Porta Westfalica
Ein Wolkentag, in Minden,
in einem Taxi, das mich mitnimmt
auf die Suche nach diesen zwei Wörtern.
Ich hör’ mich um und keiner kann mir sagen,
was sie bezeichnen sollen – genau, meine ich –
für welchen Ort sie stehen, wo, ob für eine Festung
oder eine Schleuse. Und doch glänzt dieser Name
auf der Karte, ein Flackern
im dichten Konsonantenknäuel, das kurze
leuchtende Vokale abgibt, wie die Waffe
eines Mannes, der im Wald verschanzt ist.
Er verrät sich und ich hole ihn aus dem Versteck.
Das Op-Art Panorama, aufgefächert zwischen Bäumen
und Gewässern, während die Schilder bald
einen Bismarckturm, bald das Wilhelms-Grabmal ankündigen,
die Statue, ihr linkes Bein bekritzelt mit der Aufschrift:
„Manuel war da“, vielleicht
mit den Wohnungsschlüsseln eingeritzt, dünner
goldener Faden auf dem Grün der Bronze,
geschwungene Linie des Namenszugs, Fluß
unter Flüssen. Ich steige aus dem Auto, gehe zu Fuß.
Abgestorbene Blätter, ein bewegliches Licht, die eiskalte Luft,
das Stechen eines verstauchten Knöchels,
ich, schwirrender Kreisel, ich
Schraube, die aufspringt. Nicht mehr.
Und doch, hier ist das Zeichen, hier
wird die Erde gepresst,
hier ist der Bypass, die Mauer
eines Hydro-Berlin, inmitten
von Grundwassern, künstlichen Becken
und der Frieden und der Krieg und die lateinische Sprache.
Nichts. Und während ich durch den Wald streife denke ich
an den Fahrer, der da ratlos sitzt,
an den Fahrer, der da ratlos sitzt
und die Gelegenheit zum Scheibenputzen nützt,
während sich unter dem Armaturenbrett
mit seinem Gesurre flüsternd weiterdreht
der Fluß des Taxameters, der Propeller des Geldes,
Staudamm, Mündung, Kanal, entschlossene Schleuse, Aorta,
Mitralkappe, Blutsturz der Zeit,
Porta Westfalica meines Seins.
(übertragen von Theresia Prammer)
Porta Westfalica
Una giornata di nuvole, a Minden,
su un taxi che mi porta
in cerca di queste due parole.
Chiedo in giro e nessuno sa
cosa indichino - esattamente, dico -
che luogo sia, dove, se una fortezza
o una chiusa. Eppure il nome brilla
sulla carta geografica, un barbaglio,
nel fitto groviglio consonantico, che lancia
brevi vocali luminose, come l'arma
di un uomo in agguato nel bosco.
Si tradisce, e io vengo a cercarlo.
Il panorama op-art si squaderna tra alberi
e acque, mentre i cartelli indicano ora
una torre di Bismark, ora il mausoleo di Guglielmo,
la statua con la gamba sinistra istoriata
dalla scritta: “Manuel war da“,
incisa forse con le chiavi di casa, tenue
filo dorato sul verde del bronzo,
linea sinuosa della firma, fiume
tra fiumi. Lascio la macchina, inizio a camminare.
Foglie morte, una luce mobile, l'aria gelata,
la fitta di una storta alla caviglia,
io, trottola che prilla, io,
vite che si svita. Nient'altro.
Eppure qui sta il segno, qui
si strozza la terra,
qui sta il by-pass, il muro
di una Berlino idrica in mezzo
a falde freatiche, bacini artificiali,
e la pace e la guerra e la lingua latina.
Niente. E mentre giro nella foresta penso
all'autista che attende perplesso,
all'autista che attende perplesso
e ne approfitta per lavare i vetri
mentre nel suo brusìo
sotto il cruscotto scorre sussurrando
il fiume del tassametro, l'elica del denaro,
diga, condotto, sbocco, chiusa dischiusa, aorta,
emorragia del tempo e valvola mitralica,
Porta Westafalica della vita mia.
