27. April 2008
italo.log
Die wöchentliche Gedichtanthologie aus Italien.
Herausgegeben von Roberto Galaverni und Theresia Prammer. » Kontakt
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111: Andrea Ponso 110: Paolo Bertolani 109: Andrea Temporelli 108: Ermanno Krumm 107: Patrizia Cavalli (3) 106: Vivian Lamarque 105: Giancarlo Majorino 104: Toti Scialoja 103: Emilio Rentocchini 102: Eugenio Montale (4) 101: Maria Luisa Spaziani 100: Ignazio Buttita 099: Simone Cattaneo 098: Nanni Balestrini 097: Nino Pedretti 096: Marco Giovenale 095: Valentino Zeichen 094: Elio Pagliarani 093: Bartolo Cattafi 092: Luciano Cecchinel 091: Eugenio de Signoribus 090: Guido Ceronetti 089: Andrea Zanzotto (4) 088: Matteo Marchesini 087: Nicola Gardini 086: Attilio Bertolucci (2) 085: Flavio Santi 084: Gesualdo Bufalino 083: Gherardo Bortolotti 082: Giuliano Mesa 081: Albino Pierro 080: Beppe Salvia 079: Ottiero Ottieri 078: Eugenio Montale (3) 077: Antonio Riccardi 076: Amelia Rosselli (2) 075: Nelo Risi 074: David Maria Turoldo 073: Pier Paolo Pasolini (3) 072: Franco Scataglini 071: Patrizia Vicinelli 070: Milo de Angelis (2) 069: Umberto Piersanti 068: Giorgio Orelli 067: Elisa Biagini 066: Remo Pagnanelli (2) 065: Carlo Bettocchi 064: Vittorio Sereni (2) 063: Giorgio Bassani 062: Federico Italiano 061: Gabriele Frasca 060: Andrea Zanzotto (3) 059: Patrizia Cavalli (2) 058: Antonio Porta 057: Vincenzo Frungillo 056: Gianni D'Elia 055: Gregorio Scalise 054: Giorgio Caproni (2) 053: Stefano Dal Bianco 052: Biagio Marin 051: Elsa Morante 050: Franco Buffoni 049: Franco Loi (2) 048: Ferruccio Benzoni 047: Eugenio Montale (2) 046: Adriano Spatola 045: Dario Bellezza 044: Tonino Guerra 043: Luciano Erba 042: Jolanda Insana 041: Mario Luzi 040: Primo Levi 039: Valerio Magrelli (2) 038: Paolo Volponi 037: Alda Merini 036: Pier Paolo Pasolini (2) 035: Patrizia Valduga 034: Aldo Nove 033: Raffaello Baldini 032: Maurizio Cucchi 031: Piero Bigongiari 030: Andrea Zanzotto (2) 029: Gerhard Kofler 028: Remo Pagnanelli 027: Andrea Gibellini 026: Fabio Pusterla 025: Michele Sovente 024: Anna Maria Carpi 023: Gian Mario Villalta 022: Edoardo Sanguineti 021: Roberto Roversi 020: Patrizia Cavalli 019: Giuseppe Conte 018: Giovanni Giudici 017: Valerio Magrelli 016: Giorgio Caproni 015: Andrea Zanzotto 014: Attilio Bertolucci 013: Emilio Villa 012: Giampiero Neri 011: Giovanni Raboni 010: Amelia Rosselli 009: Sandro Penna 008: Antonella Anedda 007: Pier Paolo Pasolini 006: Fernando Bandini 005: Milo de Angelis 004: Vittorio Sereni 003: Franco Fortini 002: Franco Loi 001: Eugenio Montale
satt.org-Links:
Latin.Log Gedichte aus Lateinamerika (2005-2008). Herausgegeben von Timo Berger und Rike Bolte.
Lyrik.Log Die Gedichtanthologie (2003-2005). Herausgegeben von Ron Winkler.
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10: Amelia Rosselli
Die Leidenschaft verschlang mich rechtmäßig die Leidenschaft spaltete mich heftig die Leidenschaft führte mich vorsätzlich ich führte mich vorsätzlich zurück
auf die Leidenschaft für Aufsätze, Debütantin im dunklen Wald einer lästigen Pflicht, und die Leidenschaft, die brannte
beim Sitzen zu Tisch mit den Großen Leidenschaftslos oder im Wunsch, sie zu vergessen
ich, brennend vor Leidenschaft die Leidenschaft brennend erloschen
ich, brennend vor Schmerz die Leidenschaft so ausgebrannt zu sehen. Die schmachtende Leidenschaft löschen! Die erloschene Leidenschaft vom
eigentlichen Schmachten ablösen alles auslöschen was da ist
auslöschen alles was sich reimt auf Ist: mich auslöschen, die Leidenschaft
die Leidenschaft mit ihrem heftigen Brennen das von selbst erlischt.
