12. Juli 2009
italo.log
Die wöchentliche Gedichtanthologie aus Italien.
Herausgegeben von Roberto Galaverni und Theresia Prammer. » Kontakt
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111: Andrea Ponso 110: Paolo Bertolani 109: Andrea Temporelli 108: Ermanno Krumm 107: Patrizia Cavalli (3) 106: Vivian Lamarque 105: Giancarlo Majorino 104: Toti Scialoja 103: Emilio Rentocchini 102: Eugenio Montale (4) 101: Maria Luisa Spaziani 100: Ignazio Buttita 099: Simone Cattaneo 098: Nanni Balestrini 097: Nino Pedretti 096: Marco Giovenale 095: Valentino Zeichen 094: Elio Pagliarani 093: Bartolo Cattafi 092: Luciano Cecchinel 091: Eugenio de Signoribus 090: Guido Ceronetti 089: Andrea Zanzotto (4) 088: Matteo Marchesini 087: Nicola Gardini 086: Attilio Bertolucci (2) 085: Flavio Santi 084: Gesualdo Bufalino 083: Gherardo Bortolotti 082: Giuliano Mesa 081: Albino Pierro 080: Beppe Salvia 079: Ottiero Ottieri 078: Eugenio Montale (3) 077: Antonio Riccardi 076: Amelia Rosselli (2) 075: Nelo Risi 074: David Maria Turoldo 073: Pier Paolo Pasolini (3) 072: Franco Scataglini 071: Patrizia Vicinelli 070: Milo de Angelis (2) 069: Umberto Piersanti 068: Giorgio Orelli 067: Elisa Biagini 066: Remo Pagnanelli (2) 065: Carlo Bettocchi 064: Vittorio Sereni (2) 063: Giorgio Bassani 062: Federico Italiano 061: Gabriele Frasca 060: Andrea Zanzotto (3) 059: Patrizia Cavalli (2) 058: Antonio Porta 057: Vincenzo Frungillo 056: Gianni D'Elia 055: Gregorio Scalise 054: Giorgio Caproni (2) 053: Stefano Dal Bianco 052: Biagio Marin 051: Elsa Morante 050: Franco Buffoni 049: Franco Loi (2) 048: Ferruccio Benzoni 047: Eugenio Montale (2) 046: Adriano Spatola 045: Dario Bellezza 044: Tonino Guerra 043: Luciano Erba 042: Jolanda Insana 041: Mario Luzi 040: Primo Levi 039: Valerio Magrelli (2) 038: Paolo Volponi 037: Alda Merini 036: Pier Paolo Pasolini (2) 035: Patrizia Valduga 034: Aldo Nove 033: Raffaello Baldini 032: Maurizio Cucchi 031: Piero Bigongiari 030: Andrea Zanzotto (2) 029: Gerhard Kofler 028: Remo Pagnanelli 027: Andrea Gibellini 026: Fabio Pusterla 025: Michele Sovente 024: Anna Maria Carpi 023: Gian Mario Villalta 022: Edoardo Sanguineti 021: Roberto Roversi 020: Patrizia Cavalli 019: Giuseppe Conte 018: Giovanni Giudici 017: Valerio Magrelli 016: Giorgio Caproni 015: Andrea Zanzotto 014: Attilio Bertolucci 013: Emilio Villa 012: Giampiero Neri 011: Giovanni Raboni 010: Amelia Rosselli 009: Sandro Penna 008: Antonella Anedda 007: Pier Paolo Pasolini 006: Fernando Bandini 005: Milo de Angelis 004: Vittorio Sereni 003: Franco Fortini 002: Franco Loi 001: Eugenio Montale
satt.org-Links:
Latin.Log Gedichte aus Lateinamerika (2005-2008). Herausgegeben von Timo Berger und Rike Bolte.
Lyrik.Log Die Gedichtanthologie (2003-2005). Herausgegeben von Ron Winkler.
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73: Pier Paolo Pasolini (3)
Arbeitsgesuch
Auftragsgedichte sind Sprengsätze.
Der Erzeuger kann sie am laufenden Band herstellen
(und sei's nur, um von der vielen Handarbeit müde zu werden).
Der Gegenstand kann bisweilen ironisch sein:
der Sprengsatz ist es immer.
Vorbei die Zeiten, da ich, gefräßig haushaltend,
alles ausgab, mein ganzes Geld investierte (viel,
denn es war mein Samen: und ich hatte eine Dauererektion),
um völlig wertlose Güter zu erwerben,
die erst in zwei, dreihundert Jahren im Wert steigen würden.
