Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
12. Juni 2009 | Kirsten Reimers für satt.org |
2801 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | 13 | 14 | 15 Teuflische Knochen Im Keller eines renovierungsbedürftigen Hauses in Charlotte, North Carolina, wird ein obskurer Altar aus kupfernen Kesseln mit totem Huhn, mehreren eigenartigen Dingen, Knochen und einem menschlichen Schädel gefunden. Die hinzugerufene forensische Anthropologien Temperance Brennan stellt fest, dass Kopf und Knochen von einer jungen Frau stammen müssen, wahrscheinlich einer Schwarzen. Alles spricht dafür, dass Santería im Spiel ist, eine synkretische Religion, die naturreligiöse Elemente mit katholischen vermengt. Wenig später wird die kopflose Leiche eines jungen Mannes an einem Flussufer entdeckt. In seine Brust und seinen Bauch wurden satanische Zeichen eingeritzt. Die Polizei fragt sich, ob beide Fälle zusammenhängen. Womöglich gibt es gar eine Verbindung zu einem alten Fall, in dem Palo Mayombe, die schwarzmagische Variante von Santería, eine Rolle spielte. Zudem wurde die Leiche in der Nähe einer Versammlungsstätte von Wiccanern, Anhängern einer Hexenreligion, gefunden. Wie sich schnell klären lässt, handelt es sich bei dem Toten um einen siebzehnjährigen Stricher. Vieles deutet darauf hin, dass der Mord einen kultischen Hintergrund hat. Aber die Hinweise sind schon fast zu viele und zu verworren. Bevor Fakten als gesichert gelten können, nutzt ein populistischer Politiker, der sich im Wahlkampf befindet – und obendrein ein erzkonservativer christlicher Prediger ist –, die ungeklärten Fälle, um Stimmung zu machen: gegen Andersgläubige, gegen Homosexuelle, gegen eine liberale Haltung, gegen alles, was sich nicht mit einer strenggläubigen Bibelauslegung vereinen lässt. Die Folgen sind fatal. Im Original heißt das Buch „Devil Bones“. Das trifft Inhalt und Thema deutlich besser als der eher beziehungslose deutsche Titel. Komplex und opak ist der elfte Fall, in dem Kathy Reichs ihre Hauptfigur Tempe Brennan ermitteln lässt. Wie diese arbeitet auch die Autorin als forensische Anthropologin in Charlotte, North Carolina, und im kanadischen Montreal. Sie weiß also genau, worüber sie schreibt. Reichs ist außerdem Professorin für Soziologie und Anthropologie. Ihre Bücher sind stets sorgfältig recherchiert, die Plots gut durchdacht und die Handlung weitgehend realistisch motiviert. Reichs greift aktuelle Strömungen und Themen in Gesellschaft wie Medien auf und durchleuchtet und hinterfragt sie. Dies geschieht in unaufgeregter und nüchterner Manier. Schließlich sind Tempe Brennan und Kathy Reichs Wissenschaftlerinnen, die sich ihrem Gegenstand analytisch-distanziert nähern. Das heißt aber nicht, dass die Bücher herzlos oder steril wirken. Sie sind durchaus warmherzig, aber nicht hysterisch oder mysteriös aufgeladen. Meist ist das Geschehen eingebettet in größere Zusammenhänge, auch die Verbrechen sind selten die Taten einiger weniger Fehlgeleiteter, „Böser“, sondern basieren auf persönlichen wie gesellschaftlichen Ursachen. Dadurch gelingt es Reichs, solide Unterhaltung mit einem aufmerksamen Blick aufs Heute zu verbinden. Das aktuelle Buch ist allerdings emotionaler und undurchsichtiger als die Thriller zuvor. Tempe Brennan – keine Superfrau, sondern engagierte Wissenschaftlerin mit Macken und Schwächen, trockene Alkoholikerin – gerät durch Verschiedenes derart aus dem Tritt, dass sie einen Rückfall in ihre Sucht erlebt und ihren Job verliert. Dem inneren Chaos steht ein äußeres gegenüber: Auch die Fälle scheinen undurchdringbar und zäh. Spuren überkreuzen sich und verlieren sich schließlich doch im Nichts, Greifbares ist nicht zu fassen, alles wirkt verschwommen. Motive, Opfer, Täter – das bleibt alles lange unklar. Um dann am Ende etwas arg überraschend geklärt zu werden. Doch bei aller diffuser Linienführung: Reichs’ Thriller ragt aus der Massenware wohltuend heraus, was Plot, Motivation und Sprache anbelangt. Und er ist eine klare Absage an Selbstjustiz, die viele Thriller unreflektiert offen oder verdeckt propagieren. Kathy Reichs’ Buch ist ein deutliches Plädoyer für Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Demokratie.
Kathy Reichs: Der Tod kommt wie gerufen |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |