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14. September 2008 | Kirsten Reimers für satt.org |
701 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 Freche Ermittlerin im Klischeegefängnis Eigentlich soll Lila in Bielefeld aus dem Zug steigen. Ihr Vater hat alles arrangiert: Jura-Studium, obwohl die Abinote dafür nicht reicht, ein kleines Apartment, eine sichere Karriere nach dem Staatsexamen, ganz egal wie der Abschluss ausfallen wird, denn Papa hat als Oberstaatsanwalt so seine Beziehungen. Doch Lila Ziegler muckt auf. Statt wie vorgegeben in Bielefeld verlässt sie erst in Bochum den ICE. Allein im Regen, bald ohne jeden Cent, sieht die Freiheit zunächst etwas trübe aus, doch die selbstbewusste Gewohnheitslügnerin ermogelt sich ziemlich frech einen Schlafplatz beim bärbeißigen Privatdetektiv Ben Danner und ergattert auch fix einen Job in der Kneipe im gleichen Haus beim gutmütigen Wirt Molle. Da Lila sehr neugierig ist, findet sie sich bald als Hilfsermittlerin für Danner wieder. Der ist zur Zeit dem Tod einer jungen Schülerin auf der Spur. Die oberen Polizeiränge möchten das als Selbstmord zu den Akten legen, doch Kriminalkommissar Staschek, dessen Tochter mit dem toten Mädchen eng befreundet war, zweifelt an dieser einfachen Lösung. Darum hat er seinen Freund und Exkollegen Danner mit den Ermittlungen beauftragt. Lila, die mit ihren zwanzig Jahren ausreichend jung wirkt, wird als neue Schülerin eingeschleust und kann auch bald erste neue Erkenntnisse beitragen, die die schlichte Selbstmordthese tatsächlich zweifelhaft erscheinen lassen. Lucie Klassens Debüt ist ein sehr frischer, mitunter sehr witziger und recht charmanter Krimi. Besonders angenehm und überzeugend ist das Figurenensemble – warmherzig gezeichnet, etwas schräg mit Ecken und Kanten. Und ganz großes Plus ist die Unverkrampftheit, mit der Klassen schreibt und ihr Personal agieren lässt. Sechzehnjährige wirken tatsächlich wie Teenager, ohne dass deren Gespräch und Verhalten in irgendeiner Form gekünstelt scheinen. Die miefige Atmosphäre eines Gymnasiums mit überalterter und resignierter Lehrerschaft ist auch prima eingefangen. Ebenso problemlos gelingt der Brückenschlag zwischen der jungen Lila und ihrer neuen Wahlfamilie, der Männerrunde Anfang vierzig aus Danner, Molle und Staschek. Und obwohl die Geschichte in Bochum spielt, ist der Regionalbezug nicht überreizt. Das ist entspannend, denn Ruhrpottkrimis gibt es schließlich schon genug. Könnte also ein rundum toller, unbekümmerter und intelligenter Krimi sein. Doch leider gibt es ein paar Dinge, die das verhindern. Teil eines erfolgreichen deutschen Krimis muss wohl das eigenwillige, unkonventionelle Ermittlerteam mit Serienpotenzial sein. Okay, das ist hier sehr angenehm gelungen. Aber leider sind ein paar Klischees zu viel hineingemischt, die einfach stören. Warum muss es zum Beispiel eine Liebesgeschichte zwischen Lila und Danner geben? Ist es wirklich glaubhaft, dass eine selbstbewusste junge Frau, die sich gerade aus der familiären Umklammerung befreit hat, ein kuscheliges Heim bei einem Vaterersatz sucht? Eine männliche Mutter, die kocht, umsorgt und Kleidung kauft, bekommt sie gleich noch obendrauf. Außerdem verbirgt Lila eine dunkle Seite ihrer Vergangenheit: vom Vater regelmäßig verprügelt, hat sie sich zur Rebellin entwickelt und einige recht wilde Sachen gemacht – aber diese Einschübe, Erinnerungen und Erklärungen wirken aufgesetzt und unecht. Und außerdem: Rebelliert ein Teenager nur gegen die Eltern, wenn er extreme Gewalt erfährt? Dazu kommen einige Überkonstruiertheiten, die die Lesefreude zusätzlich trüben, besonders wenn es um die Exfreundin von Danner geht, die dem damaligen Kriminalbeamten das Herz brach, weil sie mit einer Intrige auf seine Kosten Karriere machte. Natürlich ist Danner seitdem beziehungsgeschädigt, ruppig und hat nur noch häufig wechselnde, oberflächliche Affären. Damit entspricht er dem typischen Bild des einzelgängerischen Privatermittlers. Und Lila scheint zu der Frau zu werden, die sein Misstrauen heilt und ihm wieder Zuversicht in die heterosexuelle Zweierbeziehung gibt. Gut, trotz dieser Nervigkeiten lässt sich das Buch schön runterlesen, es bringt auch Spaß und hinterlässt keine bleibenden Schäden. Das kann man nicht von jedem Krimi sagen.
Lucie Klassen: Der 13. Brief |
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