für M. T.
EIN KARNEVALSABEND bei mir zuhaus
unbekannt, als Freund anderer Freunde,
bist du aufgetaucht,
Kopf und Gestalt in Schwarz, mit gelbem Schnabel,
verkleidet als Rabe. Nur die Augen waren echt.
Du sprichst nicht, gleitest vom einen zum andern,
hörst dir respektvoll an, was sie sagen,
nur dann und wann, aus Vogelpflichtbewußtheit
läßt du ein Piep vernehmen wie aus einer andern Welt.
Macht so der Rabe?
Alle lachen.
Und niemand käme in den Sinn,
daß unter diesem Schnabel diesem Cape du stecken könntest
karottenrot und Führungskraft
in einem öffentlichen Amt,
und niemand konnte damit rechnen,
du seist tatsächlich ernsthaft krank.
Daß du ein Herz hattest, hätte keiner gedacht.
Mein Herr, Sie können wählen:
künstliche Herzklappe
oder Schweineherzklappe.
Die eine hält ewig, doch jeder Fremdkörper
bedarf der Medikamente, der sorgfältigen Kontrollen,
die andere stellt keine Ansprüche, verhält sich anständig,
hat jedoch die Lebensdauer eines Schweins,
kürzer als das Ihrige.
Sei’s drum: das Schwein.
Alle zufrieden, alles gut gegangen,
nun bist du für alle „das Schweineherz“.
Schwein heißt Sex, und was könnte besser sein?
Die Männerfreunde grinsen:
ausgerechnet er, der Zurückhaltende!
Warten wir’s ab.
Ich weiß kaum was von dir,
doch deine Stimme ist wie immer, du bist und denkst wie immer,
und freust dich über den Anruf,
über das was machst du, wie geht’s?
und selten habe im Herzen eines Andern
so viel Lebendigkeit gesehen.
(übertragen von Theresia Prammer)
a M. T.
UNA SERA DI CARNEVALE a casa mia
sconosciuto, un amico d’altri amici,
sei venuto
testa e figura in nero, il becco giallo,
travestito da corvo. Di vero solo gli occhi.
Non parli, sgusci fra questo e quello,
ascolti con rispetto quel che dicono,
di tanto in tanto per dovere d’uccello
come da un altro regno mandi un beep.
È così che fa il corvo?
Tutti ridono.
E mai verrebbe in mente
che sotto becco e cappa tu sei rosso carota
e dirigente
in un pubblico ufficio,
e non ci si aspettava
che tu fossi malato seriamente.
Che avessi un cuore non ci si pensava.
Caro signore, scelga:
valvola artificiale,
o valvola di maiale.
L’una è perenne, ma ogni corpo alieno
richiede farmaci, accurati controlli,
l’altra non chiede niente, sta benone,
dura però la vita del suino,
più corta della sua.
Vada per il maiale.
Tutti felici, tutto è andato bene,
ora per tutti sei “cuore di porco”.
Porco vuol dire sesso, e cosa c’è di meglio?
Gli amici maschi ghignano:
lui che nel sesso era così cauto!
Stiamo a vedere.
Io non so i fatti tuoi,
ma hai la voce che avevi, sei e pensi uguale,
e ti rallegri alla telefonata,
al come stai, che fai?
e poche volte ho sentito così vivo
un cuore altrui.
