, kombinieren flirrende Bläsersätze mit ruhigen, kontemplativen Parts und schaffen mit „Blow!“, was nur wenigen Jazzern wirklich gut gelingt: nämlich eine bruchlose Verbindung von gestern und heute, alt und neu, Tradition und Innovation.


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  Alva Noto: Unitxt
Alva Noto: Unitxt
Raster-Noton

Byetone: Death of a Typographer
Byetone: Death of a Typographer
Raster Noton
» raster-noton.net


Hinter dem in Chemnitz ansässigen Label Raster-Noton stecken die Künstler Olaf Bender und Carsten Nicolai – klar, dass bei Raster-Noton-Produkten auf die Covergestaltung genauso viel Wert gelegt wird wie auf den musikalischen Inhalt. Das ist auch bei den zwei jüngsten R-N-Veröffentlichungen so: strenge Zweifarb-Grafik und -Typographie bilden ein minimalistisch-ästhetisches Gesamtkonzept, das mit dem sonischen Inhalt identifizierbar ist. Alva Noto (Carsten Nicolais Soloprojekt) und Byetone arbeiten mit Clicks'n'Cuts, minimalen Beats, Drones und bis auf den puren Sinuston reduzierten Sequenzen. Byetone steht für die zugänglichere, in Ansätzen sogar tanzbare Variante; Alva Notos Klangexperimente sind zuweilen nur wenige Sekunden lang und stellen den forschenden, suchenden Aspekt in den Mittelpunkt. Raster-Noton-Artists dringen in neue, noch ungekannte Elektro-Dimensionen vor – spannend und zukunftsweisend.