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November 2007
Christina Mohr
für satt.org


Wohnzimmerclub
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Wohnzimmerclub
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Mittlerweile sind wir mitten im Herbst, abends wird’s empfindlich kühl und es gibt keinen Grund mehr, draußen rumzulungern. Also ab in die Clubs oder ins Wohnzimmer, ganz egal, aber es empfiehlt sich, die aktuellen Alben von Uusitalo, Sun Electric, The Dynamics, Chica and the Folder, Booka Shade und Chloé vorrätig zu haben …


Booka Shade:
DJ-Kicks
(!K7)

Booka Shade: DJ-Kicks

Die beiden Wahlberliner Arno Kammermeier und Walter Merziger alias Booka Shade bestehen darauf, nicht als DJs bezeichnet zu werden – ihr Betätigungsfeld ist tatsächlich auch ohne DJ-Status beeindruckend umfangreich: Kammermeier/Merziger arbeiten als Producer, Musiker (ihr letztes Album „Movements“ erschien 2006), Remixer (unter anderem für Depeche Mode, Roxy Music, Tiga und The Knife) und haben vor ein paar Jahren das qualitätsbewußte Label Get Physical gegründet. Genug zu tun also, das deejayen überlassen sie gern anderen. Trotzdem gelang es den !K7-Leuten, die zwei zu einem DJ-Kicks-Album zu überreden – entstanden ist die bereits 29. Kicks-Compilation und der allererste DJ-Mix von Booka Shade überhaupt. Booka Shade nutzten die Gelegenheit, ein Album zusammenzustellen, das sich aus ihren persönlichen Lieblingstracks speist: „Wir wollten keinen Mix mit dem heißen Scheiß des Sommers vorlegen. Wir wollten etwas schaffen, das Bestand hat. Wir wollten ein musikalisches Statement setzen.“ So erklären Booka Shade ihre Auswahl, die nach bester Mixtape-Tradition funktioniert: alles, was man mag, paßt auch zusammen. Kammermeier und Merziger mixen Achtziger-Elektropopklassiker von Yazoo („Situation“), Heaven 17 („Geisha Boys and Temple Girls“) mit Tracks von Carl Craig und Aphex Twin, featuren jüngere Künstler wie The Streets' ergreifende Schlußmach-Spoken-Word-Ballade „It's Too Late“, Lopazz oder Matthew Dear. Dazu ein paar für DJ-Sets eher ungewöhnliche Stücke wie Brigitte Bardots „Contact“, zwei John-Carpenter-Tracks und The Tubes mit „Drums“. Verbunden wird alles durch von Booka Shade programmierte Rhythmtracks und zwei eigene Stücke („Estoril“ und „Numbers“) die dem elektronischen Herzen Berlins huldigen. Booka Shades Mix (und wer käme auf die Idee, diese Zusammenstellung nicht als DJ-Mix zu bezeichnen?) klingt trotz der zeitlichen und stilistischen Sprünge durchdacht und homogen, ganz nebenbei erhält man beim Tanzen ein wenig Unterricht in Geschichte elektronischer Tanzmusik: hört man die Songs von Yazoo oder Heaven 17 neben modernen Stücken, bemerkt man, welchen immensen Einfluß Achtzigerelektro bis heute auf jüngere Künstler hat. Und wenn das Album mit Richard Hawleys Kehraussong „Last Orders“ ausklingt, weiß man, was man gleich bestellen wird: „Nochmal die DJ-Kicks von Booka Shade bitte!“ (Text erschien zuerst im Titel-Magazin)


Sun Electric:
Lost and Found (1998 – 2000)
(Shitkatapult)

Sun Electric: Lost and Found (1998 – 2000)

Wie Booka Shade sind auch Sun Electric ein Duo. Tom Thiel und Max Loderbauer arbeiten seit mehr als fünfzehn Jahren zusammen und werden von ihrem Label vollmundig so angekündigt: „Sun Electric is to ambient music what The Sex Pistols is to punk music.“ Nun fällt es erstmal schwer, die Begriffe „ambient“ und „punk“ miteinander in Beziehung zu bringen, soll der Vergleich aber ausdrücken, dass Sun Electric eine bahnbrechende und stilprägende Rolle im Elektro- und Ambientbereich innehaben, dann können wir nur heftig nickend zustimmen. „Ambient“ ist ja ein wenig in Verruf geraten, zu viel esoterischer Quirlkram wurde unter dieser Bezeichnung veröffentlicht, so dass man glatt vergessen konnte, welch' erhebende Musik Ambient auch sein kann – wir verweisen an dieser Stelle auf The Orb, mit dessen Mastermind Alex Peterson Sun Electric eine enge Freundschaft verbindet, die seit einer 1993 (!) gemeinsam absolvierten Tour besteht. Das Album „Lost and Found (1998 – 2000) präsentiert zehn „verlorengegangene“ Tracks, die Sun Electrics Meisterschaft im chilligen und dabei sehr spannenden, weil detail- und einfallsreichen Ambient-Elektro beweisen. "Lost and Found" ruht entspannt in sich selbst, komplexe soundscapes tun sich auf, die bei "Afterglow" Bilder von Dschungel, exotischen Vögeln und Tieren evozieren, ohne auch nur die Spur kitschig zu sein. "Shuttle" ist beinah ein Popsong, ein munterer Fake-Guitar-Shuffle geht in eine hinreißend schöne Indiepopmelodie über, der Reiz der Repetition wird genutzt, aber niemals überstrapaziert.


