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10. April 2010 | Kirsten Reimers für satt.org |
4601 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 Verwabert im Unentschlossenen Seit dreißig Jahren hat Schriftstellerin Amy Gallup keinen Roman mehr veröffentlicht. Um sich über Wasser zu halten, gibt sie Abendkurse im kreativen Schreiben. Unter den Schülern ihrer neuen Klasse aber befindet sich jemand, der die Sache deutlich zu ernst nimmt. Anonym terrorisiert er Lehrerin wie Teilnehmer gleichermaßen: Die eingereichten Leseproben werden verhöhnt, die Kursmitglieder bös verunglimpft, eine Schülerin wird fast zu Tode erschreckt; Amy erhält nachts Anrufe, bei denen ein Tonband stets wiederholt, was sie wenige Stunden zuvor im Unterricht gesagt hat. Lag in den Taten anfangs noch ein boshafter Witz, werden sie im Laufe der Zeit immer gemeiner und tückischer. Schließlich kommt gar der erste Kursteilnehmer ums Leben. Jincy Willetts Buch »Die Dramaturgie des Tötens« (im Original »The Writing Class«) lässt sich zunächst gut an, es ist ansprechend geschrieben und sehr gut übersetzt. Die Hauptfigur nimmt viel Raum ein und ist liebevoll ausgestaltet als grummelige ältliche Eigenbrötlerin, gesegnet mit einer spitzen Zunge, der sie – zumindest in privaten Äußerungen – zum Glück wenig Einhalt gebietet. So finden sich recht amüsante und zielsichere Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb und die Selbst- und Fremdfindung in Abendkursen der Erwachsenenbildung. Es kommen sogar ein paar sehr nützliche Tipps zum Verfassen von belletristischen Texten zusammen. Doch während Amy Gallup aus ihren Taten, Gedanken und Worten heraus charakterisiert wird, bestehen die meisten übrigen Figuren nur aus Zuschreibungen. So bleiben sie blass und verwechselbar. Auch die Handlung, die anfangs einen erfreulichen Sog entwickelt, gerät nach und nach ins Stocken. Das liegt unter anderem an einem unentschiedenen Serientäter. Im Grunde passt das sogar zu den Personen. Denn Hauptfigur Amy betont mehrfach, dass sie nicht am »Wie« interessiert ist – und tatsächlich bleiben die Fragen, wie denn nun der Täter vorging, weitgehend ungeklärt. Auch das unentschlossene Vorgehen des Serientäters ist der Figur durchaus angemessen, entspricht es doch seinem Schreibstil: überwiegend ohne Spannungsbogen. Doch ein Krimi ohne Spannungsbogen – das klappt nur selten. Und das funktioniert überhaupt nicht, wenn der Text noch dazu herumlaviert zwischen Selbstfindungsroman, (sehr milde) Satire auf den eitlen Schreibzirkus und Whodunit – auch wenn »Herumlavieren« exakt das Vorgehen ist, das Amy ausdrücklich wählt, um den Serientäter zu entlarven. Die Autorin hätte lieber andere Aussagen ihrer Hauptfigur aufgreifen sollen. Zum Beispiel hätte sie ihre Schreibtipps beherzigen können. Hätten alle mehr von gehabt.
Jincy Willett: Die Dramaturgie des Tötens |
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