Die Leidenschaft des Sich auslöschen! den Vers auslöschen, der von sich aus reimt, Auslöschen sogar mein Ich
auslöschen alle Reime auf „ich“: vielleicht siegte die Leidenschaft auslöschend den Reim auf „ich“.
(übertragen von Theresia Prammer)
La passione mi divorò giustamente la passione mi divise fortemente la passione mi ricondusse saggiamente io saggiamente mi ricondussi
alla passione saggistica, principiante nell'oscuro bosco d'un noioso dovere, e la passione che bruciava
nel sedere a tavola con i grandi senza passione o volendola dimenticare
io che bruciavo di passione estinta la passione nel bruciare
io che bruciavo di dolore, nel vedere la passione così estinta. Estinguere la passione bramosa! Distinguere la passione dal
vero bramare la passione estinta estinguere tutto quel che è
estinguere tutto ciò che rima con è: estinguere me, la passione
la passione fortemente bruciante che si estinse da sé.
Estinguere la passione del sé! estinguere il verso che rima da sé estinguere perfino me estinguere tutte le rime in “e”: forse vinse la passione estinguendo la rima in “e”.
(Aus: Documento, 1976)
© Giovanni Giovannetti/effigie
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Amelia Rosselli wurde 1930 in Paris geboren. Nach der Ermordung des Vaters Carlo Rosselli 1937 durch die Faschisten lebte sie lange Jahre im Exil zwischen Frankreich und England. Gegen Ende der 50er Jahre und nach einem Aufenthalt in den USA kehrte Amelia Rosselli nach Italien zurück, wo sie sich in Rom niederließ. Langjährige Kompositionsstudien; frühe Dichtungen in drei Sprachen (Französisch, Englisch, Italienisch). Rosselli publizierte, von Pier Paolo Pasolini enthusiastisch aufgenommen, in mehreren Zeitschriften (“il verri”, “il menabò”) und arbeitete als Verlagsberaterin und Übersetzerin. Zahlreiche Gedichtbände seit den frühen sechziger Jahren: Auf den Band Variazioni belliche (1964) folgten Serie ospedaliera (1969), Documento (1976), Impromptu (1981), Sonno/Sleep (1989) u.a. Daneben kritische Aufsätze sowie vereinzelte Prosaarbeiten (Diario ottuso, 1996). Das Leben der Dichterin war, vor allem in den Jahren vor ihrem Tod, geprägt von schweren psychischen Traumata und Psychosen. Amelia Rosselli nahm sich 1996 in Rom das Leben.
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Giovanni Giudici über Amelia Rosselli:
Was ist das tragende Thema oder, bescheidener gesagt, der Hauptinhalt der Dichtung der Amelia Rosselli? Ohne jeden Zweifel würde ich meinen: die Sprache. Und zwar ganz allgemein verstanden, als langage, menschlicher Ausdruck, Mittel zur Erforschung, zu Experiment und (eben) Erfindung. Durch die unstete und rastlose Biographie der Autorin von einem dreifachen sprachlichen, kulturellen und literarischen Bewußtsein getragen, hätte diese Dichtung sich ohne weiteres ebenso in einem englischen oder französischen Kontext definieren und situieren können wie (was im Großen und Ganzen der Fall war) im Rahmen einer italienischen Literatur bzw. dessen, was daran, meines Erachtens nach bis zum heutigen Tag, als das Moment größter Erneuerungskraft erscheint.
Rossellis Entdeckung verdanken wir nach wie vor dem großen kritischen Talent Pier Paolo Pasolinis. Jene „Notiz“, mit der er, vorausweisend auf das Erscheinen des Bandes im Folgejahr, 1963 in „Menabò 6“ eine erste Auswahl aus den Variazioni belliche vorstellte, hat nichts von ihrer Aktualität und Gültigkeit eingebüßt. Wenn die Emphase, mit der in diesem Text des Lapsus’ als eines poetischen Verfahrens gedacht wird, auf eine Weise dazu verleiten konnte, in den variazioni (und gegen die ausdrückliche Distanznahme der Betroffenen) eine Episode des damals florierenden neoavantgardistischen Experimentalismus zu sehen, so bleibt doch zu bedenken, daß bereits Pasolini die Relevanz des Lapsus’ in Rossellis Dichtung relativiert hatte. „Das Thema des Lapsus“, hatte er jedenfalls präzisiert, „ist ein kleines, sekundäres im Vergleich zu den großen Themen der Neurose und des Mysteriums, die den Körper dieser Gedichte durchziehen.“ Und ebenso, möchten wir ergänzen, jener, die danach kommen sollten.