» myspace.com/sunelectric



Chica and the Folder: Under the Balcony

Chica and the Folder:
Under the Balcony
(Monika)

Max Loderbauer ist neben Sun Electric auch bei Chica and the Folder aktiv – die neue, sehr schöne CD „Under the Balcony“ von „Chica“ Paula Schopf und Herrn Loderbauer ist soeben bei Monika Records erschienen.


Uusitalo: Karhunainen
(Huume Records)

Uusitalo: Karhunainen

Uusitalo ist eine der vielen Karnationen des in Berlin ansässigen Finnen Sasu Ripatti, besser bekannt als Luomo, Vladislav Delay oder eben Uusitalo. Ripatti/Delay/Luomo/Uusitalo liebt pointierte Drum- und Perkussionsounds und dicke Bässe, manchmal eher minimal (als Luomo), sphärisch-dubbig (als Delay) oder tendenziell tanzbar als Uusitalo. „Karhunainen“, finnisch für „Bärenfrau“ ist das dritte Uusitalo-Projekt und bezieht sich auf ein Theaterstück gleichen Namens, das Ripattis verstorbener Vater geschrieben hatte. Die zehn Tracks auf „Karhunainen“, die konsequent finnische Titel tragen, werden größtenteils von der geraden Bassdrum dominiert, was dem Clubeinsatz dienlich ist. Ebenso bestimmend wie der 4/4-Beat ist die dunkle, warme, zuweilen melancholische Klangfarbe, die die zahlreich eingestreuten clicks & cuts einlullt. Bei Tracks wie „Konevitsa“ zeigt sich Uusitalos/Ripattis Liebe für gestrippten Dancehall-Dub, der Titeltrack läßt die Bärenfrau auf einem federnden, energetischen Elektronikteppich in die Stadt und geradewegs in die Disco wandern. „Karhunainen“ funktioniert im Club genauso wie zuhause auf dem Bärenfell vorm Kamin.


Chloé:
The Waiting Room
(Kill the DJ)

Chloé: The Waiting Room

Ist es paradox, als DJ zu arbeiten und seine erste Platte „I Hate Dancing“ zu nennen? Chloé Tevenin aus Paris hat genau das gemacht und steht damit in der Tradition vieler erklärter NichttänzerInnen, die dennoch genuin Tanzmusik produzieren (zum Beispiel Paul Kuhn, aber das nur als „aside“). Seit Ende der neunziger Jahre gehört Chloé als DJ und Produzentin zu den großen Namen der französischen Club- und Elektroszene, legt in Clubs und auf internationalen Festivals auf. Ihr zweites Album „The Waiting Room“ ist eine phantasievolle, wagemutige Mixtur aus Elektronika, Minimal und Techno, die keine Genregrenzen (aner)kennt. Die 15 Tracks pulsieren, atmen, seufzen, klingen mal sphärisch wie „Be Kind to Me“, mal rockig-psychedelisch und dann wieder ganz ungehemmt achtzigerjahre-orientiert wie ein Depeche Mode-Song ohne Dave Gahan. Einer der – vielen – Höhepunkte auf „The Waiting Room“ ist „Around the Clock“, ein minimalistischer, repetitiver Elektronikblues, auf dem eine schräg geblasene Posaune eine ebenso wichtige Rolle spielt wie Chloés gehauchte Vocals. Geheimnisvoll, hypnotisch, großartig!


» www.dj-chloe.com



The Dynamics:
Version Excursions
(Groove Attack)

The Dynamics: Version Excursions

Der Partykracher zum Schluss: wie Chloé sind auch The Dynamics in Frankreich (Lyon) zuhause, die Wurzeln ihrer Mitglieder sind aber ganz international – Kamerun, Bristol, Boston sind die Geburtsorte der „musikalischen Reisenden“, als die sich die Band selbst bezeichnet. Ihr charakteristischer Funk-Dub-Roots-Soul zwischen Dancehall und urbanem Clubsound hat The Dynamics auf der ganzen Welt bekannt gemacht. Auf „Version Excursions“präsentieren The Dynamics Coverversionen, die man nur originell nennen kann: ob Princes' „Girls and Boys“, „Miss You“ von den Stones, Madonnas „Music“, der Led Zep-Klassiker „Whole Lotta Love“ oder „Rockit“ von Herbie Hancock, jeder Song wird auf seine Basishookline reduziert und der Dynamics-dynamischen Dub-Funk-Behandlung ausgesetzt. Am eindrucksvollsten gelingt das beim White-Stripes-Hit „7 Nation Army“ und bei Bob Dylans „Lay Lady Lay“, dem der karibische Reggae-Flair hervorragend steht. Der Soulklassiker „Land of 1000 Dances“ bekommt ein tchicka-tchicka-Skagewand verpasst und holt auch Tote auf die Tanzfläche. In der Gesamtheit ist das Konzept ein wenig ermüdend, aber die Stücke wirken ohnehin am besten, wenn man sie in kleinen Dosen darreicht – die Überraschung wird gelingen und ein breites Lächeln auf die Gesichter der Tanzenden zaubern!