(Aus: E tu fra i due chi sei, 2007)
Foto: Privat |
Anna Maria Carpi, 1939 in Mailand geboren, studierte Germanistik und Slawistik an der Universität Mailand. Zahlreiche Reisen nach Rußland und Deutschland, langjähriger Aufenthalt in Bonn. Erste Gedichtveröffentlichungen in den späten 70er Jahren; in dieser Zeit war sie auch verschiedentlich als bildende Künstlerin tätig (mehrere Ausstellungen in Mailand und Köln.) Anna Maria Carpi hat an den Universitäten von Macerata und Mailand unterrichtet und ist heute ordentliche Professorin für deutsche Literatur an der Universität Ca’ Foscari in Venedig. Sie schreibt Gedichte und Prosa (Racconto di gioia e di nebbia, Mailand 1995; E sarai per sempre giovane, Turin 1996; Il principe scarlatto, Mailand 2002), ist eine der versiertesten Gedicht- und Prosaübersetzerinnen aus dem Deutschen ins Italienische (Friedrich Nietzsche, Thomas Mann, Gottfried Benn, Thomas Bernard, Rainer Maria Rilke, Hans Magnus Enzensberger, Durs Grünbein u.a.) und veröffentlichte zahlreiche Aufsätze und Studien zur deutschen Literatur von Heinrich von Kleist bis in die unmittelbare Gegenwart. Die Biographie Un inquieto batter dali. Vita di H.v.Kleist, 2005 in Mailand erschienen, wurde mit dem Premio Comisso ausgezeichnet und wird derzeit ins Deutsche übertragen. Zuletzt bei Scheiwiller erschienen: Compagni corpi. Poesie 1990-2002 (Mailand, 2004) sowie E tu fra i due chi sei (Mailand, 2007). Anna Maria Carpi lebt in Mailand und Venedig.
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Alfonso Berardinelli über Anna Maria Carpi:
Anna Maria Carpi kommt von der Prosa, sie hat drei schöne und beachtliche Romane geschrieben. Ihr Sinn für die poetische Sprache entspringt, zumindest zu einem Gutteil, der Nähe zur Erzählung, zum Dialog oder Monolog einer Figur: selbst wenn diese Figur, die ein oder andere Abwandlung oder Maskerade nicht ausgeschlossen, mit der Autorin übereinstimmt, wie bei Autobiographien und Tagebüchern sowohl privater als auch öffentlicher Natur. Die nackte Wahrheit ist nicht zugänglich. Nur ein Maximum an gespielter, inszenierter Wahrheit läßt sich schreibend erzielen. In der Dichtung sind die Hauptinstrumente der Inszenierung die Verse, der Rhythmus, die Metrik und gewisse Wiederholungsfiguren. Im hier vorliegenden Fall wird man vor allem das Überwiegen der Elfsilber und der Siebensilber bemerken, eine Regelmäßigkeit, die ohne Rechnungsübungen auszukommen scheint: ergeben sich doch in unserer Sprache auch ohne Versbildung Zehnsilber und Siebensilber ununterbrochen. (...) Auch die Syntax ist klar und linear und weist sehr wenig Verschlingungen auf. Wenn das Thema Anna Maria Carpis die (verlorene oder wiedergefundene) Freude ist, so verlangt dieses Thema nach den Modi der Apologie und der Ausrufung. (...) Das zweite zentrale Thema des Buchs ist die Spaltung oder der gesuchte Ausgleich zwischen „Verwurzelten“ und „Entwurzelung“. Anna Maria Carpi kann sich sowohl unter den einen als auch unter den anderen wiederfinden. Zahlreich sind die epigraphisch-knappen Gedichte, die jener bizarren Einmaligkeit auf die Schliche zu kommen suchen, die aus einem Individuum ein Individuum macht: wer bin ich? Warum? (...) Und alle diese Interrogative haben ihre eigene Geographie. (...) Die augenscheinlich einfache (oder besser: vereinfachte) rhythmisierte Sprache erzeugt oft starke Effekte der Aussparung und des Zweifels. Es ist die Rede von Leidenschaften und grundlegenden Gegensätzen – heiß/kalt, Licht/Dunkelheit, Einsamkeit/Nähe –, doch auf solche Art und Weise, daß die wichtigsten unter ihnen aus jedem Einzelnen einen Fall für sich machen, ja sogar einen „klinischen Fall“ (...). In den Gedichten Anna Maria Carpis waltet das Heimweh nach dem Roman. („La nostalgia di romanzo e di vita invade la poesia di Anna Maria Carpi“, in: Il foglio/10. 5. 2007, Übersetzung: T. P.)