Ich war Ptolemäer (jung wie ich war)
und zählte die Ewigkeit, wie auch sonst, in Jahrhunderten.
Ich hielt die Erde für die Mitte der Welt
und die Poesie für die Mitte der Erde.
All das war logisch und klar.
Und welche Gründe hatte ich auch, anzunehmen,
dass nicht alle Menschen so wären wie ich?
Dann aber stellte sich heraus, dass sie weitaus besser waren;
und ich stand wiederum als der Minderwertige da.
So gab ich die Wertschätzung weiter
und begriff, dass ich keine Gedichte mehr schreiben wollte. Jetzt aber,
jetzt, wo die Berufung vakant ist
– doch nicht das Leben, nicht das Leben! –
jetzt, wo die Eingebung, wenn sie auftaucht, keine Verse hervorbringt –
so nehmt bitte zur Kenntnis, dass ich bereit stehe,
Auftragsgedichte zu liefern: Sprengsätze.*
(übertragen von Theresia Prammer)
Richiesta di lavoro
Poesia su ordinazione è ordigno.
Il costruttore di ordigni può produrne molti
(nient'altro procurandosi che stanchezza per il lavoro manuale).
L'oggetto può essere, talvolta, ironico:
l'ordigno lo è sempre.
Sono passati i tempi in cui, vorace economizzatore,
spendevo tutto, investendo i miei soldi (molti,
perché erano il mio seme: e io ero sempre in erezione)
nell'acquisto di aree di bassissimo valore
che sarebbero state valorizzate da lì a due tre secoli.
Ero tolemaico (essendo un ragazzo)
e contavo l'eternità per l'appunto, in secoli.
Consideravo la terra il centro del mondo;
la poesia il centro della terra.
Tutto ciò era bello e logico.
Del resto, che ragioni avevo di non credere
che tutti gli uomini non fossero come me?
Poi, invece, si sono rivelati tutti di me molto migliori;
e io son risultato essere, piuttosto, uomo di razza inferiore.
Ricambiai l'apprezzamento
e capii che non volevo più scrivere poesie. Ora, però,
ora che la vocazione è vacante
- ma non la vita, non la vita -
ora che l'ispirazione, se viene, versi non ne produce -
vi prego, sappiate che son qui pronto
a fornire poesie su ordinazione: ordigni.*
* Anche esplosivi. (Anm. P. P. P.)
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(Aus: Trasumar e organizzar, 1971)
Foto: Mario Dondero |
Pier Paolo Pasolini wurde 1922 in Bologna geboren. Seine Kindheit war geprägt von zahlreichen Ortswechseln innerhalb Norditaliens (Städte in den Regionen Emilia und Veneto). In seiner Geburtsstadt Bologna studierte Pasolini Literatur und Kunstgeschichte bei Roberto Longhi. Von 1943-1949 lebte er in Casarsa (Friuli), der Heimat der Mutter, wo er sich, bis zu seinem Schulverweis (und Ausschluß aus der kommunistischen Partei) aufgrund seiner Homosexualität als Lehrer verdingte. Daneben Studienabschluß in Bologna. Gegen Kriegsende Nachricht vom Tod des Bruders, der bei Partisanenkämpfen ums Leben kam. Intensive poetische Produktion im Dialekt und in der Hochsprache; philologische Studien, Militanz in der „Academiuta de lenga friulana“ (friulanische Sprachakademie). 1949 Umzug nach Rom, dort als Dichter, Kritiker und Herausgeber tätig. In dieser Zeit entstehen zwei Anthologien mit Dialektlyrik sowie die Aufsatzsammlung Passione e ideologia. Arbeiten als Erzähler – der Roman Ragazzi di vita entstand 1955 (dt. 1990, übersetzt von Moshe Kahn) – sowie in zunehmendem Maße als Filmregisseur (Debütfilm Accattone, 1961). Mitherausgeber bzw. Mitarbeiter der Zeitschriften „Officina“, „Paragone“, „Nuovi Argomenti“ u.a.; zahlreiche filmtheoretische und gesellschaftspolitische Schriften. Im Rahmen der Studentenunruhen um 1968 sorgt Pasolini mit eigenwilligen heretisch-kommunistischen Positionen und Polemiken für Aufsehen. Im November 1975 wird Pier Paolo Pasolini unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen brutal ermordet. Lyrikbände, u.a.: Poesia a Casarsa (1942, im friulanischen Dialekt), La meglio gioventù (1954, friulanisch und venetisch), L’usignolo della Chiesa Cattolica (1958), Le ceneri di Gramsci (1975, dt. Gramscis Asche, 1980, übersetzt von Sabina und Toni Kienlechner), La religione del mio tempo (1961), Poesia in forma di rosa (1964), Trasumar e organizzar (1971).