(Aus: Esercizi di tiptologia, 1992)
© Giovanni Giovannetti/effigie
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Valerio Magrelli wurde 1957 in Rom geboren. Er studierte Philosophie in Rom und an der Sorbonne. Nach seinem Studium promovierte er über französische Literatur und ist heute Professor in Cassino (Rom). Magrelli übertrug Werke von Valéry, Verlaine, Debussy u.a. ins Italienische. Von 1986-1992 gab er zusammen mit Giuseppe Conte die Reihe „Poetik della Fenice“ bei Guanda heraus; seit 1993 ist er bei Einaudi für die dreisprachige Reihe „Scrittori tradotti da scrittori“ verantwortlich. Magrelli debütierte früh mit dem Band Ora serrata retinae (Mailand, 1980), der sofort großes Aufsehen erregte. Es folgen Nature e venature (Mailand, 1987), Esercizi di tiptologia (Mailand, 1992), der Sammelband Poesie (Turin, 1996), Didascalie per la lettura di un giornale (Turin, 1999) sowie Disturbi del sistema binario (Turin, 2006). 1991 erscheint der Prosaband Il viaggetto (Brescia, 1991), 2005 das poetologische Wörterbuch Che cos’è la poesia? La poesia raccontata ai ragazzi in ventuno voci (Rom, 2005). Als Französist trat Magrelli u.a. als Herausgeber einer Anthologie mit französischer Gegenwartsdichtung (Poeti francesi del Novecento, Rom, 1989) sowie als Autor einer Studie zu Paul Valéry hervor: Vedersi vedersi. Modelli e circuiti visivi nell’opera di Paul Valéry (Turin, 2002). Valerio Magrelli lebt in Rom.
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Roberto Galaverni über Valerio Magrelli:
Prämisse für Magrellis Dichtung war stets ein geschlossenes Universum, beinahe eine magische Sphäre, in deren Innerem die Vorstellungskraft sich entzünden und umherstreifen kann [...]. So etwas wie eine Überwelt oder eine Parallelwelt, in der bisweilen eine Art kosmischer Staub aufglimmt, als würde das clinamen der Grundelemente unter ständigen Neuanordnungen und Zwischenfällen von einem seltsamen und belustigten Wind dahin und dorthin getrieben. Und nur auf diese indirekten Weisen und innerhalb dieser Universen kann Magrelli auf das stoßen, was seiner Dichtung wesensnotwendig ist: die Ruhe des klugen Sehens und der perfekten Scharfstellung, die raffinierte und transparente, kristalline Atmosphäre, die unzählige Resonanzen gestattet, in einem Dunstkreis der verblüfften Anspannung, der schon alleine dafür sorgt, den poetischen Akt in einem Raum der Vortrefflichkeit und Gnade in der Schwebe zu halten. [...] Und während noch bei Montale die „barlumi“ (in etwa: „Schimmern“, „Flackern“ usw., Anm.) Embleme des Daseins sind und auf das beträchtliche Lücken aufweisende Knochengerüst eines in gewisser Hinsicht noch vorausgesetzten Romanganzen projiziert werden – gleichsam wie bei der Rekonstruktion des Gerüsts eines antiken Schiffs (oder eines Dinosaurierskeletts), wo die erhalten gebliebenen Elemente entlang einer künstlichen Metallstruktur angeordnet werden [...], schließen indes bei Magrelli die Zündungen und Kurzschlüsse, die Türen und Gelegenheiten, die nicht aufgehen, jegliche progressiv-lineare Dimension aus und scheinen vielmehr auf die Oberfläche einer Kugel projiziert, in einer unzusammenhängenden Simultaneität, wo alles gleichzeitig vorhanden und möglich und eben dadurch aufgehoben ist, in einer ständigen, fliehenden Spiegelung Physiognomie und Identität einbüßt: Die Porta Westfalica als schwarzes Loch. („Didascalie per la lettura di Magrelli“, in: Dopo la poesia, 2002, Übersetzung T. P.)