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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




20. November 2010
Kirsten Reimers
für satt.org

Mordsmäßig56

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Sittengemälde mit Massaker

  »Finstere Orte« von Gillian Flynn
Gillian Flynn: Finstere Orte
Aus dem amerikanischen
Englisch von Christine Strüh
Scherz 2010
geb., 327 S., 16,95 €
» Verlag
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Weil ihr die Flucht gelang, ist Libby Day die einzige Überlebende eines Familienmassakers auf einer heruntergekommenen Farm im US-Bundesstaat Kansas. Als Täter wurde ihr Bruder Ben verurteilt. Offenbar hatte er sich Satanisten angeschlossen und in einem Blutrausch in einer Januarnacht im Jahr 1985 seine beiden kleinen Schwestern erwürgt und mit einer Axt erschlagen, die Mutter erstochen, erschlagen und erschossen.

Das war vor 25 Jahren. Damals war Libby sieben Jahre alt. Nach der Tat wuchs sie bei einer Tante und verschiedenen Pflegefamilien auf, psychisch stark gestört und fest überzeugt, dass Ben ihr alles genommen hat. All die Jahre hat sie von ihrem Opferstatus gelebt: Damals waren reichlich Spenden geflossen, die gut angelegt wurden, sodass Libby nie einen Beruf erlernt hat, ja sich nicht einmal vorstellen kann, jeden Morgen aufzustehen, um einer geregelten Arbeit nachzugehen. Doch damit ist es nun vorbei, der Geld ist aufgebraucht, und die spendenfreudige Öffentlichkeit hat sich längst anderen Opfern zugewendet.

Deshalb greift Libby zu, als ihr Geld dafür geboten wird, mit Menschen zu sprechen, die sich für ihren Fall interessieren. Libby muss erkennen, dass es regelrechte Fanklubs gibt, der sich mit dem Massaker an ihrer Familie (und noch vielen weiteren strittigen Fällen) beschäftigen. Und für viele Mitglieder »ihres« »Kill Clubs« ist nicht Ben der Täter, ganz im Gegenteil: Sie werfen Libby vor, bei ihrer Zeugenaussage gelogen und so ihren Bruder unschuldig lebenslang ins Gefängnis gebracht zu haben. Zum ersten Mal in ihrem Leben erfährt Libby von Beweismitteln, die beim Prozess nicht berücksichtigt wurden, und von Hinweisen, die ganz andere Schlüsse zulassen.

Langsam und sehr unwillig beginnt Libby, sich zum ersten Mal seit 25 Jahren mit jener Nacht und mit ihren furchteinflößenden Erinnerungen – den finsteren Orten – zu beschäftigen. Sie lässt sich vom »Kill Club« bezahlen, um mit Zeugen von damals zu sprechen, und entdeckt, dass eine ganze Menge nicht so war oder ist, wie sie es bislang geglaubt hat.

Libby ist kein besonders netter Mensch. Sie manipuliert andere und nutzt sie aus, sie ist egozentrisch, stiehlt und lügt. Eine fiese kleine Zecke. Zum einen ist das glaubwürdig – kein Mensch, der so etwas durchgemacht hat, könnte ein annähernd normales Leben führen –, und zum anderen sind ihre Kommentare wunderbar boshaft, zynisch und treffend. Überhaupt kommt hier kein Mensch wirklich gut weg. In Gillian Flynns Buch macht Armut nicht ehrbar, sondern neidisch und gierig; aber auch Vermögen ist hier kein Garant für Glück, und emotionale Vernachlässigung ist durch Geld nicht auszugleichen. Das ist alles nicht neu, aber doch gut gezeichnet.

Hintergrund für »Finstere Orte« (im Original »Dark Places«, 2009) ist die Verarmung der Farmer im Mittleren Westen in der gnadenlosen Reagan-Ära. Am Schluss saßen sie da mit zu viel Land, das niemand mehr haben wollte, und zu wenig Geld, um daraus etwas zu machen. Die Folge: zahllose zerstörte Existenzen, Verelendung und obendrauf noch die Verachtung vonseiten derer, die glimpflicher davongekommen waren. Libbys Familie gehörte zu denen, die alles verloren hatten.

Flynn erzählt die Geschichte aus mehreren Perspektiven: In der Gegenwart berichtet Libby in Ich-Form von ihren Nachforschungen; dazu treten aus der Sicht Bens und der Mutter die Ereignisse jenes Tages, der mit dem Tod von drei Menschen endete. Wie bei einem Puzzle kommen so Stückchen für Stückchen Informationen zusammen, die erst am Ende das vollständige Bild freigeben. Flynn geht dabei nicht besonders reißerisch und blutig vor. Sie konzentriert sich in erster Linie auf die Versuche dieser drei Personen, irgendwie mit dem zurechtzukommen, was sich Leben nennt. Und das ist bei allen dreien wahrlich nicht sonnig. Harsch und ohne Beschönigung schildert Flynn Elend, Verwahrlosung und die Folgen. Am Ende wird darum auch nichts wirklich gut – wie könnte es das, nach dieser Vorgeschichte –, aber etwas verändert sich.

Gillian Flynn nimmt für sich einen Gonzo-feministischen Ansatz in Anspruch, aber ob da etwas dran ist, sei mal dahingestellt, allein Unverfrorenheit und selbstbewusste Frauencharaktere sind vielleicht etwas zu wenig. Schade ist auf jeden Fall der schludrige Stil der Übersetzung, denn dabei geht die bewusste Schnoddrigkeit des Textes in ungelenken Wendungen unter.