26. März
Die Wohnung liegt im fünften Stock und
die Nachtigallen und die Amseln von den Pflanzen des Spitals –
Pinien und Zypressen anthrazitschwarz und noch weiter unten
Mandelbäume nun schon fast verblüht der kleinen weißen Blüten
bar und Birnen von der Nacht kaum einmal rötlich
angestrichen und noch tiefer dann beinah in Menschen-
Größe verschiedene Büsche verschiedenen Grüns hell
oder verfinstert wie aufgrund eines veränderten Empfindens –
von den Pflanzen des Spitals die Nachtigallen und die Amseln
durchstoßen die Luft und entlocken ihr Späne
aus leichtem Metall oder gemasertem Holz;
es ist ihr Lied sie singen immer doch sie rasten auch
dann hört man ein platzendes Motorgeräusch
in der Ferne das die Atmosphäre blauer
macht zu stillen Furchen aufgeschlossen zu
Kanälen sich verflüchtigend bis dahin ach wohin ich
nicht gelangen kann ans Bett gefesselt wie ich bin
aufgrund der Mittagsruhe während dieser schwierige
Frühling von 1963 beginnt und sein starrsinniger Wunsch
das Licht der andren nachzubeten einen Schmerz ihm
beigesellend der ihm eigen ist und dessen er sich rühmt.
(übertragen von Theresia Prammer)
26 marzo
L’appartamento è al quinto piano e
gli usignoli e i merli dalle piante della clinica –
pini e cipressi neri come antracite e più giù
mandorli ormai sfiorenti dei loro piccoli fiori
bianchi e peri appena dalla notte laccati
di rosso e ancora più in basso quasi a statura
d’uomo arbusti diversi in verdi diversi chiari
o aggrondati come per un diverso sentire –
dalle piante della clinica gli usignoli e i merli
trivellano l’aria ricavandone trucioli
di metallo leggero o di legno venato;
è il loro canto e cantano sempre ma sostano anche
allora si sente il motore a scoppio
nella lontananza che rende più azzurra
l’atmosfera aperta in solchi tranquilli in
canali perdentisi ahimè dove io
non posso procedere obbligato al letto
del riposo pomeridiano cominciando la difficile
primavera del 1963 e la sua ostinata volontà
di ripetere la luce delle altre aggiungendovi
un dolore che le è proprio e di cui essa si gloria.
(Aus: Viaggio d’inverno, 1971)
© Giovanni Giovannetti/effigie
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Attilio Bertolucci, Vater der beiden Regisseure Bernardo Bertolucci und Giuseppe Bertolucci, wurde 1911 in Parma geboren. Bertolucci studierte in Bologna, wo er die kunstgeschichtlichen Kurse Roberto Longhis besuchte. Langjährige Freundschaft mit Pier Paolo Pasolini. Vom Ende der 30er Jahre bis 1950, dem Jahr seines Umzugs nach Rom, unterrichtete Bertolucci in seiner Heimatstadt Parma. 1939 gründete er, zusammen mit dem Verleger Guanda, ebendort die Reihe für fremdsprachige Gegenwartsdichtung „la Fenice“. Bertolucci war ständiger Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften („Paragone“, „Nuovi argomenti“) sowie der Tagespresse („la Repubblica“) und arbeitete als Radio- und Fernsehredakteur. Unter seinen Werken: Sirio (Parma, 1929), Fuochi in novembre (Milano, 1934), La capanna indiana (Firenze, 1951), Viaggio d’inverno (Milano, 1971), das Langgedicht in zwei Teilen La camera da letto ( Milano 1984 und 1988), Verso le sorgenti del Cinghio (Milano, 1993) sowie La lucertola di Casarola (Milano, 1997). In den 90er Jahren entstehen die zwei Aufsatzbände Aritmie (Milano, 1991) und Ho rubato due versi a Baudelaire (Milano, 2000). Unter dem Titel Opere erscheinen 1997, herausgegeben von Paolo Lagazzi und Gabriella Palli Baroni, sämtliche Gedichte in der renommierten Mailänder Klassiker-Reihe „I Meridiani“. Bertolucci starb 2000 in Rom.
