8. Juni 2008
italo.log
Die wöchentliche Gedichtanthologie aus Italien.
Herausgegeben von Roberto Galaverni und Theresia Prammer. » Kontakt
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111: Andrea Ponso 110: Paolo Bertolani 109: Andrea Temporelli 108: Ermanno Krumm 107: Patrizia Cavalli (3) 106: Vivian Lamarque 105: Giancarlo Majorino 104: Toti Scialoja 103: Emilio Rentocchini 102: Eugenio Montale (4) 101: Maria Luisa Spaziani 100: Ignazio Buttita 099: Simone Cattaneo 098: Nanni Balestrini 097: Nino Pedretti 096: Marco Giovenale 095: Valentino Zeichen 094: Elio Pagliarani 093: Bartolo Cattafi 092: Luciano Cecchinel 091: Eugenio de Signoribus 090: Guido Ceronetti 089: Andrea Zanzotto (4) 088: Matteo Marchesini 087: Nicola Gardini 086: Attilio Bertolucci (2) 085: Flavio Santi 084: Gesualdo Bufalino 083: Gherardo Bortolotti 082: Giuliano Mesa 081: Albino Pierro 080: Beppe Salvia 079: Ottiero Ottieri 078: Eugenio Montale (3) 077: Antonio Riccardi 076: Amelia Rosselli (2) 075: Nelo Risi 074: David Maria Turoldo 073: Pier Paolo Pasolini (3) 072: Franco Scataglini 071: Patrizia Vicinelli 070: Milo de Angelis (2) 069: Umberto Piersanti 068: Giorgio Orelli 067: Elisa Biagini 066: Remo Pagnanelli (2) 065: Carlo Bettocchi 064: Vittorio Sereni (2) 063: Giorgio Bassani 062: Federico Italiano 061: Gabriele Frasca 060: Andrea Zanzotto (3) 059: Patrizia Cavalli (2) 058: Antonio Porta 057: Vincenzo Frungillo 056: Gianni D'Elia 055: Gregorio Scalise 054: Giorgio Caproni (2) 053: Stefano Dal Bianco 052: Biagio Marin 051: Elsa Morante 050: Franco Buffoni 049: Franco Loi (2) 048: Ferruccio Benzoni 047: Eugenio Montale (2) 046: Adriano Spatola 045: Dario Bellezza 044: Tonino Guerra 043: Luciano Erba 042: Jolanda Insana 041: Mario Luzi 040: Primo Levi 039: Valerio Magrelli (2) 038: Paolo Volponi 037: Alda Merini 036: Pier Paolo Pasolini (2) 035: Patrizia Valduga 034: Aldo Nove 033: Raffaello Baldini 032: Maurizio Cucchi 031: Piero Bigongiari 030: Andrea Zanzotto (2) 029: Gerhard Kofler 028: Remo Pagnanelli 027: Andrea Gibellini 026: Fabio Pusterla 025: Michele Sovente 024: Anna Maria Carpi 023: Gian Mario Villalta 022: Edoardo Sanguineti 021: Roberto Roversi 020: Patrizia Cavalli 019: Giuseppe Conte 018: Giovanni Giudici 017: Valerio Magrelli 016: Giorgio Caproni 015: Andrea Zanzotto 014: Attilio Bertolucci 013: Emilio Villa 012: Giampiero Neri 011: Giovanni Raboni 010: Amelia Rosselli 009: Sandro Penna 008: Antonella Anedda 007: Pier Paolo Pasolini 006: Fernando Bandini 005: Milo de Angelis 004: Vittorio Sereni 003: Franco Fortini 002: Franco Loi 001: Eugenio Montale
satt.org-Links:
Latin.Log Gedichte aus Lateinamerika (2005-2008). Herausgegeben von Timo Berger und Rike Bolte.
Lyrik.Log Die Gedichtanthologie (2003-2005). Herausgegeben von Ron Winkler.
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16: Giorgio Caproni
Raub
Gott ist gestohlen worden.
Der Himmel leer.
Der Dieb ist noch auf freiem Fuß (es stellt ihn keiner mehr).
(übertragen von Theresia Prammer)
Furto
Hanno rubato Dio.
Il cielo è vuoto.
Il ladro non è ancora stato (non lo sarà mai) arrestato.
(Aus: „Versicoli del Controcaproni“, in: Poesie 1932-1986)
© Giovanni Giovannetti/effigie
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Giorgio Caproni wurde 1912 im toskanischen Livorno geboren und wuchs in Genua auf, wo er sich, nach einem abgebrochenen Musikstudium, bald der Literatur zuwandte. 1939 einberufen, kämpfte er an der Westfront und blieb bis zur Befreiung bei den Partisanen in Val Trebbia (Provinz Genua). Vorübergehende Tätigkeit als Grundschullehrer. Nach seiner Übersiedelung nach Rom arbeitete Caproni als Kritiker für mehrere Zeitungen und Zeitschriften („Fiera Letteraria“, „Punto“, „Nazione“) sowie als Übersetzer, vor allem aus dem Französischen (Proust, Céline, Maupassant, Char etc.). In Rom freundschaftlicher Umgang mit Pasolini, Pratolini, Cassola und anderen Autoren. Zweimaliger Träger des Premio Viareggio (1952 und 1959), 1982 Premio Feltrinelli. Caproni starb 1990 in Rom.
