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14. Dezember 2008 | Kirsten Reimers für satt.org |
1501 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 Ein neues Leben: Hoffnung, Enttäuschung, Albtraum Maresciallo Guarnaccia wird an einem heißen Augusttag zu einem Mord in einem noblen Randbezirk von Florenz gerufen. In der protzig renovierten Villa der Familie Paoletti – keine alteingesessene florentinische Familie, sondern Neureiche – hat man die Leiche der ältesten Tochter gefunden: getötet mit mehreren gezielt abgegebenen Schüssen. Vieles spricht für eine Beziehungstat, für einen Mord aus tiefem Hass. Gleichzeitig lassen sich keinerlei Spuren finden – also doch ein Profi? Ein wütender Profi? Der zuständige Staatsanwalt DaVita vermutet einen Einbruch mit Todesfolge, aber der Maresciallo mag dieser Lösung nicht folgen. Die Ermittlungen gestalten sich zäh. Erst durch seinen Freund Nesti, den Journalisten, kommt Guarnaccia einen Schritt voran: Signor Paoletti ist bei weitem nicht so ehrsam, wie er sich nach außen hin geben möchte. Vor Jahren war er als Zuhälter tätig und prügelte eines seiner Mädchen krankenhausreif. Bevor sie gegen ihn aussagen konnte, heiratete er sie. Heute führt er eine Agentur zur Vermittlung von Haushaltskräften, außerdem besitzt er einen noblen Stripclub außerhalb von Florenz. Aber erklären diese beiden Geschäfte tatsächlich den Reichtum der Familie? Je weiter der Maresciallo hinter die Fassade der ehrbaren Familie blickt, um so schrecklicher wird es: Das Familienleben entpuppt sich als unerträglich grauenhaft, die Geschäfte schließen Mädchenhandel und Zwangsprostitution mit ein. Womöglich auch den Mord an der eigenen Tochter? Oder ist Paoletti der Russenmafia in die Quere gekommen? Die Art, wie seine Tochter getötet wurde, könnte dafür sprechen. Doch damit nicht genug: Zu Paolettis Kunden – der illegalen Zweige seines Geschäfts – zählen viele einflussreiche Honoratioren von Florenz. Guarnaccio muss fürchten, mit seinen Ermittlungen den Zorn der Mächtigen auf sich zu ziehen. Sie könnten ihm und seiner Familie das Leben buchstäblich zur Hölle machen. Angst befällt den vorsichtigen, bedachtsamen Maresciallo, tiefe, existenzielle Angst. Dennoch ermittelt er weiter. Unaufgeregt, ohne Blutbäder oder Verfolgungsjagden geht Maresciallo Guarnaccio seinen Spuren nach, Schritt für Schritt. Er wirkt unbeholfen, manchmal unsicher, doch er ist ein guter Zuhörer, Menschen vertrauen ihm. Und er behandelt sie stets respektvoll und kümmert sich um ihre Belange: um den alten Mann, der bei den Carabinieri Schutz vor seinen paranoiden Wahnvorstellungen sucht, um die ältliche Dame, die sich wegen der Kanalisation beschwert; ebenso um die junge Prostituierte, die zur wichtigen Zeugin wird. Sie erfahren die gleiche Aufmerksamkeit wie die reiche Familie aus der Vorstadt. Ungeheuer lebendig beschreibt Magdalen Nabb ihre Wahlheimat Florenz – die touristisch reizvollen Seiten ebenso wie die dunklen, heruntergekommenen Ecken. Ihre Fälle finden oft in echten Verbrechen ihre Vorbilder, vielleicht wirken sie deshalb so authentisch und durch und durch glaubwürdig. Altmeister Georges Simenon war begeistert von ihren Romanen und attestierte ihr neben einer wahrhaft sozialkritischen Haltung wirkliche Originalität. Als Negativbeispiel wird der Britin Nabb oft die Amerikanerin Donna Leon gegenübergestellt – während Nabb lebendige Figuren und Schauplätze schildere und sich nicht schäme, ihre Romane auch auf Italienisch erscheinen zu lassen, würde Leon nur ein feinsinniges Postkarten-Venedig zu Papier bringen mit ebenso papiernem Personal und auf eine Übersetzung ins Italienische – wohlweislich – verzichten. Doch mit einem Vergleich tut man beiden Autorinnen unrecht. Donna Leon macht Venedig zum Brennglas gesellschaftlicher Entwicklungen, die „großen Themen“ werden verdichtet und im Kleinen dargestellt. Venedig spielt dabei keine eigene Rolle, sondern ist nur Hintergrund. Im Prinzip ist sogar Italien als Kulisse eher zufällig. Die Bücher von Donna Leon könnten beinah überall in der westlich geprägten Welt spielen. Italien bietet sich wohl nur an, weil dort Nepotismus, Korruption und schwerfällige Bürokratie am offensichtlichsten sind – um jetzt mal alle gängigen Italienklischees herauszukramen. Nabb geht anders herum vor: Sie konzentriert sich auf ein realitätsnahes Florenz und kommt durch die Beobachtungen im Kleinen den großen Themen auf die Spur. Dabei spielen die tatsächlichen Verhältnisse in Italien eine wichtige Rolle. Das sind zwei verschiedene Herangehensweisen, die problemlos nebeneinander existieren können. Und es wäre wunderbar, wenn man weiterhin die Wahl zwischen neuen Romanen von beiden Autorinnen haben könnte. Doch leider ist der vierzehnte Fall des Maresciallo auch sein letzter: Im August 2007 starb Magdalen Nabb im Alter von nur 60 Jahren an einem Hirnschlag in Florenz.
Magdalen Nabb: Vita Nuova. |
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