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Die Post-WM-Ausgabe des Wohnzimmerclubs soll in erster Linie dazu beitragen, die ästhetischen Zumutungen der letzten Wochen vergessen zu machen. Die im Folgenden vorgestellten CDs glänzen und funkeln, sind Augenweide und Ohrenschmaus; zudem wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: gleich fünf Doppelalben stehen zur Auswahl. Elegant und geschmackvoll (wenn auch mit zweifelhafter Covergestaltung) geht's los: die zehnte Ausgabe der Bar Lounge Classics des Comfort Sounds Labels (via SonyBMG) liegt vor, 36 Tracks verteilt auf zwei CDs lassen wenig Wünsche offen. Sogenannte „Bar-“ oder „Loungemusic“ ist in den letzten Jahren ziemlich in Verruf geraten, meist zu Recht als Klangtapete für neoliberale Cabriofahrer abgetan, doch die Sunset Edition der „blc*“ versöhnt mit dem Genre. Untermalt von Tosca, Zimpala, Nightmares on Wax, Groovecatcher, Thievery Corporation, Towa Tei und -zig anderen Nummern zwischen Ibiza-Style, Bossanova und smoothem Elektro klirren die Eiswürfel im Cocktail noch mal so schön. Und wenn man den Sonnenuntergang schon nicht von seiner Yacht aus beobachten kann, sollte man wenigstens auf einem Liegestuhl lagern und Urlaub im Hinterhof machen.
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Auch die Bargrooves-Serie kann auf viele Veröffentlichungen verweisen, „Magenta“ ist die immerhin 17. Ausgabe der international renommierten, von britischen House-DJs konzipierten Reihe. Das Digipack ist schon optisch und haptisch ein Genuß (Illustrationen von der sizilianischen Designerin Marina Caruso), die 24 Tracks reichen von Chicago House bis zu souligem Elektro, gemixt haben Labelchef und Besitzer des Londoner „White House„-Clubs Ben Sowton und James Fierce.
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Ebenfalls bei Seamless erschienen und genauso schick gestaltet (Grafiker: Paul Catherall) ist die Doppel-CD „City Life/Underground London“, die oben genannter Ben Sowton als „House Music for a post-club-generation“ bezeichnet. Das klingt interessant und auch irgendwie notwendig, das Ergebnis ist bestrickend: Disc 1 präsentiert ausschließlich Tracks des Kinky Vinyl Labels, gemixt vom Labelboss Joel Xavier. Stilsicher wird Mike Mondays „Rumpfunk“ mit Wonderlands „White Horse“ kombiniert und die Tracks der Sucker DJs vermitteln einen Eindruck davon, wie Urban Soul klingen kann. CD Nummer 2 widmet sich den Erzeugnissen von Soussol Records, hauptsächlich repräsentiert durch Kid Massive und The Rhythm Slaves.
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Die Geschichte der Familie Scroggins dürfte als bekannt vorausgesetzt werden: vor mehr als 30 Jahren besorgte Mutter Scroggins ihren fünf Kindern (vier Schwestern, ein Bruder) Instrumente, damit sie sich nicht auf der Straße herumtrieben. Die Bronx war in den siebziger Jahren ein wildes, gefährliches Pflaster, und die Möglichkeiten für Jugendliche bestanden aus Dealen und Rumhängen – kluge Entscheidung der Mutter also, ihre Sprößlinge an die Musik heranzuführen. Die Geschwister wählten den Namen ESG für ihre Band – die drei Buchstaben stehen für Emerald, Sapphire & Gold. Die Geschwister liebten James Brown und Motown und in bester DIY-Manier brachten sie sich das Spielen selbst bei. Schon bald traten sie in einschlägigen New Yorker Clubs wie der Paradise Garage auf, wurden zu Szenelieblingen und spielten unter anderem im Vorprogramm der Clash, PIL und Gang of Four. Ihr simpler, präziser Percussionsound wurde zum Vorbild unzähliger Bands wie zum Beispiel Liquid Liquid oder Konk und beeinflußte auch die frühen HipHopper. Bis heute sind die Basslines ihrer Hits wie „UFO“ oder „Moody“ die meistgesampleten Sounds aller Zeiten – ein Umstand, über den sich die Geschwister keineswegs freuen: 1992 veröffentlichten sie die EP „Sample Credits don't Pay Our Bills“, ESG verstehen das fröhliche Sampeln und Zitieren der HipHop- und Dancekollegen weniger als Verbeugung vor ihrer Musik denn als schlichten Diebstahl.
