Zwei Fragmente
aus dem Leben Pier Paolo Pasolinis
... so griff der Lehrling in romanischer Philologie
auf die Sprache der Mutter zurück
glasierte Altartafeln Liebestafeln mit ladinischem Schmelz
und gab deren dulcedo in Predellen
kleinstgedruckt am Fuß der Seite
im Italienisch seiner Klasse wieder
ein wenig abschattiert eingedenk der Lektion
Pounds, jugendlicher Erklimmer smaragdener Gipfel
in der Provence eines Arnault oder Peire...
... andere Jahre kamen, im Schlamm des Ponte Mammolo
und junge Männer unwissend posierten
als Modelle für manieristische Studien.
Es war die Zeit, um Franco Citti
als Prigione einzusetzen
junger Prophet und Peon in Erwartung
schäumender herrschaftlicher Pferde
im Ritual lebendiger Beerdingung. *
Envoi
Ich weiß nicht, ob der Enzian, lila bis Proserpinablau
in Casarsa in Blüte steht
doch sicherlich auf den Bergen im Frühherbst,
der den noch jungen Tagliamento durchzieht und verletzt.
Keinen finsteren Trinkspruch
einen Strauß Enziane, mit Farnkraut gemischt
verlangen deine Knochen – deine Asche nicht –
die uns immer noch aufregen immer noch trösten
uns in Erwartung
dich zu erinnern dich zu vergessen.
* Anm. T. P.: „Propagginazione“ steht für die mittelalterliche Todesstrafe des Begrabens mit dem Kopf nach unten. Anspielung auf den Film „Accattone“
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(übertragen von Theresia Prammer)
Due frammenti
della vita di Pier Paolo Pasolini
...così l’apprendista di filologia romanza
ricorse alla lingua della madre
campì di smalti ladini pale d’altare e d’amore
ne ripeté a piè di pagina
in predelle a carattere minuto la dulcedo
nell’italiano della sua classe
appena ombrato secondo la lezione
di Pound giovane scalante picchi smeraldini
nella Provenza di Arnault e Peire...
...erano ormai altri anni nel fango di Ponte Mammol
e ragazzi si prestavano ignari
modelli a cartoni manieristi già era
venuto il tempo
di atteggiare Franco Citti a prigione
profeta peone in attesa
di schiumanti cavalli padronali
nel rito della propagginazione.
Envoi
Non so se le genziane viola sino al blu di Proserpina
fioriscono a Casarsa
ma certo di primo autunno sui monti
che ferisce e ventila il Tagliamento bambino.
Non un brindisi funebre
un mazzo di genziane miste a felci
vogliono le tue ossa – non le tue ceneri –
che ancora inquietano e consolano
noi in attesa
di ricordarti di dimenticarti.
(Aus: Verso le sorgenti del Cinghio, 1993)
© Giovanni Giovannetti/effigie
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Attilio Bertolucci, Vater der beiden Regisseure Bernardo Bertolucci und Giuseppe Bertolucci, wurde 1911 in Parma geboren. Bertolucci studierte in Bologna, wo er die kunstgeschichtlichen Kurse Roberto Longhis besuchte. Langjährige Freundschaft mit Pier Paolo Pasolini. Vom Ende der 30er Jahre bis 1950, dem Jahr seines Umzugs nach Rom, unterrichtete Bertolucci in seiner Heimatstadt Parma. 1939 gründete er, zusammen mit dem Verleger Guanda, ebendort die Reihe für fremdsprachige Gegenwartsdichtung „la Fenice“. Bertolucci war ständiger Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften („Paragone“, „Nuovi argomenti“) sowie der Tagespresse („la Repubblica“) und arbeitete als Radio- und Fernsehredakteur. Unter seinen Werken: Sirio (Parma, 1929), Fuochi in novembre (Milano, 1934), La capanna indiana (Firenze, 1951), Viaggio d’inverno (Milano, 1971), das Langgedicht in zwei Teilen La camera da letto ( Milano 1984 und 1988), Verso le sorgenti del Cinghio (Milano, 1993) sowie La lucertola di Casarola (Milano, 1997). In den 90er Jahren entstehen die zwei Aufsatzbände Aritmie (Milano, 1991) und Ho rubato due versi a Baudelaire (Milano, 2000). Unter dem Titel Opere erscheinen 1997, herausgegeben von Paolo Lagazzi und Gabriella Palli Baroni, sämtliche Gedichte in der renommierten Mailänder Klassiker-Reihe „I Meridiani“. Bertolucci starb 2000 in Rom.
