Erster Januar
Daß man auch leben kann, ohne zu existieren
weiß ich,
aus einem Bühnenbild getaucht, einer Staffage,
einem Draußen, das nicht da ist, wenn es niemand
jemals sah.
Daß man auch existieren kann, ohne zu leben
weiß ich,
mit Wurzeln, von jedem Wind ausgerissen,
obwohl kein Blatt sich regt und nicht ein Hauch
das Wasser kräuselt, auf das dein Salon hinausgeht.
Ich weiß, da ist kein Zauber
Aufguß oder Trank,
um zu erklären wie sich deine Haare, Finger
raufen, wie dein Lachen losplatzt
in seiner Dankesgeste,
an den winzigen Gott, dem du dich anvertraust,
von Mal zu Mal verschieden, dem du mißtraust.
Ich weiß, nie wolltest du dich fügen
in das Wie – das Wo – das Weil,
auf träge Weise unverfügbar
für das Verfügbare,
zerstreut, ergeben dem Das-hat-nichts-zu-bedeuten,
dem Ich-weiß-nicht-wann oder Wieviel, vertieft in ein finsteres
Sprießen von Larven und Wucherungen.
Ich weiß, daß alles was du anfaßt,
Hand oder Gegenstand, Aschenbecher oder Feder,
Feuer fängt und nichts davon bemerkt,
noch fällt es dir auf, unschuldiges
ahnungsloses Tier,
daß du ein Drehpunkt bist und ein Zerfall, ein Schatten
eine Wesenheit, ein sich verfinsternder Strahl.
Ich weiß, daß man auch leben kann
im Strohfeuer der Nacheiferung,
ohne daß von deiner Stirn das Stempelzeichen dessen schwände,
Der-wollte-daß-du-bist... und es bereute.
Nun,
auf die Terrasse getreten, gießt du die Blumen, schüttelst
das Skelett des Weihnachtsbaums,
vom Kassettenrekorder heimlich begleitet,
gehst wieder ins Haus, im Spiegel mißfällst du dir,
wirfst dich auf den Boden, mit dem Scheuertuch schabst du
die Spuren der Eindringlinge vom Belag.
Es waren so viele und der unansehnlichste
von allen – die anderen sprechen zumindest–
ich, mit geschlossenem Mund.
(übertragen von Theresia Prammer)
Il primo gennaio
So che si può vivere
non esistendo,
emersi da una quinta, da un fondale,
da un fuori che non c’è se mai nessuno
l’ha veduto.
So che si può esistere
non vivendo,
con radici strappate da ogni vento
se anche non muove foglia e non un soffio increspa
l’acqua su cui s’affaccia il tuo salone.
So che non c’è magia
di filtro o d’infusione
che possano spiegare come di te s’azzufino
dita e capelli, come il tuo riso esploda
nel suo ringraziamento
al minuscolo dio a cui ti affidi,
d’ora in ora diverso, e ne diffidi.
So che mai ti sei posta
il come – il dove – il perché,
pigramente indisposta
al disponibile,
distratta rassegnata al non importa,
al non so quando o quanto, assorta in un oscuro
germinale di larve e arborescenze.
So che quello che afferri,
oggetto o mano, penna o portacenere,
brucia e non se n’accorge,
né te n’avvedi tu animale innocente
inconsapevole
di essere un perno e uno sfacelo, un’ombra
e una sostanza, un raggio che si oscura.
So che si può vivere
nel fuochetto di paglia dell’emulazione
senza che dalla tua fronte dispaia il segno timbrato
da Chi volle tu fossi... e se ne pentì.
Ora,
uscita sul terrazzo, annaffi i fiori, scuoti
lo scheletro dell’albero di Natale,
ti accompagna in sordina il mangianastri,
torni indietro, allo specchio ti dispiaci,
ti getti a terra, con lo straccio scrosti
dal pavimento le orme degli intrusi.
Erano tanti e il più impresentabile
di tutti perché gli altri almeno parlano,
io, a bocca chiusa.
