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18. November 2017 | Kirsten Reimers für satt.org |
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7601 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 Niemand ist unschuldig
»Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern.« So beginnt Viet Thanh Nguyens Roman Der Sympathisant über einen Doppelagenten, der in der Zeit während und kurz nach dem Vietnamkrieg für die nordvietnamesischen Kommunisten wie auch für die USA spioniert, während er im Stab eines südvietnamesischen Generals tätig ist. Er flieht mit dem General beim Fall Saigons 1975 nach Kalifornien, behält dort auftragsgemäß die Exilvietnamesen im Blick und begleitet schließlich eine Guerilla-Truppe, die über Laos nach Vietnam eindringen will. Dabei wird er gefasst und landet in einem vietnamesischen Umerziehungslager. Der Roman ist Rechenschaftsbericht, Geständnis und Lebensbeichte, vom namenlosen Ich-Erzähler im Auftrag des Lagerkommandanten verfasst. Viet Thanh Nguyen – mit vier Jahren mit seiner Familie aus Vietnam in die USA geflohen und dort dann aufgewachsen – legt mit seinem Pulitzer-Preis-gekrönten Roman eine neue Sicht des Vietnamkriegs vor: nämlich aus vietnamesischer Perspektive. Überall in der Welt »Vietnamkrieg« genannt, heißt der Konflikt in Vietnam »amerikanischer Krieg«. Das zeigt schon mal einen Aspekt des Romans: den Versuch, die kulturelle Dominanz und die Deutungshoheit des Konflikts durch die USA aufzubrechen. Das Verständnis des Kriegs im Westen ist vor allem geprägt durch die US-amerikanische Sichtweise, durch Romane und Filme, nicht zuletzt durch Francis Ford Coppolas Apocalypse Now – einem Film, dem der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Nguyen gespalten gegenübersteht: In einem Interview mit der Wochenzeitschrift Die ZEIT erklärte er, der Film sei zwar ein großes Kunstwerk, »aber die Vietnamesen stellten darin eben nur die Kulisse dar, vor der die Westler wieder mal ihr finsteres Herz entdeckten«. Auch in Nguyens Roman selbst spielt der Film eine Rolle: Im kalifornischen Exil wird der Ich-Erzähler als Berater für den Film Das Dorf angeheuert, um für Authentizität zu sorgen, bei allem, was mit Vietnam zu tun hat. Daraus entwickelt sich eine großartige Persiflage auf den Dreh des Films. Die Anspielungen auf Apocalypse Now wie auf Francis Ford Coppola sind unübersehbar, aber es geht auch weit darüber hinaus. Nguyen entlarvt den Film, der im Westen als kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg und dem Selbstverständnis der USA gesehen wird, als Teil der gewaltigen Propagandamaschinerie, der es darum geht, mittels Deutungshoheit die moralische Überlegenheit der USA abzusichern. Nguyen vermeidet schlichte Schwarz-Weiß-, Gut-Böse-Zeichnungen. Dies spiegelt sich vor allem in der Hauptfigur: Der namenlose Spion steht zwischen allen Welten. Als illegitimer Sohn einer Vietnamesin und eines französischen Priesters ist er stets Außenseiter, stets zerrissen. Er ist Kommunist, ist aber auch fasziniert von allem, was US-amerikanisch ist und hat Verständnis für jede Seite im Konflikt zwischen Süd- und Nordvietnam. Er sympathisiert mit allen Beteiligten. So trägt er stets eine Maske, um nicht enttarnt zu werden, ist immer auf der Hut, immer am Rande beteiligt und immer distanziert. Der Sympathisant ist so auch eine Auseinandersetzung mit dem Konzept von Identität, hinterfragt Moral und Ideologie, beschäftigt sich mit Politik und Geschichte – und nicht zuletzt mit der Frage nach Schuld. Denn Nguyen geht es auch um das, was nach einer Revolution kommt: »Was wird aus denen, die gegen die Mächtigen kämpfen, wenn sie selbst die Macht ergreifen? Was wird aus den Revolutionären, wenn die Revolution triumphiert?« Der Autor stellt mit Verweis auf Hegel fest: »Tragisch ist nicht der Konflikt zwischen falsch und richtig, sondern der zwischen richtig und richtig.« Wer politisch aktiv ist, wird unweigerlich schuldig. So auch der namenlose Ich-Erzähler, der am Ende des Buches konsequent vom »Ich« zum »Wir« wechselt: Dies ist zum einen Ausdruck der Zerrissenheit der Person, der Schizophrenie des Lebens als Spion, zeigt aber auch das Exemplarische der Figur, die wie jeder Geflüchtete zwischen verschiedenen Welten steht, und letztlich umschließt dieses »Wir« auch uns alle, denn die Erfahrung, eine Maske zu tragen, nach außen anders zu agieren als im Privaten kennt jeder, ebenso die Erkenntnis, dass keiner frei von Schuld bleibt. »Der Sympathisant« ist ein sehr vielschichtiger, komplexer Roman, über weite Strecken von wunderbar untergründigem Humor, eine Kritik an den USA, an ihrer Kultur und ihrem Lebensstil, aber genauso eine Kritik am kommunistischen Vietnam wie auch am Umschlag von Revolution in Unterdrückung. Konsequent in der Absicht einer »gerechten Erinnerung«, die Nguyen anstrebt: sich bewusst zu machen, dass im Vietnamkrieg – und nicht nur dort – jede Seite Opfer zu beklagen hat, dass jede Seite sich schuldig gemacht hat, dass, wie Nguyen in seinem Essayband Nothing Ever Dies schreibt, »Unmenschlichkeit zur Menschlichkeit gehört«. Ein großartiger Roman! |
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