Doch jetzt zeigt die Funkfamily wieder allen, daß sie ihren urbanen Superfunk immer noch am besten selbst spielen kann. Bei Soul Jazz Records, wo auch die ESG-Sampler A South Bronx Story und Step Off herauskamen, ist nun „Keep on Moving“ erschienen, ein rollendes, groovendes Baßmonster, das einem die Eingeweide tüchtig durchrührt. Die Bandbesetzung hat sich etwas verändert, Schwester Deborah und Bruder Tito sind nicht mehr dabei, Renees Tocher Nicole spielt jetzt Bass und Valeries Tochter Chistelle ist an der Gitarre zu hören. Das Ergebnis ist der schlichteste, reduzierteste Funkpunk, den man sich vorstellen kann. Purer Rhythmus, dunkler Baß und zwingender Groove, der kaum Accessoires benötigt – Kuhglocken, Bongos und Tambourine werden sparsam und wirkungsvoll eingesetzt. Der Opener „Purely Physical“ klingt genau so, wie es der Titel anmuten läßt, erdig und sexy. Die anderen Tracks wie „I'd Do it For You“ oder „Gimme A Blast“ klingen selbstverständlich und strahlen trotz aller Tanzbarkeit eine sehr selbstbewußte Gelassenheit aus. ESG sagen über sich selbst, daß sie keine Vorbilder haben und auch kaum moderne Musik hören - ist auch nicht nötig.
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Nach mehr als zehn Jahren Zusammenarbeit ist es Zeit für ein Best-of-Album von Mark Brydon und Roisin Murphy, a.k.a. Moloko. „Catalogue“ beinhaltet natürlich die Hits „The Time is Now“, „Fun for Me“ und „Sing it Back“, aber auch weniger bekannte Tracks wie „Forever more“ und „Where is the What if the What is in Why„. Auf der zweiten CD ist ein Liveauftritt aus dem Jahre 2003 in Brixton zu hören, der zeigt, daß die beiden ihren anspruchsvollen Discosound sehr lässig auf die Bühne bringen können.
Seit ihrem Debutalbum „How Do You Like My Tight Sweater“ steht das Duo aus Sheffield für eine kluge Melange aus Triphop, Soul und Disco. Sexy und tanzbar kombinieren sie tonnenschwere Bässe mit leichten Beats, die Stimme von Miss Murphy tut ihr übriges: im letzten Jahr machte sie mit ihrem Soloalbum „Ruby Blue“ derart Furore, daß man nur hoffen kann, daß „Catalogue“ lediglich Wegmarke einer Bandkarriere und kein Vermächtnis von Moloko ist.
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Zum 20jährigen Bestehen von Lado/L'Age d'Or bekommt das Volk Kuchen statt Knäckebrot: die Erfolgsplatte „Hot Wire My Heart“ von Mense Reents und Jimi Siebels, besser bekannt als Egoexpress, wird im schicken Digipack wiederveröffentlicht, als Dreingabe befinden sich auf der zweiten CD „Hot Wire„-Remixe von Lawrence und Lowtec, aber auch neue Tracks. Wer im letzten Jahr aus welchen Gründen auch immer nicht zu „Knartz 4“ (mit der schönen Zeile „Oh my God, it's Techno Music„) oder „Links eine Hand“ getanzt hat, kann das jetzt nachholen und sich darüber freuen, die schöne Sammlerausgabe erstehen zu können.
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Remute heißt eigentlich Denis Karimani und ist ein neuer Ladomat-Act, der die Entdeckung lohnt: seine 12 flockigen Tracks zwischen House, Electro und Dancefloor machen Spaß und sind allesamt problemlos tanzbar.
„Winning Notification“ ist ein dunkelbassiger Stomper mit vielen Handclaps und Effekten, „The Man-eating Elevator“ knarzt und blubbert, daß es eine wahre Freude ist. „5000 Euro“ erzählt mit deutschen Lyrics die unwahrscheinliche Geschichte vom Auffinden eines Portemonnaies mit 5000 Euro drin, und selbst, wenn das nie passieren wird, stellen sich auf der Tanzfläche vergleichbare Glücksgefühle ein.
Und wer sich traut, einen Track „I Love My Parents“ zu nennen, dem gebührt sowieso das goldene Bussi-Bär-Herz am Bande.