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Cesare Garboli über Attilio Bertolucci:
Schüler Roberto Longhis, hat Bertolucci nie einen Hehl aus den Schuldigkeiten gemacht, die er während der langen Zeit des Umgangs mit diesem Meister eingegangen ist. Die Malerei des 14. Jahrhunderts in Bologna, die lombardische Kunst des 16. Jahrhunderts, die Corot’sche und Morandi’sche Elegie verknüpfen sich bei ihm zu den berückendsten literarisch-figurativen Kombinationen. Doch schlußendlich halten diese mit so viel Mühe wiedererrungenen, natürlich-schönen und in täglich-demütiges Licht getauchten Bilder eine Überraschung bereit. Der Dichter nähert sich ihnen gleichsam von hinten, betrachtet sie als bereits Verblichene, wiederholt sie und schreibt sie neu, gerade so weit, um sie als Träger eines Traums oder einer Chimäre vor uns erscheinen zu lassen. [...] Dieses Heimweh nach dem herzzerreißenden und vollkommenen Augenblick, diese Mauern verflochten mit Rosen, dieses eigene Selbst im Caffé Greco oder im Schlafrock, gesehen mit den Augen eines Kranken, deuten den Zusammenbruch der Zeit an, setzen Proust voraus und vielleicht, innerhalb der Grenzen Bertoluccis, gehen sie sogar ein wenig über ihn hinaus, sofern man sie Bertolucci zuschreiben will, diesen nachhaltigen und angstvollen, nachhaltig besänftigten Eindruck, daß die Gegenwart ständig im Begriff ist zu kippen und ins Nichts zu stürzen.
Viaggio d’inverno ist ein egoistisches, unheroisches Buch, ohne Hoffnung und ohne Schwung. Doch es ist auch ein Buch des unendlichen Genusses für diejenigen, die sich mit der Technik der Dichtung auseinandersetzen und es verstehen, unter der bescheidenen Kruste des, immer rauh gekörnten Verses, die bewegliche, beunruhigende Organisation grenzenloser indirekter Verweise aufzugreifen. [...] Wenige Künstler legen die Sensibilität, die Hellhörigkeit Bertoluccis an den Tag, und keiner könnte ihn überragen in seinem Talent, all seine verstreuten Visionen, seine ungeordneten und zufälligen Lektüren, seine ganze Bildung in einem Punkt zusammenströmen zu lassen. [...] Ist Bertolucci nicht vielleicht der treue Zeuge, der eifersüchtige Hüter einer idealen italienischen Dichtung, die es immer schon irgendwo gegeben hat, doch die nie geschrieben worden ist? Es gibt auch so etwas wie einen Manierismus der Natur und man stellt sich gerne vor, daß Bertolucci sich über so viele imaginäre, demütige italienische Verse gebeugt hat, zerstoben und verstreut über die Jahrhunderte, gleich den unzähligen Bildern, die nur für einen Augenblick an der Netzhaut namenloser oder ländlicher Bevölkerung vorbeiziehen und gleich wieder gelöscht werden, verschüttet, verschluckt von der unaufmerksamen und schnellebigen Zeit, daß er sich über all sie mit befreiender Gnade gebeugt hat und sich nun bückt, um das Ganze mit einer erkennbar schwachen Unterschrift zu versehen, seinen Name und Vornamen darunterzusetzen, mit dem ganzen Glück des entdeckenden Kritikers und Restaurators. [...] Im Gegensatz zu den Dichter-Ästheten, die der Ansicht sind, alles was sie berühren verwandle sich in Gold, macht sich Bertolucci eines noch größeren Hochmuts schuldig. Er hält es nicht für nötig, das, was er berührt in ein Bild der Schönheit zu verwandeln. Die Schönheit gibt es, überall da, wo eine schreckliche Religion den Lebenden „die Schmach des Daseins“ zu verzeihen vermag. Vielleicht sind Gnade und Geringschätzung vor dem Leben niemals so nahe beieinander, niemals so aufs engste verknüpft gewesen. („Accesa solitudine”, in: Il Mondo, 11 Juli 1971, Übersetzung: T. P.)