Ab 1936 eigenständige Veröffentlichungen, u.a.: Come un’allegoria (Genova, 1936); Cronistoria (Florenz, 1943); Il Passaggio d'Enea (Florenz, 1956); Il seme del piangere (Mailand, 1959); Congedo del viaggiatore cerimonioso & altre prosopopee (Mailand, 1965); Il muro della terra (Mailand, 1975); Il franco cacciatore (Mailand, 1982). Auf den Prosaband Il labirinto (Mailand, 1984) folgt 1986 der Gedichtband Il Conte di Kevenhuller (Mailand, 1986). Poesie 1932-1986, erschienen 1986 in Mailand, umfaßt alle Werke Capronis bis auf den letzten Band Res Amissa, der 1991 posthum von Giorgio Agamben herausgegeben wurde. 1998 wird das poetische Gesamtwerk in der Reihe „I Meridiani“ unter dem Titel L’opera in versi kritisch neu verlegt (hrsg. von Luca Zuliani, Einführung von Pier Vincenzo Mengaldo.)
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Giorgio Agamben über Giorgio Caproni:
In der Figur der res amissa Gnade und Natur ineins setzend, macht Caproni mit einer sehr charakteristischen Gebärde die Kategorieaufteilungen, auf denen die westliche Theologie und Ethik gründen, hinfällig – oder besser er verkompliziert sie und verlegt sie in eine Dimension, in der ihr Sinn sich radikal umkehrt. Man könnte also für Caproni die boutade wiederholen, anhand der Benjamin sein Verhältnis zur Theologie veranschaulichte, und zwar im Vergleich mit jenem zwischen Löschpapier und Tinte: gewiß ist das Papier mit Tinte durchtränkt, aber wenn es auf das Löschpapier ankäme, wäre da kein einziger Tropfen mehr. Die Formel „negative Theologie“ (gegen deren Mißbrauch der Dichter sich verwehrt) ist also hier weder sinnvoll noch angebracht: vielmehr sollte man herausarbeiten, wie bei Caproni die Tradition der poetischen Atheologie (Caproni sagt auch „Pathotheologie“) der Moderne zu ihrer höchsten Bestimmung – wenn nicht zu ihrem Kollaps – gelangt. In Hinblick auf diese Tradition (vorausgesetzt, daß es sich dabei überhaupt um eine Tradition handelt) stellt die Dichtung Capronis so etwas wie die Bahnstation von Astapavo dar: den Punkt zufälligen Anhaltens, jedoch tatsächlich ohne eine Rückkehr, eine Reise, die nirgendwohin geht, doch die auf jeden Fall einer Flucht vor jeder vertrauten Figur des Menschlichen oder des Göttlichen gleichkommt. (...) Nicht vom freien Vers oder von einem typographisch gebrochenen Vers sollte also hier die Rede sein, sondern von Aprosodie (im Sinne der Neurologen, die von Aphasie sprechen, um die Störungen des logisch-diskursiven Apparats der Sprache zu charakterisieren und die Alterierungen ihres tonalen und rhythmischen Aspekts als Aprosodie bezeichnen): einer Aprosodie, die ganz offensichtlich sorgfältig kalkuliert ist und obsessiven Regeln untersteht (...) – was sie nicht weniger destruktiv macht. Dem bereits hervorgehobenen polaren Charakter des poetischen Schreibens zufolge, produziert diese Entfremdung vom Prosodischen gleichwohl ein entgegengesetztes Residuum: die „versicoli del controcaproni“ („Verslein des Gegencaproni“). Man könnte sich fragen, worin die auffällige Vermehrung dieses (metrisch trivialen) Gegengesangs, der den gebrochenen Gesang der letzten Gedichte begleitet, ihren Ursprung hat: beinahe ein Liedchen-Summen oder ein Pfeifen inmitten der gestrafftesten Hymne, das dem Paradox eines Dichters, der in Personalunion mit einem Gegendichter lebt, Gestalt verleiht. Die „versicoli“ sind der Abfall – das zu sehr Eigene –, das sich als Splitter von der unerbittlichen Arbeit der Enteignung ablöst, welche die äußerste Manier Capronis charakterisiert. In diesem Sinne birgt Res amissa tatsächlich den letzten Grund seiner Dichtung in sich. Denn nun ist für den alternden Dichter die Dichtung selbst zu einer res amissa geworden, in der es unmöglich ist, zwischen Natur und Gnade, Gewand und Geschenk, Besitz und Enteignung zu unterscheiden. Im Gleichgewicht, in einer Art transzendentaler Mimik zwischen der Aprosodie des unterbrochenen Gesanges und den allzu harmonischen versicoli, hat sie nunmehr ein Gebiet jenseits des Eigenen und des Uneigenen, der Rettung und des Untergangs erreicht. Das ist das unannehmbare Erbe, das die enteignete Manier Capronis der italienischen Dichtung hinterläßt, und dem kein Vorbehalt auszuweichen erlaubt. Wie ein Tier, das eine Mutation mitgemacht hat, die es über die Grenzen seiner Art hinausführt, ohne daß man es irgendeinem anderen phylon zuweisen, geschweige denn wissen könnte, ob es je imstande sein wird, anderen seine Mutation mitzuteilen, so ist die Dichtung, zugleich nicht wiederzuerkennen und zu vertraut, für uns definitiv zu einer res amissa geworden. Darum läßt sich, von sämtlichen Gedichtbänden, die nach wie vor erscheinen und mit Sicherheit weiter erscheinen werden, unmöglich sagen, ob auch nur einer von ihnen auf der Höhe des Ereignisses ist, das sich hier vollzogen hat. Was wir sagen können ist lediglich, daß hier etwas für immer zu Ende geht und etwas anderes beginnt und daß das, was beginnt, nur in dem beginnen kann, was zu Ende geht. („Disappropriata maniera“, Vorwort zu Res amissa, 2001, Übersetzung: T. P.)
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