Zucker in der Weltmaschine
oder:
Ich bin Botticelli
(Auszug)
Gibt es nur ein einziges Ereignis,
das die Mühe lohnte,
berichtet zu werden?
E.M. Cioran
Ja!
Saul Cechy
Als Elvis schon fett war, waren immer noch
die Bewegungen der größten Himmelskörper
und des leichtesten Atems
möglich. In einem.
Die Gesamtenergie des Weltalls sei null,
flüsterte er, das Weltall
sei also, durchaus, aus dem Nichts entstanden, das
sei der Beweis. Wofür. Wofür?
Für die Säufer, die Irren, die Fetten.
Für all das Glück, das unverdiente Glück.
Alle Geschichten der Welt
münden in einen Satz. Diesen Satz
gibt es nicht, diesen Satz gibt es, hüpfend
kommt er über die Berge.
Wir hören zu. Wir gehören dazu. Romeo
haßte Julia, Julia Romeo. Nackt
steht ein junger Mann in der Mitte eines Salons.
Die Damen lassen sich Mocca reichen. Jede Handbewegung
wird eine Narbe. Schmerz und Schmu.
Hunderte junge Sterne treiben, eingebettet im Rosettennebel,
hin, die Rufe der fetten Altsterne, die sie begleiten,
werden wir niemals verstehen.
Wenn Pflanzen bei der Berührung
die Blätter zusammenfalten, die Blattstiele beugen,
ist der Grund weder wahr noch falsch.
Lautlos und beiläufig, wie sie erschienen,
verschwinden sie wieder. Nur manchmal,
wenn sie, zu Boden gesunken,
der Krepps, der Organzablusen entledigt, sich träge
aneinander reiben, ein ganz
leises Schaben.
Der Abtrag der Schleimhäute.
das Verrutschen der Unterhäute.
Das Auslöschen, das Mästen des Selbst.
In den Weichbildern, unterhalb der Dehors,
die Beutelschneider, Schweineschicksen, Halsumdreher,
Beschwörungen, Körungen,
Finger, die Därme ausstülpen, Muskeln aufschließen,
Fleisch kollabieren lassen,
Speichelfäden, Gegröle, Eindringen, Verlassen,
und daß die Toten nichts anderes als die Lebenden wollen.
Lou Reed singt hier.
John Hooker leuchtet.
Nymphen streunen durch Kiese und Sande,
durch Eingebungen und Gedankenentzüge.
Im rosa Unterrock, aufgeschwemmt, im Duft ihrer Hasenmitte,
sitzt eine alte Alkmene am Fenster.
Ein großes Tier, rasend, verzweifelt
in seiner Eifersucht, verendet im Hof,
in seinem Körper mehr Zellen
als Sterne im Weltall. Die Sonne versinkt.
In einem Moor versinkt eine Frau.
Pad Garett jagt Billy the Kid.
Nie werde ich wissen, wie
Dein Haar duftete, dein Bauchnabel roch,
bevor ich geboren wurde. Und wie das Innere
einer Frau aussieht? Rosa, nichts als rosa,
also unsichtbar, sage ich, also
“Blow the Sweet and Lowdown!“Stiefmütterchen steifseidig blüht, Huronentunke
Deine Weichen glüht.
Hier und da läuft ein Hund vorüber, er lebt zehn Sekunden,
kommen Menschen vorbei, ihr Leben währt zwanzig Sekunden,
Schiffe leben dreißig Sekunden.
Auf dem Grund der Weltmeere winden sich
Nervenfasern in riesigen Knäueln.
Längst erloschene Vulkane ziehen eine Schnute.
Weit weg macht sich jemand auf einen Weg;
buschhohe Farne, Ranken, abgestorbene Äste, Flechten,
Duft von Huflattich, später ein Waldsee, still wie längst
vergessener Urin.
Jemand macht einen Sonntagsbesuch, findet
flüchtige Spuren, filigrane Schatten auf Wänden.
Jemand verfällt in schweren, salzhaltigen
Tiefenwahn. Eine alte Dame erblickt
ihre Doppelgängerin. Sandwehen erheben sich,
fallen zusammen, tonlos und selbstverständlich.
Körper verlängern, verkürzen sich
im Rhythmus des Schalls.
Durch die Gehirne streifen Gerüche
wie die Zeit durch das Fleisch, und mit ihnen
die Besessenheiten, die Hybris, die Panik, die wunderbare
Körperlichkeit aller Gedanken.
Und alles, was ich sage, sage ich
anstelle von etwas andern. Alles
lebt außerhalb eines Wissens über die Welt,
jedes im anderen und zugleich außerhalb jedes anderen,
als sei es alles, was da ist,
und zugleich nichts
von alledem.
Der Mond Mann schläft mit der Sonnen Frau,
Gletscher machen sich auf den Weg nach NewYork,
ständig bilden sich Netzwerke in den Gewässern,
lösen sich, bilden sich neu.
Die Welt wird uns tragen.
Kein Tod ist nicht tausenddeutig, sagt Nathan.
Er ist ein Sohn Gottes. Ich bin kein Sohn Gottes.
Ich entdecke auf Deiner Haut die Farben
des Irrtums, der Treue, des Hasses,
ich entdecke in den Muttermalen auf Deinem Rücken
die Abbildung des Sternenhimmels,
auf Deiner Zunge die Marsaufnahmen der Nasa. Die Welt
wird uns tragen.
Wissenschaftler parlieren
über die Blitzlichtgewitter in der Großhirnrinde,
Philosophen palavern über eine Spezies
von verlorenen Säugetieren auf einem verlorenen Stern,
die Angehörigen des Hingerichteten aber
sprechen über andere Physiken, und sie hätten nur
eine Hand auf die Scheibe legen dürfen,
hinter der er für immer verschwand.
Andere starren auf eine leere Wand und sehen
einen Vogelschwarm, andere die Gesichter lang Verstorbener,
andere sehen Strömungen, Strudel, Engstellen, Pfropfen,
andere Milchstraßen, andere Rudel vorüber=
hastender Kojoten.
Schnitzler hat Hundeträume. Mobutu küßt Hundeköpfe. Pilze
senden Fuchsfeuer aus. Eine Verlassene
schnalzt wie eine hocherregte Amphibie.
Ich träume, zu träumen, und während ich träume, öffnet
sich der obere Teil des Knospenhüllblattes und stellt
die purpurrote Innenseite aus:
und kleine süße Todesschreie, ja, das schon.
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