Von den variazioni belliche über die Serie ospedaliera (1969), von Documento (1976) zum bereits zitierten Impromptu ist die Dichtung Amelias ein Kontinuum, in dem eine Reihe von Komponenten sich wechselseitig beeinflussen; Komponenten, die ich, ohne Voreingenommenheiten bezüglich der Reihenfolge, hier festzumachen versuchen will:
- eine sprachliche Komponente „seismischer“ und magmatischer Natur, oft gekennzeichnet durch eine dreifache Bewegung (zuckend, wellenartig und oszillierend), welche die permanente Labilität von Bedeutung und Wertigkeit mit sich bringt, sei es ausgehend von der emotiven Verfaßtheit des dichtenden Subjekts (das dieser Bewegung untersteht und sie gleichzeitig mitträgt), sei es von einem rezeptiven Standpunkt des etwaigen Aufnehmenden aus (ein Zustand, der dem poetischen Text generell eignet und der sich in diesem besonderen Fall mehr als auf einen wirklichen Lapsus auf ein Spiel von semantischen Angrenzungen und Ambivalenzen stützt, wo ein Wort stets bereit scheint zu „entgleisen“ oder „überzufließen“ in ein anderes, wenn es auch nur im entferntesten ihm ähnelt oder an es erinnert, es heraufbeschwört);
- eine Komponente gelebten Lebens, um nicht zu sagen confessional, bei der die private Erfahrung sich namenlosen und gesichtslosen Referenten anvertraut, bald auf im wesentlichen mondäne und profane Art und Weise, bald mit Akzenten, die an die Schriften der großen Mystiker denken lassen. Nicht umsonst kehrt darin wiederholt ein deklariert christlicher Vorstellungsfundus wieder: Ausdruck einer ebenso geplagten wie tief empfundenen Religiosität. Derselben Komponente ließe sich die Erfahrung der Nervenkrankheit zuordnen, deren erbarmungslose (sich selbst gegenüber) Aufarbeitung Amelia in einem langen Aufsatz von 1977 unternahm, der von der Zeitschrift „Nuovi Argomenti“ publiziert wurde (mit einer Anmerkung, die ihn als „Zeugnis einer ungewöhnlichen existenziellen Erfahrung“ auswies); in Rossellis nicht immer einfachen persönlichen Beziehungen schlug sich dieser Umstand als peinigendes Syndrom von Verfolgungswahn nieder;
- eine visionäre und literarische Komponente, die sich – zumal in den auf italienisch verfaßten Texten, jenen der reiferen und charakteristischeren Schaffensperiode – leicht an den Verweisen (oft in Form expliziter Zitate) auf jene Autoren festmachen läßt, denen Amelias offene Wertschätzung gilt und auf die sie sich wiederholt beruft: von Campana bis Montale, von Rimbaud über Kafka bis zum römischen Maler Scipione;
- eine Komponente, die auf ihre in Florenz und London unternommenen Studien der Kompositionstechnik (Violine, Klavier und Orgel) zurückgeht und das Feld der Aufmerksamkeit zugunsten einer Prosodie erweitert, die auch da, wo der Vers in die Prosa abzudriften scheint, stets einem genauen Rhythmus untersteht und nicht selten dazu neigt, sich auf eine quasi graphische Weise zu äußern. Das führt dazu, daß ein Gedicht sich im günstigsten Fall wie eine Partitur ausnimmt, wo die Zeile zur Metapher für das Pentagramm werden kann. Der Leser wird so auf gelungene Weise in ein System einbezogen, in dem das Was-des-Sagens wesentlich weniger Gewicht hat als das Sagen-an-sich, während der Dichtende selbst von der Entstehung dieser absoluten Dichtung förmlich mitgerissen ist. („Per Amelia: l’ora infinita“, in: Amelia Rosselli. Le poesie, 1997, Übersetzung: T. P.)
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