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15. November 2009 | Kirsten Reimers für satt.org |
3901 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 »Ein Hybridkiller. Eine Art mörderischer Überflieger« Frank Spain ist Profikiller der Mafia. Emotionslos, hoch professionell, zuverlässig. Eine gut geölte Tötungsmaschine und ein loyaler Angestellter. Im Umgang mit dem Tod erfahren und souverän. Nur mit den Lebenden hat er Schwierigkeiten. Im Privatleben ist er hilflos angesichts der emotionalen Bedürfnisse von Ehefrau und Tochter. Als seine Frau ihn betrügt – »Es hätte jeder sein können«, »Du redest nie mit mir« – und sich scheiden lässt, bleibt Spain mit seiner pubertierenden Tochter Tiff zurück: »Sie war vierzehn und blühte auf, und er wusste nicht, was er machen sollte.« Wenn er reden müsste, schweigt er, wenn er zuhören müsste, brüllt er. Mit Strenge und Unverständnis treibt er seine Tochter immer tiefer in die Arme eines hinterhältigen Schulschönlings. Der macht Tiff erst emotional und dann mit Drogen hörig und schickt sie auf den Strich, wo sie noch am ersten Abend von einem perversen Freier so misshandelt und verstümmelt wird, dass sie bleibende Schäden davonträgt. Für ihren Zuhälter nun unbrauchbar, wird sie an einen Pornoproduzenten verkauft. Tiffs Abstieg ist kurz und schrecklich. Sie endet als Hauptdarstellerin in einem Snuffvideo. Als Jack Spain davon erfährt, dreht er durch. Er schwört blutige Rache an allen, die für ihren Tod in irgendeiner Weise Verantwortung tragen. Dies führt ihn bis tief in die Reihen seiner eigenen Auftraggeber, der Mafia, bis hin zu seinem jahrelangen Mentor. Denn Drogenhandel und Pornoindustrie ist nun einmal ein Nebenerwerbszweig der Mafia. Spain, der Profikiller, startet einen Rachefeldzug, der an Gnadenlosigkeit kaum zu überbieten ist. Mit jedem Mord verändert er sich. War er anfangs der verzweifelte Vater, der von Schmerz getrieben wurde, der fast Mitleid erregte, so wächst in ihm mit jedem neuen Toten, mit jeder neuen Hinrichtung – eine grausamer als die andere – ein Monster von ungeheurem Blutdurst. Spain, der methodisch vorgehende, emotionslose Auftragsmörder, verspürt ein seltsames, überwältigendes Gefühl: »Den Wunsch, den nächstbesten Menschen zu töten, mit dem er in Kontakt kam. Er identifizierte es korrekterweise als Wahnsinn und verdrängte es.« Zu Spain dem Psychopathen, der geplant und umsichtig Menschen umbringt, tritt Spain der Psychot, der wahllos und spontan zuschlägt. »Ein Hybridkiller«, konstatiert Jack Eichord, der zur Aufklärung der vermeintlichen Mafiamorde hinzugezogen wird. Denn Spain versteht es, seinen Rachefeldzug so zu inszenieren, dass er nach außen wie der Krieg zweier rivalisierender Familienzweige erscheint. Lediglich Eichord durchschaut dies. Schon zu Beginn des Buches begegnen sich Spain und der Mann, der in Millers Debütroman »Fettsack« (im Original »Slob«) den tonnenschweren Massen-Serien-Mörder »Chaingang« Bunkowski überwältigte. Die Presse liebte Vokabeln wie »Serienmörderexperte«, wie unzutreffend sie auch sein mochten, und Jack Eichord geriet solchermaßen ins Visier der Medienmeute. Sie schrieben über sein Genie in der Verbrechensaufklärung und sein Sherlock-Holmes-gleiches Gehirn, und er lachte über den ganzen Quatsch, genau wie seine Kollegen, die es besser wussten. Er hatte Glück. Er besaß eine Gabe. Irgendwas. Er hatte Eingebungen. Was auch immer. Das Ding, das er in sich trug. Er nannte es seinen Scheißedetektor. Und der surrte gerade auf Hochtouren, obwohl Eichord keinen blassen Schimmer hatte, warum. Eichord wird von Anfang an als innig-verbundener Gegenpart des durchgeknallten Profikillers gezeichnet – ihm ähnlich und doch auf der anderen Seite der Grenze: Während Spain Frau und Tochter und darüber den Verstand verliert, findet Eichord nach Trennung von Freundin mitsamt Tochter eine neue Liebe; während Spain einsam in Rache und Blutdurst watet, ist Eichord umhüllt von Verliebtheit und Sex. Aber während Eichord und sein Glück ziemlich blass bleiben, ist man als Leser schmerzlich nah, manchmal zu nah am elenden Verreckten von Tiff und dem blutrünstigen Überdrehen ihres Vaters dran. Wie Chaingang in »Fettsack« ist Frank Spain eine ausgebildete Tötungsmaschine, die sich letztlich gegen ihren Auftraggeber richtet – bei Chaingang die US-Gesellschaft, bei Spain die Mafia, die »Familie«, durchaus auch im weiteren Sinn. Das ist nicht die einzige Parallele, denn wie Chaingang wird der Hybridkiller vom »Serienmörderexperten« Eichord überwältigt, indem dieser die emotionale Achillesferse des Monsters ausmacht und hineinhackt. Überhaupt ist »Im Blutrausch« (eine wahrhaft angemessene Übersetzung des Originaltitels »Frenzy« von 1988) dem vorangehenden »Fettsack« durchaus ähnlich: die grandiose Sprache – wieder kongenial ins Deutsche übertragen von Joachim Körber; die Erzählweise, die alle Konventionen und alles Chronologische hinter sich lässt und so zum Wesentlichen vordringt; der gallige makabere, genaue Humor, der das Absurde so vertraut macht; die Horror- und Splatterelemente, die gekonnt eingesetzt werden; das Monströse, das überall lauert – alles da. Dazu noch zielt Rex Miller mit Präzision durch die Blutströme auf das amerikanische Ideal von der heilen Familie und dem Selfmademan, der sich aus kleinen Verhältnissen hocharbeitet, bis er Häuschen, Frau und Kind in der Vorstadt hat – eine Idylle, wären nur die Menschen nicht, wie sie sind. Alles ist da, alles ist noch besser, noch komplexer, noch ausgefeilter als in »Slob«. Und das ist die Krux. Denn »Im Blutrausch« wirkt wie die verbesserte Kopie von etwas Grandiosem. Noch begeisternder, blutiger, ekliger, grotesker, überzogener, noch literarischer. Und doch leider nur eine Kopie: nicht mehr wirklich überraschend, nicht mehr ganz so provokant.
Rex Miller: Im Blutrausch |
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