„Der nächste Gedichtband, den ich publizieren will“, schreibt Pasolini 1969 an Jean Duflot, soll Trasumanar e organizzar heißen. Mit diesem Ausdruck möchte ich andeuten, daß die andere Seite der „trasumanizzazione“ (das Wort stammt, in der apokopierten Form, von Dante, in etwa: „über das Menschliche hinausgehen“, „das Menschliche überschreiten“, T. P.) also der spirituellen Aszese, eben die Organisation ist. Im Fall des Heiligen Paulus ist die andere Seite der Heiligkeit, der Entführung in den „dritten Himmel“, die Organisation der Kirche. Vieles wäre zu sagen über jene Völker, die, unserer Auffassung nach, auf einer rein praktischen, pragmatischen Ebene agieren; sie sind fast immer asketisch und tiefreligiös.“ (Zit. nach: Tutte le poesie, 2003, herausgegeben von Walter Siti).
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Roberto Galaverni über Trasumanar e organizzar:
In seiner Rezension zu Satura von Eugenio Montale spricht Pasolini von einer Dichtung, die „so ideologisch ist, daß sie eine Art Heteronomie der Kunst zur Folge hat (!), welche die Kunst vom Zweck zu einem Mittel herabwürdigt: und genau darin liegt der Skandal dieses letzten, ,unpoetischen’ Buches, ein Skandal, der von den Berufskritikern (die das Buch auf die gewohnte – beinahe kindische – Unvorhersehbarkeit der „Akte“ eines ,Dichters’ reduzieren) ebenso wie von den Bewunderern nicht ausreichend berücksichtigt wird.“ Pasolini meint offensichtlich, daß Montale hier endlich seine Wachsamkeit (oder seine Maske) abgestreift hat, um schließlich unverbrämt (und politisch) seine „wahre“ Natur zu zeigen, die solcherart auf ebenso direkte Weise festgemacht und einem Urteil unterzogen werden kann. Doch es ist emblematisch, daß die Beschreibung Pasolinis sich in vollendeter Weise auch auf sein eigenes Buch, Trasumanar e organizzar umlegen ließe. Nur daß hier an die Stelle der satirischen „epochè“, der ironischen Detachiertheit Montales (der Pasolini radikal kritisch gegenübersteht, von bürgerlicher „Rückzugspolitik“ sprechend, von einer „Gleichsetzung von Macht und Natur“) bei ihm eine im Großen und Ganzen tragische und schmerzliche Haltung tritt. (...) Eben weil er sich mit nichts weniger als mit allem zufriedengibt, fühlt Pasolini mit seinem ununterdrückbaren pädagogischen Furor das Medium der Poesie zu eng für sich werden. Abgesehen davon, daß die kommunikative Absicht, die Trasumanar e organizzar (und somit auch der Ausweitung seiner Tätigkeit als politischer und kultureller Polemiker in Gedichtform) voransteht, die gleiche ist, die ihn dazu bewogen hatte, sich mit der Filmkamera, also mit dem zu messen, was ihm als die größere Anschaulichkeit des Ausdrucks erschien. Vergessen wir nicht den langen und an Überraschungen reichen Weg, den dieser Dichter gegangen ist, der als Dialektlyriker begonnen hatte, noch dazu in einem Dialekt, der einerseits archetypisch (der Traum der Ursprünge und der Unschuld), andererseits stark literarisch konnotiert war (beinahe in altprovenzalischer Manier) und in seinen letzten Jahren schließlich dahin gelangt, Gedichte am laufenden Band zu schreiben, mit der größten Geschwindigkeit und mit totaler, verblüffender Ungezwungenheit. (...) Im Grunde hat auch der Mythos der Pragmatik und Direktheit des Ausdrucks, der Sprache der Dinge oder der Sprach-Handlung das Phantasma und die Sorge um eine Umfassendheit des Ausdrucks hinter sich, so sehr, daß er allzu leicht in den monologisierenden Sog der Rede hineinführt, in eine behauptende und volkstribunartige Haltung, in der die Stimme des Dichters sich nicht mehr von jener des Predigers unterscheidet. Noch einmal Berardinelli: „seinem Moralismus haftet nichts Satirisches an: er beruft sich auf ästhetisch-religiöse und apokalyptische Tonwerte“. (Zit. nach: Dopo la poesia, 2002, Übersetzung: T. P.)
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