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24. Oktober 2009 | Kirsten Reimers für satt.org |
3701 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 »So etwas macht den gutmütigsten Mörder nervös« Vor sechs Jahren verließ Expolizist und Exprivatdetektiv Simon Brenner heimlich mit seiner neuen Freundin seine Heimatstadt Graz, auf dem Motorrad entfloh er aus Puntigam, nachdem sich seine Erzählstimme für ihn geopfert hatte. Nun ist der Brenner wieder da: in Wien, ohne Freundin, ohne Motorrad, dafür nimmt er Antidepressiva und arbeitet als Chauffeur für den Bauunternehmer Kressdorf. Da der Baulöwe (»Wenn du heute dein erstes Einfamilienhaus auf die Wiese gestellt hast und es bricht nicht schon am ersten Tag zusammen, sofort Baulöwe.«) sein Büro in München hat und seine Frau ihre Klinik in Wien, wird die gemeinsame Tochter Helena zwischen beiden Städten hin- und hergefahren. Dem Brenner gefällt dieser Job, er mag die Helena, er mag das Autofahren. Doch eines Tages kann er sich bei einem Tankstopp nicht entscheiden, welche Schokolade er dem Kind mitbringen möchte. Das setzt eine Kettenreaktion in Gang, die sieben Menschen das Leben kostet. Außerdem spielen Abtreibungsgegner, eine Südtirolerin, Schrebergärten, eine Sickergrube, Mücken und der liebe Gott neben vielem anderen eine wichtige Rolle. Und natürlich Jimi Hendrix und das Unterbewusstsein. Schau, von mir aus: Denk, was du willst! Ich weiß nur, dass der Brenner jetzt, wie er sich im Licht der Abendsonne in der Senkgrube auf die Suche nach der Leiche gemacht hat, von einer fast übernatürlich leuchtenden Insektenaura umgeben war, halb Imker im Sonnenuntergang, halb Jimi Hendrix im Konzertscheinwerferlicht. »Der Brenner und der liebe Gott« ist der siebte Krimi um den grüblerischen, depressiven, maulfaulen und etwas widerwilligen Ermittler Simon Brenner – und er ist vielleicht der bislang beste: Haas erzählt bunter, geruchsintensiver, plastischer und auf seine Art auch konzentrierter. Seine wunderbaren Seiten- und Abwege sind thematisch enger mit dem Roman verbunden, mäandern um zentrale Punkte und Fragen herum. So entstehen Leitthemen (Mücken, Leben, Tod), die immer wieder anders umkreist werden, den Roman zusammenhalten und ihm eine intensive, variantenreiche Dichte verleihen: Alles ist mit allem verwoben, jeder Schritt zeitigt Konsequenzen. Dadurch gewinnt auch die Handlung, die stringenter aufgebaut ist als früher. Nun las man aber die bisherigen Krimis von Wolf Haas nicht zwingend wegen des Plots. Weit wichtiger, spannender, verblüffender und witziger waren und sind die Erzählweise und die Sprache. »Der Brenner und der liebe Gott« überzeugt durchaus in allen Punkten. Reibungslos fügt er sich ein in die Reihe der bisherigen Simon-Brenner-Krimis. Und da beginnt das Problem. Auch der neue Roman ist in dieser grandiosen kunstvoll-künstlichen Umgangssprache geschrieben, die intelligent und konnotationsreich Themen anreißt, durch Verschweigen benennt, durch Kategorienverschiebung aufschlussreiche Zusammenhänge herstellt. Auf diese Weise ist der Roman aufgeladen mit Anspielungen auf Ereignisse der letzten Jahre (Kampbusch-Entführung), immerwährenden Lebensweisheiten (»Hinter jedem Massenmörder steht eine Massenseufzerin.«) und Kommentaren zur Gegenwart. Normalerweise sagt man ja, dass sich ein frisch Wiederbelebter eine Zeitlang ausruhen darf, und der muss noch nicht sofort wieder ins Mobbingbüro zurück, aus dem er sich gerade mit Anlauf gestürzt hat, sondern erst nach der Mittagspause. Aber das ist wieder der Vorteil als Mörder. Da musst du dich mit den kleineren Moralvorschriften nicht mehr so herumquälen. Berichtet wird dies alles erneut von einer distanz- und tabulos schwatzenden und kommentierenden Erzählstimme, die dem Brenner dicht auf den Fersen ist, die weiß, was er fühlt und denkt (während der Brenner – wegen der Tabletten – womöglich noch stiller und langsamer ist als vor sechs Jahren). Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, in den Schrebergärten mehr Leichen als auf den Friedhöfen, aber die Sondermüllbelastung auf jeden Fall größer. Weil bei den normalen Friedhöfen nehmen sie den Verstorbenen doch die schlimmsten Sachen heraus, die Batterien von den Herzschrittmachern, die künstlichen Gelenke, die Zahnprothesen und Silikonsachen, damit das Grundwasser nicht zu sehr leiden muss. Und die Schrebergartenleichen werden meistens huschpfusch in aller Eile verscharrt, Batterien und alles drinnen. Diese neue Erzählstimme hat gut gelernt von der alten: Sie ist im Ganzen etwas eloquenter, etwas gehobener im Ausdruck, etwas schärfer und ätzender im Kommentar, und sie sagt auch nur ein einziges Mal »ding« (obwohl es natürlich sein kann, dass in »Das ewige Leben« schon alle »ding« aufgebraucht wurden) – aber letztendlich sind das nur graduelle Abweichungen von der früheren Stimme. So witzig und gut diese Erzählweise ist – nach dem furiosen Ende der Erzählstimme im sechsten Buch, nach Wolf Haas’ wiederholter Beteuerung, »Das ewige Leben« sei der letzte Simon-Brenner-Roman und das sei auch gut so, und vor allem wegen des hervorragenden Romans »Das Wetter vor 15 Jahren« – für das der Linguist und ehemalige, legendäre Werbetexter Haas den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis erhalten hat – ist das Aufgreifen der alten Stilmittel in aufpolierter Form etwas enttäuschend. »Der Brenner und der liebe Gott« ist ein wirklich tolles Buch – aber letztlich ist diese Rückkehr ein Rückschritt, weil nichts Neues passiert, weil die »Hier!«-schreiende Möglichkeit, mit einem neuen Erzählstil zu experimentieren, ungenutzt blieb. Das ist wirklich schade und etwas langweilig. Es lässt den Mut vermissen, der hinter den bisherigen Büchern stand.
Wolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott |
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