(Aus: Satura, 1971)
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Eugenio Montale wurde am 1896 in Genua geboren. Er wuchs an der ligurischen Küste auf und studierte zunächst Gesang. Nach dem 1. Weltkrieg, an dem er als Offizier teilnahm, veröffentlichte er 1919 seine ersten Gedichte. 1928 ging er als Angestellter des Verlags Bemporad nach Florenz, ab 1929 war er Direktor des renommierten Gabinetto Vieusseux, 1938 wurde er wegen antifaschistischer Gesinnung entlassen. Während des Krieges war Montale freier Schriftsteller und Mitarbeiter mehrerer Zeitschriften der liberalen Opposition, außerdem Übersetzer von Shakespeare, Cervantes, Melville, Eliot. 1948 ging er nach Mailand, wo er unter anderem als Redakteur für den Corriere della Sera und 1955-67 als Musikkritiker des Corriere d’informazione arbeitete. 1967 wurde er Senator auf Lebenszeit. 1975 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Werke: Ossi di seppia (1925/28), Le Occasioni (1938), Finisterre (1943), La bufera e altro (1956), Satura (1971), Diario del ’71 e del ’72 (1973), Quaderno di quattro anni (1977). Zahlreiche Aufsatz- und Prosabände. Eugenio Montale starb am 12.9.1981 in Mailand. Sein für reichlich paratextuelle Verwirrung sorgendes „posthumes Tagebuch“ (1991 erschienen, 1998 in deutscher Übersetzung durch Christine Koschel) wurde 2006 noch durch den Band La casa di Olgiate e altre poesie mit weiteren Stücken aus dem Nachlaß ergänzt. Auf Deutsch außerdem: Eugenio Montale: Gedichte 1920-1954, übersetzt von Hanno Helbling (München, 1999) sowie einige Auswahlbände aus späteren Zyklen.
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Andrea Zanzotto über Eugenio Montales Spätwerk:
Wir alle aus meiner Generation verdanken Montale, in unterschiedlicher Abstufung und sehr differenzierten Formen der Begegnung, magnam partem nostri. Und auch vom Montale des letzten Zeitabschnitts erreicht uns ein ganz außerordentliches Miteinander von Signalen. In den vorangegangenen Phasen seines Werks hatte Montale sich uns wie eine unwahrscheinliche Perlenformation dargestellt, zusammengesetzt aus leuchtenden Ruinen, die ungewollt aus ihrer Hülle hervortraten (...). Man hatte es dabei mit einem Leben zu tun, das über und über beschädigt und brüchig war, doch auf organische Weise zusammenhielt: wie durch einen wunderbaren Kolloiden oder das allerfrischeste und zugleich jahrtausendealte Harz. Dieses Harz oder dieser Bernstein war die in jeder Hinsicht unglaublich reiche und bewegte Polyphonie, die unausweichliche, je aggressivere desto unterschwelligere Musik, aus der Montales Rede gewoben war, als Kraft poetischer „Erinnerung“. (...) Diese Erinnerungs-Musik war in Montale so stark, daß sie ihm selbst mitunter in Form eines nachgerade zwanghaften Mechanismus erscheinen konnte; man hat nur an seine Verurteilung der Aufdringlichkeit der Reime zu denken, die doch die eigentlichen Sprungbretter des Fortschreitens-Verweilens der ursprünglichen Erinnerung sind. (...) Doch was sich in Satura und den Diari vollzieht, ist ein ultimativ komplexes und beunruhigendes Phänomen. Es ist bekannt, daß der letzte Grund der Dichtung vielleicht das Paradies ist und daß eine paradiesische Erfahrung, das „Paradiesiesche“, das mehr oder weniger eingestandene Wunschbild ist, das jedem Dichter vorschwebt. Wunschbild unterschiedlicher Koloratur, doch in seinem Charakter auf entsetzliche Weise einzigartig. Wenige haben an diesen Nicht-Ort der Erfahrung gerührt, auch wenn jeder Text, sogar der „infernalischte“, auf ein oder andere Weise mit diesem Nicht-Ort im Bunde steht. Dante oder auch Ariost hatten Paradiese inne oder schenkten sie. Unter den Modernen gibt es einen sehr bedeutenden, Michaux, der in seinen neueren Heften eine Art „zweiten Zustand“ aufflackern läßt, der onirisch, physisch und logisch zugleich ist und in dem die Themen unserer Kultur mit der östlichen harmonisieren: im Herausdestillieren noch der letzten Lymphe von Glücksseligkeit. Auch Pound begab sich hartnäckig auf diese Suche, um, aus dem Abgrund seines Schweigens in späteren Zeiten, zu den halluzinierten, doch enttäuschten Schlußfolgerungen des testamentarischen CXX. Gesangs vorzudringen, seinem letzten, denke ich: I have tried to write Paradise / Do not move / Let the wind speak / that’s paradise“. Und er endigte unter anderem mit den Versen „Let the Gods forgive / what I have made“ (über die Authentizität dieses Gesangs gibt es geteilte Meinungen). Nun, Montale steht auf der anderen Seite. Er weiß, daß er keinerlei Paradiese schreiben kann, er weiß, daß er manchmal ein kleinwenig damit in Berührung gekommen ist, er weiß auf jeden Fall, daß er noch niemals dort gewesen ist und nimmt sich deshalb eben die Götter vor, will nicht, daß diese verzeihen, was er getan hat, ja mehr noch das, was er tut. So entkoppelt er eine neue Eloquenz, ganz trompe-l’oeil, eine Illusion „niedrigen“ Stils, gleitet über zu einer endlosen Reihe von Sondierungen, Ketten von Pseudo-Syllogismen, „Gerüchten“ und Unsinnigkeiten: vielleicht die einzige Sprache, die die Götter verstehen und die sie etwas angeht. Zwischen Sarkasmus und Wiederholungszwang schlittert er in die Versuchung, die Landkarte einer neuen Gnosis zu skizzieren, wobei oft die Themen der alten aufgegriffen werden. (...) So schmuggelt er eine andere, als journalistisch-alltägliche Sprache getarnte Rede in die Dichtung (...), aufgeladen mit einer unwiderstehlichen Rhetorik, in einem Maße, daß es manchmal vorsätzlich die Geschwätzigkeit streift (...). Es ist eine Sprache, die augenblicklich etwas einfordert für den Menschen, die vom Unendlichen das einfordert, was dem Menschen angehört, die das Nicht-Paradies denunziert.
Dabei stimmt es, daß Montale stets auch in der tiefsten Demut seines Sich-Vergrabens verlangt, gehört zu werden, in seinem Schlamm-Werden, in seinem Beteuern, daß Dichtung und Schlamm zwei „niemals zu sondernde“ Dinge sind (man beachte außerdem, daß er, während er ausdrücklich auf dieses Thema zu sprechen kommt, hinzufügt: „aber ich sagte dir nichts davon“); verlangt, daß man ihm ohne Angst nachfolgt in seinen Erebus aus Mäusen, Asche, Fetzen und Fragmenten, tief in die Zeit hinabgesenkten Grabnischen. Und doch setzt auch diese Art von Rede bei der anderen an, ist nie depressiv; und der Ton des Ganzen hat etwas Anmaßendes, läuft beinahe hinaus auf eine Reihe von Gerichtsverhören, die einer geheimnisvollen Autorität unterstehen, die in ihm selbst war und die gegen jene Kräfte, jene Äonen, jene Demiurgen aufbegehrt: die „dieser“ Welt zu Bestand verholfen haben, so wie sie ist oder nicht ist, oder so wie wir glauben, daß sie ist oder wie sie sich uns darstellt im Sich-Herausschälen unzähliger Perspektiven (...).
Von Segment zu Gerinnsel, von Wiederholung zu Dementi, von Erinnerung zu Erinnerungsvakuum tritt diese neue Form von „poésie ininterrompue“ in Erscheinung, die sich als unbezwingliches „delirantes Räsonnieren“ manifestiert (...). Mit Sicherheit wird darin die „Sprechsituation“ desjenigen entwickelt, der wie der Landvermesser K. fortwährend und vergeblich zu Füßen des Schlosses umherirrt, doch dabei in gewisser Weise selbst im Schloß ist und auch von der gleichen Sippe der Schloßbewohner. Dennoch, auch wenn Montale einer Distanznahme, einem Mißtrauen in Bezug auf alles und alle Ausdruck zu verleihen scheint, werden „die anderen“ nichtsdestotrotz zu Teilhabern seine Rede, die einerseits für sich steht, andererseits dem gewaltigen Stimmengewirr einer Menge, der ganzen Menschenmenge gleicht, des „Menschenwalds“. Montale spricht täglich weiter und versprüht dabei die waghalsig leidenschaftliche Einladung, nicht abzulassen, nicht zurückzutreten, weiter zu geifern und um sich zu schlagen, auch wenn alles das vielleicht gar nichts bedeutet. („La freccia dei Diari“, in: Fantasie di avvicinamento, 1991, Übersetzung: T. P.)