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Cesare Garboli über Attilio Bertolucci:
Schüler Roberto Longhis, hat Bertolucci nie einen Hehl aus den Schuldigkeiten gemacht, die er während der langen Zeit des Umgangs mit diesem Meister eingegangen ist. Die Malerei des 14. Jahrhunderts in Bologna, die lombardische Kunst des 16. Jahrhunderts, die Corot’sche und Morandi’sche Elegie verknüpfen sich bei ihm zu den berückendsten literarisch-figurativen Kombinationen. Doch schlußendlich halten diese mit so viel Mühe wiedererrungenen, natürlich-schönen und in täglich-demütiges Licht getauchten Bilder eine Überraschung bereit. Der Dichter nähert sich ihnen gleichsam von hinten, betrachtet sie als bereits Verblichene, wiederholt sie und schreibt sie neu, gerade so weit, um sie als Träger eines Traums oder einer Chimäre vor uns erscheinen zu lassen. [...] Dieses Heimweh nach dem herzzerreißenden und vollkommenen Augenblick, diese Mauern verflochten mit Rosen, dieses eigene Selbst im Caffé Greco oder im Schlafrock, gesehen mit den Augen eines Kranken, deuten den Zusammenbruch der Zeit an, setzen Proust voraus und vielleicht, innerhalb der Grenzen Bertoluccis, gehen sie sogar ein wenig über ihn hinaus, sofern man sie Bertolucci zuschreiben will, diesen nachhaltigen und angstvollen, nachhaltig besänftigten Eindruck, daß die Gegenwart ständig im Begriff ist zu kippen und ins Nichts zu stürzen.
Viaggio d’inverno ist ein egoistisches, unheroisches Buch, ohne Hoffnung und ohne Schwung. Doch es ist auch ein Buch des unendlichen Genusses für diejenigen, die sich mit der Technik der Dichtung auseinandersetzen und es verstehen, unter der bescheidenen Kruste des, immer rauh gekörnten Verses, die bewegliche, beunruhigende Organisation grenzenloser indirekter Verweise aufzugreifen. [...] Wenige Künstler legen die Sensibilität, die Hellhörigkeit Bertoluccis an den Tag, und keiner könnte ihn überragen in seinem Talent, all seine verstreuten Visionen, seine ungeordneten und zufälligen Lektüren, seine ganze Bildung in einem Punkt zusammenströmen zu lassen. [...] Ist Bertolucci nicht vielleicht der treue Zeuge, der eifersüchtige Hüter einer idealen italienischen Dichtung, die es immer schon irgendwo gegeben hat, doch die nie geschrieben worden ist? Es gibt auch so etwas wie einen Manierismus der Natur und man stellt sich gerne vor, daß Bertolucci sich über so viele imaginäre, demütige italienische Verse gebeugt hat, zerstoben und verstreut über die Jahrhunderte, gleich den unzähligen Bildern, die nur für einen Augenblick an der Netzhaut namenloser oder ländlicher Bevölkerung vorbeiziehen und gleich wieder gelöscht werden, verschüttet, verschluckt von der unaufmerksamen und schnellebigen Zeit, daß er sich über all sie mit befreiender Gnade gebeugt hat und sich nun bückt, um das Ganze mit einer erkennbar schwachen Unterschrift zu versehen, seinen Name und Vornamen darunterzusetzen, mit dem ganzen Glück des entdeckenden Kritikers und Restaurators. [...] Im Gegensatz zu den Dichter-Ästheten, die der Ansicht sind, alles was sie berühren verwandle sich in Gold, macht sich Bertolucci eines noch größeren Hochmuts schuldig. Er hält es nicht für nötig, das, was er berührt in ein Bild der Schönheit zu verwandeln. Die Schönheit gibt es, überall da, wo eine schreckliche Religion den Lebenden „die Schmach des Daseins“ zu verzeihen vermag. Vielleicht sind Gnade und Geringschätzung vor dem Leben niemals so nahe beieinander, niemals so aufs engste verknüpft gewesen. („Accesa solitudine”, in: Il Mondo, 11 Juli 1971, Übersetzung: T. P.)