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9. Januar 2009 | Kirsten Reimers für satt.org |
1701 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 Tötentötentötentötentötentööööööööten In Chicago – einst größtes Schlachthaus und bedeutendste Fleischfabrik der USA – hat ein neuer Metzger sein Werk aufgenommen. Ein tonnenschweres Monster, das im Verborgenen haust und wahllos zuschlägt. Er ist der, den sie in Vietnam CHAINGANG nannten. Er ist der, von dem sie in Marion behaupteten, er habe für fast jedes Pfund seines Körpergewichts einen Menschen getötet, und er wog an die fünfhundert Pfund. Er ist der personifizierte Tod, dämonisch, unbesiegbar, blutrünstig und sehr, sehr real. Chaingang: Daniel Edward Flowers Bunkowski. Als Kind missbraucht, später vom Staat als Killermaschine instrumentalisiert, macht nach seiner Rückkehr aus Vietnam einfach genau mit dem weiter, was er am besten kann: töten. Das hat er vorher getan, daran hält er sich auch weiterhin. Die Medien nennen ihn den „Einsame-Herzen-Killer“, weil er seinen Opfern das Herz herausreißt, um es zu essen. Er tötet ohne höheres Ziel, ohne tieferen Grund, er tötet, weil er es kann und weil er es mag. Um das Morden zu stoppen, wird der Spezialist für Schwerverbrechen Jack Eichord hinzugezogen; eine gebrochene Gestalt, ein halbwegs trockener Alkoholiker, stets im Kampf mit der Sucht, einsam und einigermaßen bindungsgestört. Während seiner Ermittlungen verliebt er sich ausgerechnet in die Witwe eines der letzten Opfer Bunkowskis. Als Chaingang ein hohes Tier der Chicagoer Gesellschaft tötet, wächst der öffentliche Druck auf die Polizei. Ein Täter muss her – und zwar möglichst schnell. Als ein Copykiller gefasst werden kann, gibt man ihn wider besseren Wissens und gegen den Widerstand von Eichord als den „Einsame-Herzen-Killer“ aus. Die Presse jubelt und feiert Eichord als Held. Und Chaingang beschließt zu zeigen, wer nun wirklich wer ist. Dafür nimmt er Eichord, seine neue Freundin und deren kleine Tochter ins Visier. Temporeich, blutig, eklig und skrupellos. Rex Miller nimmt keinerlei Rücksicht auf die Gemüter seiner Leser, geht keine Kompromisse ein, weder ästhetisch, moralisch noch literarisch – und das ist auch gut so. Herausgekommen ist ein fulminanter, niederwalzender Serienkillerroman – der Serienkilleroman –, der in Rückblenden, parallel verlaufenden Erzählsträngen und aus unterschiedlichen Perspektiven, ironisch gebrochen, grandios erzählt. Miller schildert, ohne groß nach Erklärungen zu suchen. Auf diese Weise wird Chaingang nicht banalisiert oder zum Vorstadt-Dämon des wohligen Schauers verharmlost. Er ist eine fette Killermaschine, ein Monster, so eklig stinkend wie die Kloake, aus der er kriecht. Er ist nicht der nette Kerl von nebenan, der ein dunkles Geheimnis verbirgt, er ist nicht der feinsinnige Ästhet, der Genie mit Wahnsinn kombiniert. Kein fehlgeleitetes Glied der bürgerlichen Gesellschaft, sondern ihr Auswurf. Ein spezieller Laut, Anblick oder Geruch löste intensive Erinnerungen an seine Kindheit aus oder an die Jahre konzentrierten Schreckens in verschiedenen Institutionen. Was für Sie oder mich unangenehm wäre, der Geruch von Zigarrenrauch, das Gefühl eines Schwamms voll Kreide, das Aroma eines Duftkissens, der Krankenhausgeruch von Desinfektionsmitteln, konnte ihn in mordlüsterne Raserei versetzten. Und dann schlugen die Wellen von Haß und Wahnsinn über ihm zusammen wie eine blinde, rote verzehrende Flut, Mordlust erfasste ihn, regnete auf ihn herab wie ein sengender Wolkenbruch flüssigen Feuers, und dann brauchte er all seine Konzentration und seine Fertigkeit und Selbstbeherrschung, denn in diesem Zustand beging er immer seine bösen Taten. „Fettsack“ ist Millers Debütroman, der schon 1987 in den USA veröffentlicht wurde. Laut Edition Phantasia, wo der Roman 2008 erstmals ungekürzt auf Deutsch erschienen ist, schlug der Roman damals ein wie eine Bombe. Kein Wunder. Was Rex Miller mit „Slob“ – so der Originaltitel – vorlegt, ist gewaltig: Die Gestankorgie mit ihren Splattereinlagen, aber auch der ebenso zarten wie völlig unromantisch geschilderten Liebesgeschichte ist so lustvoll und rauschhaft erzählt, dass sie gleichermaßen beängstigt wie mitreißt, Ekel erregt wie in den Bann schlägt. Dank der hervorragenden neuen Übersetzung von Joachim Körber bleibt dies auch in der deutschen Ausgabe spürbar.
Rex Miller: Fettsack |
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